Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 38544. Jahrgang Ausgabe Nr. 190

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife sind in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292- 297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

10 Pfennig

Dienstag

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

16. August 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-29T

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

Der Umschwung in Nanking  .

Bevorstehende Vereinigung mit Hankau  .

Schanghai  , 16. Auguft. Gouverneurposten in Schanghai   zugesichert werde. Sunfchu­anfang foll nämlich beabsichtigen, Nanking   zu besetzen, noch bevor die Hantauarmee zum Entsaz herbeigeeilt ist. Der von Tschinantai­scheck eingesetzte Bürgermeister von Schanghai   ist ebenfalls

Gleichzeitig mit Tschiangfaischef ist auch sein Außenminifter Wu sowie vier andere Minister zurückgetreten. Die Re­gierungsgeschäfte werden gegenwärtig von vier Ministern und einem

Militärausschuß geführt, der vor allem die Wiederverschmel. zung der Nankinger Regierung mit der Hankauer Regierung ein­leiten wird. An dem Erfolg dieser Aktion wird allgemein nicht gezweifelt. Wahrscheinlich dürfte sich auch General Feng der neuen Bewegung anschließen. Er soll bereits einen seiner Unter­

gebenen ermächtigt haben, das Innenministerium in der Nanking regierung anzunehmen. Man rechnet aber nicht mit einer starken militärischen Unterstützung Fengs, dessen Armee nur 50 000 Mann zählen soll. Einer der Untergenerale Tschiangtaischets soll sich mit der Besetzung der Stadt Nanking durch die Nordarmee Sunfchuanfangs einverstanden erklärt haben, falls ihm der

Die Rheinlandbesetzung. ,, Besser keine als eine verringerte."

Paris, 16. Auguft.( Eigenbericht.) Im Echo de Paris" unternimmt sein militärischer Mitarbeiter eine neue große Offensive gegen die beabsichtigte Herabsetzung der Rheinlandtruppen und versucht nachzuweisen, daß die Beibehaltung verminderter Truppenbestände vom militärischen Standpunkt aus unwirksam, ja sogar gefährlich wäre, denn eine schwache Rhein­landarmee wäre im Kriegsfalle einem schnellen Untergang ge­weiht! Die französischen   Truppen im Rheinland   müßten deshalb start genug bleiben, um ihre Verbindungen mit dem Hinterland aufrechtzuerhalten, was bei einer Herabsetzung ihrer Bestände un­möglich sei, oder sie würden besser. dann aus dem Rheinlande zurüdgezogen werden.

Was ist der Saar  - Bahnschutz? Eine französische Feldbahnabteilung! Saarbrüden, 16. August. Zum Abschluß eines Mietvertrages wegen der Unterbringungs­räume für den Bahnschutz erschienen in Neunkirchen   ein Ober, regierungsrat von der Regierungskommission und ein fran zösischer Offizier. In dem Mietvertragsentwurf werden als Bertragsabschließende auf der einen Seite die Stadt Neunkirchen  und auf der anderen das französische   Kriegsministe rium, Abteilung Feldeisenbahnen, genannt. Die Stadtverwaltung hat daraufhin die Unterzeichnung des Vertrages abgelehnt mit dem Bemerken, daß nach den Genfer   Abmachungen französisches Militär im Saargebiet teine Aufent haltsbefugnisse mehr habe und daß daher für die Stadt ein Vertrag mit dem französischen   Kriegsministerium als aus­ländische Behörde nicht in Frage kommen könne. Pflicht der Re­gierungskommission wäre allerdings, jede Einmischung einer aus­ländischen Behörde in die nur ihr zustehenden Befugnisse zu verhindern!

Der neue Hinrichtungstag. 20- stündiger Streit.

New York  , 16. Auguft. Der Vollzugsausschuß der Sozialistischen Partei beschloß für den 22. dieses Monats, auf den die Hinrichtung von Sacco und Banzetti verschoben worden ist, einen neuen zwanzigstündi gen Proteststreit. Das Programm für diesen Tag sieht Um­züge und Versammlungen vor, obwohl folche öffentlichen Kund­gebungen von der Polizei untersagt worden sind.

Für die Ruhe Onkel Sams.

