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Beilage zumVorwärts " Berliner Volksblatt. Ztr. 237. Donnerstag, den 10. Oktober 1895. 12. Jahrg. Parteitag der sozialdemokratischen Partei Dentschlands. Breslau , den S. Oklober 189S. Dritter Verhandlungstag. Vormittags-Sitzung. Der Vorsitzende Singer eröffnet die Sitzung um 9>/4 Uhr. Singer verliest eine Reihe Begrüßungsschreiben und Tele- gramnie. Es wird in die Tagesordnung eingetreten. Tie Generaldiskussion zu Punkt 4 wird eröffnet und die Antrage der Agrarkommission und alle sonst zu dem Punkte gestellten Anträge zur Debatte gestellt. Eester Redner gegen den Entwurf ist Müller- München : Wenn ich als einer der reaktionären Süddeutschen das Wort gegen den Entwurf ergreife, so thue ich es, um den Standpunkt der beiden Münchener Wahlkreise und Passaus hier zu vertreten. Dieser Standpunkt ist im Antrag 31 niedergelegt. Die Frankfurter Resolution verlangt von der Agrarkonnuissioneingehende Kenntniß der agrarischen Zustände". Diese Kenntniß scheint mir nicht vorhanden zu sein. Die Agrar- kommisston mit ihren geheimen Tagungen, mit ihrer Hand- bibliothek hat eine Klärung der schwebenden Fragen nicht ge- bracht. Nur der süddeutsche Ausschuß hat eine Enquete veranstaltet. Ihr Resultat lag aber erst vor, als die Ansichten der Allsschüsse schon programmatisch festlagen. Der umgekehrte Weg wäre der richtige gewesen. Als ich den Fragebogen der Kommission in die Hand bekam, da war mein Glaube an die agrarpolitische Kenntniß der Kommissio- geschwunden. Aber selbst wenn der Fragebogen gut gewesen wäre, so hätte es sich doch gefragt, ob eine solche Privatenquete von Nutzen sei. Der neu vorgelegte Entwurf ist im wesentlichen dem alten gleich; auch er bietet zahlreiche Angriffspunkte. Bei der ersten Forderung hat man zum Beispiel gar nicht auf die V-rhältniffe in Süddeutschland Rücksicht genommen. Als 1843 die Bauernbefreiung eintrat, zahlte man den Grnndherren den zwanzigsacheu Betrag der kapitalistrte» Rechte, und es sind hisher etwa 200 Millionen Zinsen aus den Taschen aller Steuerzahler aufgebracht worden. Eine Ver- staatlichung der Hypotheken würde in der heutigen Gesellschaft nicht für den kleinen Bauer, sondern für den Mittel- und Groß- bauer von Vortheil sein. Tie Monopolisirung des Grundes und der Grundrente wird dadurch steige»; damit ist aber dem Kleinbauer nicht geholfen, denn ihm fehlt in erster Linie Land. Will man dem Bauern so helfen, dann müßte man ihm sogar Viehpavillons einrichten. Mit dem Stolz und der besseren Lage der süddeutschen Bauern ist es nicht so, wie Quarck meinte; auch dort sind die Wohnungsverhältiiisse sehr schlecht, und Fleisch kommt dort nur alle Jahre einmal auf den Tisch. Nicht einmal propagandistische Wirkung werden die Programmpunkte haben: der Bauer versteht sie gar nicht. Freilich kann etwas für die Kleinbauern geschehen; der Agitator muß aber mit den Verhältnissen genau vertraut sein. In Süddeutschland ist außerdem die Macht des Zentrums auf dem platten Lande konzentrirt. Was Genosse Schippe! über die Waldrechte ausgeführt hat, ist unrichtig; das Waldstreusammeln schadet den Bäumen nicht. sondern nützt dem Walde. Mit der Verweigerung der Waldstreu sind die Bauern sogar dem Hungertode preisgegeben. Die baye- rische Regierung ist nach der Fuchsmühler Affäre zu andere» An- sichle» gekommen und jetzt dürfe» Ablösungen nur mit Einwilligung der Bauern vorgenommen werden. Die Ablösung kann auch insofern nicht erwünscht sein, als das hierbei in betracht kommende Forstgesetz aus der Zeit der llieaktion. aus dem Jahre 13H0 stammt. Daher mußten ja auch unsere Genoffen im bayerischen Landlage für die Aufrecht- erhaltung der bestehenden Waldrechte im Interesse