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1« Seilage öes Vorwärts

Nr. Z7H» 44.?ahrgang ii vokkerstag, 11. August 7927

Vielleicht mag es manchem Berliner müßig erscheinen, gerate in der Hauptstadt der deutschen Republik auf die Bedeutung des Verfassungstages hinzuweisen und die wachsende Anteil. nahm« Berlins am Tage des rechllichen Inkrafttretens der Schöp» fung von Weimar zurückblickend zu schildern. Sagen mag man: Berlins Bevölkerung ist in ihrer überwältigenden Mehrheit r e p u» blikanisch bis auf die Knochen, nirgends im Reiche sind die schwarzrotgoldenen Farben der Republik so populär, so angc. sehen wie in Berlin . Aber gerade weil dies der Fall ist, wollen wir zurückblicken auf die hinter uns liegenden acht Jahre Republik , unfern Gegnern zum Trotz, die, um Hugenberg und Sodenstern geschart, immer wieder versuchen, das Verdienst der Männer von Weimar zu schmälern und die große Tat, durch die Deutschlands Einheit erhallen und einer besseren Zukunft unter dem Leitstern der großen Gedanken von Frieden, Freiheit und Recht der Weg gebahnt wurde, herabzusetzen. Der Tag von Weimar . Laßt andere jammern und klagenl Wir haben zu neuer Fahrt Die Fahnen gehißt und tragen Die neue Gegenwart! Fort mit den Trümmern des alten, Zusammengebrochenen Baus. Wir fchau'n nach den Lichtgsstalten Des künftigen Reiches aus! In Tagen, lichllos und lastend, Ward uns des Volkes Geheiß. Nicht mutlos, nicht zweifelnd, nicht rastend, Errangen wir Werk und Preis. Dies sei unser Wahlspruch und Willen, Ihr Brüder, und wenn ihr's sprecht, Sprechen's Millionen im stillen: E i n Land,« i y Volk, e i n Recht! So stand es im»Vorwärts" am 10. August 1919, einen Tag, bevor in Schwarzburg der erste Präsident der deutschen Republik, Genosse Friedrich E b e r t, die Verfassungsurkunde des erneuerten Reiches unterzeichnet«. Am 31. Juli war die Verfassung mit der überwältigenden Ziffer von 262 gegen 75 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen worden, und der Präsident der Nationaloersammlung, der 3entrumsabgeordn«t« Fehrenbach, wies darauf hin, daß in Zukunft alle politische Gcwalt in Deutsch . land von der nach dem freiesten Wahlrecht gewählten Vertretung und in den wichtigsten Fälle vom Volke selbst ausgeübt werde. »Möge das deutsche Volk sich stets der Verantwortung bewußt und beseelt sein vom Drange zur Arbeit und vom Geiste der Ordnung, möge es in der Sonne der Freiheit von der Gegenwart den Weg finden zu den lichten Höhen, wo die Freiheit der o b e r st e Leitstern ist. wo die Liebe zum Nächsten die gesellschaftlichen Zu- stände regell und wo es im Wettbewerb seine Kräfte nur an- spannt für Wohlfahrt, Bildung und Gesittung." Freilich, es darf nicht verschwiegen werden, daß damals, im August des Sturmjahres 1919, die Vollendung des Verfassungswerkes bei uno. in Berlin , nicht mit jener Wärme und Begeisterung auf» genommen wurde, die sie verdiente und die ihr in ruhigen Zeiten ohne Zweifel zuteil geworden wäre. Berlin aber hatte eben die furchtbaren Kämpf« der Spartakusperiode hinter sich, und auf der arbeitenden Bevölkerung lastete noch immer die grausame Hol der ersten Nachkriegszeit. Zudem waren ja kaum sechs Wochen ver- gangen seit der Unterzeichnung des Gewaltsriedens von Versailles , gegen den gerade die Sozialdemokratie, aus tiefster morali- scher Berechtigung heraus, den leidenschaftlichsten Kampf geführt hatte. Es ist kein Tadel für das Proletariat Berlins , wenn man offen be­kennt, daß nach allen äußeren und inneren Umständen die Zeit noch nicht gekommen war, die Bedeutung des Versassungs- werkss