Der nordamerikanische Abg. Johnson hat in den auf geregteften Tagen vor dem vorlegten Hinrichtungstermin für Sacco und Vanzetti in San Francisko eine heftige Rede gegen die Ein­wanderung italienischer Revolutionäre gehalten. Seither hat er wieder in Aussicht gestellt, er werde in der nächsten Session cinen Gesetzesantrag einbringen, wonach Einwanderer, die nach ihrer Naturalisierung Schwarzhemden anziehen und Mussolini  oder einem anderen Diktator Treue bis ins Grab schwören, mit Ausweisung bestraft werden sollen. Darüber wird jetzt in der Presse heftig diskutiert. Gewisse Blätter wollen zwar Linksradikale, aber nicht auch Faschisten ausgewiesen haben.

Der Aufstand in Bolivien  . Angeblich im Rückgang.

Lapaz  ( Bolivien  ), 16. Auguft.( Reuter.) Durch die von den Regierungstruppen eiligst getroffenen Maß­nahmen ist es, wie man hier annimmt, gelungen, einen allge. meinen Aufstand der bolivianischen Indianer zu verhindern. Nach den amtlichen Meldungen ist es allerdings den Re. bellen geglückt, in den Provinzen Cochabamba   und Potosi  einzelne Truppenabteilungen zu umzingeln, Jedoch scheint es,

zurüdgetreten.

England begrüßt den Rücktritt Tschiangkaischeks. London  , 16. August 1927.

Der diplomatische Korrespondent des Londoner   Daily Tele­ graph  " sagt, daß man in englischen Kreisen den Rücktritt Tschiangfaischets nur begrüße, da dieser als ein besonders eifriger Engiandhasser gegolten habe. Die Morning Bost" veröffentlicht eine Meldung aus Schanghai  , wonach die dort nieder­gelassenen europäischen und chinesischen Geschäftsleute die Aus. dehnung der internationalen Niederlassung in Schanghai   fordern.

daß die Gefangennahme zahlreicher Führer der Rebellen und die schweren Verluste, die ihnen zugefügt wurden, sich bereits als wirksam erwiesen haben. Die Indianer fehren zu tausenden zu ihrer gewöhnlichen Beschäftigung zurüd.

Zaunkönig- Gelüste. Herrscher Smetona  .

Der litauische Staatspräsident Smetona   ist auf einer Rundreise durch Litauen  . Die Ehrenpforten, Festplatate usw. tragen vielfach Inschriften, die auf die Bestrebungen der Regierung hinsichtlich einer Berfassungsänderung Bezug nehmen, wie 3. B.:" Du sollst auf Lebenszeit unser Führer fein" oder Gott   segne Litauent und seinen Herrscher". Der Titel Staatspräsident" wird dabei fast immer vermieden, stattdessen heißt es Herrscher, Gebieter usw. Beim feierlichen Empfang Smetonas in der Kreisstadt Birschi hielt der Landwirt Baliunas eine Ansprache, in welcher er dem Brä­sidenten sehr deutlich nahelegte, König von Litauen   zu werden.

Die Menge trug Smenota darauf auf den Händen zu seinem Auto. -In einem gewissen Abstand reist hinter dem Staatspräsidenten der Führer der oppofitionellen flerifalen Partei, Krupa witschius, der den durch das Auftreten des Präsidenten erweckten Eindruck durch polemische Reden und Kritik der Regierung zu verwischen sucht. Die politische Polizei hat ihm ein weiteres öffentliches Auftreten untersagt.

-

Immer neue Bedrückung.

Als deutsche Gesangvereinler aus Hendekrug bei einem Fest in Bischwill das ist gewiß das aus dem Weltkrieg bekannte Wilto­wischti-im Auto zum Festlokal fuhren, sprang ein litauischer Grenzpolizist auf das Trittbrett eines Wagens. Ein Insasse forderte ihn auf, den Wagen zu verlassen. Der Beamte tam jedoch dieser Aufforderung nicht nach. Nach einiger Zeit erschien ein zweiter Beamter im Festlokal und verlangte von dem Vorsitzenden des Männergesangvereins Heydekrug  , Apotheker Schmidt, die Aus lieferung des Mannes, der den Beamten am Besteigen des Wagens gehindert habe. Als der Vorsitzende dies ablehnte, wurde er nach dem Gerichts gefängnis abgeführt, das jedoch seine Aufnahme ablehnte. Erst nach zweistündigen Verhandlungen wurde Schmidt wieder auf freien Fuß gesetzt.

