i. Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt. Uv. 233. Sonnabend, den 3. Oktober 1893. 12. Jahrg. Die Neoilsion gegen das Urtheil, welches am 17. August d. I. in Essen gegen die Bergarbeiter Schröder und Genossen gefällt itmrde. ist, wie wir bereits gestern gemeldet haben, erfolglos gewesen. Die Formalität vor dem Reichsgericht ging, wie wir der„Reichsgerichts-Korrespondenz" entnehmen, i» folgender Weise vor sich: Vom Schwurgericht Essen wurden bekanntlich am 17. August Nach mehrtägiger Verhandlung sechs Angeklagte wegen Mein- eides zu Zuchthaus vernrtheilt, und zwar der Vor- sitzende des Bergarbeiter- Verbandes, Ludwig Schröder aus Dortmund zu 2>/, Jahren, der Kassirer jenes Verbandes, Johann Meyer aus B o ch usm zu 3V2 Jahren, der Bergmann G r ä f zu 3�/2 Jahren, die Bergleute Imberg, Beckmann und Willing zu je 3 Jahren, außerdem jeder zu 5 Jahren Ehrverlust und dauernder Eidesunfähigkeit. Endlich wurde noch der erst 20 Jahre alte Bergmann Thiel wegen fahrlässigen Enlscheides zu 6 Monaten Gefängniß vernrtheilt. Aus dem achverhalte sei kurz folgendes rekapitulirt. Am 3. Februar d. I. hielt der neugegründete Christliche Bergarbeiter- Verband in Baukau bei Herne eine Versammlung ab, zu welcher Schröder mit seinen Anhängern erschienen war. Der Borsitzende wies sie jedoch hinaus und an der Thür kam Schröder zu Fall. Die„Berg- und Hüttenarbeiter-Zeitung das Organ des Schröder'schen Verbandes, brachte über die Ver- sammlung einen Artikel, in welchem dem Gendarm Munter vor geworfen wurde, er habe Schröder zweimal zu Boden geworfen. Gegen den Redakteur dieser Zeitung, Marggraf, wurde sodann Anklage wegen Beleidigung Münter's erhoben und das Land gericht Essen verurlheilte ihn am 27. Juni zu einer Woche Ge fängniß. Munter hatte eidlich in Abrede gestellt, Schröder ge stoßen zu haben; die jetzigen sieben Angeklagten hatten das Gegentheil beschworen und wurden nach der Verhandlung wegen des Verdachts des Meineides sofort resp. später in Haft genommen. Das Schwurgericht Essen hat sie dann, wie oben erwähnt, zum Er- staunen der ganzen Welt verurtheilt.— Die zu Zuchthaus Ver nrtheilten hatten Revision eingelegt, die am Donnerstag vor dem 3. Strafsenat des Reichsgerichts von Herrn Rechtsanwalt Dr. Victor Nie meyer aus Essen vertreten wurde. Es waren nur prozessuale Rügen erhoben. In der Schwurgerichtsverhand. lung führte der genannte Vertheidiger die Verlheidigung der An geklagten Schröder und Imberg. Da er als Zeuge vorgeschlagen worden war, so wurde er durch Gerichtsbeschluß genöthigt, das ihm von den Angeklagten übertragene Mandat niederzulegen Vorher schon hatte er den Rechtsanwalt Backhaus für etwaige Fälle seiner Verhinderung snbstituirt. Das Gericht setzte am 14. August die Verhandlung bis zum 15. August, nachmittags 3V2 Uhr, aus und zu diesem Termin erschien dann als Vertheidiger Schröder's und Jmberg's der Rechtsanwalt Grieving aus Aachen , der erst kurz vorher mit dem Zuge angekommen war. Die Revision vertrat nun die Ansicht, daß durch das eingeschlagene Verfahren die Vcrtheidi- gung der betreffenden Angeklagten beschränkt worden sei. Rechts- anmalt Grieving habe, so führte Dr. Niemeyer auS, der Ver- Handlung am ersten Tage nicht beigewohnt und so sei ihm das Vertheidigungsmaterial, welches derselbe bot. entzogen worden. Tie Verhandlung hätte, so meinte er, von Anfang an wiederholt werden müssen. Eine derartige„Rumpsverthcidigung" sei nicht vereinbar mit dem Wesen der nothwendigen Verlheidigung. Es sei nolhwendig, daß