von Weimar zu würdigen. von 1920 bis 192H. Auch im Jahre 1920 ward in Berlin des Verfassungstages noch nicht in gebührender Weise gedacht. Um so deutlicher aber hatte die Arbeiterschaft Berlins gezeigt, daß sie nie und nimmer gewillt sei, an der Errungenschaft der Re publik rütteln zu lassen. Die siegreiche Bekämpfung des Kappverbrechens hatte de- wiesen, daß die große Idee der Freiheit im deutschen Volke leben- diger war, als die Männer des sozialen, politischen und kulturellen Rückschritts für wahr haben wollten, und daß die Rolle der militäri-

schen und zivilistischen Diktatoren vom Schlage eines Eidbruch- Lüttwitz und einesIch warne Neugierige"-Jagow«in für allemal ausgespielt war. Die Berliner sozialdemokratische Arbeiter. schast aber war es gewesen, die bei der Niederzwingung des kappisti- .fchen Putschversuches an der Spitze marschiert war. Wenn auch die Zeit zu einer äußeren Feier noch nicht gekommen war: Das Berliner Proletariat konnte sich am 11. August 1920 sagen, daß es seine Pflicht getan hatte. Zum Versassungstag 1921 war dann zum ersten Male imVorwärts" der Appell zu lesen:Heraus mit S chw a r z- Ro t- G o l d I Morgen Versassungs- tag!" Im Opernhaus Unter den Linden fand eine Feier statt, und der Reichskanzler und Republikaner Joseph W i r t h sprach die denkwürdigen Worte:Wohin wäre Deutschland gekommen, wenn nicht die Nationalversammlung alle Kraft eingesetzt hätte zur Schaffung der Verfassung? Wir werden aufwärts gehen, wenn wir selbst alle dem treu sind, was die Versassung in ihren Eingangsworten in ernster Stunde niedergelegt hat." Das war 1921! Ein Jahr später, am 11. August 1922, erließ der Präsident der deutschen Republik, Friedrich E b e r t,«inen Ausruf ans deutsch « Volt, derDeutschland , Deutschland über alles", das Lied des Demokraten und Republikaner» aus den achtundoierziger Jahren, August Hofsmanns von Fallersleben, zur Rational- Hymne bestimmt« und besonders die Verse der dritten Strophe hervorhob: Einigkeit und Recht und Freiheit Sind des Glückes Unterpfand!" DerVorwärts" rief auf zur V e r f a s s u n g s f e 1 e r, und im Reichstag sprach der badische Staatspräsident Dr. Hummel in Gegenwart des höchsten Repräsentanten der deutschen Republik. Abends aber, im Schauspielhaus, las Gerda Müller die düsteren, trotz alledem hoffnungsvollen Wort« aus Hauptmanns Prolog der Pythia im gahrhundertsestspiel: ... ich sehe dämmern fern des Friedens Tag, So sehr die giftige Pestilenz, auch heute noch, Und finstrer Wahnsinn toben in Europas Blut." Draußen standen T a i�f e n d e, mit Fackeln und schwarzrot- goldenen Fahnen! Reichspräsident Ebert erschien auf der Frei- treppe und rief den Berlinern zu, daßunser aller Aufgab« für die Zukunft sei, die Verfassung von Weimar zu vertiefe» und fest zu begründen". Und Joseph Wirth , der Kanzler, gedacht« in tiefer Demut derer,die unter der Flagge der Freiheit für die Republik ihr Leben gelassen haben", vornehmlich Erz- b e r g e r s und Walther Rathenaue. der anderthalb Monate zuvor im Grunewald dem Meuchelmord rechtsradikaler Banditen zum Opfer gefallen war. In schwerer Notzeit beging das deutsche Volt den Tag der Republik im Jahr« 1923, und Friedrich Ebert rief uns zu:Wir müssen uns selber helfen!" Vor dem Rücktritt stand das Kabinett des Reichekanzlers C u n o, unter dessen Kanzlerschaft wir in die furchtbarste Inflation hineingeführt wurden. Trotzdem aber bezeugte die Berliner Bevölkerung ihren einmütigen Willen, für die Ideale der Republik einzutreten. Berliner Schupo hatte sich auf dem Kasernenhof der Alexanderstraße zu einer Kund- gebung für Weimar eingesunden. 1924, am 11. August, hatten wir Berliner und mit uns alle deutschen Landsleute nicht nur die