Die Besoldung in der Reichswehr  .

Einführung von Stellengehältern.

Bei der Besoldung der Reichswehrangehörigen werden fünftig, wie der Sozialdemokratische Pressedienst erfährt, entsprechend einem Beschluß des Reichstages die Besoldungsgrund sätze von dem für die Reichsbeamten gültigen Schema losgelöst. Für die Reichswehrangehörigen werden danach die Beamtentlassen ver­schwinden. Man will, da sich die Bestimmungen der Besoldungs ordnung vom Jahre 1920 teilmeise nicht bewährt haben, auf die Besoldungsgrundsäße vom Jahre 1909 zurückgreifen und wieder Stellengehälter festlegen, wobei der Dienstgrad das Gehalt bestimmt. Die Mannschaft wird nach den neuen Plänen eine allgemeine Aufbesserung ihrer Bezüge erhalten; die Be­zahlung der Verpflegung bleibt, dagegen tritt fünftighin an Stelle der bisher bezahlten Unterkunft freie Unterkunft. Günstiger werden vor allem die Bezüge der sogenannten Obergefreiten ge­staltet, die aus verschiedenen Gründen nicht Unteroffiziere werden tönnen, aber jetzt in die Lage verseßt werden sollen, im zulässigen Alter einen eigenen Familien stand zu gründen. Für den Leutnants- und Oberleutnantsrang sind vier Gehaltsstufen, für den Hauptmannsrang drei Gehaltsstufen vorgesehen; jede Stufe um­faßt eine Zeitspanne von drei Jahren. Bom Major ab sollen Einzel­gehälter bezahlt werden und für alle Reichswehrangehörigen und deren Familien bis zum Oberst einschließlich ist eine wirksame freie Heilfürsorge geplant.

Die Gesamtbelastung der Reichswehrbesoldung beträgt zurzeit 240 Millionen Mart; die aus der Besoldungsreform fich ergebende Mehrbelastung wird auf rund 25 Millionen Mart geschätzt.

Der Bub von Moschendorf.

Justiz gegen Kunst.

Bon Kurt Rosenfeld  .

Die Kunstfeindlichkeit der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ist durch den kürzlich in vierter Instanz verhandelten Prozeß gegen den Schriftsteller Bruno Bogel und den Kunstmaler Rüdiger Berlit   von neuem erwiesen worden. Beide wurden wegen ,, Verbreitung umzüchtiger Schriften", Bogel   auch wegen Gotteslästerung, zunächst vom Schöffe na gericht in Leipzig   zu 300 resp. 150 M. Geldstrafe verurteilt, dann aber auf ihre Berufung vom Landgericht Leipzig  freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte aber gegen diefes Urteil Revision ein und erzielte, daß das Reichs= gericht den Freispruch aufhob und die Sache zu neuer Ver­handlung an die Straftammer in Dresden   verwies. In dieser Berhandlung beantragte die Staatsanwaltschaft aber­mals Berurteilung, gegen Bogel   sogar eine solche von einem Monat Gefängnis, das Gericht sprach aber wieder frei. Auch mit diesem Urteil ist der Prozeß aber nicht er­ledigt. Die Staattsanwaltschaft Dresden   hat jetzt, da sie offenbar hinter ihrer Schwesterbehörde in Leipzig   nicht zurück­stehen wollte, gegen den Freispruch abermals Revision ein­gelegt! Mit einer Hartnäckigkeit ohnegleichen, wie sie z. B. bei der Verfolgung von Fememördern nicht zu konstatieren war, führt also die Staatsanwaltschaft den Kampf für die Sittlichkeit", so wie die Staatsanwaltschaft sie versteht. Gegenstand der Sittlichkeitsprüfung war und ist Vogels Buch: Es lebe der Krie g!", ein Buch, durch das der Kampf gegen den Krieg durch unverfälschte Darstellung von Szenen aus dem Krieg geführt wird. Bogel   will durch das Buch die Phrase von der Sittlichkeit des Krieges" widerlegen und seine ganze Unfittlichkeit aufweisen. Er gibt zu diesem Zwecke in erschütterndster Darstellung teils Selbst­erlebnisse, teils Erlebnisse anderer, und er läßt dabei die Soldaten so sprechen, wie sie während des Krieges gesprochen haben. Wahrheitsgemäße Schilderungen werden ohne jede Schminke gegeben. Alle Sachverständigen, die, sei es auf Antrag der Staatsanwaltschaft, sei es auf Antrag der Verteidigung vernommen wurden, stimmten darin überein, daß Vogels Buch und die ihm beigefügten Bilder Berlits hohen fünstlerischen Wert hätten. Die vom Gericht zu entscheidende Frage war also, ob ein Kunstwerk unzüchtig fein tann.

