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Nr. 388 44. Jahrg. Ausgabe A r. 198

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Donnerstag, den 18. August 1927

Reichswehr und Reichsfarben.

Ein Flaggenerlaß Geßlers und seine- Begründung. Reichsmehrminister Dr. Ge ßler hat sich endlich- nach fiebenjähriger Amtszeit!- entschloffen, auch den Reichswehr­angehörigen begreiflich zu machen, daß die Reichsfarben Schwarzrotgold sind und daß auch Offiziere wie Soldaten der deutschen Wehrmacht im Dienst und außer Dienst diese Farben zu bekennen haben. Er hat folgende Verfügung erlassen:

1. Auf den militärischen Dienst gebäuden find bei Bor­handensein mehrerer Flaggenstöcke die Reichstriegsflagge ( fchwarzweißrot mit schwarzrotgoldener Gösch und dem Eisernen Kreuz ) und die Reichsflagge Schwarzrotgold zu setzen. Ist nur ein Flaggenstock vorhanden, so ist nur die Reichstriegsflagge zu

hiffen.

2. Reichswehrgebäude, die an Privatpersonen vermietet find, dürfen nur mit der Reichsflagge Schwarzroigold flaggen oder mit Landes, Provinz- und Stadtfahnen. Die Miet­verträge sollen eine entsprechende Klausel erhalten.

3. Bei der Beflaggung der Privatwohnungen von Reichswehr­angehörigen ist das alleinige Hiffen schwarzweißroter Fahnen ver. boten. Es muß vielmehr gleichzeitig auch mit schwarzrofgoldenen

Fahnen geflaggt werden.

4. Bei Niederlegen von Kränzen usw. bei Beerdigungen müssen auch schmargrotgoldene Kranzschleifen ufm. verwandt werden, wenn solche in den Farben Schwarzweißrot verwendet

merden.

5. Wenn bei nichtdienstlichen Beranstaltungen Flaggen gezeigt werden, so müffen, falls eine Truppe zu einer folchen Berenstaltung dienstlich gestellt worden ist, auch die

Reichsfarben Schwarz3rofgold gezeigt werden.

Soldaten entsprach.

Man muß anerkennen, daß diese Verfügung des Mi­nisters einen leider sehr spät erfolgten Schritt zum Besseren darstellt, daß sie geeignet ist, manche unliebsamen Zwischenfälle auszuschalten, die bisher die Reichswehr mehr in den Vordergrund der politischen Erörterung stellten, als es wahrscheinlich dem Empfinden der meisten einfachen Aber was der nackte Wortlaut der Verordnung gut­machen will, das hebt die Begründung dazu forgjam wieder auf. Es ist schon merkwürdig, daß der Chef der Wehrmacht, der doch ans, Befehlen" gewöhnt fein soll, seinen Untergebenen erst eine Begründung für den Befehl gibt. Noch merkwürdiger aber ist der, Inhalt dieser Be­gründung. Es heißt darin:

,, Wie die Verhältnisse in Deutschland liegen, bedeutet die er wendung der schwarzweißroten Farben ohne gleich zeitige Berücksichtigung der Nationalfarben Schwarzrotgold eine politische Stellungnahme und Betätigung und ist daher gemäß§ 36 des Wehrgesetzes verboten. Darüber hinaus ist ein solcher Vor­fall aber geeignet, meinen Kampf um die überparteiliche, nur dem Staatswohl dienende Stellung der Reichswehr zu erschweren und den Gegnern der Wehrmacht Waffen in die Hand zu geben. Mit allen Mitteln suchen diese Kreise den Nachweis zu führen, daß die Wehrmacht ganz einseitig eingestellt fei, und ihre ,, unpoliti sche" Einstellung in Wahrheit nur ein Dedmantel für ihre Mechtsorientierung darstelle. Gerade in der Flaggenfrage, die im Bordergrunde des politischen Kampfes steht, ist deshalb äußerste 3urüdhaltung am Plazze. Ich bin mir nicht im

Südchina in Gefahr.

Nanking unter dem Feuer der Nordarmee. Nanfing, 17. August.( Reuter.)

