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Nr. 336 44. Jahrg. Ausgabe A nr. 172

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Der Rinder

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292–297.

Dienstag, den 19. Juli 1927

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Der Verkehrsstreit abgebrochen

Die Arbeit in ganz Desterreich um Mitternacht wieder aufgenommen.

r. bn. Wien , 18. Juli, abends.( Eigener Drahtbericht.) Eine Extraausgabe der Arbeiter- Zeitung " veröffentlicht ein Manifest des Parteivorstandes und der Gewerkschafts­tommission, worin der Abbruch des technischen Streits auf heute Mitternacht angeordnet wird. Der Streifabbruch wird damit begründet, daß der technische Streif, über dessen äußerst tiefwirkende Folgen für das gesamte Wirtschaftsleben sich die leitenden Körperschaften der Arbeiter bewegung durchaus im flaren sind, seine Wirkung getan habe. Die Gefahr einer Ausnutzung des blutigen Dramas von Frei­tag und Sonnabend im Interesse der Reaktion sei schon ab­gewendet. Dies habe der Protest- und der technische Streit erreicht, er habe die Stärke der Arbeiterklasse gezeigt. Nicht geschwächt gehe die Arbeiterklasse aus diesem Kampfe hervor, den sie aus Rücksicht auf das Gesamtwohl und auf die Erhaltung ihrer Kampffraft abbreche.

Die Gefahren für die Republif, von denen im Beschluß der Generalstreilleitung die Rede ist, bestehen natürlich vor allem in den bewaffneten Heimwehren, die aus den gegen die Arbeiterschaft verhetten Bauernburschen be­stehen, deren Einmarsch in die Propingstädte die schlimmsten Folgen haben und den Bürgerkrieg entfesseln fönnte. Außer dem sind sich die Körperschaften volltommen flar über die schädliche Wirkung einer Fortsetzung des Streits auf den für Deutschösterreich außerordentlich wichtigen Fremdenver­fehr.

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dem Abend, als das Schattendorfer Urteil bekannt wurde, deffen aufreizende Wirkung auf die Arbeiterschaft doch nicht verborgen bleiben fonnte, die leitenden Instanzen zusammen­getreten seien und für den nächsten Tag eine Aftion vorbereitet und in der Arbeiter- Zeitung " vom nächsten Morgen angefündigt hätten. In diesem Falle so sagte der Genosse- wäre es zu den blutigen Vorfällen bestimmt nicht gekommen. Denn oftmals schon sind die allergrößten Demon­ftrationen in Wien vor sich gegangen, ohne daß es zu den geringsten Zwischenfällen gekommen ist. Allerdings habe stets die Partei die Leitung dieser Demonstrationen von An fang an in der Hand gehabt. Der Redner erging fich dann in weniger wichtigen Ausführungen. Er erlitt manche Ent­gleisungen, und so ging auch die von ihm gestellte, tatsächlich sehr wichtige Frage verloren, die im weiteren Verlauf der Bersammlung nicht aufgegriffen wurde. Es ist aber an­zunehmen, daß diese Frage auch noch sehr viele andere Partei­genossen beschäftigt und daß sie daher in den kommenden Erörterungen noch eine Rolle spielen dürfte.

