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Abendausgabe

Nr. 395 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 195

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610 Pfennig

Vorwärts

Berliner   Volksblaff

Montag

22. August 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit bis 5 Uhr Berleger: Vorwärts- Berlag GmbH. Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-29T

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Hinrichtung drei Minuten nach Mitternacht

Der letzte Tag für Sacco und Vanzetti.- Proteststurm in der ganzen Welt.

Boston  , 22. August.

Der Gefängnisdirektor erklärte, daß alles für die Hinrichtung Sacco und Vanzettis bereit ist. Der Scharfrichter ist heute früh hier eingetroffen und hat die elektrischen Vorrichtungen einer Prüfung unterzogen. Die Hinrichtungszeugen find dahin be­nachrichtigt worden, daß die Hinrichtung des ersten Verurteilten drei Minuten nach Mitter­nacht vor sich gehe.

Am Tage der Hinrichtung.

Die Proteste Europas   werden drüben wohl vernommen. New York  , 22. Auguft.

In letzter Stunde!

Proteft des Baugewerksbundes.

Frankfurt   a. M., 22. Auguſt.( Eigenbericht.)

Die am 20. und 21. August d. I. in Frankfurt   a. M. tagende Bezirksfonferen 3. für Hessen- Nassau  , Bolksstaat Hessen und Grenzbezirke des Deutschen Baugewertsbundes erhebt flammen. den Protest gegen die Möglichkeit des Juftizmordes an Sacco und Vanzetti. Die Delegierten fordern sofortige Befreiung aus der qualvollen Kerferhaft.

Kundgebung in Boston  . Rüstungen der Polizei.

New York  , 22. August.

Trok polizeilichen Verbots demonstrierten in Boston  20 000 Personen für Sacco und Vanzetti. Die Menge wurde Die gesamte amerikanische   Preffe befaßt sich mit dem Schicksal schließlich durch berittene Polizei auseinandergetrieben.- Saccos und Vanzelfis und bringt wie vor 14 Tagen wieder ein- Im Gefängnis von Charlestown werden zurzeit alle Maßnahmen gehende Schilderungen einheimischer und ausländischer Protest- getroffen, wie vor dem durch den Gouverneur Fuller gewährten aktionen. Für New York  , Boston   und Philadelphia   find am Strafaufschub. Die Mauern des Gefängnisses sind mit heutigen Montag größere Streits im Bereich der Möglichkeit. Maschinengewehren besetzt. Bedeutende Polizeifräfte be­Ueber ihren Umfang läßt sich jedoch noch nichts Bestimmtes sagen. wachen die Umgebung. Scheinwerfer sind aufgestellt worden, Sämtliche New Yorker Blätter veröffentlichen heute vor­um ein Herannahen von Manifestanten festzustellen. mittag unter der Ueberschrift Rechtsverweigerung in Massachusetts  " ein Gedicht von Edna Saintvincent Hillay, der Verfasserin des Textes der im vergangenen Winter in der Metro­politanoper aufgeführten Oper Des Königs Lehensmann".

New York World" tritt in einem längeren Leitartikel für die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslängliches Zucht­haus ein. New York Times  " bespricht die Gründe, die das Oberite Bundesgericht an einem Eingreifen verhindern und befürwortet gleichzeilig, den Verurteilleen gegenüber milde walten zu lassen. New York Tribune  " empfiehlt Fuller, in die Geheim aften des Juftizminifteriums in Washington   Einsicht zu nehmen.

Die höchsten Richter alle gleich unbarmherzig. Boston  , 22. Auguft.

Der Richter Brandeis vom Obersten Bundesgerichtshof der Bereinigten Staaten, auf den die Berteidiger Saccos   und Vanzettis die letzte Hoffnung gefeht hatten, hat die Berufung abgelehnt und gleichzeitig einen neuen Strafaufschub verweigert. Er erklärte, feine Intervention sei unangebracht, da mit. glieder seiner Familie sich für das Schicksal der beiden Berurteilten interessiert hätten und infolgedeffen der Eindrud entstehen könnte, daß er ihrem Einfluß nachgegeben habe. Der Ber­teidiger Hill ist daraufhin im Auto nach dem Staate Maine   ge­fahren, um einen neuen Appell bei einem anderen Mitglied des Bundesgerichtes, den Richter Stone, einzubringen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß Hill diesen Richter noch vor Montagnacht crreichen fann.

Expräsident Taft angerufen.

New York  , 22. Auguft.( TU.) Die Anwälte haben sich telephonisch an den in Kanada  weilenden Borsigenden des Oberbundesgerichts, Taft, ge­wandt, um ihn zu einer Besprechung über die Verschiebung der Hinrichtung zu veranlassen. Taft erklärte, schlecht verstehen zu können, die Anwälte sollten ihm telegraphieren. Ferner fragte er, warum die Verteidiger sich nicht an die übrigen Richter des Supreme Court   gewandt hätten, worauf ihm die Antwort wurde, daß dies bereits hinsichtlich Brandeis' und Holmes' geschehen

Generalstreik in Mexiko   angekündigt.

