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fr. 372 44. Jahrg. Ausgabe A nr. 190

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Vorwärts" mit der illustrier. ten Sonntagsbeilage Bolt und Zeit" sowie den Beilagen Unterhaltung und Wissen", Aus der Filmwelt". " Frauenstimme", Der Rinder.

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Dienstag, den 9. August 1927

Kampf für den Achtstundentag.

Der Beschluß des Internationalen Gewerkschaftskongresses.

Der vom Internationalen Gewerkschaftstongreß ange­nommene Antrag zum Achtstundenlag hat folgenden Wortlaut: Der vierte ordentliche internationale Gewerkschaftskongreß in Paris   1927 fordert die dem Internationalen Gewerkschaftsbunde an­geschlossenen Organisationen erneut auf, alle ihnen geeigneten Maß­nahmen zu treffen, die die Aufrechterhaltung oder Wieder eroberung des Achtstundentages bezwecken. Alle Ge­werkschaften müssen sich stets bewußt sein, daß der Kampf um die gefeßliche Regelung und Verkürzung der Arbeitszeit um so erfolg­reicher geführt werden kann, je mehr die Gewerkschaften auch bei ihren diretten Kämpfen mit den Unternehmern auf diesem Gebiete Verbesserungen erzielen.

Alle Organisationen sollen sich bei ihrer Tätigkeit auch bewußt sein, daß eine Verschlechterung in dem einen Berufe oder Lande unpermeidlich einen Rückschlag auf die anderen Be­rufe oder Länder nach sich zieht.

Der Kongreß fordert neuerdings von den Regierungen die sofortige

Rafifizierung der Washingtoner Achiffundenkonvention. Er wendet sich entschieden dagegen, daß Regierungen ohne Berbin dung mit dem Internationalen Arbeitsamt Sonderabkommen treffen, wie die Londoner   Vereinbarung vom März 1926 beweist die Gefahr einer falschen Auslegung und damit einer Berschlechte­rung der Washingtoner Konvention in sich tragen.

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-

Der Kongreß macht darauf aufmerksam, daß die Washingtoner

Konvention nur allgemein zu beachtende Minimalvorschriften ent­hält. Die Versuche in einzelnen Ländern, günstigere gefeßliche Bor­schriften unter Berufung auf die Washingtoner Konvention zu be­feitigen oder die Herbeiführung solcher zu verhindern, bedeuten erne Bergewaltigung der Konvention und müssen entschieden zurüd­gewiesen werden.

Der Kongres verurteilt es auf das schärffte, daß die Regierun­Der Kongres verurteilt es auf das schärffte, daß die Regierun­gen bei der Ratifikation der Washingtoner Konvention durch Ge­währung zahlreicher Ausnahmen vom Achtstundentag den Wert

dieser sozialen Reform sehr beeinträchtigt haben.

In Hinsicht auf die Bestrebung der Rationalisierung der tech­nischen und organisatorischen Methoden der Produktion fordert der Kongreß von den Regierungen die Beachtung der Beschlüsse der Weltwirtschaftskonferenz, Genf   1927, wonach den Regierungen, den Institutionen, den Berufsorganisationen und der öffentlichen Mei­

nung" empfohlen wird,

Diesen Beschlüssen werden die Regierungen nur dann gerecht, wenn sie in den Ratifikationsgesetzen bzw. in den Arbeitszeit- oder Arbeitsschutzgesetzen die tägliche

achtstündige Arbeitszeit als Marimalarbeitszeit festsetzen sowie darüber hinaus eine fürzere Arbeitszeit anstreben, und zwar sofort und in erster Linie für die Berufe, die von Natur aus oder infolge der Arbeitsweise gesundheitlich stark leiden. Der Kongreß gibt der Meinung Ausdruck, daß nun teine ftich­haltigen Gründe mehr gegen eine allgemeine Ratifizierung der Kon­vention vorliegen. Er beauftragt daher den Borstand des Inter­ nationalen Gewerkschaftsbundes  , Vorkehrungen für eine gleichzeitige Intervention bei den in Frage kommenden Ländern zugunsten der Ratifizierung der Konvention zu treffen. Der Kongreß verlangt auch von den Gewerkschaften aller Länder, wo die Ratifizierung noch nicht erfolgt ist, daß sie zur Erreichung dieses Zieles ständig auf ihre Regierungen einwirken.