Der Verwalter

Zu der Anzündung des Justizpalastes fann mit­geteilt werden, daß die amtliche Untersuchung der Feuerwehr e in e ganze Menge Brandstellen im Gebäude ergeben hat. Es ist auch feftgestellt worden, daß Benzin zur Verbreitung des Feuers verwendet worden ist. Gegenüber der einen Seite des gewaltigen Balastes ist eine Benzinabgabestelle für Autos. wollte, als die Menschenmenge vor dem Palast aufzog, schließen, wurde aber daran gehindert, und die Leute verfahen sich aus seinem Vorrat mit Zündstoff. Ueberflüssig zu sagen, daß organisierte Arbeiter, denkende Sozialdemokraten, an solchem Vor­haben nicht beteiligt waren. Es wird von ganz ruhigen, be= währten Parteigenossen in verantwortlicher Stellung auf das aller­bestimmteste und immer wieder versichert, daß tatsächlich Polizisten aus den Fenstern des Justizpalastes auf die Menge geschossen haben, wobei sie selbst in ziemlich gesicherter Stellung waren. man die Wut der Massen auf die Attacken der Polizei zurückführen muß, so muß man objektiverweise auch die Erregung der Polizei darauf zurückführen, daß fie schon ziemlich bald am Vormittag fünf ihrer Mitglieder verloren hatte, die der wütenden Menge zum Opfer gefallen und zu Tode mißhandelt worden waren. Die Zahl der Toten hatte sich am Montagmittag auf 82 erhöht. Eine Konfiskation.

Aber wie

Der erste Eindruck des Streit abbruchs ist natürlich für die Arbeiterschaft und die mit ihr Sympathisierenden nicht er hebend, zumal der Bundeskanzler, wie es scheint, irgend­melche Erflärungen, die geeignet waren, die Besorgnisse vor r. bn. Wien , 18. Juli abends. einer Ausnuzung der blutigen Ereignisse zu reaktionären Nachdem heute früh außer dem Mitteilungsblatt der Arbeiter­Zweden zu zerstreuen, nicht gegeben hat. Aber die deutschschaft auch ein ganz erbärmliches antifozialistisches Schimpfblatt auf österreichische Arbeiterschaft und ihre Wortführer können sich mit vollem Recht sagen, daß sie in der Stadt Wien und im Nationalrat start genug sind, jede entscheidende Verschiebung der politischen Verhältnisse zu verhindern.

Niemand wird den Abbruch des Streifs ernstlich miß­

Man darf nicht vergessen, daß diese Heimwehren dasselbe find wie bei uns der Stahlhelm, und daß ihr Einmarsch in die Brovinzstädte on Wien ist natürlich nicht zu denken- die Arbeiter zur Abwehr geradezu aufreizen müßte. Das tatsächlich erfolgte Auftreten bewaffneter Heimwehren in Tirol, wo sie mit der Landesregierung zusammenwirken billigen können. Jeder wird den verantwortlichen Genossen und den Erfolg ihres Terrors gegenüber den zahlenmäßig in Wien die nötige Urteilsfähigkeit und Einsicht in die taktische bedeutend schwächeren Arbeitern für sich haben, in Unter- Notwendigkeit ohne weiteres zugestehen. Wir wollen nicht steiermark und auch in Kärnten sowie auch im Salz vergessen, daß das Unterlassen einer rechtzeitigen Beendigung burgischen signalisierte die Gefahr des Bürgerkriegs. In des Kampfes das starrsinnige und hartköpfige Durchhalten bis den Schutz der Gendarmerie stellen. Zu Blutvergießen ist es schaft und die gesamte britische Arbeiterklaffe dahin gebracht Salzburg mußte sich schon eine Heimwehrversammlung unter zum äußersten Ende die englische Bergarbeiter hat, daß sie heute zu größeren materiellen Aufwendungen empfindliche Ein­unfähig ist und sich sogar eine schränkung der Gewerkschaftsrechte hat gefallen lassen müssen. Seipel und seine Leute sind keine englischen Tories und der Wiener Streit geht nicht so zu Ende wie der eng hat, in voller Einmütigkeit, wie das Personal der Verkehrs­einrichtungen die Arbeit niederlegte und den Streit durch führte, in derselben einigen Geschlossenheit fehren sie alle zur Arbeit zurüd, im Herzen den Grimm und die Begeisterung für unser Ziel, im Kopf die klare Ueberlegung des möglichen und des Notwendigen.

jedoch nirgendwo gekommen.