gegenüber einem Laiengerichtshofe ei» Ver theidiger stehe, der alle sich aus der gesammten Verhandlung ergebenden Vcrtheidiaungsmomente zusammenfasse und dem LaiengerichtShofe vorführe. Dieser Zweck könne durch eine Rumpfvertheidigung nicht erfüllt werden. Deshalb könne ein Angeklagter auch gar nicht auf die theilweise Abwesenheit seines Verlheidigers verzichten. Weiter rügte Herr Dr. Niemeyer, daß die Angeklagten und die Vertheidiger nicht von dem Termin zur kommiffarischen Vernehmung des kranken Zeugen Röder in Herne in Kenntniß gesetzt worden seien. Diese Vernehmung hat am ersten Verhandlungstage stattgefunden. Eine Ladung war wegen Kürze der Zeit nicht möglich, auch nahm man wohl an, daß die Vertheidiger, weil in der Hauptverhandlung beschäftigt, doch dem Termin zur Vernehmung des Zeugen Röder nicht beiwohne» Isriedvich Engels. Der einzige deutsche Universitätslehrer, der es bisher gewagt hat, als Aufgabe der Wissenschaft nicht die Widerlegung, sondern die Weiterentwickelung des Marx'schen Systems zu bezeichnen, der Breslauer Universitätsprofessor Werner Sombart , widmet unserem Friedrich Engels im letzten Hefte der„Zukunft" einen Nachruf, den wir, trotzdem wir in so manchem Punkte mit ihm im Wider- spruche stehen, unseren Lesern nicht vorenthalten dürfen.— Es ist ein untrügliches Zeichen für die Einheit und Ein- müthigkeit eines Volkes, wenn es in alle» seinen Schichten die- selben Feste feiert und dieselben Helden verehrt. Ein Volksheld, den eine ganz«, ungetheilte Nation vergöttert hat, war noch einmal Garibaldi : an seinem Grabe hat Italien geiveint. Seit seinem Tode will es fast scheinen, als ob es nur noch Klassen- feste und Klaflenhelden gäbe, als ob die eine Klasse weder mit dem Geiste noch mit dem Herzen mehr an den Festfreuden und an der Heldenverehrnng der anderen Klaffe sollte Antheil haben. Unlängst ist in London ein Mann gestorben, der für Millionen und aber Millionen ein geliebter, ein angebeteter Führer und Vater, ein Held war: Friedrich Engels ,— und in bürgerlichen Kreisen ist nicht einmal sein Name jedermann geläufig, sehr wenige aber in diesen Kreisen wußten mehr von ihm, als daß er ein revolutionärer Sozialistenführer war. Und das war ein Mann, dessen Popularität in den großen Massen des niedrigen Volkes nicht Seinesgleichen kannte, ein Mann, der Triumphe des Erfolges gefeiert hat, wie nur wenige Sterbliche sie haben erleben dürfen, ein Mann. der im Beginne seiner Laufbahn nur einen einzigen Gesinnungs - genossen halle, zu dem in seinem Alter Millionen als zu ihrem Führer ausschauten, auf dessen Stimme und Rath sie lauschten, als ob ein gollgesandter Religionsstifler göttliche Weisheit offen- harte. Und Friedrich Engels ist nicht gestorben als Sektenstifler. Er ist gestorben als der anerkannte Mentor des gesammten Prole- tariats, wo dieses klassenbewußt, organisirt ist. Auch die eng- lischen Arbeiter, denen nian so gern eine Sonderstellung in der große» proletarischen Armee anweisen will, haben Friedrich Engels als einen der Ihrigen belranert, mochten sie oft auch, zumal in früheren Jahren, ihre eigenen Wege gewandelt sein; unter all' den unzähligen Trauerlundgebungen, die bei dem Tode von Engels laut geworden sind, ist mir keine so bedeutsam erschienen wie der einstimmige Beschluß des eben tagenden internationalen Textilarbeiter- Kongresses: der Familie und de» Freunden des Tobten, der in die Welt die große und mächtige Aufforderung des Zusammenhaltes, die Worte:„Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" gerufen