Cunomark, sondern auch die sogenannten Berliner Bärendollars und Herrn von Richters preußische Adlerdollars überwunden. Ueber die Kundgebung der Berliner Bevölkerung berichtete derVorwärts": Die gestrig« Kundgebung der Berliner Arbeiterschaft gehört zu den g« w a l t i g st e n, die je im Lustgarten abgehalten wurden." Wilhelm Marx aber, heute Kanzler des Bürgerblocks, sagte in London , wo er mit Hertiot, Macdonald und Kellogg zu entscheidend«' Konferenz sich eingefunden hatte, die Worte, an die er auch heute noch denken möge:Der Tag der Verfassung ist der Tag des Ge- denkens an all das, was der Begriff des Vaterlandes in sich schließt. Das deutsche Volk wird nicht rütteln lassen an der Grundlage dieser Reichsverfassung, dem Rechte des Volkes." Ein Jahr später, am 11. August 1925, weilte unser Friedrich Ebert nicht mehr unter den Lebenden, doch sein Geist war lebendig: Franz Rothen- selber rief im»Vorwärts": Von Not entfacht, vom Recht erdacht Und für das Volk geschrieben, So ward Verfassungswert vollbracht. So wollen wir es lieben! Am Platz, den bei den Feiern im Reichstag zuvor Friedrich Ebert einnahm, saß der Reichspräsident von Hindenburg . Aber gerade die Tatsache, daß der Feldmarschall des Kaiserreichs am Tage der Republik sich vor dem Werke von Weimar beugte, bewies den Sieg der Republik . Und deutschnational« Minister des Kabinetts Luther-Schiele lauschten der Festrede des Bonner Pro- sessors Dr. Platz. Als dann der Reichspräsident die Ehren- kompagnie abschritt, brachten die Berliner stürmische Hochs auf die Republik aus. Denn Berlin stand unter dem Zeichen von Schwarz-Rol-Gold! In Treptow waren Mann an Mann, .Tausende an Taufende, die Kameraden des Reichsbanners ver- sammelt und legten ein begeistertes Bekenntnis zur Republik und Demokratie ab. 1926 erklang es imVorwärts": Und im Novemberwunder Zerfiel wie fauler Plunder Der Hohenzollernthron. Ihr Fürsten , wir verzichten! » Wir wollen selbst errichten Di« Heimstatt der Nation." Und abermals huldigte Berlin, ' huldigte die Regierung Hinden- burg-Marx-Külz der republikanischen Reichsverfassung! Verfassungstag 1927. Wiederum begehen wir heute den Tag der Verfassung von Weimar! An der Spitze des Reiches steht der Generalfeldmarschall von Hindenburg, Reichsinnenminister ist der kappistische Landrat von Keudell , Iustizminister und Vizekanzler ist Herr Hergt, der Führer der Fraktion Halb und Halb. Trotzdem, nein gc- rode deshalb bekenn en wir uns zur Republik . Wir Berliner denken heute daran, daß im nächsten Jahre gewählt wird. und da wir ja nun einmal Residenzler sind! wandeln wir ein hohenzollernichesKönigswortundvcrkünden:..,W i r stabilisieren die Republik wie einen rocber de broncel" Artikel 1 der Reichsverfassung sagt:Das Deutsche Reich ist eine Republik . Die Staatsgewalt geht vom Volke aus." Und in Artikel 3 heißt es:Die Farben des Reiches sind Schwarz- Rot- Gold." Wir machen das Wort Ferdinand Freiligraths wahr: Zn Kümmernis und Dunkelheit, Da mußten wir sie bergen. Jetzt haben wir sie doch besreit, Befreit aus ihren Särgen. ha, wie das blitzt und rauscht und rollt! Hurra, du Schwarz, du Aot, du Gold! Pulver ist schwarz. Blut ist rol. Golden flackert die Flamme! Die Freiheit Ist die Ration, Ist olles gleich Gebieten. Die Freiheit ist die Auktion von dreißig Fürstenhüten. Die Freiheit Ist die Republik Und abermals: Die Republik !/ Pulver ist schwarz, »tut ist rot. Golden flackert die Flamme!,