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Abendausgabe

Nr. 37344. Jahrgang

= Vorwärts

Ausgabe B Nr. 184

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Cindenstraße 3 Fernfprecher: Dönhoff 292-297

Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Die

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Dienstag

9. August 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Die Filmgelder des Marineamts.

Untersuchung eingeleitet.

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Kapitän Lohmann vom Dienst suspendiert. Beleidigungsklagen statt Aufklärung.

Reichswehr

Reichsmarineverwaltung im ministerium erklärt, daß sie an den Reichskanzler die Bitte gerichtet habe, die in der Presse erhobenen Anklagen wegen hoher Bu­wendungen an eine Filmgesellschaft unterfuchen zu laffen, was wahrscheinlich durch einen Beamten des Reichsfinanzministe­riums geschehen werde. Kapitän Lohmann habe gegen eine Anzahl Blätter wegen der darin enthaltenen Angriffe Straf antrag gestellt und gleichzeitig gebeten, bis zum Abschluß der Untersuchung vom Dienst enthoben zu werden. Dies ist geschehen.ilencios

Selbstverständlich fann eine bloß finanzielle Untersuchung der Angelegenheit die notwendige Klärung längst nicht bringen; denn es handelt sich ja nicht nur darum, daß Reichsgelder hergegeben worden sind, sondern vor allem auch darum, zu welchem 3 wed sie gegeben worden sind und das ist natürlich auch eine politische Frage. Die Untersuchung wird also über das bloß finanzmäßige hinaus erweitert werden müssen. Wer dem Reichswehrministerium und der Marineverwaltung die Gefahr einer Ueberfremdung der deutschen Filmindustrie und besonders der Phoebus- Film­2.-G. mitgeteilt hat die Geldzuschüsse werden ja mit der Notwendigkeit einer Abwendung dieser Ueberfremdung be­gründet, ist aus der Marineverwaltung nicht herauszube­Ebensowenig äußert man sich darüber, ob auch sonstige Verpflichtungen aus der Kriegszeit, die das Reichswehrministerium gegenüber Privatfirmen zu haben glaube, mit derselben Raschheit und Freigebigkeit wie gegenüber der Lignose A.-G. erfüllt worden sind.

fommen.

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Auf diesen Bunft ist überhaupt start hinzuweisen. Die gewaltigen Verpflichtungen, die das kaiserliche Deutschland durch Ausgabe seiner Banknoten, Darlehnskassenfcheine und insbesondere der Kriegsanleihen gegenüber vielen Millionen Deutscher unzweifelhaft übernommen hat, sind durch die Geld­entwertung, Inflation und Stabilisierung so gut wie voll­

Ein Aufschub möglich! Morgen will Thayer entscheiden.

Bedham, 9. August.

Nach einer halbstündigen Berhandlung mit dem Staats­anwalt und der Berteidigung gab der Richter Thayer be­kannt, daß er über die Anträge betreffend Aufhebung des Urteils gegen Sacco und Vanzetti und Auf­schiebung der Bollftredung des Urteils morgen vormittag entscheiden werde.

Zahlreiche Berliner Betriebsräte, Belegschaftsversammlungen, Gruppen von Siedlern usw. senden uns die Proteſtentschließungen zu, die sie an die amerikanische Botschaft in Berlin gerichtet haben. Wir haben leider feinen Raum, sie alle zu verzeichnen. Die Alibizeugen beantragen Meineidsverfahren.

Boston, 9. Auguft. Sieben Perfonen, die seinerzeit in dem Sacco- Vanzetti- Prozeß das Alibi der Angeklagten beschworen hatten, haben nunmehr ein Maineidsverfahren gegen sich beantragt mit der Be­gründung, daß sie durch die Verurteilung Saccos und Vanzettis als Lügner hingestellt worden sind.

Heute Proteststreik in Nordamerika .

New York , 9. August. Für Dienstag find in zahlreichen Städten Profeftfundgebungen gegen das Urteil über Sacco und Banzetti angekündigt. Für New Bort rechnet man mit einer halben Million Streifen­der. Die Gewerkschaften haben zu einem ganztägigen Streit aufgefordert.

Der Pariser Proteststreik.

