MbenSavssabe Nr. 391 ♦ 44. Jahrgang Ausgabe L Nr. 195
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ZmtraXorgan der Sozialdemokrat» fd�en parte» Deutfcbtands
Prag , lg. August.(Eigenbericht.) Ministerpräsident Svehla und andere führende tschechische Politiker, auch Präsident M a s a r y t, befinden sich seit einiger Zeit in Karlsbad zur Kur. Heute meldet nun„Lidoue Nooiny"(Volks- zcitung), ein großes seriöses PMgerblatt, das gewöhnlich gut in- formiert ist:»Bei den Verhandlungen in Karlsbad wurde beschlossen, daß die tschechischen Nationalsozialisten, und zwar schon im Herbst dieses Jahres, in die Regieerung eintreten werden, also kurz nach den Gemeindewahlen, die Ende Oktober oder Anfang November fällig sind." Das würde bedeuten, daß die Nationaldemokraten aus der Regierung austreten und diese durch die National- sozialen nach links hin erweitert wird. Ministerpräsident Soehla scheint zur Erkenntnis gekommen zu sein, daß aus die Dauer das bisherige erzreattionäre Regime nicht aufrechtzuerhalten ist. Für dos proletarisch« Lager bedeutet der Eintritt der National- sozialen in die Regierung eine Klärung, denn die Nationalsozialen
geben sich durch diesen Schritt neuerdings als linker Flügel des Bürgertums zu erkennen, als eine Partei, die, obwohl sie viele Arbeiter in ihren Reihen hat, doch niemals eine prole- tarifch-sozialistische Partei gewesen ist.„Lidove Noviny" melden weiter, daß die tschechischen Sozialdemokraten sich be- züglich Ihres Eintritts in die Regierung zwar noch nicht entschloffen, aber dennoch bereits sich entschieden hätten, späte st ens im Frühjahr gleichsalls in die Regierung einzutreten. Die Republik hat seinerzeit den Tag, an dem einst Johannes Hus — unter schnödem Bruch des kaiserlichen Freigeleits— in Konstanz wegen Ketzerei verbrannt worden ist, zum Staats- s eiertag erklärt. Daraufhin war. der Vatikan sehr böse ge- worden, und hatte seinen Nuntius von Prag abberufen, zumal auch eine tschechische antirömische Nationalkirche staatliche Förderung genießt. In den letzten Tagen hat der Vatikan diese Haltung auf- gegeben und sich zum Friedensschluß mit der Republik bereit erklärt.
Die Defatzungsstärte. Heute Ministerrat in Paris . Paris , 19. August.(Eigenbericht.) Heute tagt ein Ministerrat, der in der Frage der Herabsetzung der Rheinlandbesatzung aller Voraussicht nach endgültig entscheiden wird. Die bisher in Deutschland und England veröffentlichten Ziffern gehen aber, dem„Petit Parisien" zufolg«, weit über die Zahl hinaus, um welche die französische Regierung im Einverständ- nis mit dem Generalstab die Truppenbestände herabzusetzen gedeatt. Pariser Blätter nennen 4009 statt 10000! Im Anschluß an den Ministerrat werden Briand und Hoesch den deutsch - französischen Handelsvertrag unterzeich- n e n; die Veröffentlichung des Deriragstextes ist kaum vor September zu erwarten.