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unklaren darüber, daß eine solche Haltung der Wehrmacht von einem Teil der Bevölkerung verübelt wird, und daß gerade für den Solda­ten, der unter den Farben Schwarzweißrot getämpft und geblutet hat, ein großes Maß von Selbstüberwindung und Ziviltourage dazu ge­hört, um diesen Standpunti in aller Oeffentlichkeit zu vertreten. Der artige Gefühle und Empfindungen, für die ich das vollste Verständnis habe, müssen aber unterdrückt werden, wenn es die große Aufgabe der Einigung unseres Baterlandes verlangt. Denn die Wehrmacht ist durch ihren Werdegang und die jetzigen Aufgaben in erster Linie berufen, die Achtung vor der großen Bergangenheit mit dem treuen Dienst am heutigen Staate zu ver­binden. Ich betrachte sie daher als mohlbefähigt, im Flaggen streit des deutschen Volkes durch ihr Beispiel die Gegensäge zu ent­ipannen."

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Zunächst eine Frage: Wie groß ist gegenwärtig noch die Zahl der Reichswehrangehörigen, die unter den Farben Schwarzweißrot gefämpft und geblutet" haben? Wie viele Kriegsteilnehmer befinden sich von den höheren von den höheren Offiziers chargen abgesehen noch acht Jahre nach Kriegsende unter den Reichswehrleuten? Ist es für die jungen Leute wirklich ein so großes Opfer, der Na= tionalflagge, auf die sie vereidigt sind, die notwendige Achtung zu erweisen, nachdem selbst Hindenburg , Keudell, Schiele und Hergt sich zu ihr bekennen?

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Wenn der Wehrminister diesen jungen Leuten durch die Begründung" einredet, daß alle Anhänger von Schwarzrot gold Gegner der Wehrmacht" ſeien, so ist das ein under antwortliches Spiel mit den Intereffen des Reichs, das nach der Verfassung eine Republik ist. Diese Art Be­gründung mutet als ein offener Kotau vor den deutschnatio­wehr" darstellen. In Wirklichkeit beſteht die Reichswehr zum ich freiwillig haben anmerben lassen und frei­größten Teil aus Soldaten, die erst zur Zeit der Republik willig die Verpflichtung auf die Republik und ihre Farben übernommen haben. Sie in Gegensatz zu stellen zu denen, die die Farben des Reich es zeigten und ihnen Aner­das Geßler- Ministerium, nichts zu ihrer Verteidigung taten, fennung verschafften, als zahlreiche Behörden, insonderheit das ist nicht einmal mit der Notwendigkeit zu entschuldigen, sich bei gewissen Offiziersvereinen gut Wetter" zu beschaffen. Aber gleichgültig, welche Wetternachrichten Herr Geßler aus der Offiziersede erhält: seine Berordnung ist ein wei terer Schritt vorwärts und kann in ihrer Wirkung nicht rückgängig gemacht werden. In Zukunft wird die Reichsflagge auch von den Gebäuden der Reichswehr flattern - vorausgesetzt, daß nicht gerade der zweite Mast durch un­vorhersehbare Umstände abgebrochen wurde!, und es wird auch den Mietern in Reichswehrgebäuden, also. auch den 3ivilbeamten, möglich sein, von ihren Privatwohnungen aus die Reichsfarben zu zeigen, ohne daß ein Leutnant mit Ge­walt in die Wohnung eindringen und sie entfernen darf.

So zeigt sich die Verordnung des Reichswehrministers als ein Erfolg der wirtungsvollen Propa ganda für die Reichsfarben, die vom Reichsbanner und seinen Freunden jahrelang gegen den Willen der Reichs­wehrspigen getrieben worden ist! Die Begründung" ist nur der Donner der Rückzugskanonade...

1914 und später noch lag Paris unter dem Feuer deut­scher Kanonen, 1920 war die Rote Armee schon in Praga , der nördlichen Weichselvorstand Warschaus und doch ist weder Paris von den kaiserlich- deutschen Heeren, noch War­ schau von der Roten Armee eingenommen worden; im Gegen­

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Wie ein Zuchthaus

Mussolini und die Zwangsjacke des Staates".

