Abendausgabe
Nr. 393 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 194
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10 Pfennig
Sonnabend
20. August 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Hakenkreuzüberfall auf Arbeiterkinder Der Arzt im Strafvollzug.
Berliner Hitlerbanditen stürmen einen Ferienzug der Arbeiterwohlfahrt.
Erlangen , 20. Auguft.( Eigenbericht.)
Die Nationalfozialisten veranstalteten am Sonntag in Nürn berg einen Reichsparteitag. Schon mehrere Tage vorher hielten sich in der Gegend von Nürnberg Nationalsozialisten, unfugtreibend, auf. So hat eine Berliner Gruppe mit Völkischen aus anderen Orten
einen Ferienzug der Ortsgruppe Erlangen des Vereins Arbeiter- Wohlfahrt", mit dem 530 Kinder fuhren, mit Steinen beworfen und schwarzrotgoldene Fähnchen den Kindern abgenommen,
die sie aus dem Zug flattern ließen. Ferner überfielen die Radaubrüder aus Berlin einen Zivilisten in Erlangen und richteten ihn mit Schlagwerkzeugen derart zu, daß er in bewußlojem 3ustand in das Universitätskrankenhaus aufgenommen werden mußte. Die folgenden völkischen Sittenträger wurden von der Polizei festgenommen:
Wittig, Helmut, verh., Kaufmann in Berlin- Schöneberg , Boßbergstr. Nr. 7.
Roepte, Heinz, led., Kaufmann in Berlin W., Steinmetzstraße Nr. 46.
Gegen die Genannten ist Strafantrag wegen schwerer Körperverletzung erstattet.
Hakenkreuzler überfallen Arbeiterfinder und bewerfen sie mit Steinen! Das ist der Mannesmut dieser feigen Burschen, die laut prahlend sich als deutsche Helden bezeichnen. Vielleicht gehörten die feigen Burschen aus Berlin zu jenem Gefindel, das an der Gedächtniskirche über eine Frau herfiel und sie mißhandelte- ein Duzend feige Burschen gegen eine Frau.
Die völkische Bewegung hat jeden politischen Charakter verloren. Aus einer Bewegung aufgeregter unpolitischer Jünglinge jeden Alters ist sie zu einem Sammelbecken für Strolche geworden, die unter Schwarzweißrot und ,, natio nalen" Gesängen Apachengelüfte austoben.
Banditentum, nicht Politik, das ist der Geist der Nationalsozialisten! In Essen : 45 Grabsteine auf einem jüdischen Friedhof zertrümmert. In Hannover : nachts ein Auto überfallen, Chauffeur und Fahrgäste verletzt. In Harzburg : Landfriedensbruch begangen, Einwohner und Kurgäste überfallen. Und nun: in Erlangen Arbeiterfinder überfallen und mißhandelt.
Das ist die Bilanz von zwei Tagen.
nur möglich, weil Polizei und Justiz vollstän Diese Ausschreitungen der Strolche vom Hakenkreuz sind dig versagen. Der Anführer der Berliner Hakenkreuzbanditen, ein gewisser Goebbels, ist nach der Lichter felder Bahnhofsschlacht und den Ueberfällen im Berliner Westen aus Berlin verschwunden. Ungehindert darf er sein Handwerk in anderen deutschen Städten weitertreiben.
Die Hauptschuld trifft die bayerische Regierung. Sie den sammelt, fie duldet, daß er und seine Leute in Wort und duldet, daß Hitler nach altgewohnter Manier seinen BanSchrift Pogromhete treiben, sie duldet, daß die Hitler - Banditen offenkundig Landfriedensbruch begehen.
Die Richter aber, die Hakenkreuzburschen mit Milde behandeln, begünstigen geradezu die Ausbreitung dieses Banditismus.
Hitler und die Seinen- das ist ein polizeiliches Problem. Das Problem, wie die Bevölkerung vor tätlichen Angriffen einer zu diesem Zweck organisierten Bande geschützt werden kann. Bersagt die Polizei, so bleibt der Bevölkerung nur die Selbsthilfe, wie sie jedem Strotch gegenüber geboten ist, der einen Ueberfall auf offener Straße versucht.