Paris , 9. Auguft.( Eigenbericht.) Den Proteststreit haben geschlossen die Bauarbeiter und die Tag­chauffeure mitgemacht. Bei dem Personal der großen Verkehrs­unternehmungen wurden die Streifenden durch die dienstfreien Be­amten ersetzt. Lediglich in einigen kleinen Vororten haben Fabriken, um Ruhestörungen zu vermeiden, ihre Betriebe ges schlossen. Eine für Montag nachmittag geplante Demonstration auf den großen Boulevards wurde von der in Masse aufgebotenen Polizei erstickt. Immerhin tam es im Laufe des Tages zu einigen Zwischenfällen, da Streifende die Straßenbahnen aufzuhalten versuchten und einige Chauffeure, die ausgefahren maren, zu mißhandeln drohten. Die Polizei nahm zahlreiche Verhaftungen vor. In der Provinz, wo die Streifparole anscheinend größere Befolgung erfuhr, ist der Tag ohne 3wischenfälle verlaufen.

Stockholm - Kopenhagen .

Stodholm, 9. Auguft. Gestern abend fanden hier große Demonstrationen zu gunften Saccos und Banzettis statt. Auf sieben öffentlichen Pläßen

ständig gestrichen und aus der Welt getilgt worden. Da hört man auf einmal, daß 3ahlungsansprüche irgend welcher Industrie firmen, die doch gewiß im Kriege sich glänzend bezahlt gemacht haben, im Gegensatz zu den Ansprüchen der vielen Millionen Inflationsopfer plötzlich als weiterbestehend anerkannt und mit Millionen Goldmart honoriert werden. Goldmart honoriert werden. Mit welchem Recht würde man da noch weiter die Aufwertung der Banknoten und Kriegsanleihen verweigern fönnen?

Ministerbürgschaften für Filmkredite.

Das Berliner Tageblatt" leuchtet in die Dec­fonstruktionen des Reichswehrministeriums hinein, die den Zusammenhang der Phoebus- Film A. G. mit dem Geheimfonds des Marineamts verbergen sollen. Es teilt mit: ,, Wir stellen fest, daß der vorletzte 3- Millionen Mart Kredit durch die Deutsche Girozentrale gelaufen ist. Die Zahlung erfolgte auf Grund einer Bürgschaftserklärung, unter­schrieben vom Reichskanzler Luther , Reichsfinanzminister Reinhold, Reichswehrminifter Geßler und vom Admiral Zenker; ohne deren Unterschriften war Präsident Kleiner von der Girozentrale nicht ge­willt, das Geld zu zahlen; nach langem Hin und Her wurden sie geleistet. Der andere 1%-millionen Mart Kredit, der später in Attien konvertiert wurde, ist gelaufen durch den Ber liner Bantverein, dessen maßgebliche Persönlichkeit Herr Dr. Saalfeld, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der Phoebus Aftiengesellschaft ist, und der an diesen Geschäften, wie man hört, für sich selber oder seine Bank beträchtliche Provisionen bezogen hat, die natürlich aus dem Phoebus- Geld des Reichswehr­ministeriums gezahlt worden sind."

Man wird an das Reichsmarineamt unbarmherzig die Sonde der Etatskritik anlegen müffen. Es scheint, daß diefe Behörde überfekt ist mit Personal und mit Mitteln. Für Profit- und Geschäftchenmacher werden die Steuergelder des Boltes nicht gezahlt.

hatten sich über 50 000 Menschen versammelt. Unter den vielen Rednern befand sich auch der Rechtsanwalt Georg Branting , der kürzlich Sacco und Banzetti in Amerika besucht hat. Es wurde eine Entschließung angenommen, die gegen die Urteile protestiert.

Kopenhagen , 9. August.

und Banzetti. Nach Annahme einer Protestresolution marschierte 5000 Menschen veranstalteten gestern Rundgebungen für Sacco die Versammlung im Demonstrationszuge zur amerikanischen Ge­fandtschaft, wurde aber von einem starten Polizeiaufgebot daran gehindert.

Die USA - Botschafter drücken sich.

Brüffel, 9. Auguft.( Eigenbericht.)