habe, die Theilnahme des Kongresses auszusprechen. Im Name» der englischen Delegirten beantragte Ashton die Absendung einer Kondolenzdepesche. Ashton ist einer der Führer der Gewerkschafts. beivegung in Lancashire , und Lancashire ist eine der Hochburgen würden. Weiter rügte der Vertheidiger als unzulässig, die Vcv lesung des betreffenden Artikels der„Berg- und Hüttenarbeiter- Zeitung" und des damals noch nicht rechtskräftigen Urtheils gegen Marggraf, da beide Schriftstücke nicht zu den herbeigeschafften Beweismitteln gehört hätten und ein Grund der Verlesung aus dem Protokoll nicht ersichtlich sei. Er beantragte nicht nur die Aufhebung des Urtheils, sondern auch die Verweisung der Sache an ein anderes Schwurgericht, möglichst weit entfernt von Essen . Der Urtbeilssprnch habe überrascht und erschreckt nicht nur die öffentliche Mei- nung, die Presse, sondern auch Ueberraschung hervor- gerufen bei Richtern und Rechtsanwälte». Ein derartiges Urtheil, so sage man, würde von gelehrten Richtern nicht haben gefällt werden können. Man sage auch, der Schuldigsprnch sei durch politische Erwägungen beeinflußt worden. Die politischen und sozialen Gegensätze seien in der Essener Gegend so außerordentlich scharf, daß ein im wesentlichen aus Industrielle» und solchen nahestehenden Personen bestehendes Geschwa renen• Gericht kaum unbefangen über Angeklagte urtheilen iverde, die hauptsächlich mit der Begründung angeklagt seien, daß sie als Sozialdemokraten einen Meineid geleistet haben. Es sei unwiderlegt behauptet worden, daß schon am ersten Verhandlungstage Geschworeue erklärt haben, sie seien mit ihrem Urtheile fertig; das seien Sozialdemokraten, dencn glaube man kein Wort.— Herr Reichsanwalt Schumann ging dem Bericht zufolge auf die letzteren Ausführungen des Verlheidigers g a r n i ch t erst ein. Er erklärte, es könne auch nicht eine einzige der erhobenen Rügen Beachtung finden. Ohne Vertheidiger seien die Angeklagten Schröder und Imberg keinen Augenblick gewesen, denn als Dr. Niemeycr einige Male den Saal verlassen habe, sei er laut Substitutions- vollmacht vom Rechtsanwalt Backhaus vertreten worden. Nach Wiederaufnahme der Verhandlung sei Rechts anmalt Grieving als Vertheidiger aufgetreten und könne dies wohl nicht gut gegen den Wille» der Angeklagten Schröder und Imberg gethan haben, da er bis zum Schluß der Verhandlung die Verlheidigung ohne Widerspruch geführt habe. Die noth- wendige Vertheidigung sei nicht beeinträchtigt worden, denn die Angeklagten hätten während der ganzen Dauer der Verhandlung einen Vertheidiger gehabt. Daß dies immer derselbe sein müsse sei nirgends vorgeschrieben. Was die Verlesung der beiden Schriftstücke betreffe, so sei ein Widerspruch dagegen in der Hauptverhandlung nicht erhoben worden. Sie sei aber auch zulässig gewesen, weil diese Schriftstücke dem Gerichtshose in den herbeigeschafften Akten vorlagen. Gegen die Verlesung der kommissarischen Aussage des Zeugen Siöder habe in der Hauptverhandlung niemand Widerspruch erhoben und dann erledigen sich auch diese Beschwerden. Wenn endlich noch behauptet werde, die Aussage des Zeugen Münter könne nicht in allen ihren Theilen als beeidigt gelten, so sei darauf zu ver- weisen, daß der Zeuge vor seiner Vernehmung den promissorischen Eid geleistet habe, durch den alle im Laufe der Verhandlung erstatteten Aussagen gedeckt würden, um so mehr, da sich der Zeuge immer wieder auf jenen Eid berufen habe.