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fe. 392 44.Jaheg. Ausgabe A r. 200

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Der Vorwärts" mit der illuftrier­ten Sonntagsbeilage Bolt und Zeit" sowie den Beilagen Unterhaltung und Wissen", Aus der Filmwelt", Frauenstimme", Der Kinder­freund"," Jugend- Borwärts", Blid in die Bücherwelt" und Kultur. arbeit" erscheint wochentäglich zwei­mal, Sonntags und Montags einmal,

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Sozialdemokrat Berlin *

Morgenausgabe

Vorwärts

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Anzeigen für die nächste Summer milen bis 4 Uhr nachmittags im Sauptgeschäft, Berlin SW 68, Linden­Straße 3, abgegeben werden. Geöffnet von Uhr früh bis 5 Uhr nachm.

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Sonnabend, den 20. August 1927.

Fernsprecher: Dönhoff 292-297.

Trotz allem: Justizmord!

Letzte Entscheidung: Sacco und Vanzetti sollen hingerichtet werden.

Boston , 19. August.

Der Oberste Gerichtshof von Massachusetts hat die Einwände der Berteidigung gegen die Entscheidungen der Richter Sanderson und Thayer für nichtig erklärt, die Bestätigung des Vorliegens eines Rechtsirrtums abgelehnt und die Berufung Saccos und Ban­zeffis zurüdgewiesen.

Die Verteidiger teilen mit, daß sie sofort bei dem Obersten Ge­richtshof der Vereinigten Staaten Berufung einlegen werden.

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Es ist kaum zu erwarten, daß das Oberste Bundesgericht - selbst wenn es in eine Verhandlung der an ihn zu richten­den Berufung eintritt zu einer anderen Entscheidung ge­langen wird als der Oberste Gerichtshof von Massachusetts . Die gelehrten Richter sehen feine Verlegung des Gesetzes durch die Prozeßführung und Urteilsfällung gegen Sacco und Vanzetti, fie sehen auch die neuen Tatsachen nicht, die die Wie­beraufnahme des Prozesses vorschreiben würden. Wir in Deutschland wissen selbst nur zu genau, und haben es z. B. beim Meineidsprozeß gegen die Bergarbeiter zu Essen schau­dernd. miterlebt, daß die Wiederaufnahme erst nach vielen Jahren durchgesetzt werden konnte, als Ludwig Schröder und seine Kameraden, die Opfer des eidstarken Gendarms Münter, ihre Zuchthausjahre längst verbüßt hatten. Bei Sacco und Banzetti handelt es sich aber um die Strafe, die man nicht übersteht und die darum und wegen der Möglichkeit eines Justizmordes von allen fortschrittlich Gesinnten in der Welt verworfen wird.

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Bersagt auch das Oberste Bundesgericht, so ist das Leben der beiden Verurteilten in das Ermessen des Staatsgouverneurs Fuller gestellt. Wenn er ein Mensch und nicht nur ein Amtsinhaber ist, so muß er sich sagen: Mögen diese beiden selbst den Kassenboten ermordet und beraubt haben sieben Jahre Leben in ständiger Erwartung der Hinrichtung, einmal schon bis zum elektrischen Stuhl geschleppt, mehrmals in die Armesünderzelle gebracht: das ist Strafe genug und über­genug, laßt sie laufen!

Vanzettis Geisteskrankheit ausgebrochen im Totenhause!

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fangenen Sacco, Banzeffi und Madeiros wurden im Laufe des Tages in das Tofenhaus übergeführt. Es wurde erklärt, daß die drei Gefangenen teine Anzeichen einer förperlichen oder geistigen Krankheit aufweisen. Die Polizei hat besondere Bor­jichtsmaßnahmen getroffen, um verbrecherische Anschläge gegen öffentliche Gebäude zu verhindern.

Boston , 19. Auguft. Als Vanzetti heute der ablehnende Bescheid des Obersten Gerichtshofes mitgeteilt wurde, schrie er fort­während: Das wußte ich!" Er habe nach einem Radio fender verlangt, um der Welt seinen Fall schildern zu tönnen. Sacco dagegen nahm die Entscheidung gefaßt auf. Auch er erklärte, er habe eine solche Entscheidung erwartet. Das Effen schob er weg und erklärte, er wolle seinem Sohne einen Brief schreiben.