Megito- City, 22. Auguft.( Eigenbericht.)

Der merikanische Gewerkschaftskongreß wurde am Sonntag in Gegenwart von 1757 Delegierten eröffnet. Er fandte an das höchfte amerikanische   Gericht einen Proteft gegen die Hinrichtung und beschloß einstimmig für ganz Merito einen Generalftreit, falls das Urteil ausgeführt wird.

Die britische   Arbeiterschaft beschwört Fuller.

Condon, 21. Auguft.( Eigenbericht.)

Am Wochenende war in Großbritannien   eine große Anzahl von Demonstrationen gegen die Hinrichtung von Sacco und Van­zetti, welche in der Kundgebung am Sonntagnachmittag im Lon­ doner   Hydepart gipfelten. Der Vorsitzende der Gewert­schaften, id 3, und der Vorsigende der Arbeiterpartei, Roberts, haben im Namen der gesamten britischen   Arbeiterbewegung folgende Botschaft an Gouverneur Fuller gerichtet:

" Die britischen   Gewerkschaften und die britische   Arbeiterpartei bitten Sie dringend, angesichts der verlängerten Leiden unter dem Todesurteil, Milde gegenüber Sacco und Vanzetti walten zu lassen. Die Lage der beiden Verurteilten hat Mitleid und Mitgefühl in den Herzen von Millionen arbei. tender Menschen erregt, die feineswegs Mord und Gewalt­tätigteit billigen oder die amerikanische   Justiz in ungerechter Weise tritifieren wollen. Das Prestige Ameritas wird im Bewußt­sein der Welt keine Einbuße erleiden, wenn angesichts der weit verbreiteten Zweifel an der Gerechtigkeit dieser Verurteilung Gnade gewährt wird. Wir beschwören Sie im Namen der Menschlichkeit, diese beiden Märmer zu befreien."

Der Führer der Arbeiterpartei im Unterhaus, Macdonald, hat folgendes Telegramm an Fuller gesandt:

Die ganze Angelegenheit ist unsäglich entseglich. Ich hoffe noch jetzt, daß dem guten Namen Ameritas das Grauen dieser Hinrichtung erspart bleiben wird."

Zusammenstöße in Frankreich  .

Paris  , 22. August.( Eigenbericht.)

In zahlreichen Städten Frankreichs   gab es am Sonnabend und Sonntag große Protesttundgebungen. In Paris   hatten sich etwa sondere Zwischenfälle. Dagegen tam es in anderen Städten teil­weise zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei. In Marseille   wurde dabei ein Arbeiter durch einen Schuß getötet, in Le Havre   tam es bei einer Versammlung unter freiem Himmel inmitten der Stadt, die die Stadtverwaltung verboten hatte, zu regelrechten Straßenfàmpfen, wobei 25 Personen, darunter 5 Polizeibeamte, schwer verletzt wurden.

50 000 Teilnehmer eingefunden; die Veranstaltung verlief ohne be­

Kundgebungen in Holland  .

Amsterdam  , 22. Auguft.( T.)

Bei strömendem Regen wurden die Versammlungen für Be freiung Saccos und Banzettis in Rotterdam   und Amsterdam   abge halten. In Rotterdam   wurde ein Protesttelegramm an Gouverneur Fuller abgesandt. Kommunisten, die nach der Beendigung der Ver­sammlung in Amsterdam   einen Demonstrationszug durch die Straßen der Stadt versuchten, wurden von der Polizei ausein­andergetrieben.

Arbeitspause in Norwegen  .

Oslo  , 22. Auguſt. 1

Der Spizenverband der norwegischen Arbeiter hat beschlossen, daß am Montag um 11 Uhr auf 5 Minuten die Arbeit eingestellt wird, um für Sacco und Vanzetti zu demonstrieren.

Das Justizamt entschuldigt sich.

New York  , 22. August.( Eigenbericht.) Das Bundesjustizamt in Washington   betont in einer Erflärung zur Aufklärung des Auslandes, daß die Rechtspflege außer im Post- und Münzwesen den einzelnen Staaten zustehe, und daß daher weder die Bundesregierung noch das Juſtizamt oder der Präsident der Vereinigten Staaten   imftande seien, im Falle Sacco und Vanzetti einzugreifen oder die beiden zu begnadigen. Die Verteidiger haben mit dem Justizminister eine dreistündige Unterredung gehabt und sich telegraphisch an Präsident Coolidge  gewandt, wahrscheinlich, um die( bereits einmal abgelehnte) Ver­öffentlichung der Akten des Justizamtes über den Fall Sacco­Vanzetti zu erreichen, die eine verfassungswidrige Beein­fluffung der Justiz von Massachusetts   von Washington   her beweisen sollen.

400 Hakenkreuzler festgenommen.

fei. Einer der Berteidiger hat sich zu Taft begeben, um ihn noch. Das Berliner   Polizeipräsidium greift zu. Die Banditen von Erlangen   in

mals   persönlich zu sprechen.