— Der Vertheidiger erwiderte noch kurz und bemerkte, Beweismittel müßten als solche bezeichnet werden, das sei hier nicht geschehen. Wenn die nothwendige Vertheidigung so formalistisch aufgefaßt werde, wie es seitens des Reichs an walts geschehen, so müsse er dies als nicht im Sinne des Gesetzes liegend bezeich- neu.— Das Reichsgericht erkannte auf Verwerfung der Revision, indem es sich den Ausführungen des Reichsanwalts in jeder Hinsicht anschloß. DieVerurtheiltensindnunmehralsoveritableZ u chthäusler. Sie gehen dem Orte der Qualen mit dem Bewußtsein entgegen, daß ihnen in unserem unglücklichen Vaterlande Millionen Prole- tarier im Geiste die Hand reichen. Das klassenbewußte Proletariat hat durch Wort und That bewiesen, daß es im großen Befreiungskämpfe der unglücklichen Ehrenmänner, welche die„Zuchthäusler" in seinen Augen bleiben, und ihrer armen Angehörigen nimmer vergessen wird. Graut den heutigen Ordnungsrettern nicht ein wenig vor dieser Thatsache? des sogenannten„alten" Trade-Unionismns, der ehemals anti- sozialistischen Nur-Gewerkschaftler. Sicherlich werden viele und sehr gebildete Leser fragen: Wer war dieser Friedrich Engels ?" Wenn ich es, der Ans- sorderung des Herausgebers folgend, hier unternehme, eine leidlich verständliche Antwort auf diese Frage zu gebe», so thue ich es nicht leichten Herzens. Dem jüngst Verstorbenen gebührt ein Nachruf, und einen Nachruf an Friedrich Engels kann ich nicht schreiben. Dazu bedarf es der Unmittelbarkeit der persön- lichen Beziehung, um den Worte» jene Wärme des Tones, jene Ursprünglichkeit des Empfindens zu verleihen, die wir von einer literarischen Todtenmesse heischen, persönlicher Freundschaftbande, die allenfalls durch die Intimität der politischen Partei- gemeinschaft ersetzt werden können. Ich aber habe Engels weder im Leben persönlich gekannt, noch bin ich ein Anhänger seiner Partei; ich kann deshalb nicht mit dem Herzen, sondern nur mit dein Kopfe über ihn schreiben. Und solches Schriftwerk kann wohl hell, aber es kann nicht warm sein. Ein Urlheil ist herzlos; es ist kritisch: es muß auch tadeln, verurlheilen, wo es am Platze scheint..... Die Welt weiß noch wenig von seinem privaten Leben. Es wäre dankenswcrth, wenn einer seiner näheren Freunde sich zu Mittheilungen darüber entschlösse. Hier wollen wir versuchen, uns ein Bild davon zu machen, was Friedrich Engels als Ge- lehrter und als einer der anerkanntesten Führer der sozialen Bewegung bedeutete................. Was auch immer von Friedrich Engels man darzustellen und zu schildern beginnt, ob seine Bedeutung für die Ausbildung der sozialistischen Theorie, ob seine Theilnahme an der sozialen Bewegung unserer Zeit: alsbald wird sich uns die Beobachtung aufdrängen, daß das Leben dieses Mannes un- verständlich bleibt, wenn wir es nicht im Zusammenhange mit dem Leben und Wirken seines geistigen Bruders betrachten: des Karl Marx . Es ist eine in weiteren als Gelehrten- und Partei- kreisen bekannte Thatsache, daß Karl Marx und Friedrich Engels seit ihrer Jünglingszeit— sie zählten fünfundzwanzig und drei- undzivanzig Jahre, als sie sich kennen lernten— im engsten Freundschaft- und Geistesbunde niit einander gelebt, daß sie in eminentem Sinne zusammen gedacht, gefühlt und gehandelt haben und daß, was des einen Werk ist, vom anderen nicht getrennt werden kann— Gedachtes wie Vollbrachtes—, also daß wir von einem Marx-Engels'schen Lebenswerke zu sprechen gewöhnt worden sind. So sehr wir nun aber auch überzeugt sein mögen, daß der„Arbeitsertrag" des einen oder anderen sich