Der Kampf um üie Revision. Versagt Mastachnsctts— wird Washington angerufen. Boffon, 19. August. Die Verteidiger don Sacco und Vanzetti erklären, daß für den Fall einer Ablehnung ihrer Anträge durch den Obersten Gerichtshof des Staates Massachusetts der Antrag auf Einforderung der Prozeßakten durch den Obersten Bundes-Gerichts- hof in Washington gestellt werden wird. Darauf werde sich Staatsanwalt Wust mann nach Washington begeben, um beim dortigen Gerichtsarchioar die nötigen Alten zu hinterlegen und wahrscheinlich werde gleichzeitig trotz der in der vorigen Woche durch den Richter Oliver Holmes in Beverly.erjolgten Ablehnung ihres Antrages auf persönliches Erscheinen Eaccos und Danzettis vor dem Richterkollegium ein neuer dahingehender Antrag bei irgendeinem der Obersten Gerichts- höse der Vereinigten Staaten gestellt werden. Es ist nicht bekannt. ob der vollbesetzte Gerichtshof bereits zu einer Entscheidung über die Punkte gekommen ist. die ihm am Dienstag vorgelegt wurden. Der Umstand aber, daß an der heutigen Sitzung vier Richter nicht teilgenommen haben, läßt darauf schließen, daß sie ihre Beratungen abgeschlossen haben und daß dos Ergebnis in wenigen Stunden der Presse bekanntgegeben wird. Derteidi- ger Hill hat heute dem Gerichtshof ergänzende Prozeßakten zu- gestellt zur Entgegnung auf die Argumente, die der Staatsanwalt am letzten Dienstag verlas und mit denen er die Behauptung auf- gestellt hatte, daß der Erlaß zur Bestätigung eines Rechtsirrtume in Fällen, auf die Todesstrafe steh:, durchaus in der Zuständigkeit eines einzelnen Richters liege. Verteidiger Hill erwidert darauf, daß er keinen einzigen Fall finden könne, in dem ein einzelner Richter die letzte Entscheidung über einen Antrag auf Anerkennung eines Rechtsirrtums getroffen habe. Die ergänzenden Prozeßakten erstrecken sich auch auf die Frage der Voreingenommenheit des Richter, Thayer.. öegnaöigungsaktion auch für Maöeiros. Washington , 19. August. Der portugiesische Geschäftsträger ersuchte das Staatsdepartement, die Note des portugiesischen Präsi- Kenten an Coolidge , in der um Begnadigung für den seinerzeit zusammen mit Sacco und Vanzetti zum Tode verurteilten Madeiras gebeten wird, auch dem Gouverneur Füller mitzuteilen. Die portugiesische Note führt aus, daß Portugal die Todes- strafe nicht kenne, und daß die Hinrichtung Madeiras ' böses Blut in Portugal erregen würde. Der Geschäftsträger fügte hinzu, Portugal habe V er tröge mit verschiedenen Staaten, wo- nach Portugiesen nicht zum Tode verurteilt werden könnten. Im Staatsdepartement wurde erwidert, die Note des portugleskschen Präsidenten sei Füller bereits übermittelt worden. Im übrigen hätten die Vereinigten Staaten keinen derartigen Vertrag mit Portugal . Di« Ausländer genössen alle Rechte der amerikanischen Strafprozeß- ordnung. aber sie könnten nicht eine bevorzugte Behandlung bean- spruchen. Der Rechtsbeistand des Madelros, der wegen eines mit der Sacco- und Vanzetti-Angelegenheit n i ch t in Zusammenhang stehenden Mordes zum Tode verurteilt worden war. und mit ihnen htismnrnen hingerichtet werden sollte, hat an das Gouvernements-
sekretariat das Gesuch gerichtet, einen Psychiater mit der Prü- fung zu beauftragen, ob Madeiras geisteskranke Verwandte habe. In dem Prozeß war bezeugt worden, daß feine Familie krank sei und daß er früher an epileptischen Anfällen gelitten hätte. Die Hin- richtung Madeiras war vom Gouverneur mit der Begründung auf- geschoben worden, daß er ein wichtiger Zeuge in der Angelegenheit Sacco— Vanzetti sei. Sowjetrußlanü unü Marokko . Veröffentlichungen des„Matin". Paris , 19. August.(Eigenbericht.) Der„Matin" veröffentlicht angebliche Dokumente über die Tä- tigteit der kommunistischen Internationale in den französischen Ko. lonien, speziell in Marokko , wonach die Moskauer Regierung den Rifkabylen große Unterstützungen an Geld, Waffen und Munition hat zukommen lassen. So wird ein Brief der Komintern vom 4. Januar 1927 veröffentlicht, in welchem diese ihren Vertrauens- mann in London beauftragt, den Rifkabylen 4S00 Gewehr« zukommen zu laffen. Der Vertrauensmann bestätigt diesen Auftrag in einem Brief an den russischen Militärattache in Paris . In einem weiteren Brief vom 16. Januar 1927 teilt Botschafter Kre- st i n s k i in Berlin dem russischen Militärattache in Paris mit, daß er zwei Offiziere, einen Major Jürgens und einen Hauptmann Engelhardt beauftragt habe, deutsch « Spezialoffi- zier« für die Rifkabylen anzuwerben. Diese beiden Offiziere hätten außerdem vom deutschen General st ab inter - essante Mitteilungen über Marokko erhalten. Am 30. Januar 1927 entwirft Kameness aus Moskau für die spanische kommunistische Partei einen aussührlichen Propagandaplan für Marokko , nur die spanische Zone zu desorganisieren. Diese Instruktionen werden aus- führlich in einem weiteren Brief des russischen Militärattaches in Paris an den Delegierten der Moskauer Internationale in Marokko , A r g i a s e f f, bestätigt. Der„Matin" kündigt die Veröffentlichung weiterer Dokumente an und behauptet, es sei nun erwiesen, daß die kommunistische Propaganda und die Sowjetregierung ein und dasselbe und nicht voneinander zu trennen seien.