Der nordamerikanische Botschafter weigerte fich, eine Ab­ordnung des Generalrates, der Arbeiterpartei zu empfangen und von ihr den Protest gegen die beabsichtigte Hin­richtung von Sacco und Banzetti entgegenzunehmen. Der Sekretär der Partei hat der Botschaft daraufhin eine schriftliche Protest erklärung überreicht. In ihr wird im Namen der belgischen Arbeiter schaft die Revision des zu Unrecht gefällten Todesurteils ver­langt.

Der Haß gegen die Ausländer. Eine Erklärung gegen Anarchisten und Faschisten. Hoquiam( Washington ), 9. Auguft. Das Rongreßmitglied Albert Johnson, der den Vorsiz im Einwanderungsausschuß des Repräsentantenhauses führt, dab eine Erklärung ab, in welcher er die Ausländer warnt, an den Proteftfundgebungen in der Angelegenheit Sacco und Banzetti teilzunehmen, da sie dadurch ihre Aussicht auf Naturali­fierung verlieren und des Landes verwiesen werden könnten.

Johnson fügte hinzu, die Demonstrationen in anderen Ländern machten auf die Vereinigten Staaten feinen Eindrud. Sacco und Vanzetti selen Banditen, Mörder und Anarchisten, die niemals in den Vereinigten Staaten hätten zugelassen werden sollen und die auch unter dem gegenwärtig geltenden Einwanderungs­gesetz nicht zugelassen werden fönnten. Johnson sprach weiter die Hoffnung aus, daß der Kongreß demnächst ein Gesez annehmen werde, das naturalisierten Bürgern, die Schwarzhemden trügen und ihrem Diktator die Treue schwörten, die Bürgerrechte

wieder entziehe.

Explosion in Magdeburg .

Eine Tote, fieben Schwerverlette.

Magdeburg , 9. August.

Bei einer Feuerwerksgesellschaft, die in einem Fort bei Magde­ burg ihren Sit hat, ereignete sich heute morgen eine schwere Explosion. Bisher find eine Tote und 7 Schwerverletzte festgestellt. Der Schaden ist groß.( Näheres fiehe 3. Seite.)

Neuer Kurs in Wien .

Reaktion in der Polizei, Triumph der Korruption.

Ein Wiener Filmphotograph erzählte unserem Sonder­berichterstatter wenige Tage nach dem Drama des 15. Juli, daß er seine Aufnahmen von einem Balkon im vierten Stock eines Hauses in der Nähe des Justizpalastes in jenen gräß­lichen Stunden nur unter schwerer Lebensgefahr machen fonnte. Er mußte sich vor den heranschwirrenden Projektilen der Mannlichergewehre hinter der Balustrade des Balkons decken- die Kamera darüber hinaus, abwärts zielend, spielen laffend, auf gut Filmglück, daß eine Kugel alles vernichtete. Der Film ist wohl gelungen.

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Wenn aber so nahe am Schlachtfeld schon die Schüsse so hoch gingen was für eine Erklärung sonst dafür, als daß viele Polizisten in die Luft geschossen haben, als ihnen befohlen wurde, auf die Demonstranten zu feuern. Wäre es anders gewesen, so wären sofort und erst recht bei den späteren Salven an so vielen Stellen bis in den Abend hinein nicht 86 Todesopfer- davon sind nur zwei Schutz­leute! und Hunderte Verwundete zu beklagen, sondern Tausende. Die zuerst mit Gewehren und Schießbefeht versehenen Polizisten waren bäuerliche Polizei­Schüler, die man vorzugsweise einstellt, um die Wiener Polizei dem Großstadtvoll zu entfremden und zu verfeinden. 18. Juli, Otto Bauer , hat dort aus eigener Beobachtung feft­Der Referent auf der Wiener Parteifonferenz am gestellt, daß von zwei Polizeitrupps vor dem Parlament der jedoch in der Debatte ein Gewerkschaftsführer mahnte, den eine scharf, der andere überhaupt nicht geschossen hat. Als begreiflichen Haß gegen die Polizei, die eben so unmenschlich gehauft hatte, wie man es geradezu nur von den Kosaten zu Odessa im Potemkinfilm gesehen hatte, nicht ausnahmslos zu verallgemeinern, es gäbe doch auch anständige, des Mordes nicht schuldige Polizisten da brach ein Sturm los, der den Redner minutenlang nicht weitersprechen ließ; so ungeheuer war die Erregung noch. Hatten sich doch am Nachmittag des 15. Juli in den Parteisekretariaten der Arbeiterbezirke jeder Wiener Stadtbezirk hat sein Parteisekretariat, Wien hat boch 320 000 Barteimitglieder! furchtbare Ausbrüche ver­zweifeltster Ueberreizung abgespielt, da Arbeiter und Arbeite­rinnen leidenschaftlich forderten, daß man sie, daß man wenigstens den Schußverband bewaffne, damit sich das Volk durch Abwehr mit gleich starken Mitteln vor dem Massen­mord schütze... Da unsere Genossen sich Rechenschaft darüber geben, was die weiteren Folgen solchen Vorgehens gewesen wären, unterblieb es. Dafür veröffentlicht die Polizei täglich lange Namenslisten der massenhaft auf Spielberichte Verhafteten, die sogleich auch als schuldig hingestellt werden - lange vor der Gerichtsverhandlung, die die Schuldfrage erst klären soll! Als aber 1923 Hafenkreuzler als Mörder Präsident Schober ihre Namensnennung ab, weil ihre Schuld unseres Genoffen Birneder verhaftet wurden, lehnte erst gerichtlich erwiesen werden müßte!