der schon pro- letarisirteu Kleinbauern eintreten. Das in dem Programmentwurf Fixirte treibt uns in staats- sozialistische Bahnen und ist kaum durchführbar. Einen wirklichen Gemeindesozialismus halte ich heutzutage für nutzlos. ja für unmöglich. Ich resumire mich also dahin: In der Ansicht, daß die Kenntniß der ländlichen Verhallnisse noch nicht diejenige ist, die uns dazu befähigt, ein vom sozialdemokratischen Standpunkt aus richtiges und delaillirtes Programm zur Gewinnung der Kleinbauern und der ländlichen Proletarier auszustellen, ziehe ich meinen Antrag 21 zurück und bitte Sie, den unter dem Entwurf stehenden Antrag der Agrarkommission anzunehmen. Bebel: Parteigenossen! An die eben gehörten Ausführungen habe ich angenehmeErinuerungen. DerBorrednerfprach nicht davon, daß die Leute, die Ihne» jetzt neue Vorschläge machen, Quacksalber und Charlatane seien, Leute von mangelhaftem Wissen, wie wir das gestern von Schippe! hören mußten. Er ging von der An- schauung aus, daß die Kommissionsmitglieder doch von der ehr- lichen Ueberzeugung durchdrungen sind, daß sie nach bestem Wissen gearbeitet haben. In der Kommission waren Genossen, die viel früher sozialistisch gesinnt gewesen sind, als Schippel. Wenn das vorkommt, was gestern geschah, dann hört nicht allein jede Diskussion mit solchen Genoffen, sondern auch jedes Zusammen- gehen auf.(Sehr richtig!) Wenn die Dinge so stehen, daß Sie Charlatane in der Partei haben, Leute, die wider besseres Wissen handeln, dann haben Sie sich mit diesen Leuten auseinander zu setzen, ob sie fähig sind, auch nur einen Tag noch in der Partei zu sein. Ich persönlich verwahre mich dagegen, daß auch nur einer unter uns bei unserer Arbeit gewesen ist, der den Namen Charlatan verdient. Wenn einer Ursache hatte, sich zu hüten vor solchen Vor- würfen, wie sie Schippel machte, dann war es gerade er; das werde ich Ihnen beweisen aus seiner eigenen Rede, auf die ich noch näher eingehen werde. Ferner sagte der Vorredner, daß sowohl die Kommissions- Mitglieder, als auch Schippel von der Agrarfrage nicht viel verstünden. Wer Schippel gestern hörte und seine Ausführungen imSozialdemokrat" kennt, der hat doch den Eindruck, daß Schippel in dieser ganzen Frage mit einer an Größenwahn grenzenden Anmaßung aufgetreten ist.(Oho! oho!) Er hat es doch deutlich genug gesagt, daß wir alle nur Dumm­köpfe gewesen seien. Er chal davon gesprochen, daß es Wunder- dokloren unter uns gäbe, die dem Kleinbauern mit Wundersalben helfen wollten. Ich bedauere da sagen zu müssen, daß Schippel selbst zu diesen Wundertoltoren gehört. Ich bin bereits lange in der Partei. Niemals ,st eme wichtige Frage so ruhig und gewissenhast erörtert worden bis zum Austrage der Frage, und wenn einer Ursache hatte, der Rommission mit Ruhe entgegenzutreten, dann war es gerade Schippel, und zwar als Kollege der Kommissionsmitglleder und als Genosse. der einen Theil von dem gutgeheißen hat. was un Entwurf steht, den er gestern so heftig bekämpfte.(Hört. Hort!) Schippel hat als Konimissionsmitglied nicht entfernt das gesagt, was er gestern aussprach. Er ist ein Schüler Nodbertus; er hat in der Agrarfrage seit Jahren Studien gemacht und man hätte da erwarten müssen, daß er seine ihm begründet er- schienenen Anschauungen aussprach, namentlich in der Ab- stinin'ung zur Geltung brachte._r- 1,. Der Absatz in. im neuen vorliegenden Entwurf ist Nicht so gedacht, daß er ein dritter Absatz im Parteiprogramm werden soll, hont ern er soll nur eine Resolution sein. Die Zerlegung in I., 1I.,1Il. soll nur den Gang darstellen, den die Entwickelung des Ent- wurfs genommen hat. Es ist eine Lebensfrage der Partei, daß sie sich in der gründlichsten Weise ausspricht und