Die Norütruppen am Iongtsekiang. Sunhatscus Wii»ve organisiert den Abwehrkampf. London , 19. August. Die Nordtruppen haben den Iangtsekiang noch nicht über- schritten, weil die dazu erforderlichen Transportmittel fehlen. Etwa 60 000 Einwohner sind aus der Provinz Tschekiang vor den eindringenden Nordtruppen nach Futschau geflüchtet.— Eine weitere Meldung aus Schanghai besagt, daß unter der Leitung der Witwe Sunyatsens eine dritte national« Division ge- bildet worden fei. Die Angehörigen dieser Division sind Gegner des Tjchiangkaischek und hätten sich zu einem Bündnis mit Ruhland verslichtet. Man erwartet, daß sie einen Handstreich gegen �Kanton unternehmen werden. polnische(Quertreibereien. Vor der Festsetzung neuer Maximalzölle. Wie die polnische Presse mitteilt, beabsichtigt die Warschauer Regierung demnächst eine Verordnung mit neuem Maximal- Zolltarif zu erlassen. Diese neuen 5)öchstzölle können natürlich nur die Länder treffen, mit denen Polen noch keinen Handelsvertrag abgeschlossen hat, sie sind daher insbesondere gegen Deutsch- l a n d gerichtet. Diese Absicht muß gerade im gegenwärtigen Zeit- puntt, wo beide Länder vor der Wiederaufnahmt der Handels- Vertragsoerhandlungen stehen, sehr befremdend wirken. Da die Verordnung erst vier Monate nach ihrem Erlaß in Kraft treten soll, liegt die Vermutung nahe, daß die polnisch« Regierung hiermit einen Druck auf die deutschen Verhandlungspartner ausüben will. Wir sind von jeher für eine wirtschaftliche Verständi- g u n g mit Polen eingetreten. Um so mehr ist von unserem Stand- punkt aus diese polnische Zolloerordnung zu verurteilen, die nur Wasser auf die Mühlen der vertragsfeindlichen Kreise in Deutschland sein wird. Irgendeinen anderen Erfolg kann die Warschauer Regierung von solchen Maßnahmen nicht erwarten.
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Kärnten als öeispiel. Die Volksgemeinschaft der Minderheiten. Von Hermann Wendel . Trotz Dölkerbundgeist und Minderheitenschutz bildet die Behandlung der nationalen Minoritäten eine der wesent- lichsten Gefahrenquellen für den europäischen Frieden. Aber wenn mn 22. August der Minderheitenkongreß in Genf zu- 'ammentritt, kann er wenigstens eine neue Seite im Buch einer Erfolge beschreiben: nilit dem Gesetzentwurf über die lowenische K u l tu r a u t o n o m ie in Kärnten , -»er von allen großen Parteien des Klagensurter Landtags eingereicht wurde und wahrscheinlich noch diesen Herbst unter Dach ustd Fach kommen wird. Rund ein Viertel der Bevölkerung Kärntens war zu Be- nn des zwanzigsten Jahrhunderts slowenisch. Freilich rennte diese Südslawen der Gebirgswoll der Karawanken so gründlich von den Brennpunkten der nationalslorvenischen Be» wegung in Krain , daß sie nur zum geringen Teil nationales Selbstbewußtsein eingesogen hatten und sich willig der mehr oder minder planmäßigen Germanisieruna durch Schule, Ver« waltung, Gericht, und Heer hingaben. Daß auch das wirt- schaftliche Schwergewicht der slowenischen Bezirke Kärntens diesseits der Karawanken in Klagenfurt und Mllach, nicht jenseits der Berge in Krainburg und Laibach liegt, gab bei der Volksabstimmung im Oktober 1920 den Ausschlag, als in der Zone II, in der die Zahl der Slowenen die der Deut- sehen um mehr als das Doppelte übertraf, nur 13 278 Stim- men auf Südslarviien und 22 623 auf Oesterreich fielen. Die vielen Tausend« von Slowenen, die sich damit zu Oesterreich bekannten, sprachen sich damit nicht etwa für das Deutschtum, sondern nur für das ungeteilte Kärnten aus. Obendrein hatten sie das Versprechen der maßgebenden Kärntner Landesbe- Hörden in der Tasche, daß ihr slowenisches Volkstum