,, Mit seiner ungeheuren bureaukratischen Maschine gibt einem der Staat das Gefühl des Erstickens. Der Staat war für das Individuum erträglich, solange er sich da­mit begnügte, Soldat und Polizist zu ſein; aber heute ist der Staat alles: Bankier, Wucherer, Halter von Spiel­höllen; Schiffer, Kuppler, Versicherungsagent, Briefträger, Eisenbahner, Unternehmer, Lehrer, Professor, Tabakver­fäufer und unzähliges andere mehr, außer seinen früheren Beschäftigungen als Polizist, Richter, Gefängniswächter und Steuereintreiber. Der Staat, dieser Moloch mit den ihredlichen 3ügen, sieht heute alles, tut alles, fontrol­liert alles und richtet alles zugrunde: jede Staatsfunktion ist ein Unglüd. Ein Unglück die Staatskunft, die Staatsschiff­fahrt, die staatliche Lebensmittelfürsorge und die Litanei tönnte ins Unendliche fortgehen.. Wenn die Menschen nur eine blasse Ahnung von dem Abgrund hätten, auf den fie zugehen, so würde die Zahl der Selbstmorde wachſen: wir gehen der völligen Vernichtung der menschlichen Individualität entgegen. Der Staat ist jene furchtbare Maschine, die lebendige Menschen verschluckt und sie als tote Ziffern wieder ausspudt. Das menschliche Leben hat kein Geheimnis mehr, feine Intimität, weder im Materiellen noch im Geiſti­gen: alle Eden werden durchschnüffelf, alle Bewegungen ge­messen, jeder ist in sein Fach ein gesperrt und nume­riert, wie im Buchthaus."

Diese despektierlichen Worte über den Staat sind in fragt man fich fofort: auf welche Insel hat man denn den italienischer Sprache geschrieben worden. Natürlich Schreiber verschickt? Wer hat sich bereit gefunden, sich als Märtyrer des Individualismus dem faschistischen Staat in den Rachen zu werfen? Die Worte, die so gut und verständnisvoll die heutige Lage Italiens schildern, hat niemand anders geschrieben, als Mussolini selbst, und lesen. Der heutige Ministerpräsident hat damals sein Werk ieht nicht sagen fann, ohne erst vor das Spezial­norausgeahnt und hat dem Ausdruck verliehen, was man gericht und dann ins Zuchthaus zu kommen. Er hat dabei eine psychologische Intuition für fünftige Sachlagen gezeigt, die ihn heute, gegenüber der augenblicklichen Sachlage, ver­

laffen hat.

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geschickten Journalisten nicht anders erwarten kann: das Die Schilderung ist vorzüglich, wie man es bei einem so Erst i dungsgefühl und die 3uchthaus st tm­mung. Wie hat sich das alles nicht jetzt, bei der Agitation zugunsten von Sacco und Vanzetti gezeigt. anderen Bölfer haben sich gerührt; die Arbeiterschaft aller dergleichen! Nicht zwei Arbeiter haben sich zusammen­Länder hat ihre Solidarität gezeigt. In Italien nichts Stammesgemeinschaft, das gemeinsame Vaterland, rotten" dürfen. Blut ist nicht mehr dicker als Wasser. Die verbindet nicht und verbindet zu nichts. Alles im Instanzenzuge. Mussolini , der sonst, immer bie höchsten Worte zur Hand hat, er, der Sohn eines Internationalisten und auf den Namen eines spanischen Anarchisten getauft, antwortet dem sein Eingreifen anrufenden Bater des Sacco nicht direkt; er tele­graphiert nur an den Regierungspräsidenten: Habe Tele­aramm mit Unterschrift Michele Sacco erhalten, das mein Eingreifen zur Rettung des Sohnes anruft. Bitte Sacco mitzuteilen, daß ich mich seit langem und ernstlich mit der Lage Saccos und Vanzettis beschäftigt habe und das Mögliche, soweit es mit den internationalen Regeln vereinbar handelt es sich nicht um Griechenland oder um Abessinien; hier war, getan habe, um sie vor der Hinrichtung zu retten." Hier hat man es mit den mächtigen und reichen- ach! wie reichen! Vereinigten Staaten zu tun; da ist die größte Feuer fpeit man gegen die Kleinen.