Appell an Fuller.

New York , 19. August.

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,,, World" bringt einen sech si paltigen Leitartikel, in dem die un stimmigkeiten des Sacco- Banzetti- Prozesses hervorgehoben werden Das Blatt ersucht Gouverneur Fuller um der Ehre Amerikas willen, die Hinrichtung der beiden Berurteilten auf zu schieben, damit dem Fall nicht ein unwiderrufliches Ende gemacht werde. In der New York Times " erscheint als ganzseitiges Inserat ein offener Brief der Zeitschrift New Republic" an den Präsidenten der Havard Universität 20. well, der in dem von Gouverneur Fuller eingefeßten Sonderaus fchuß zur Nachprüfung des Falles den Borsiz geführt hat. Die Zeit schrift ersucht um Aufklärung der in dem Prozeß enthaltenen Wider sprüche und sagt, das amerikanische Bolt tönne die Ber antwortung für die Hinrichtung nicht übernehmen, falls diese Widersprüche nicht aufgeklärt würden.

Borah tut nichts.

Spokane ( Staat Washington ), 19. Auguft. Senator Borah, der Borsigende des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, hat auf die telegraphische Bitte einer wieder Dame, sich des Falles Sacco- Banzetti anzunehmen, weil er inter­nationale Rüdwirtungen haben müsse, geantwortet, er fei bereit, an der Prüfung des Falles mitzuwirken, jedoch dürfe Amerika nicht auf ausländische und heimische Broteste Rücksicht nehmen, sondern lediglich darauf, ob die beiden Angeklagten schuldig oder unschuldig verurteilt worden seien.

Boston , 19. Auguft.

Der Verteidiger Vanzelfis erklärte heute nach seinem Besuch im Gefängnis, fein klient jei wahnsinnig geworden. Die drei Ge­

Preußen und das Schulgesetz.

Umfangreiche Abänderungsvorschläge. Im Preußischen Unterrichtsministerium wird, wie der Soz. Pressedienst" erfährt, eifrig an dem Botum zum Reichsschulgeset gearbeitet, das ziemlich umfang reich ausfallen dürfte und sich nicht nur mit kritischen Be­merkungen begnügen, sondern fast zu jedem Para graphen Abänderungsvorschläge machen wird. Dem Kultusminister, der sich augenblicklich zur Kur in Marien­ bad aufhält, wird die Stellungnahme der Spezialisten in den nächsten Tagen vorgetragen werden. Erst dann wird die Entscheidung fallen, in welcher Form das Votum des Preußi­schen Unterrichtsminifteriums an das Staatsministerium ge langt.

Inzwischen ist die sehr nüchterne Begründung des Reichsministeriums des Innern zu dem Schulgefeßent­wurf, die von den Herren Bellengahr und Dr. Löffler ver faßt ist, den Unterrichtsverwaltungen der Länder streng vertraulich" zugegangen. Es wird wiederholt und nach­drücklichst darum gebeten, die Begründung mit besonde rer Diskretion zu behandeln. Angesichts der Tatsache, daß der Entwurf längst veröffentlicht ist und schon im nächsten Monat den Reichstag beschäftigen soll, ist diese Geheimnis­

tuerei unverständlich.

In unterrichteten Kreisen verlautet ferner, daß die preu­Bische Unterrichtsverwaltung aller Wahrscheinlichkeit nach den verfassungsändernden Charakter des Entwurfes ver. neinen wird, wenn die Vorlage eine Abänderung dahin­gehend erfährt, daß der Gemeinschaftsschule ein ge­wisses Uebergewicht über die anderen Schularten zu­gebilligt wird.