scharf dazu Stellung nimmt. Die Fragen des Entwurfs sind heute Tages- fragen und bewegen die ganze Bevölkerung Deutschlands . Als praktische Politiker im Reichstage, in den Landtagen und in den Gemeindevertretungen, als Agitatoren auf dem Lande und in der Presse sind wir gezwungen zu diesen Fragen bestimmt Stellung zu nehmen. Es darf nicht vorkommen, daß die Genossen da so, dort so darüber denken und sprechen. Wir bekounnen sonst Spaltungen in der Partei und die Nnklarheiten in der Partei nehmen zu. Wenn Sie den Antrag Käulsky annehmen, nachdem Sie vornehm erklären würde», daß alle die Fragen für Sie nicht existiren, dann werden Sie die Folgen dieser Stellungnahme zil tragen haben. So leicht, wie sich jene Herren die Sache machen, ist sie doch nicht. Aus den Worten Schippels werde ich Ihnen beweisen, aus seiner praktischen Mitarbeit i» der Kommission, daß er da ganz anders sprach als gestern; er hat durchaus nicht immer auf seinem dargelegten Standpunkte gestanden. Schippel hat ja seit 15 Jahre» das Agrarivcse» sludirt, sollte er erst in den letzten Tagen zu ganz neuen Anschauungen gekommen sein? Am Absatz III werde ich Ihnen zeigen, daß Schippel bei der Berathung, wo er zugegen war, laut Protokoll dafür gestimmt hat.(Hört! hört!) Für die Punkte 2, 3, 4, 5, gegen die er gestern so scharf sprach, hat er gestimmt. Freilich, bei der Generaldebatte war er nicht dabei. In der Kommission ist durchaus nicht alles glatt gegangen, wie man an- genommen hat. Und»renn ein großer Theil der früheren Vorschläge zuletzt abgelehnt und abgeändert worden sind, dann war es nicht die Kritik Schippel's, sondern wesentlich ineine Kritik, die das herbeiführte.(Hört! hört!). Schippel hat 2 Sitzungen des norddeutschen Ausschusses beigewohnt, nach seiner gestrigen Rede hätte er damals auch nicht einem einzigen Vorschlage zustimmen können. Am ziveiten Tage ivar allerdings Schippel durch ein Referat an der Theilnahme abgehalten. Es war ein Mangel an M> th, den er da zeigte, denn ich muß an- nehmen, daß er absichtlich den Verhandlungen aus dem Wege gegangen ist. Wie war es am letzte» Sonnabende? Schippel erschien nicht, weil er krank war. Aber in einenl Briefe an Liebknecht ivar er der Ansicht, daß die Zlgrarforderungen vom Programm loszu- lösen und als selbständige Resolution aufzustellen seien. Nach seinen Ausführungen imSozialdemokrat" konnte er aber auch diese» Vorschlag nicht machen. Dinge dieser Art sind uns zwar schon vorgekommen, aber alles hat seine Grenze, und nach dem. was jetzt passirt ist, ist das Maß voll. Wir beide sind miteinander als Menschen sertig.(Bewegung! Vereinzelte Rufe: Sehr richtig!) Es ist sehr wichtig, daß Sie sich»och einmal in großen Zügen das vergegenwärtigen, was Schippel imSozialdeniolrat" über diese Frage gesagt hat, und damit seine gestrigen Aus- sührungen vergleichen. In der Nr. 29 desSozial- demokrat" sagt er in beziig auf den damals be- reits veröffentlichten Programm- Entwurf:Das Programm spreche für die ruhige Ueberlegung und das kühle Verständniß der Kommission, die Kommission habe sich von utopistischen und sentimentalen Regungen frei geHallen, wenn man auch ihre» Be- schlüsselt noch immer die unerquickliche Zwangslage anmerke, in die sie gebracht war." Ferner heißt es:Ist also auch der Baueruschutz durch die Sozialisten eine Todtgeburt, so war doch die Anregung verdienstlich, einmal die agrarischen Forderungen aufzunehmen, die wir unbeschadet der Juteressen der Arbeiterklasse glauben unterstützen zu können. Auf einzelne Bedenken gegen Einzelheiten kommen wir noch zurück." Halten Sie diese Ausführungen zusammen mit dem, was Sie gestern gehört haben, lind bei objektiver Betrachtung wird Ihr Urlheil über die