Die Gewerkschaften werden den Achtstundentag nur halten oder erobern fönnen, wenn die Arbeiter selbst den Willen zu feiner Durchführung haben. Die Arbeiter müssen sich insbesondere mit allen geeigneten Mitteln gegen Versuche wenden, die darauf hinauslaufen, ihnen die bereits gefeßlich gewährleisteten Rechte wieder zu nehmen. Die beste Stüße und Hilfe in dem Kampf um den Achtstunden­tag und damit um größere Freiheit und erhöhten Anteil an der Kultur für den Arbeiter wird immer seine Organisation sein. Des halb ruft der Kongreß die Arbeiter der ganzen Welt auf, an der Er starkung ihrer Organisationen ständig zu arbeiten, um damit am besten den Achtstundentag als Marimalarbeitszeit sichern und alle Angriffe der Regierungen und Unternehmer brechen zu können.

Der Kongreß beauftragte den Vorstand des JGB., sich mit den Landeszentralen in Verbindung zu setzen, um zu be­wirken, daß mit Beginn des Jahres 1928 alle zwei Jahre eine Untersuchung über die wöchentliche Arbeitszeit durchgeführt und darüber eine Statistit angelegt wird.

Die angeschlossenen Landeszentralen sollen im Einver­nehmen mit dem Vorstand des JGB. ein Propaganda- und Aktionsprogramm aufstellen, das sich gegen jedwede Reaffion auf dem Gebiete des Achtstundentages richtet und fich für die Eroberung der marimalen 48stündigen Ar­beitszeit in allen Gewerben einsetzt, die Landwirtschaft und die kontinuierlichen Betriebe einbegriffen.

denjenigen Maßnahmen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, die geeignet sind, die beste, gesündeste und würdigste Der Kongreß beauftragte den Vorstand ferner, in Aus­Bermendung der menschlichen Arbeitskraft sicherzustellen, also der Auswahl der beruflichen Orientierung und Ausbildung, der Verführung teilung ber Arbeitszeit und der Ruhepausen,

den Formen der Entlohnung, die den Arbeiter gerechterweise an der Erhöhung des Ertrages teilnehmen laffen, und allgemein den Arbeits- und Lebensbedingungen, die der Entwicklung und Be= hauptung feiner Persönlichkeit günstig sind".

Kein Aufschub der Hinrichtung.

Der Oberste Gerichtshof   lehnt alle Anträge ab. Boston  , 8. Auguft.

Der Oberste Gerichtshof   lehnte den Antrag ab, das Gefely zur Sicherung der persönlichen Freiheit auf Sacco und Ban­zeffi anzuwenden, ebenso die Bestätigung des Vorliegens eines Rechtsirrtums. Infolgedessen wird die Hinrichtuno Saccos und Banzettis keinen Auffchub erfahren.

Auch Thayer lehnt ab!

Dedham, 8. Auguft.

Der Richter der ersten Instanz im Prozeß gegen Sacco und Banzetti, Thayer, hat den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt. Jetzt hat nur noch Gouverneur Fuller zu entscheiden.

Keine Spur von den Bombenlegern.

New York  , 8. Auguft.

Der Polizei ist es trotz größter Bemühungen noch nicht ge. Iungen, die Urheber der Bombenanschläge auf die Untergrund bahn zu ermitteln. Die Polizei von Buffalo hat Berkehrungen zum Schutze des Brinzen von Wales, des Premierministers Baldwin und des Generals Dawes getroffen.

Der Protest der Arbeiterwelt.

Etwa tausend britische Arbeiterorganisationen haben an den Präsidenten Coolidge   ein Telegramm gerichtet, worin gegen die Bestätigung des Todesurteils über Vanzetti und Sacco protestiert wird. In Buenos Aires   wurden im Laufe neuer Rundgebungen zugunsten Saccos und Vanzettis die Fensterscheiben mehrerer Straßenbahnwagen durch Steinwürfe zertrümmert und etwa zwan.