den

Freilich hatte die Staatsanwaltschaft in Dresden   im Er­mittlungsverfahren unvorsichtigerweise erkennen lassen, daß ihr die pazifistische Tendenz des Buches beson= bers anstößig erschien. Rein späteres Bestreiten der jeweils amtierenden Staatsanwälte fonnte aus 2tten die Stelle wegwischen, in der schwarz auf weiß zu lesen ist, daß die Broschüre eine Anzahl von unzüchtigkeiten enthalte, abgesehen davon, daß sie als Kampf- und Tendenzschrift gegen den Krieg und den Heeres­dienst anzusehen ist".

Der besondere Eifer der Staatsanwälte in der Verfol gung des Buches erklärt sich wohl nur durch das Zusammen­treffen des angeblich Unzüchtigen mit dem Antikriege= rischen, das allerdings aus jeder Zeile des Buches heraus­leuchtet.

Vogels Buch ist zunächst längere Zeit unangefochten ver­breitet worden. In teiner Stadt wurde die Schrift bean­standet. Da aber brachte sie eines Tages ein Eisenbahner qus Hof nach Moschendorf, und in diesem bayerischen Dörschen tam das Buch in die Hand eines Dorfschul- und eines Polizei­wachtmeisters. Beide befürchteten, daß der Bub des Eisen­bahners die Schrift in die Hand bekommen könnte. So sagten sie als Zeugen aus. Sie nahmen den gesetzlich vorgeschriebe= nen Anstoß" und veranlaßten die Beschlagnahme, durch welche das ganze hochnotpeinliche Verfahren in Gang ge= bracht wurde.

-

-

Der Bub von Moschendorf war in sittlicher Gea fahr! Und dieser Bub marschierte vor dem Landgericht dies Gericht zitiert wurden und die Gefahr schildern mußten, Dresden   auf, indem Schul- und Wachtmeister als Zeugen vor denen nach ihrer Meinung der Bub des Eisenbahners ausge setzt gewesen war. Die Staatsanwaltschaft fonnte sich aller­dings bei der Verfolgung des beschlagnahmten Buches und damit erlangt dieser Prozeß Bedeutung weit über den Einzel­fall hinaus auf die ständige Rechtsprechung ftüßen. Das höchste deutsche Gericht hat in dem in Sachen Vogel erlassenen Urteil darauf hingewiesen, daß es schon seit den Jahren 1899 und 1904 und seitdem ständig die Auffassung vertreten habe, auch künstlerische Werke könnten unzüchtig sein, selbst wenn sie eine hohe geistige Durcharbeitung und äußere Bollendung der Form aufweisen, sofern die besonderen Mittel oder Begleiterscheinungen der Darbietungen in dem Beschauer den reinen Genuß des Schönen zurückdrängen und geschlechtliche Reizung oder Befriedigung mit sich bringen. Maßgebend sei, ob das Kunstwert objettiv geeignet sei, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl eines normal empfinden= den Menschen zu verlegen.

Das Reichsgericht hat also im Jahre 1927 nichts gelernt und nichts vergessen. Trotz aller Ver änderungen, die der Begriff der Sittlichkeit in den letzten Jahrzehnten und besonders durch Krieg und Re­volution erfahren hat entscheidet das Reichsgericht über die höchsten Fragen der Sittlichkeit heute noch nach denselben Ge= fichtspunkten wie vor dreißig Jahren!

Staatsanwaltschaft und Landgericht sowohl in Leipzig  wie in Dresden   mußten die ständige Rechtsprechung des