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Abendausgabe

Nr. 39944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 197

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10 Pfennig

Mittwoch

24. August 1927

Vorwärts=

Berliner Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Sturm in Paris .

Kämpfe auf den Boulevards.- Barrikaden gegen Polizei.

Paris , 24. August.( Eigenbericht.) Obwohl der Polizeipräsident alle für den Dienstag abend an­gesetzten Kundgebungen verboten hatte, folgten ungeheure Menschen­massen, deren Zahl auf über hundertausend geschätzt wird, dem Aufruf der Sozialisten, Kommunisten und der Gewerkschaften zum Protest gegen die Hinrichtung von Sacco und Banzetti. Die Polizei erwies fich zunächst als viel zu schwach dieser Menschenmenge gegen­über. Sehr bald kam es zu Zusammenstößen, als die Polizei den Demonstranten den Weg zum Generalkonsulat der USA . versperren wollte. Gegen 10 Uhr abends drang die Polizei, durch republikani­sche Garde verstärkt, mit außergewöhnlicher Rücksichts= losigkeit vor, um die Sfraßen einschließlich der Kaffee= hausterrassen menschenleer zu machen. Es gab auf beiden Seiten zahlreiche Verletzte. Auch viele Gäste der Cafés wurden ein Opfer der Polizeiwillkür und erlitten schweren Schaden. Die Cafés schlossen. Die Menge wurde von den großen Boulevards in die Seitenstraßen abgedrängt. Die nordamerikanische Botschaft war von über 5000 Polizei beamten mit Gewehren in einem Umkreis von einem Kilo meter abgesperrt. Die Bewegung nahm auf den großen Boulevards ihren Ausgang. Dort hatten sich etwa 10 000 völlig harmlose Manifeftanten gegen 9 Uhr abends eingefunden, als plötzlich ohne irgendwelche Herausforderung die Polizei in außerordentlich brutaler Weise gegen sie vorging. Im Nu waren die Kaffeehausterraffen überfüllt. Frauen und Kinder wurden zu Boden geworfen und mit Füßen getreten. In zahlreichen Kaffeehäusern wurden dann auch duch Demonstranten Fenster zertrümmert, großer Materialschaden und Panik angerichtet.

In der Zwischenzeit aber sammelten sich Kommunisten besonders auf dem Montmartre und in den Champs Elyses, wo sie vor­drangen. Auf dem Montmartre überfielen etwa 600 das Varieté ,, Moulin rouge" und zertrümmerten seine ganze Ausstattung, die großen Spiegelscheiben wurden durch Revolverschüsse und Steinwürfe völlig zerstört. Auch in den großen Hotels fam es zu wüften Szenen, so wurden die Hotels Carlton, Chambord und mehrere große Kaffeehäuser der Champs Elysés überrannt und schwer be­schädigt. 3 ahlreiche Gäste wurden durch Würfe mit Flaschen und sonstigen Gegenständen verlegt.

Auf dem Boulevard

Sebastopol hatten andere Manifestanten Straßenbahnwagen umgeworfen und daraus eine Barrikade errichtet, die sie über eine Stunde lang gegen die anlaufende Polizei erfolgreich verteidig­ten. Die Fenster großer Geschäfte und Raufhäuser wurden von den Manifestanten auf ihrer Flucht vor der attackierenden Polizei zer­trümmert, besonders hat das Warenhaus Botin gelitten, dessen Aus­lageninhalt auf der Straße herumgeschleudert wurde. Die Zahl der Verwundeten auf beiden Seiten ist außerordentlich groß, man schätzt die Zahl der verwundeten Polizisten

auf 200.

200 Verhaftungen wurden vorgenommen.

Die gemäßigte Linkspreffe protestiert heute energisch gegen die Haltung der Polizei.

"

Das Deuvre" spricht von unnötiger Brutalität und bringt einen Bericht eines Redaktionsmitgliedes, der als Augenzeuge den Mißhandlungen Don Raffeehausgästen, Frauen und Kindern durch die Polizei beiwohnte. Das Gewerkschaftsblatt Peuple" überschreibt seine Meldung Die Bolizei hat mit unerhörter Brutalität die Manifestanten zerstreut". Das Blatt schildert Fälle unglaublicher Ausschreitungen von Polizisten. Der sozialistische" Bopulaire" beglückwünscht den Polizeipräfekten, daß man, um die Ordnung zu retten, U nord. nung organisiert habe. Die Polizei sei ohne jede Aufforde rung zur Räumung der Straßen losgegangen. Baris Matinal" teilt mit, daß die Polizei weder die Ausweise der Pressevertreter noch die von der Polizeipräfeftur für die Journaliſten ausgegebenen Ab­zeichen beachtet habe. Ein Redaktionsmitglied des Blattes sei von der Polizei mit Ohrfeigen und Faustschlägen be= arbeitet worden. Auf seinen Protest erklärten ihm die Beamten: Wir pfeifen auf die Presse!"