moralische Qualität solchen Aeußerungen fertig sein. Aber Schippel ist noch weiter gegangen, er hat den süd- deutschen Entwurf scharf kritisirt. Ja, wäre diese Kritik geübt worden, nachdem der Entwurf veröffentlicht war, wie es z. B. Parvus in einer Reihe von Artikeln gethan hat, so wäre nichts dagegen einzuwenden gewesen. Jetzt aber, wo wir uns mit dem Entwurf der Kommission zu beschästigen haben, wo der süd- deutsche Entwurf längst abgethan ist und wir nichts mehr mit ihm zu thun haben, jetzt die billige Gelegenheit zu einer scharfe Kritik an etwas zu benutzen, was gar nicht mehr vor- Händen ist, das ist nicht gerechtfertigt. Gerechtfertigt wäre eine solche Kritik erst wieder in dem Augenblick, wo ein Parteigenosse den süddeutschen Entwurf wieder aufnimmt oder wenn in der Zukunft einmal ähnliche Forderungen aufgestellt werden, wie sie in dem abgelhanen Entwurf enthalten sind. An dieser Stelle aber lag kein Grund zu einer solchen Kritik vor; Schippel glaubte eben billige Lorbeeren ernten zu können, vielleicht fehlte es ihm auch an sachlichen Gründen; sonst wüßte ich nicht, wie er dazu kommt, das nach allen Richtungen anzugreifen, was er früher selbst gebilligt hat. Immerhin, sich Charlalan nenne» lassen zu müssen, sich Mangel an Gewissenhaftigkeit vorwerfen lassen zu müssen, sich sagen lassen zu müssen, man wüßte nicht, was man lhut das geht denn doch zu weit. Ich habe mit Vollmar manchen Strauß gehabt, ich werde noch manchen Kampf mit ihm anszusechten haben, denn unsere Ansichte» sind mittlerweile so tief auseinandergehende geworden, daß wir scharf gegen einander gerathen werden. Ich habe auch scharf angegriffen. aber ich rufe alle zu Zeugen auf, daß ich mich redlich bemüht habe, zu erkennen, warum Vollmar zu solchen Ansichten ge- kommen ist. Ich habe rein sachliche Gründe dafür angeführt, sein körperliches Leiden, das soziale Milieu, in dem er sich aufzu- hallen gezwungen war und aus dem heraus sich allmälig ein Gedankengang bei ihm eingebürgert hat, den ich für äußerst bedenklich halte. Aber ihm Charlatanerie vorzuwerfen oder Mangel an Gewissenhaftigkeit, das ist mir nie eingefallen und wird mir am allerwenigsten einfallen, wenn mein Gegner nicht da ist und sich nicht vertheidigen kann, und Schippel weiß ebenso gut wie ich, daß Vollmar der Urheber des Ent- wurfs ist. Man hat uns heftig angegriffen, weil unsere Vorschläge mit dem alten Programm verwebt sind. Ich bin jederzeit bereit, das zu verantworten, was ich selbst in erster Linie verschuldet habe und auf der anderen Seite offen einzugestehen, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Ich bin es gewesen, der diese Art der Arbeit herbeigeführt hat. Es ist mir im Anfang ebensowenig wie irgend einem anderen eingefallen zu glauben, n:an solle das, was aus der Kommission hervorgehl, in das alte Programm verweben, aber als der Entwurf fertig war. zeigte es sich, daß eine Reihe nolhwcndiger und selbstverständlicher Forderungen, die wir bei der Abfassung des Erfurter Programnis über- sehen hatten, jetzt gut eingefügt werden könnten, da sie eng mit dem Programm zusammenhängen. Ich stellte deshalb in der Kommission den Antrag auf Einsetzung einer Redaktionskommission, die die geeignete Form zu finden hätte. Nun hat man sich über das WortDemokratisirung" in den einleitenden Worten entsetzt. Ja, wer denkend den zweiten Theil unseres Programms liest, der muß doch bestätigen, daß die Demokratisirung aller öffentlichen Einrichtungen das Hauptziel ist. Die Demokratisirung, nicht die Sozialiiirung ist ausgesprochen, und wer es anders auffaßt, der versteht das Programm nicht. Verschlechtern wir etwa, wenn wir die Forderungen des zweiten Theils unseres allen Programms zu verwirklichen trachten, die bestehenden Staats- und Gesellschaftseinrichtungen oder die Lage der be« treffenden Klassen? Ich habe bisher immer geglaubt, wir ver- bessern sie.