Doch noch Aufschub?

London  , 22. Auguft.

Nach einer New Yorker Meldung des Daily Telegraph  " hält Nach einer New Yorker Meldung des Daily Telegraph  " hält man es dort für wahrscheinlich, daß Gouverneur Fuller Sacco und Vanzetti eine neue Frist gewähren wird. Präsident Coolidge   werde vielleich die Forderung auf Gewährung einer neuen Frist stellen.

600 000 Unterschriften.

New York  , 22. August. Unter den zahlreichen von der Presse veröffentlichten Protesten ist der bemerkenswerteste ein von 600 000 Personen aller Berufs­tlassen aus fast allen Staaten unterschriebener Protest. Professoren, Pädagogen, Publizisten, Sozialpolitiker und Gewerkschaftler haben ihren Namen unter diesen Protest gesetzt, darunter die Professoren Commons( Universität Wisconsin  ), John Dewey  ( Columbia- Universi­tät), ferner Professoren von 12 anderen Universitäten, darunter von Harvard   und Yale  , außerdem Jane Addams   Villard, Herausgeber der Zeitschrift ,, Nation  ", und Chamberlin, Chefredakteur einer Zei tung in Boston  .

Unter den von der Presse veröffentlichten Protesten befindet sich auch das Telegramm einer Börsenfirma, die ausdrücklich hervorhebt, daß fie langfristige Bonds verkaufe und darum staatserhal­tend sei. Gerade in dieser Eigenschaft aber halte sie es für ihre der Schaffung roter Märtyrer zu

warnen

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Teltow   zwangsgestellt. Auf 36 Lastautos nach Berlin   transportiert.

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Die Berliner   Hakenkreuzbanditen, die in Erlangen   ein Schlagring, ein Stahlfnüppel, ein Spaten, ein Beil und eine überfallen haben, find heute morgen von der Berliner  einen Kinderzug der Arbeiterwohlfahrt feige Polizei zwangsgestellt worden.

Es handelt sich um eine bewaffnete Bande von über 400 Burschen, die trotz der polizeilichen Auflösung der Ber­ liner   Ortsgruppe der Nationalsozialisten wahrscheinlich im Geheimen die Organisation fortsetzen.

Bon den Zwangsgestellten werden zurzeit noch etwa 300 im Polizeipräsidium festgehalten und eingehend verhört.

Das Polizeipräsidium teilt mit: Auf der Fahrt zur Nürnberger   Bundestagung haben Angehörige der Berliner   National­ sozialistischen   Deutschen   Arbeiterpartei Gewalttätigkeiten begangen, die zu der Befürchtung Anlaß gaben, daß es bei ihrer Rückkehr von der Tagung zu ähnlichen Ausschreitungen in Groß­Berlin fommen fönnte, wie im Mai dieses Jahres in Groß­Lichterfelde, zumal dort bereits vor der Abfahrt am Freitag­abend Zusammenstöße mit Andersdenkenden stattgefunden hatten.

Der Sonderzug, der die Nationalsozialisten von Nürnberg  nach Berlin   brachte, wurde daher am Montagmorgen bei seinem Aufenthalt auf der Station Teltow   kontrolliert. Dabei wurden im Bug gefunden: zwei Dolche, ein feststehendes Messer, ein Totschläger,

wurden zwangsgestellt und zu weiterer Untersuchung auf Waffen Alarmpistole. Die Fahrgäste des Zuges, sämtlich Nationalsozialisten, in den mitgeführten Tornistern und auf Papiere, die auf Fortsetzung der verbotenen Ortsgruppe Groß- Berlin der Nationalsozialistischen  Deutschen   Arbeiterpartei hindeuteten, dem Polizeipräsidium zu­geführt. Es handelt sich insgesamt um 435 Personen, von denen die Mitglieder nichtberliner Ortsgruppen dieser Partei wieder ent­laffen wurden."

Da der Zug aus bahntechnischen Gründen auch am Stellwert Großbeeren  , etwa 8 Kilometer von Teltow   entfernt, gehalten hatte, waren hier bereits einige Teilnehmer an der Fahrt aus= gestiegen. Es wurden daher auf der Straße Großbeeren  - Teltow  noch insgesamt elf Personen zwangsgestellt und ebenfalls dem Polizeipräsidium zugeführt. Die Durchficht nach Waffen und Papieren und die Vernehmung der eingelieferten Na­tionalsozialisten ist zurzeit noch im Gange.

36 Laftautos voll Hakenkreuzbanditen. Leitung von Oberst Heimannsberg  . Die Zwangsgestellung erfolgte durch 250 Schutzpolizisten unter Die Hakenkreuzbanditen wurden auf 36 Lastkraftwagen verladen und in langem Zuge, von Polizeiüberfallwagen esfortiert, von Teltow   nach Berlin   transpor tiert. Die Festgenommenen waren in der Hauptsache junge Burschen,