Die Besatzungsstärke. Offizielle britische Mitteilung an die Reichsregierung. Das Reichsaußenministerium ist wie der Soz. Pressedienst" erfährt offiziell davon unterrichtet, daß England der französischen Regierung vor geschlagen hat, die Verminderung der Truppen im beschten

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Gebiet um ein volles Fünftel, d. h. mehr als 10 000 Mann, vorzunehmen. Belgien hat dem englischen Vorschlage nicht widersprochen. Dagegen haben die militärischen Autoritäten Frankreichs dem französischen Ministerrat empfohlen, die Truppenzahl nur um ein 3ehntel des bisherigen Bestandes zu vermindern, da eine weitergehende Herabjegung im gegenwärtigen Zeitpunft mit der Sicherheit Frankreichs nicht zu vereinbaren ist."

Die englische Regierung drängt darauf, daß die Alliierten noch vor der fommenden Völkerbundstagung eine Vereinbarung über die Herabsehung der Besagung treffen und damit die Atmosphäre in Genf im günstigen Sinne beeinflußt wird.

Noch kein Beschluß des Pariser Ministerrats.

Paris , 19. Auguft.( Eigenbericht.) Bahl, um welche die Truppen vermindert werden sollen, entgegen Der heutige Ministerrat hat eine Entscheidung über die den Erwartungen noch nicht getroffen.

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ficht, daß die englische und französische Regierung sich auf eine Jedenfalls besteht nach den Verhandlungen begründete Aus­6000 bis 7000 Mann einigen. Die Zahl der französischen höhere Biffer als die obenbenannte man spricht von etwa Befagungstruppen beträgt gegenwärtig nach amtlicher Angabe 56 500, die der englischen 7300 und die der belgischen 6350 Mann.

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Nanking wird weiter beschossen. Und ein britisches Kriegsschiff getroffen.

London , 19. August.( Amtl. britischer Funkdienst.) Die Nordtruppen haben von Rufau aus in der letzten Nacht Nanting beschoffen. Der britische Torpedobootszerstörer Wivern, der an dem Grundstück der International Export Company festge, macht hatte, um im Notfall die in Nanting anfäffigen Briten zu übernehmen, wurde dabei von Schüssen getroffen. Berlegt wurde niemand. Die Beschädigungen des Schiffes find nicht ernst haft. Die Nordtruppen haben verlangt, daß Nanking binnen 24 Stunden tapituliert; im Weigerungsfall werde die Stadt bom 24 Stunden tapituliert; im Weigerungsfall werde die Stadt bom bardiert werden.

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3 Beftiche fonts: Berlin 87 536 Banktonto: Bank der Arbeiter, Angeftekten wab Beamien, Wallstr. 65: Diskonto- Gesellschaft, Devoktenkaffe Lindenstr.&

Die organisierte Wirtschaft.

Die Kampfverbände der Unternehmer. Bon Otto Suhr .

Das ist das Entscheidende, daß wir augenblidlich in der Periode des Kapitalismus uns befinden, in der im wesentlichen die Aera der freien Konturrenz, in der der Kapitalismus rein durch das Walten der blinden Marktgesetze beherrscht war, überwunden ist, und wir zu einer fapitalistischen Organisation der Wirtschaft tommen, also von der Wirtschaft des freien Spiels der Kräfte zur organisierten Wirtschaft.

Hilferding auf dem Kieler Parteitag.

Nach zweijähriger Pause ist soeben wieder als Sonder heft zum Reicharbeitsblatt das Jahrbuch der Berufs­verbände erschienen. Wir begrüßen die wertvollen Ber befferungen der neuen Auflage, ohne damit sagen zu wollen, daß das Jahrbuch in allen Bunften unseren Wünschen ent­spricht. Wir hätten z. B. lieber gesehen, wenn die Organi­sation der Genossenschaften und Krankenkassen aus dem Ab­schnitt Unternehmerverbände herausgenommen und ausführ= licher für sich behandelt worden wäre. Trog aller Einwände bleibt das Jahrbuch ein außerordentlich wertvolles Madhy schlagewert, das einen interessanten Einblick in die vermir rende Fülle wirtschaftlicher Organisationen gibt.