Ueber sämtliche oftamerikanischen Städte und Chicago ist der fleine" Belagerungszustand verhängt worden. Urlaub an Polizisten wird nicht mehr bewilligt. Sämtliche öffentliche Gebäude stehen unter verstärktem Polizeischutz. In Chicago wurden bekannte Radikale unter besondere Polizeiaufsicht gestellt. Far Sonntag und Montag werden Demonftrationen zugunsten Saccos und Banzefis erwartet. Die Polizei hat a- weisung erhalten, die Demonftranten fofort zu 3erffreuen, wenn Ausschreitungen zu befürchten find.
Man glaubt, daß die Verteidigung Saccos und Banzeffis ein Gnadengesuch einreichen wird, das sich auf die Unzurechnungsfähigkeit der Berurteilten stüßt. Die Presse tritisiert vielfach die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von Massachusetts, jedoch nicht etwa aus Sympathie mit den Berurteilten.
Boston, 20. Auguft.
Wie die Verteidiger in später Nachtſtunde bekanntgeben, ist einer der Verteidiger, Richard Evarts, auf die Sommerbefizung des Richters Morton vom Bundesappellationsgericht gefahren. Er beabsichtigt, Richter Mortan zum Eingreifen zu veranlassen, damit er den Befehl erläßt, Sacco und Vanzetti dem Appellationsgericht vorzuführen, womit gleichzeitig die vorläufige Hin ausschiebung der Hinrichtung verbunden wäre.
Boston, 20. Auguft.
Zu der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes wird ausgeführt: Der Antrag auf einen neuen Prozeß ist zu spät gekommen, da das Urteil bereits verkündet war. Weder der Richter noch einer feiner Beifizer, haben die Befugnis, einen Antrag auf Zurüdnahme eines Urteiles zu bewilligen. In bezug auf das Ersuchen auf Erlaß eines Revisionsedittes fagt die Entscheidung: Die gesetzlichen Bestimmungen find flar und müssen dahin ausgelegt werden, daß der Erlaß eines Revisionsergebnisses in der Hauptsache im freien richterlichen Ermessen eines Einzel. richters liegt, dem das Ersuchen vorgelegt wird. Das Ersuchen ist mit Recht abgelehnt worden, weil nach gemeinem Recht der Erlaß eines solchen Revisionsediktes hinfällig geworden ist, im Hinblick auf den ausdrücklichen Zweck des Gesetzes, wie er in den Statuten offenkundig gemacht ist.
Auf den ersten Blick zeigt schon diefer kurze Auszug die großen Berschiedenheiten zwischen dem Strafprozeßrecht drüben und bei uns. Wenn in Deutschland ein Strafprozeß in der Berufungsinstanz rechtsEräftig entschieden ist, gibt es nur die Möglichkeit der Revision, über die das Reichsgericht entscheidet oder die der Wiederaufnahme,
worüber dasselbe Gericht befindet, das geurteilt hat. Die Revision tann nur auf gefezwidrige Prozeß führung gestüzt werden, die Wiederaufnahme nur auf wichtige neue Tatsachen, die erst nach dem Urteil zutage getreten sind. In beiden Fällen kann in Deutschland niemals ein Einzelrichter entscheiden.
Die neue Protestwelle. Entrüftung über das Erkenntnis von Massachusetts.
Paris, 20. Auguft.( Eigenbericht.) Die Morgenblätter spiegeln die allgemeine Enfrüftung über die grausame Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Massachusetts wider. Biele Proteftfundgebungen werden angekündigt. Sofort nach der Entscheidung hat die französische Regierung die ameritaniiche Botschaft durch mehrere Hundert Mann berittener Polizei und republikanischer Garde absperren lassen. In Nancy war gestern eine Kundgebung für Sacco und Vanzetti. Da man nach der Auffindung einer Bombe vor dem italienischen Konsulat Unruhen befürchtete, waren starte polizeiliche Kräfte aufgeboten worden, die jedoch nicht einzuschreiten brauchten. In Tours faßte der Stadtrat den Beschluß, der amerifanischen Botschaft ein Telegramm zu fenden, worin gegen die Hinrichtung protestiert wird. Der Bürgermeister von St. Pierre hat eine folche Depesche bereits abgesandt.