Die Nordtruppen haben heute früh Pukau besetzt und nach- teil, der Kriegsausgang war in beiden Fällen für diese Stür- Orthodorie in Sachen der ,, internationalen Regeln" geboten.

mittag mit der Beschießung Rankings begonnen.

Die Einigung Nanking- Hankau.

Hankau, 16. August. General ei gisan ist mit Teilen der Armee Fengjusiangs offenbar in dessen Auftrag in Hankau ein­getroffen. Es hat fleinere 3usammenstöße mit Truppen Tangengchihs gegeben. Es besteht die Gefahr offenen Konfliktes zwischen Wei und Tang. Die Einigungsverhandlungen zwischen Hantau und Ranting erfolgen gegen den Willen Tangs. Tang be­fürchtet Berluft seiner Stellung, falls eine Einigung zustandekommt.

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Der Zwiespalt im Süden, zwischen der linksraditalen Regierung von Hantau und der nicht so extremen in Nanting, bat den Bormarsch der Nordtruppen gemiß erleichtert. Japan und England laffen es an Förderung Tschangtfolins und feiner Nordarmee nicht fehlen und sie steht zwischen Rußland und Südchina, das überdies durch die Abschiebung Boro dins und anderer Bolschyemiti russische Hilfe abgelehnt hat. Indessen braucht man Südchina noch nicht aufzugeben.

mer sehr nachteilig.

Vielleicht gelingt es der Einigung Nanking- Hankau und der Hilse Fengjufiangs noch, die drohende Niederlage des freiheitlichen Südens abzuwenden.

Englische Flugzeuge in Schanghai beschlagnahmt.

Schanghai , 17. August.( Chin. Nachr.- Ag.) Ungeachtet wiederholten chinesischen Protestes sind in Schanghai englische Flugzeuge gelandet. Sie wurden sofort beschlagnahmt. Das britische Ansuchen um Rückgabe murde von dem Kommissar für auswärtige Angelegenheiten in Shanghai abgelehnt. Hierauf informierte der Oberkommandierende der britischen Streitkräfte in China , General Ducan, den Kommissar, daß er im Falle der Nicht­auslieferung des Aeroplans bis Mittwoch 11 Uhr die ihm notwendig erscheinenden Maßnahmen ergreifen werde. Da die von britischer Seite gewünschten Instruktionen nicht ergangen find, hat der englische Kommandant die Eisenbahnlinie Schang­hai- Kiutfchu- Ningpo abgeschnitten. Ueberdies wurde das englische Freiwilligentorps in Shang­ hai wieber mobilisiert, es hat die Linie längs der inter­nationalen Siedlungen wieder besett

Ein römisches Mittagsblatt, das dem Ministerpräsidenten besonders nahe steht, gibt folgendes von sich:

,, Reine Streifs, feine Umzüge, feine beleidigenden Manifeste, feine Attentate, Volksversammlungen, feurige Artikel oder Wort­überschwemmungen, wie sie die Tageschronik aus beiden Kontinenten berichtet. All dies, was uns Amerika durch seine wohlausgerüfteten Telegraphenbureaus übermittelt, wird nicht einmal benutzt oder gar ausgeschlachtet. Die meisten italienischen Zeitungen, die die Grenzen des Erlaubten und des Passenden sehr gut kennen, drucken diese monotonen und aufreizenden Nachrichten gar nicht ab. Und da wir gerade bei diesem Thema sind, sei es gefagt, daß die politische Seite der Affäre Sacco und Vanzetti, was immer die legte Ent­scheidung der amerikanischen Juftiz sein möge, darin liegt, daß das faschistische Italien bei dieser Gelegenheit über jede fentimentale Schwäche triumphiert hat und vor der Welt den ethischen Gehalt des Faschismus betont hat, der die menschliche Ungerechtigkeit nicht scheut, weil er an eine höhere Gerechtigkeit glaubt, der feiner entgeht."

Daß der Faschismus die menschliche Ungerechtigkeit nicht fcheut, mußten wir längst: der Prozeß gegen die Mörder