nicht wird feststellen lassen, daß, um mit Marx zu sprechen: ihr Werk als das Produkt des„Gefammtarbeilers" eines auf „höherer Stufenleiter" produzirenden arbeitslheilig-kooperativen Betriebes erscheint, so drängt es uns doch immer und immer wieder, den Leistungen, dem Eigenthümlichen des einzelnen nach- zuspüren, an irgend welchen Kennzeichen die Individualität des einen oder des anderen in diesem oder jenem Werk zu entdecken. UoKerfes. Um einen«nter den Parteigenossen laut gewordenen Wunsche nachzukommen, werden die Versanimlnngsanzeigen im Jnseratentheil fortan unter eine bestimmte Rubrik gebracht werden. Wir hoffen so die Ankündigungen dieser Art über- sichtlicher als bisher gestalten zu können. Anzeigen welche.für diese Rubrik in der Nummer des folgenden Tages bestimmt sind, müssen jedoch spätestens nachmittags 4 Uhr in unserer Expedition eingereicht sein. Die EraäiizmigStvarilen zur Stadtverordneten - Versammlung finden nach Verfügung des Magistrats wie folgt statt: für die dritte Abtheilung: am Freitag, den 8. November cr.. von vormiltags 0 Uhr bis nachmittags 7 Uhr; für die zweite Abiheilung: Sonnabend, den 9. November cr., von vormittags 10 Uhr bis nachmittags 5 Uhr, und für die erste Abtheilung: Montag, den II. November cr., von vormittags 10 Uhr bis nachmittags 3 Uhr. Die Abgrenzung der Wahlbezirke sowie der Wahllokale wird durch die demnächst erfolgende Bekanntmachung veröffentlicht werden. Jeder Parteigenosse hat die Pflicht, die nächsten fünf Wochen zur Agitation nach Kräften auszunutzen. Zu der drastischen staatsanwaltliche« Umtanfung der drastischen Majestätsbeleidigungssache Pfund und Genossen in D i e r l und Genossen hat sich bislang nur«in bürgerliches Blatt geäußert: Die Zeitung„Das Volk" ist das einzige staatserhaltende Organ, das in dieser Sache kein Blatt vor den Mund nimmt und seine Meinung in folgendem kundzugeben wagt: „Wenn eine Sache, die ursprünglich aktenmäßig„Pfund und Genossen" heißt, plötzlich im die Sache„Dierl und Genossen" verwandelt wird, so daß sie vor die Strafkammer des Herrn Brausewetter kommt, die die mit V(soll heißen A. R. d.„V.") beginnenden Sachen abznurtheilen hat, so entsteht natürlich leicht der Verdacht, die Umtaufung sei vor sich gegangen, um die Sache vor die Brausewetter'sche Kammer zu bringen. Läge eine Absicht wirklich vor, so würde es sich um eine beklagenswerthe Neuerung handeln. Daß der Landgerichtsdirektor Brausewetter in seiner Prozeßleitung gegen Redakteure und Sozialdemokraten mit einer besonderen Schärfe vorgeht, ist gerichtsbekannt. Sein Verfahren in dem Gummi- schlauch-Prozeß war derartig, daß ein Reichsgerichts- r a t h in der„National-Ztg." eine so scharfe Kritik zu veröffentlichen sich gedrungen fühlte, daß die Redaktion des Blattes deshalb vernrtheilt wurde. Ein Staatsanwalt, der durch Aenderung des Rubrums (Aktenzeichen) vie Verhandlung gegen sozialdemokratische Redakteure einem andern Vorsitzenden entzieht und sie Herrn Brausewetter zuwendet, hat den bösen Schein gegen sich. Und den sollte man doch zu vermeiden suchen, weil er leicht böses Blut machen kann." So das„Volk", dessen Charakteristik der staatSauwaltlichen. also im Namen der Negierung geübten Praktiken noch durch eine Erinnerung an die Thatsache vervollkommnet werden kann, daß die Kritik, die der ReichsgerichtSrath Bähr an dem Ver- halten des Herrn Brausewetter zu üben sich verpflichtet fühlte, wie von vielen Dutzenden Blättern, auch vom„Vor- w ä r t s" abgedruckt ivurd«. Der Abdruck in der ganzen