uch andere Redaktionsmitglieder seien mißhandelt worden. Der " Rappel" veröffentlicht einen Protest gegen die nicht zu recht= fertigenden Brutalitäten der Polizei, denen trog ihrer Presseausweise zwei Redaktionsmitglieder des Blattes zum Opfer

gefallen find.

bergits konnte der besondere polizeiliche Ordnungsdienst wieder auf­gehoben werden. Was die Sachschäden betrifft, so find fie in den Champs Elisées wenig bedeutend; es handelt sich dort zumeist nur um zerbrochene Fensterscheiben. Auf den äußeren Boulevards jedoch sind die Schäden beträchtlich. Journal" berichtet, daß Manifestanten das Grab des unbekannten Soldaten unter dem Triumphbogen bespuckt hätten.

Nicht alle dürfen protestieren. Nur die, die nicht Gesinnungen verfolgen.

Paris , 24. August.

Zur Hinrichtung Saccos und Banzeffis und zu den Pariser Kund­gebungen schreibt das offizielle Organ der sozialistischen Partei, der Populaire": Sacco und Vanzetti sind gestorben, nicht weil fie schuldig waren, sondern weil sie anarchistische Tendenzen vertraten; Tatschento, Boris Stefanoff und viele andere starben in den Gefänngiffen auf dem Balkan , weil sie kommuniffen waren; Taufende von russischen Sozialisten find gestorben oder sterben langfam in den Gefängnissen der Boliche­wisten wegen ihrer sozialistischen Weltanschauung; Tausende von Unschuldigen kommen in Italien um, weil sie sich weigern, sich dem Faschismus anzuschließen. Wer diese Verbrechen duldet, hat nicht das Recht, gegen das Verbrechen von Boston zu pro­testieren. Wenn das beleidigte Weltgewiffen alle Berfolger zwänge, endlich die Freiheit der Meinung zu achten, dann würden Sacco und Vanzetti nicht vergeblich in den Tod gegangen sein.

40 Verletzte in London .

London , 24. Auguft.

Als gestern Demonstranten vom Hydepark versuchten, zur ameri­fanischen Botschaft zu marschieren, wurde ihnen das durch zahl reiches Polizeiaufgebot vermehrt. Es fam dabei zu einer großen Schlägerei, in deren Verlauf 40 Demonstranten verlegt wurden.

Unruhen in Holland .

Amsterdam , 24. August.

Auf dem großen Blak vor dem föniglichen Schloß gab es gestern abends im Anschluß an eine Sacco- Banzetti- Proteft fundgebung mehrmals Zusammenstöße zwischen einer haupt sächlich aus jungen Burschen bestehenden Menge und der Polizei, die mit Säbel und Gummiknüppel einschlug, wobei mehrere Personen Verlegungen erlitten. Die Zusammenstöße wiederholten sich später auf dem nahegelegenen Nieuwendyk, den schließlich die Polizei vollkommen absperrte. Die Militärpolizet ist in Alarmbereitschaft gesetzt, das Militär in den Kasernen von Watergraafsmeer und Sloten verstärkt. Das nordamerikanische Konsulat, von dem gestern eine Fensterscheibe mit Steinen eingeworfen wurde, wird streng bewacht. Aehnliche 3 wischenfälle ereigneten sich in Rotterdam und im Haag, wo bei Zusammenstößen mit der Polizei verschiedene Personen ver­letzt, andere verhaftet wurden. In Rotterdam hat die Polizei sogar geschossen.

Zusammenstoß in Kopenhagen .

Kopenhagen , 24. Auguft.( Mtb.)

Im Anschluß an eine stürmische Rundgebung im Sportpalaft an­läßlich der Hinrichtung von Sacco und Vanzetti 30gen 4000 bis 5000 Mann durch die Straßen des öftlichen Kopenhagen , um vor der nordamerikanischen Gesandtschaft zu demonstrieren. An einer Straßenkreuzung wurde von einem starken Polizeiaufgebot Halt geboten und schließlich mit dem Gummitnüppel ein. gehauen. Bei dem Handgemenge wurden zahlreiche Schau fenster und Fensterscheiben eingeschlagen. Auch zwei Automobilen wurden die Fensterscheiben zertrümmert. 3 wei Polizeibeamte wurden durch Steinwürfe erheblich verlegt. Sieben Demonstranten wurden verhaftet.