fationen der Arbeiter und Angestellten, selbst, wenn man gelbe Das Jahrbuch zählt zweihundert gewerkschaftliche Organi­Werksgemeinschaften, syndikalistische und kommunistische Splitterorganisationen, die eigentlich feinen Anspruch auf den Ehrentitel Gewerkschaft erheben fönnen, mit hinzuzählt. Diesen hundert Arbeitnehmerverbänden stehen aber nahezu 2500 fefbständige Unternehmerverbände im Reich und in den. Ländern gegenüber. Selbst. wenn man be­rücksichtigt, daß manche der selbständigen Bezirksverbände den Reichsorganisationen angeschlossen find, so ist die Zahl von 1535 Reichsverbänden immer noch außerordentlich groß. Ulm sich ein flares Bild von dieser Fülle der Unternehmerorgani­fationen zu machen, muß man einmal überlegen, welchen Organisationen der einzelne Unternehmer heute anzugehören pflegt. Auf Grund gesetzlicher Vorschriften gehört jedes Unternehmen zunächst der amtlichen Interessenvertretung, der Industrie- und Handelstam mer an. Daneben wird heute fast jedes Unternehmen Mit­glied eines Fachverbandes sein, wenn nicht gar mehre­schaftspolitischen Rampforganisationen der ren Fachverbänden angehören. Neben diefen Unternehmer, deren Führung in den Händen des Reichsver­bandes der deutschen Industrie liegt, stehen die sozialpoli­tischen Kampforganisationen, die Arbeitgeberver­bände. Wenn es nach dem Willen und den Wünschen der Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände ginge, würde aber jeder Unternehmer nicht einem, sondern drei Arbeitgeber verbänden angehören. Um eine einheitliche Kampffront gegenüber den Gewerkschaften am Ort und in der Branche herbeizuführen, soll sich jeder Arbeitgeber nicht nur einem örtlichen Arbeitgeberverband, sondern auch noch einem selb= ständigen Branchenverband anschließen. damit nicht genug, fordert die Bereinigung deutscher Arbeit­geberverbände ihre Mitglieder auch noch zum Beitritt in den Deutschen Streitschuh e. V. auf.

mirt­

Aber

Alles in allem muß also jeder Unterneh mer nicht weniger als fünf bis sechs wirt. fchaftspolitischen Kampforganisationen an. gehören. Wenn es auch den Arbeitnehmern gleichgültig fein tann, wie fich die Unternehmer organisieren, so darf man doch wohl die, Frage aufwerfen, welche Belastung diese Unzahl von Organisationen für die Gesamtheit der Wirtschaft darstellen. Gewiß find wir mit den Unternehmern der Auf­apparates am besten den Intereffen der Unternehmer dient, faffung, daß gerade die Mannigfaltigkeit des Organisations. ob sie aber auch den Interessen der gesamten Wirtschaft dient, fämpfen seit Jahren gegen die angebliche Belastung ist eine andere Frage. Die Unternehmerorganisationen versicherung. der deutschen Wirtschaft durch die Sozial­üblich geworden, die Gewerkschaftsbeiträge und die gewerk. In manchen Arbeitgebertreisen ist es schaftlichen Einrichtungen zu bekriteln. Aber darf man fragen, was dieser Apparat der Unterneh. merorganisationen die deutsche Wirt­schaft tostet? Man fönnte annehmen, daß die Ber bände, die soviel zur Hochhaltung der Preise beitragen, auch nicht gerade billig arbeiten. Auf jeden Fall wird die Belastung des einzelnen Unternehmens durch diese vielfältigen Abgaben nicht gering sein. Um mur ein Beispiel, allerdings das schwerwiegendste, herauszugreifen. die Streitversicherung im Streitschuh e. V. fostet 0,3 Proz. der jährlichen Lohnfumme. Das bedeutet für ein Unternehmer mit zweitausend Arbeitnehmern bei einem täglichen Durchschnittslohn Don sechs Mart pro Mann einen Jahresbeitrag von 10 800 Mart. Dafür erhält allerdings das Unters nehmen auch bei einem Streit 25 Broz ber ausgefallenen