(Sehr richtig!) Soweit auf dem Boden der heutigen Gesellschaft Verbesserungen möglich sind, waren wir jederzeit bereit, sie zu erstreben. Das haben wir ftets unseren Gegnern ins Gesicht gesagt, und unsere ganze parlamentarische und außerparlamen- tarische Thätigkeit beruht auf dieser Auffassung.(Sehr richtig.) Ich begreife die Voreingenommenheit, mit der man gegen Wind» mühlen gekämpft hat, denn ich habe sie ja heule selbst noch gegen gewisse Leute. Es war von vornherein wahrscheinlich, daß alle Vorschläge, die aus der Agrarkommission kommen, auf Wider« stand stoßen würden. Dadurch, daß eine gewisse Strömung in der Partei durch ihre Vorschläge den Glauben hat aufkommen lassen, daß es niöglich wäre, bestimmte Einrichtungen und Schichten- bildungen durch bestimmte Mittel zu konserviren, hat sich von vornherein eine äußerst kritische Stimmung geltend gemacht. Dazu kommt, daß ein großer Theil der Genossen nach ihrer Lebensstellung und ihrer Bildung von Dingen, die hier zur Frage stehen, wenig weiß. Das soll kein Vorwurf sein, das ist infolge der sozialen Verhältnisse, in denen sich die meisten Genossen befinden. Es fehlt ihnen an Zeit, dieFrage zu studiren, an Geld, die Mittel an« zuschaffen, die zu ihrer Ausbildung nöthig sind. Das schließt freilich nicht aus. daß mancher, der einmal auf dem Lande war, und dort Ver- sammlungen abgehalten und mit einem Bauer gesprochen hat. nun glaubt, ein großes Stück Agrarfrage zu verstehen. Es ist doch wunderbar, daß diejenigen Leute, die vor einem Jahre in Frankfurt a. M. die Kameele, die ihnen die Referenten damals zu schlucken gaben, mit lautem Beifall verschluckten, aber jetzt die Mücken der Agrarkommission seihen wollen. Vollmar fand damals donnernden Beisall.(Reiß- Haus: Leider!) Ja diesesleider" ändert nichts. Ich fand das ganz natürlich, aber weniger natürlich kam es mir vor, daß gestern eine ganze Reihe älterer Parteigenossen dem Genossen Schippel so großen Beifall spenden konnten. Dieselben Leute haben vor einem Jahre Vollmar rasend Beifall gespendet, während sich doch Schippel's und Vollmar's Ansichten diametral gegenüberstehen.(Sehr richtig.) Das beweist, wie schlimm es noch mit der Klahrheit aussieht, und daß viele mit einem fertigen Urtheil hierher kommen über Dinge, von denen sie nichts verstehen. Nun hat man mir speziell vorgeworfen, ich hätte früher in dieser Frage eine ganz andere Stellung eingenommen, als heute. (Sehr richtig!) Man hat insbesondere gesagt, daß die Aus- sührungen gelegentlich meines Referats über den Antisemitismus ans dem Kölner Parteilage, wo ich mich gegen die Verstaat- lichnng des Hypothekenwesens aussprach, in Widerspruch ständen mit meiner gegenwärtigen Haltung. Ich wundere mich, daß jetzt niemandsehr richtig" ruft(Heilerkeit); es wäre aber auch nicht richtig(Zuruf: Deshalb sagt es ja auch niemand! Heiterkeit.) Man hat eine widerspruchsvolle Haltung bei mir darin ge- flinden, daß ich auf dem Kölner Parteitage mich gegen Katzenstein gewendet und gewarnt habe, den Bauern Versprechungen zu machen, wie sie ihnen die antisemitische Agitation mache. Auf diesem Standpunkte stehe ich noch heute. Wir können dem Klein- bauer nicht seine Konservirung versprechen. Das würde nicht nur unserer ganzen bisherigen Parteithätigkeit, sondern auch unserem Programm widersprechen. Und doch haben Parteigenoflen uns solche Absicht zugetraut. Ich muß gestehen, ich habe noch nie mit so gutem Humor Vorwürfe entgegengenommen, wie jene, die wir in den letzten drei Monaten zu hören bekommen haben. Aber diese Vorwürfe waren doch das ärgste, was man sich denken konnte. Die Mitglieder der Agrarkommission wurden hingestellt, als die elendesten, dümmsten, unwissendsten Menschen, die es nur in der Partei giebt. Wären wir das, als was wir hingestellt wurden, dann müßten wir nothwendiger Weise auf die Ehre verzichten, Genossen zusein.