Berletzte auch in Portugal .

Paris , 24. August. Nach einer Meldung der Chicago Tribune" aus Lissabon war gestern vor dem amerikanischen Konsulat in Oporto eine Brotestfundgebung. Polizei und republikanische Garde griffen ein, um die Menge zu zerstreuen. Einige Personen wurden verlegt. In der Provinz tam es in mehreren Städten zu Zwischen­Die USA. - Fahne in Südafrika verbrannt. fällen. In Lille hat auf Vorschlag der sozialistischen Partei der Johannesburg , 24. Auguft. Stadtrat beschlossen, die Kredite für den Empfang der Eine Anzahl von Anhängern Saccos und Banzettis verbrannte amerikanischen Legion zu streichen. In Cherbourg eine amerikanische Flagge auf den Stufen des Rathauses. Ein haben die Dockarbeiter beschlossen, am 19. September, dem Tage der Demonstrant hielt eine Rede für den Boykott amerikani Ankunft der amerikanischen Legion, die Arbeit niederzuscher Waren. legen und die Ausschiffung der Legion zu verhin dern. In mehreren Städten, wie in Toulon , Rouen und Lille haben die sozialistischen Gemeindeſtadtverwaltungen die Fahnen auf dem Stadthaus auf Halbmast hissen lassen.

Der Polizeibericht.

Paris , 24. Auguſt.

Im Polizeibericht wird die Gesamtzahl der Verhafteten auf 200 geschätzt. Etwa zehn Polizeibeamte find ins Krankenhaus gebracht worden, annähernd 50 Leichtverlette fonnten sich nach An­legung von Notverbänden nach Hause begeben. Um Mitter nacht war die Ruhe wieder hergestellt und um 1 Uhr

Bombenattentat in Chikago.

Drei Tote. - Mehrere Häuser abgebrannt. New York , 24. August.( TU.) 3m Italienerviertel von Chifago wurde ein Bombenattentat ver­übt, durch das drei Personen getötet wurden. Fünf Häuser wurden schwer beschädigt und brannten darauf nieder. Das Feuer tonnte noch nicht gelöscht werden. Die Bevölkerung wurde von einer furchtbaren Panit ergriffen und lief in Nachthemden auf die Straße. In New York wurde ein Mann verhaftet, den man mit den Bombenanschlägen auf der New Yorker Untergrundbahn in Ber­bindung bringt.

Schließt die Reihen!

Der Sonntag der Gewerkschaften.

Von Friedrich Eztorn.

Am Sonntag mittag sammelt sich die freigewerkschaftlich organisierte Arbeiter, Angestellten- und Beamtenschaft Berlins an allen Ecken und Enden der Stadt zu Werbe­umzügen, die der Treptower Spielwiese als gemeinsamen Treffpunkt zustreben. Die rein zahlenmäßigen Angaben über die Stärke der einzelnen Berliner Ortsgruppen unserer Zentralverbände sind wohl als Maßstab geeignet, vermitteln jedoch einzeln oder zusammengenommen weder uns noch der Deffentlichkeit ein lebendiges Bild von den Menschenmassen, die hinter diesen Zahlen stehen, noch von ihrer Wirksamkeit. Es ist daher sehr wohl angebracht, daß alle Gewerkschaftsmitglieder von Zeit zu Zeit zusammen­sehen zu lassen.

treten, um ihre Genossen zu sehen und sich samt ihnen

25jährige Jubiläum des Internationalen Gewerkschafts­Von der Feier des 1. Mai abgesehen, hat offenbar das bundes im vergangenen Jahre, das in Form einer gewerk­schaftlichen Werbewoche begangen wurde und mit einer fest­lichen Rundgebung abschloß, die in Berlin geradezu glänzend verlief, unsere drei Berliner Ortsausschüsse veranlaßt, auch verlief, unsere drei Berliner Ortsausschüsse veranlaßt, auch in diesem Jahre einen Gewertschaftstag zu ver­mehr nach der luftigeren Peripherie geht, verlieren sich die anstalten. In dem großen Berlin , in dem der Zug immer Einzelnen, die Hunderte und Tausende Gewerkschaftsgenossen ou ſehr, so daß es ihnen geradezu ein Bedürfnis ist, wenigstens ein, zweimal im Jahre zusammenzukommen. Ein Bedürfnis nicht minder für die Gesamtbewegung. Denn solche Massenfundgebungen für die Ausbreitung des Organisationsgedankens bedeuten in ihrer Wirkung auf die noch oder wieder Abseitsstehenden eine nicht zu unter­schätzende Förderung der alltäglichen Werbearbeit; sie ver­tiefen das Selbstbewußtsein der Organisierten und stärken das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Solidarität.