in der österreichischen Republik besser gewahrt werde als drüben in Slowenien , wo sich der Serbe mit seinem ortho- doxen Glauben und seiner kyrillischen Schrift breitmachte. Vor allem die Sozialdemokratie, die zahlenmäßig stärkste Partei im Lande, drang denn unablässig aus Einlösung jenes Versprechens, und mit ihrer Hilfe kam der Gesetzentwurf vom 14. Juki 1927 zustande, der die B i l d u n a e i n e r s l o w e- nischen Volksgemeinschaft mit öffentlich-rechtlichem Eharakter vorsieht. Jeder volljährige Kärntner Landesbürger darf sich an den letzten vierzehn Tagen jedes Jahres in das slowenische Volksbuch eintragen und wird damit ohne weiteres Mitglied der Gemeinschaft, die aus ihrer Mitte einen Volks- rat von zwölf Mitgliedern wählt. Zu den wichtigsten Rechten der Volksgemeinschaft gehört die Vefugnis, jede Art von Schulen mit slowenischer Unterrichtssprache zu eröffnen und zu verwalten und dafür freiwillige Spenden zu sammeln oder Beisteuern auszuschreiben; das Land Kärn- ten besoldet die Lehrkräfte, die allerdings österreichische Bundesbrüder sein müssen. Die Aussicht führen slowenische Ortsschulräte, die aus den Reihen der slowenischen Schul- gemeinde erkoren werden. Damit ist das Unterrichtswesen der slowenischen Minderheit in Kärnten aus der politischen Sphäre herausgehoben und auf die Grundloge der Selbstver- waltung gestellt.; Freilich findet der Gesetzentwurf bei den Stammes- brüdern der Kärtner Slowenen im Südslawenstaat wenig Beifall. Da die Slowenen zwar der kulturell fortgeschrittenste und geistig regsamste, aber auch, anderthalb Millionen Köpfe zählend, der kleinste aller südslawischen Stämme sind, empfin- den sie Verluste ihres Volkstums besonders schmerzlich, und wenn sie an die Wiedergewinnung der Hunderttausende von Volksgenossen, die 1918 an Italien gefallen sind, wegen der Stärke dieses Staates vor der Hand nicht zu denken wagen, hoffen sie im stillen desto mehr, daß das schwache Oesterreich eines Tages seine Slowenen herausgeben muß. Solchen Wünschen und Erwartungen zieht die Kulturautonomie den Boden unter den Füßen weg, da sie ein gut Stück n a t i o« naler Befriedigung bedeutet und Jrredentagelüst« schwer aufkommen läßt. Auf die schärfste Ablehnung stößt die Einrichtung des einseitigen Nationalkatasters; man glaubt, daß die Furcht vor Terror viele Slowenen von der Eintragung ab- halten werde. In der Tat beherbergt Kärnten eine besonders üble Spielart von Hokenkreuzrüpeln, die den„Windischen" gern die Hölle hcißmachen möchten. Wenn Otto Bauer in seinem Werk„Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemo» kratie " es als unvermeidlich bezeichnet, ,chie freie Nationali- tätserklärung durch ein System von Strafandrohungen gegen den Einfluß der politisch und wirtschaftlich Mächtigen zu schützen", so wäre es sicher ein Verdienst der Kärntner Partei, solche Vorkehrungen in das Gefetz hineinzubriingen. Auch scheint die Erörterung nicht unangebracht, ob in den über- Wiegend slowenischen Bezirken nicht erst die Auflegung eines zwiefachen, eines slowenischen und eines deutschen Volks» registers, den Sinn der freien Nationalitätsbestimmung er- schöpft. Eine weitere Abbröckelung des slowenischen Bevölte- rungsteiles besorgt man trotz der Kulturautonnmie in Laibach um so eher, als die Volkszählung 1880 noch 85 154 Kärntner mit slowenischer Umgangssprache feststellte, 1910 66 602 und 1923 nur mehr 37 224. Gleichwohl widerspricht die national- slowenische Forderung, der Staat solle alle slowenisch Sprechenden mit Zwang der slowenischen Volksgemeinschaft zuweisen, völlig dem Begriff der nationalen Selb st- Verwaltung aus Grund des National-