-

führung des im zweiten Absatz der Resolution genannten Bro­gramms, mit den angeschlossenen Landeszentralen und den Berufssekretariaten über die Beschaffung oder Anwendung der nötigen Mittel durch die Landeszentralen, die angeschloffe­nen Verbände, die Berufssekretariate oder den JGB. zu be­

raten.

zig Fahrgäste durch Glassplitter verlegt. Die Polizei nahm zehn Berhaftungen vor. Zahlreiche Maueranschläge fordern zum Boy tott nordamerikanischer Baren auf. Der Zentralausschluß der

Gewerkschaften Südslamiens hat alle Arbeiterorganisationen aufgefordert, in jeder größeren Stadt Südflawiens Proteſte gegen die Hinrichtung von Sacco und Banzetti zu veranstalten.

Die Nachrichten über Rundgebungen in Deutschland   und in aller Welt gehen uns in solcher Menge zu, daß wir sie in dieser Nummer nicht weiter verzeichnen fönnen.

Gewerkschaftsprotest gegen den Justizmord.

Die Ortsausschüsse Berlin   des ADG B. und des AfA Bundes geben folgende Entscheidung bekannt:

Die Ortsausschüsse Berlin   des ADGB  . und des AfA- Bundes haben, als sie aus Amerika   die erschütternde Nachricht erhielten, daß das Todesurteil an Sacco und Banzetti vollstreci werden soll, so­fort bei der amerikanischen   Botschaft gegen diesen Aft einer Rachejustiz Protest erhoben und die Verhinderung der Bollstreckung des Urteils und die Wiederaufnahme des Prozesses ge­

fordert.

Die Ortsausschüsse wiederholen in letter Stunde in aller Deffent lichkeit noch einmal diesen Protest und bringen gleichzeitig gegen diesen Gewaltoft der amerikanischen   Justiz, der eine Barbarei fondergleichen darstellt, ihren Abscheu zum Ausdruck.

Wenn die amerikanischen  . Machthaber den Schrei der ganzen Welt nach Gerechtigkeit nicht hören wollen, würde ein Demon strationsstreit in Berlin   zu dem gemünschten Erfolge auch nicht führen. Die Berliner   Gewerkschaften lehnen beshalb eine solche Maßnahme ab.

Bom amerikanischen Bolke, das auf seine chriftliche und humane Gesinnung so stolz ist, erwarten die Ortsausschüsse, daß es diese Barbarei seiner Justiz und Verwaltung nicht duldet und unter allen Umständen verhindert, daß es mit der Schmach der Vollstreckung das Urteils selbst befleckt wird.

Vorwärts- Verlag G.m.b. H., Berlin   SW. 68, Lindenstr.3 Bosticheatonto: Berlin   37 536 Banktonto: Ban? der Arbeiter, Angeftelten und Beamten, Wallstr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Devontentaffe Lindenstr. 3.

Das Kriegsschädenschlußgeseh.

Ein unzulänglicher Regierungsentwurf. Von Rolf Bathe.

Fast vierhunderttausend Menschen, die bis zum Kriege im Ausland oder in früheren deutschen   Gebie­ten eine gesicherte Existenz besaßen und nach dem Kriege größtenteils vor dem Nichts standen, warteten seit acht Jahren darauf, daß das Reich seiner Entschädigungspflicht nachkommen würde. Rund 354 000 von den insgesamt 391 000 Geschädigten haben einen Schaden bis zu 20 000 m. erlitten. Der überwiegende Teil dieser Enteigneten und Bertriebenen gehört also dem Kleinbauerntum, den kleinen Ge­werbetreibenden, der Angestellten und Ar­beiterschaft an, die nach der Niederlage 1918 in der über­Dölferten Heimat sich unter schwersten Entbehrungen durch­schlagen mußten. Nur ein Bruchteil der Geschädigten- etwa 37 000 von 20 000 m. aufwärts bis zu den hohen Millionen gehört den wohlhabenden Schichten oder großen Unternehmungen an, die wohl materiell auch geschädigt wurden, aber persönlich nicht diesen schweren Entbehrungen ausgesetzt waren wie die anderen Auslandsdeutschen. Um so mehr fordert der jetzt vorliegende Regierungsent­wurf zur Schlußentschädigung, zur Kritit heraus, der bei einer Gesamtentschädigungssumme von einer Milliarde Marf für die Geschädigten bis zu 20 000 m. nur rund 150 Millionen vorsieht. Danach sollen also über 350 000 Geschädigte mit ihren Familien noch nicht ein Se ch ft el von der Entschädigungssumme erhalten, während die restlichen 37 000 aus den mohlhabenden tapita. listischen Schichten 850 Millionen, also über fünf Sechstel der gesamten Entschädigungssumme bekommen sollen.