Bon der Südgrenze wird gemeldet, daß sowohl die Italiener als auch die Jugoslaven ihre Grenztruppen um einige tausend Mann vermehrt hätten, daß man jedoch Don wesentlichen Truppenvermehrungen nicht sprechen fann.

irgendeine dunkle Weise hergestellt worden war und in Wien er­schien, erschien auch am Vormittag das anständige Montagsblatt Der morgen". Am Mittag erschienen dann nach und nach alle anderen Zeitungen; der linksradikale Abend", der infolge des Streits gleichfalls stillgelegt war, brachte eine Nummer, die sich

fast ausschließlich und in allerschärffter Weise gegen die Polizei richtet und reich mit Illustrationen aus den Schicksalstagen ver= sehen ist. Er wurde nach etwa eineinhalb Stunden von der Staats­sehen ist. Er wurde nach etwa eineinhalb Stunden von der Staats­anwaltschaft beschlagnahmt. Es war inzwischen eine gewaltige Auf­den Geschworenen nach sich ziehen, und wenn ein Freispruch erfolgt, lage des Blattes verkauft worden, wie denn der Zeitungshunger muß der Staat der Zeitung den Schaden ersehen.

Daß es möglich ist, bei allerschärfster Kritik doch eine Beschlag­Arbeiter 3eitung", deren Leitartikel der tiefsten Empörung, über das Vorgehen eines Teils der Polizei Ausdruck gibt, zum

nahme zu vermeiden, zeigte die heute nachmittag wieder erschienene

Die im Ausland verbreiteten Gerüchte von einer Inter- lische. In voller Geschlossenheit, wie sie die Betriebe verlaten Schluß aber beifügt, mum erst recht für den Sozialismus und damit

vention ausländischer Regierungen der Nach barstaaten werden sogar von der österreichischen Bundesregie­rung in das Reich bösmilliger Erfindungen ver­miesen. Ebenso falsch ist das Gerücht, daß auf den Bundes­fanzler ein Anschlag geplant gewesen sei. Ein Nürnberger Blatt hat fogar eine Ertraausgabe mit diesem reaktionären Schwindel gemacht. Kein Wort davon ist wahr.

Wien bietet nach wie vor das Bild einer zwar beruhig= ten, aber von tieffter innerer Empörung durchzitterten Stadt. Es ist kein Zweifel, daß es lange Zeit brauchen wird, bevor die Erbitterung gegen die staatliche Polizei aus dem Bewußtsein des Bolles gewichen sein wird. Bei den Wahlen der Polizeivertretung, der Bundespolizei in Wien , hat bis jetzt die Freie Polizeigewerkschaft immer eine ganz gewaltige Mehrheit erlangt; es sind nicht wenige Staats­polizisten, die nach dem Drama unseren Genossen versichert haben, daß sie selbst nicht auf ihre Mitbürger geschossen haben. Die Gemeindeschuhwache, die man nur in den Außenbezirken antrifft, ist einheitlich uniformiert und ist durch eine weißrote Armbinde in den Farben und mit dem Titel der Stadt Wien als Gemeindemache gekennzeichnet. Zum Leiter dieser 900 Mann starken und vorläufig nur für zehn Tage aufgestellten Gemeindeschuhmache ist der Vorsitzende des Republikanischen Schutzbundes, Nationalrat Genosse Julius Deutsch , von dem Bürgermeister Genossen Seiß ernannt worden. Die Gemeindewache hat schon wiederholt bei fleineren 3mischen­fällen eingegriffen und immer eine friedliche Lösung gefunden. Bei ihrem ersten Erscheinen in den Arbeiterbezirken wurde die Gemeindeschuhwache lebhaft begrüßt.

In der gestrigen Wiener Konferenz"-fo wird die Bertrauensmännerversammlung der Partei, der Gemert­schaften und der Betriebe furzweg genannt erhob ein Redner gegen die leitenden Genossen den Vorwurf man gelnder Boraussicht, Er fragte, marum nicht an

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Die letzte Konferenz. Regierungsoffiziöse Darstellung.