Darauf kommt es gegenwärtig in Berlin ganz besonders an. Zwar hat Berlin im ganzen genommen eine recht stattliche Anzahl von freigewerkschaftlich Organisierten aufzu­weisen. Im einzelnen aber läßt das Organisationsverhältnis teilweise noch viel zu wünschen übrig. Ziehen wir einen Bergleich zwischen der Organisationshöhe der Wiener Ar= beiterschaft und der Berliner , betrachten wir das Brozentverhältnis der Organisierten zu den Unorganisierten hier und dort, dann tritt uns besonders flar vor Augen, wie­noch zu leisten ist, um die Reihen zu schließen. Am besten viel in Berlin noch zu tun, wie unendlich viele Kleinarbeit steht es wohl noch in den graphischen Berufen, vorab bei den Buchdrudern und Lithographen. Wie stände bei­spielsweise die Berliner Metallarbeiterschaft da, wenn fie vollzählig, das heißt zu etwa 95 Proz. organisiert, gewerkschaftlich durchgebildet und diszipliniert wäre!

weit besser zu würdigen als die Unorganisierten, die zwar bei Was dies bedeutete, das wissen die Unternehmer den Betriebsrätewahlen zum großen Teil für die gewerk­treten. Auch in Berlin gibt es noch eine ganze Reihe von schaftliche Liste stimmen, ihrer Organisation aber nicht bei­Industriellen, die alle Hebel in Bewegung setzen, um den Auf­stieg der freigewerkschaftlichen Organisationen ihrer Arbeiter zu behindern. Der Verband Berliner Metallindustrieller steht mit dem Deutschen Metallarbeiterverband im Tarifvertrags­perhältnis. Das hindert auch die größten der ihm ange­schlossenen Betriebe feineswegs, die Winkelnachweise der Gelben im ,, vaterländischen" oder völkischen" Gewande zu begünstigen. Teile und herrsche!" ist auch heute noch die Losung der Machthaber. So notwendig es aber auch ist, die der Gewerkschaften gelegentlich an Beispielen aufzuzeigen eine oder andere Methode der Unternehmer zur Bekämpfung und sie als unfair zu kritisieren, so wäre es doch kindisch, darüber zu klagen.

Die Gewerkschaften sind im Kampfe gegen all die Wider­stände, die ihnen das Unternehmertum mit Hilfe der Regie­rungen und der Organe der Justiz bereitete, groß und start geworden. Allein sie sind offenbar noch immer nicht start genug, um den Unternehmern die Ueberzeugung beizu­bringen, daß Scharfmachermethoden nicht mehr am Plaze find.

schaften geht Hand in Hand die Mitgliederschulung. Mit der Mitgliederwerbung in den Berliner Gewert­Die verschiedensten Bildungseinrichtungen, die insbesondere für die Arbeiter und Angestellten jugend geschaffen sind, haben einen hohen Grad erreicht. Ihnen ist vor allem eine noch regere Anteilnahme zu wünschen. Auf diesem Gebiete stehen den Gewerkschaften noch ungemein große Aufgaben bevor. Entscheidet hier auch weniger die Quantität, so tommt es auch hier mit auf die Masse an, um die erforderlichen Mittel für die Unterhaltung und den weiteren Ausbau unserer Bildungseinrichtungen herbeizuschaffen. Die großen leistungsfähigeren Gewerkschaften werden am Sonntag auch zeigen, was fie in den letzten und ganz besonders im letzten Jahre zur Unterstützung ihrer Mitglieder in den ver­schiedensten Formen getan haben. Die radikal sein wollenden Einwände gegen das Unterstützungswesen sind an der Not­wendigkeit abgeprallt, den Mitgliedern in den wirtschaftlichen Möten der Erwerbslosigkeit beizuspringen, um ihnen das Rüd­grat zu stärken, sie davor zu bewahren, aus Not zum Lohn­brücker und zum Arbeitszeitverlängerer zu werden. Unsere Berbände prahlen nicht mit ihren Leistungen. Sie können