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Die über den eintägigen Proteststreit hinausgeführte Stillegung der staatlichen Berkehrsbetriebe ist in der Sorge die das Gesamtwohl abgebrochen worden, als Abwehr einer unmittelbar drohenden Ausnüzung des Julioramas zu reaktionärer Verschlechterung der politischen und wirtschaftlichen Zustände gelungen schien. Gewiß, die Bundesregierung und ihre bourgeoise Mehrheit haben die Verfassung und die sonstigen Reformgefeße der Republik im Ganzen nicht anzutasten versucht. Aber die Reaktion in Deutschösterreich rührt sich stärker daran. ist kein Zweifel und das äußert sich in mehrfacher Hinsicht.

Das Vorspiel war der Aufmarsch der bewaffneten Heim­wehren in Tirol und Steiermart. In beiden Fällen hat man von einem Einschreiten der Entente, wie es gegen die Wiener Gemeindewache geübt worden ist, nichts gehört. Die 1000 Wiener Arbeiter im Gemeindewachdienst sollten mit dem Frieden von St. Germain unvereinbar sein; die bewaffnete Bauernarmee ist keine Gefahr für Italien , Südslawien und die Tschechoslowakei . Schwerlich fonnten die Militärstaaten deutlicher ihren antiproletarischen Charakter offenbaren.

Bundespolizei aus. Der Präsident Schober hat feelenruhig Die Reaktion lebt vor allem jetzt in der Wiener 126 000 m. Geldspenden der Industriellen und der Banken für die Polizei angenommen; würde er die sonst immer behauptete Objektivität der Polizei dartun wollen, hätte er diese Privatspenden für Staatsbeamte natür­lich zurückweisen müssen. Fällt ihm gar nicht ein. Aber a cht Polizeibeamte sind schon vom Dienst suspendiert und in Disziplinaruntersuchung gezogen, weil sie die Kommandos vom 15. Juli fritisiert haben. Die zur großen Mehrheit freigewerkschaftlich- sozialistische Personalvertretung der Wiener Polizei hat Schober aufgelöst, wozu ihm kein Gesetz auch nur das geringste Recht gibt; der Verwaltungs­gerichtshof ist angerufen, aber die Personalvertretung ist Schober zunächst los. Der Rentralinspektor Tauber hält Rapporte" der dienstfreien Schuhleute ab, die er gegen die Polizeigewerkschaft verhetzt. Die Errichtung einer gelben Polizeigewertschaft steht bevor, auch die Offiziere sollen ihr angehören und der Beitritt der Mannschaften wird zu dem allgemeinen Druck auch durch Prämien aus den Spenden und wohl auch aus dem sonst so knappen Staatsgeld gefördert.. Nach außen hin ist der neue Polizeifurs auch nicht zu ver­tennen: Die politischen Flüchtlinge aus den verschiedenen Aus= ländern, denen die Bundesverfassung das Asylrecht gewährt, wurden aus ihren Baracken ausgehoben, durchforscht und drei von ihnen turzerhand ausgewiesen; fie follten schon ,, an

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