Presse bis auf ein Blatt blieb un verfolgt; und dieses eine außer der„Vtational-Zeitung" unter Anklage gestellte Blatt war der —„Vorwärts". Wir sind die letzten, die irgend einer Zeitung eine staatsanwaltliche Verfolgung wünschen, aber zur Charakteristik der neupreußischen Gerechtigkeit verdient der Fall bei dieser Gelegenheit doch wieder in Erinnerung gerufen zu werden. Im übrigen läßt sich ja auch an der nenesten staatsanwalt- lichen Leistung konstatiren, daß die Saat, die unsere Feinde säten, üppig der Ernte entgegenreift, die die Sozialdemo- kratie halten wird. Es ist das unverwüstliche Recht, das die lebendige Persönlichkeit geltend macht, als solche, d. h. als Individualität anerkannt und beachtet zu werden; zumal, wenn es sich darum handelt, von einem der beiden Männer zu berichten, wie ich es hier vorhabe. Wollen wir der Versuchung nachgeben und Antwort auf die Frage heischen: was gehört Engels am„Marxismus ", so stehen uns zwei Auskunftstcllen offen: die Schriften der beiden Männer und ihre Auslassungen über ihr Zusammenarbeiten. Wird erst einmal der Briefwechsel zwischen Marx und Engels auS den Jahren 1850 und 1870 veröffentlicht sein, der Zeit, wo Marx in London, Engels in Manchester lebte und die Freunde „fast täglich" über politische und wissenschaftliche Fragen brieflich ihre Meinungen austauschten, dann wird man viel tiefere Einblicke in die geistige Werkstatt der beiden thun können, als es jetzt möglich ist. Aussprüche über ihre gemeinsame Thätigkeit besitzen wir naturgemäß mehr von Engels als von Marx : erst nach dem Tode von Marx (1883) hat sich häufiger Gelegenheit geboten, jene Frage nach dem Antheil des einen oder des anderen am geincinsamen Werk auszuwerfen und zu beantworten: sie drängte sich auf, als Engels es unternahm, den literarischen Nachlaß von Marx zu ordnen und herauszugeben. Sehr humorvoll, wie es dem Verstorbenen eigen war— er hatte Humor, wo Marx witzig war—, hat er in einem Briefe an einen Parteigenossen sein« Stellung zu Marx wie folgt geschildert:«Ich habe mein Leben lang zweite Violine gespielt und glaube, es zu einiger Virtuosität darin gebracht zu haben, und ich war vi dämmt froh, daß ich dabei eine so gute erste Violine halte wie Marx . Jetzt aber, wo ich in Vertretung der Theorie selbst erste Violine spielen soll, muß ich mich sehr in acht nehmen, daß ich mich nicht blamire." Und über seinen Antheil speziell an der griindlegenden Theorie des marxistischen Systems, der„materialistischen Geschichtsauffassung". spricht sich Engels so aus:„Daß ich vor und während meinem vierzigjährigen Zusammenwirken mit Marx sowohl an der Begründung wie namentlich an der Ausarbeitung der Theorie einen gewissen selbständigen Antheil hatte, kann ich nicht leugnen. Aber der größte Theil der leitenden Grundgedanken, besonders auf ökonomischem und geschicht- lichem Gebiet, und speziell ihre schließliche scharfe Fassung, gehört Marx . Was ich beigetragen, das konnte— allenfalls«in paar Spezialfächer ausgenommen— Marx auch wohl ohne mich fertig bringen. Was Marx geleistet, hätte ich nicht fertig gebracht. Marx stand höher, sah weiter, überblickte mehr und rascher als wir anderen alle. Ohne ihn wäre die Theorie heute nicht das. was sie ist. Sie trägt daher auch mit Recht seinen Namen." Es springt in die Augen, daß hier eine rührende Freundes- liebe das Urtheil beeinflußt hat. daß sie es wenigstens hat mit bilden helfen. Glerchwohl scheint mir im Wesen wenigstens.
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