Mailand, 20. Auguft.
Die Ablehnung der Berufung der Verteidiger von Sacco und Banzetti und die Ueberführung der Verurteilten in die Toten3elle hat in Italien tiefen Eindruck gemacht, da man allgemein der jüngste Aufschub sei für die Unglücklichen im Grunde nur eine eine Begnadigung erwartet hatte. Der„ Corriere della Sera" sagt, neue Grausamteit gewesen. Von einer Berufung an das Oberste Bundesgericht sei wenig zu erhoffen.
Der Allgemeine Deutsche Beamtenbund an Shurmann.
Folgendes Telegramm ift der Botschaft der USA. in Berlin zugegangen:„ Der Allgemeine Deutsche Beamtenbund, Ortsausschuß Berlin, erhebt entschieden Einspruch gegen die Hinrichtung von Sacco und Banzetti. Nach den bekannten Tatsachen steht fest, daß fie unschuldig find. Der obige Ortsausschuß müßte eine Hinrichtung als einen Justiz mord ansehen. Feierabend. Senger."
Auch fonft find zahlreiche Proteste an die Botschaft gelangt. Montag Proteststreit in New York. New
York, 20. Auguft. Die New Yorker Arbeiterorganisationen haben ihre Mitglieder aufgefordert, am Montag um 3 Uhr zum Zeichen des Protestes gegen die Hinrichtung Saccos und Banzettis ia den Streit zu treten,
Ein ärztliches Wort zum neuen Strafvollzugsgeseh. Bon Dr. Arthur Mayer.
Die Erörterungen über das neue Strafpollzugsgesetz, die im Vorwärts" begonnen haben, brachten uns eine Fülle von Zuschriften ein. Wir geben hier einem Arzt das Wort zu dem allgemein interessierenden Thema. Red. d. V."
Das neue Strafvollzugsgesetz, das jetzt dem Reichsrat sich, den Strafvollzug im gangen Deutschen Reich zu vereinvorliegt, ist zweifellos ein bedeutender Fortschritt. Es bemüht heitlichen und ist von einem Geiste schöner Menschlichkeit erfüllt. Es wird aber alles darauf ankommen, ob dieser Geist auch wirklich in Zukunft in allen Strafanstalten zu spüren sein wird. Mit Recht sind von Felix Fechenbach im Vorwärts" erhebliche Bedenken geäußert worden, ob pädagogisch oder psychologisch geschulte Strafanstaltsbeamte vorhanden sein werden, die darüber zu entscheiden vermögen, ob wirkung zugänglich ist, oder ob er nach§ 161- Dom und in welcher Form der Rechtsbrecher erzieherischer EinStufenstrafvollzug auszuschließen ist, weil er unverbesserlich" ift.