(Rufe: Na! Na!) Es ist ein vollständiger Jrrthum, bei der Agrarkommission den Glauben zu vermuthen, daß durch ihre Vorschläge in die natür- liche Entwickelung der GeseUfchfft, die zur Auslösung der unteren sozialen Schichten der Eigenthümer sährt, eingegriffen würde. Wenn Ihnen jemand sagen würde, wir beabsichtigten mit dem zweiten Theil unseres Programms die bürgerliche Gesellschaft länger am Leben zu erhalten. Sie würden ihn auslachen. Wenn der ganze zweite Theil des Programms verwirklicht wird, ist die bürgerliche Gesellschaft immer noch da. Auch die Entwicklungs- gesetze der Gesellschaft auf dem Gebiete der ländlichen Verhält- nisse werden durch die Vorschläge der Agrarkommission nicht be- rührt. Ich habe alle unsere Vorschläge daraus hin geprüft, erstens. daß die kapitalistische Entwicklung der Gesellschaft nicht durch sie gestört wird, daß sie zweitens nicht den Prinzipien unserer Partei nicht widersprechen, und daß drittens der Arbeiterklaffe keine Lasten auferlegt werden zu gunsten der Besitzenden von Grund und Boden. Hält der Entwurf diese Prüfung aus, dann kann man an sich nichts mehr gegen ihn einwenden, dann können nur Einzelheiten in Frage kommen. Man müßte doch auch glauben, Parteigenossen, daß unsere Gegner die Agrarier, eine besondere Freude an der Arbeit der Agrarkommission haben mußten, wenn die Angriffe der Partei- genossen gegen uns richtig wären. Sie hätten ja hier die intensivste Unterstützung ihrer Bestrebungen, die von einer ganz unerwarteten Seite kämen. Ich habe daraufhin die agrarische Presse genau studirt, gebe ich doch immer viel aus das Urtheil der Gegner. Und was fand ich? Das Hauptorgan der Agrarier hat noch nicht einmal gewagt, unfern Entwurf zu veröffentlichen. DieKreuz- Zeitung " hat zwar einige Artikel gebracht, aber sie waren so lendenlahm wie noch nie. Und das ist ganz erklärlich. Unter unseren Vorschlägen befindet sich eine Reihe von Punkten, die den Großgrundbesttzern und dem Feudal- adel scharf an die Nieren gehen. Aus der andern Seile können und wollen wir den Kleinbauern gewiß nicht konserviren, aber es giebt doch wichtige Verbesserungen in den ländlichen Verhält- nissen, die wir bewillen können und müssen. Man hat gesagt, wir könnten in der Agrarfrage keinen anderen Standpunkt ein- nehmen, als in der Handwerkerfrage. Da freut es auch, daß Kaulsky in seiner Resolution ausdrücklich sagt, die Handwcrkersrage und die Agrarfrage seien verschieden. Bereits vor 25 Jahren schlug ich als Referent rnif dem Stuttgarter Parteilag der Eisenacher eine Resolution vor. die im wesentlichen das enthält, was ich heute sage. Wir können uns das ganze Handwerk hinwegdenke», aber nicht die Landwirthschaft. Wer den Grund und Boden in der Hand hat, hat die ganze Gesellschaft in der Hand. Daher die Macht der preußischen Junker. Im Grund und Boden sind die Wurzeln ihrer Macht. Sie durchzuschneiden, heißt die Macht der Junker brechen. Gewiß! Ich will nicht leugnen, auch die großen Grundbesitzer würden gewisse Vortheile bei der Durchführung äußerer Vor- schläge haben. Müller sagt: die Verstaatlichung der Hypotheken würde nicht nur den kleinen Bauern, sondern hauptsächlich auch dem Großgrundbesitzer nützen. Das mag in gewissem G>a>e richtig sein. Es hieße uns ein Armuthszenguiß ausstellen, wollte man annehmen, wir hätten uns die Wirkung unserer Borschläge nicht klar gemacht. Das habe» wir in vollem lim-