Wien , 18. Juli. ( Bom Sonderberichterstatter des WIB.) Bei dem Empfang der sozialdemokratischen Abordnung( Bauer, Seiß und Tomschik. Red. d. V.) gab Bundeskanzler Seipel heute mittag u. a. auch der Auffaffung Ausdruck, daß es ausschließlich bem Parlament zustehe, Borkehrungen und Untersuchungen zu beschließen. Die Sozialdemokraten müßten daher dort ihre Anträge stellen. Feierlich protestierte er dagegen, daß die Polizei und ihre Organe als die Schuldigen hingestellt werden, um schließlich zu betonen, zunächst müsse der Verkehrsstreit vollständig ab­gebrochen werden, um dem Nationalrat die Möglichkeit zu geben, daß er in voller Freiheit zufammentreten fönne.

Revision gegen den Freispruch eingelegt. Wien , 18. Juli. ( WTB.) Wie die Wiener Allgemeine Zeitung" meldet, hat die Staatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil im Schattendorfer Prozeß eingelegt.

Tote und Ruinen.

r. bn. Wien , 18. Juli abends. In der Totenkammer lagen heute nachmittag noch zehn Er schossene, deren Persönlichkeit bisher nicht festgestellt werden fonnte, weil sie feine Bapiere bei sich führten. In der gestrigen Berjammlung wurde darauf hingewiesen, daß mit der bisher festge stellten Totenliste die Zahl der Opfer höchstwahrscheinlich noch nicht erschöpft sein dürfte, da von den Schwerverlegten in den Spitälern viele mit dem Tode ringen.

für eine Gesellschaft zu arbeiten, in der nicht mehr Menschen von Menschen getötet werden.

Heimwehr auf dem Sprung.

Wien , 18. Juli( Bom Sonderberichterstatter des WTB.) Wie aus der Provinz gemeldet wird, haben die Heimwehren in Steier mart ein Ultimatum gestellt, den Verkehr bis heute mittag 12. Uhr wieder aufzunehmen. Sie drohten andernfalls nach Graz zu mar­schieren. Man rechnet aber damit, daß das Ultimatum verlängert wird. In Zell am See hat die Heimwehr das Postamt besetzt, ist aber nach einer Stunde wieder abgezogen. In Innsbrud hat die Heimwehr die Eisenbahner zur Wiederaufnahme des Ver­fehrs veranlaßt. Der Landeshauptmann hat die Hofburg in Inns brud mit Maschinengewehren besetzen lassen. In Kärnten haben, wie verlautet, die sozialdemokratischen Arbeiter die Heim­wehren entwaffnet.

Streit um die Gemeindeschuhwache.

Wien , 18. Juli. Wie der Sonderberichterstatter des Wolf­bureaus von Regierungsseite erfährt, ist die Gemeindeschuhwache ohne Zustimmung der Regierung aufgestellt worden. Die Errichtung erfolgte durch den Bürgermeister Seitz nicht in seiner Eigenschaft als Landeshauptmann. Wenn von einem Ein­verständnis mit der Bolizei die Rede ist, so bedeutet das lediglich, daß die Aufstellung der Polizei zur Kenntnis gebracht und verfügt wurde, daß die Gemeindeschuhwache bei etwaigen Vorkommnissen nicht etwa selbständig vorgehen fann, sondern sich an die Pea lizei menden soll. Ueber die Verfassungsmäßigkeit dieser Einrichtung, so wird von Regierungsseite weiter befont, wird später zu sprechen sein. Allerdings sei es eine Tatsache, daß nach der Verfaffung den Gemeinden die Haltung einer Gemeindepolizei zusteht. Weiter wird aus dieser Quelle erflärt, daß in der nicht­fozialistischen Bevölkerung durch die Bildung der Gemeinde­polizei Beunruhigung hervorgerufen sei, weil man darin einen Versuch sehen zu können glaube, um auf Umwegen zur Be