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beamten selbst sind ernste 3weifel aufgetaucht, ob die bisAuch in den Kreisen der Strafvollzugsherige Vorbildung der Strafvollzugsbeamten ausreicht, und ob nicht insbesondere von den Strafanstaltsleitern ein Denn in allen europäischen Rechtskreisen besteht, wie der Bildungsgang zu fordern ist, den es bisher gar nicht gibt. Marburger Kriminalpsychologe Prof. Mezger dargelegt hat, eine Bewegung, die sich bemüht, die objektive Tatstrafe mit einer vermehrten Würdigung des rechts= brechenden Subjektes zu verknüpfen. Auch in den Vorschriften des allgemeinen Teiles des neuen deutschen Strafgesehentwurfes kommt die Persönlichkeit des Täters in weitem Umfange zu ihrem Rechte. Ebenso bemüht fich der Entwurf des Strafvollzugsgefeges, die Persönlichkeit des Täters einigermaßen zu erfassen und in ihm ein gewiffes Strafbewußtsein zu erwecken. Schon dieſe Würdigung des Rechtsbrechers erfordert, wie ein so erfahrener Strafvollzugsbeamter, wie Dr. Keulers in Münster in Westfalen vor kurzem dargelegt hat, eine ethische und geistige Umstellung der Strafanstaltsleiter. Man kann behaupten, daß gerade dem Juristen, besonders dem von der Staatsanwaltschaft kommenden, mit der unbeugsamen Strenge des Gesetzes innerlich verwachsenen, diese Umstellung am schwersten fällt." Auch das, was Fechenbach im„ ,, Borwärts" sagt, ist vollkommen richtig: Gerade bei politischen Straftaten, bei den sogenannten Ueberzeugungsverbrechern, wird es sehr schwer sein festzustellen, ob sich Anzeichen dafür ergeben, daß der Gefangene erzieherischen Einwirkungen zugänglich ist." Der Verbrecher aus, achtenswerten" Beweggründen wird oft genug als unverbesserlich" gelten, wenn litischen Ueberzeugung verharrt! er, trog aller erzieherischen" Einwirkungen bei seiner po=
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Welcher Art sind nur überhaupt diese erzieherischen Einwirkungen"? Zweifellos, es gibt Strafanstaltsleiter, die von höchstem Idealismus erfüllt sind, es gibt Strafanstaltsgeistliche und-lehrer, die prachtvolle Menschen sind, die ihres Amtes mit äußerstem Pflichtbewußtsein walten und ihre ganze Pädagogik erschöpfen, um den Gefangenen zu ,, bessern". Aber die Statistik und die Erfahrung des täglichen Lebens zeigt, wie wenig Erfolg alle diese Bemühungen haben. Gerade der Verbrecher, der dieser erzieherischen Einwirtung am notwendigsten bedarf, wird, wenn er entlassen ist, wieder feiner Hemmungslosigkeit erliegen und, wenn er als Straf entlassener" vergeblich Arbeit und Brot fucht, wieder ein Opfer seiner unglücklichen verbrecherischen Veranlagung. Selbst die besten Pädagogen werden überdies oft genug auf einen Erfolg ihrer erzieherischen Einwirkungen verzichten müssen, weil die Arbeit in den Strafanstalten, die ja heute immer noch als das wirffamste Mittel gilt, um den Rechtsbrecher wieder in die„ Gesellschaft" zurückzuführen, alle erzieherischen Bemühungen- vereiteln muß. Solange immer noch, wie vor hundert Jahren Tüten geklebt und Matten ge= flochten werden, solange immer noch in ungefunden Räumen eine geiſttötende, einförmige Handarbeit gefordert wird, oder folange an unmodernen Maschinen gearbeitet werden muß, die von der Industrie längst zum alten Eisen geworfen sind, müssen. wird die erzieherische Einwirkung oft genug erfolglos bleiben
Ganz finnlos ist es natürlich, bei politischen Verbrechern, die aus„ achtenswerten Beweggründen" gehandelt haben, Der Ueberzeugungsverbrecher wird wohl in den allermeisten von sogenannten erzieherischen Einwirkungen zu sprechen. Strafanstaltsleiters, noch durch den milden Zuspruch eines Fällen, weder durch die Feldwebelstrenge eines schneidigen Geistlichen gebessert"; er bleibt im Sinne des§ 161,, unverbefferlich", weil eine Erziehungs- und Befferungsarbeit im Strafvollzug in Stufen vergeblich sein wird".
Der Arzt, der Gelegenheit hat, oft Strafentlassene zu sehen, wird immer wieder er schüttert sein, wenn er einen törperlichen und seelischen Verfall feststellen muß, der den Strafentlassenen oft genug gar nicht befähigt, wieder den doppelt schweren Kampf um das tägliche Brot aufzunehmen. Der Arzt weiß, daß dieser unglückliche Mensch, der durch seine Straftat gebrochen ist, wieder zum Verbrecher werden muß, weil er trotz aller erzieherischen Einwirkung" im Kampfe um das tägliche Leben verloren ist. Der Arzt macht auch immer wieder die Erfabruna, bak aman mit allons