aus

Bei der Ausarbeitung des jetzt endlich von der Regierung veröffentlichten Entwurfs eines Kriegsschäden­schluß gefeges waren naturgemäß die Gesamt­finanzlage des Reiches und seine Reparations­verpflichtungen gegenüber den Siegerstaaten maß­gebend. Andererseits mußte der Reichsregierung flar ſein, daß sie den Geschädigten gegenüber nicht nur moralisch, sondern durch die Gutschriften des enteigneten deutschen   Aus­landsvermögens auf Reparationstonto auch rechtlich ver­pflichtet ist. Auf Grund der Erfahrungen, die das Reich mit der letzten Inlandsanleihe gemacht hat, hielt das Finanz­ministerium für absehbare Zeit eine neue größere Inland s- anleihe nicht für möglich. Zur Aufnahme einer Aus­landsanleihe wollte es sich gleichfalls nicht entschließen. Auch die Gewährung von Entschädigungssummen laufenden Haushaltsmitteln hat der Reichsfinanz­minister verweigert, da   Deutschland sich dem Normaljahr der Dawes Berpflichtungen nähert und der Haus­halt dadurch bereits schwer belastet ist. Die Regierung fieht einen Ausweg darin, daß das Reich zur Deckung der Ent­fchädigungen besondere, unmittelbar permertbare Vermögensgegenstände, veräußert, fo 3. B. Vor­zugsaftien der Reichsbahn, die sich im Besiz des Reiches befinden. Die Gesamtentschädigung die das Reich gegenüber den mit über zehn Mil liarden angemeldeten Verlusten auf sich nimmt, beträgt eine Milliarde Mart. Der Entwurf sieht für die einzelnen Gruppen der Geschä­digten und Bertriebenen folgende Staffelung vor:

=

bei Entwurzelung für Grundbeträge bis

2000 M. 100 Proz. 10 000 mindeſt. 60 20 000 55

AP

bei Nichtentwurzel 100 Broz.

60

"

55

50 000

35,8

35,8

100 000

29,4

29,4

200 000

23,7

23,7

500 000

18,48

15,48

SP

1 000 000

16,74

12,74

10 000 000

13,37

8,47

20 000.000

13,19

"

50 000 000

13,08

8,24 6

Mit Befriedigung ist festzustellen, daß der von uns stets vertretene Standpunkt, die fleinen Geschädigten möglichst voll zu entschädigen, wenigstens für die niedrigste Gruppe vom Reichsfinanzministerium geteilt wird. Das scharfe Abfallen der Kurve bei den bis zu 10 000 m. Geschä= digten von 100 auf 60 Broz. halten wir dagegen für diese Gruppe für viel zu schroff angesichts der weiteren Ab­stufungen bei den Millionengeschädigten. Während die mit einer Million Geschädigten mit 16,7 Pro3. entschädigt werden sollen, geht die Staffelung über die mit zehn, zwanzig, bis zu fünfzig Millionen Geschädigten nur ganz schwach ab= wärts von 13,37 Proz. über 13,19 Broz. auf 13,08 Proz. Es wäre viel angemessener, in den Gruppen der kleinen Ge schädigten bis zu 20 000 Mart eine geringere Staffelung und dafür in den Millionengruppen eine scharfe 2 bstufung vorzunehmen.

Anerkennenswert ist, daß die Entschädigung für die Grup. pen bis zu 20 000 Mart in bar ausgezahlt merden soll, da in diesen Kreisen heute noch Not und Entbehrung vor