Abendausgabe
Nr. 405 44. Jahrgang
10 Pfennig
Sonnabend
= Vorwärts=
Ausgabe B Nr. 200
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Volksblaff
27. August 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Flaggenstreit und Bürgerblock.
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Die geschundenen Richtlinien.- Oldenburg- Januschan will Reichstagsanflösung. Seit Wochen tobt nun die deutschnationale Preffe gegen| müßten jetzt vielmehr auf Reichstagsauflösung und NeuSchwartrotgold. Der Erlaß Geßlers und der Hotelfampf wahlen hinarbeiten unter der Parole: Für die Armee und geben ihr Anlaß, ihrer ungezügelten Wut gegen die Farben Schwarzweißrot!" ber Republik Ausdruck zu geben. Da kommt plötzlich einem Zentrumsmann der Gedanke, daß es einmal Richtlinien gegeben hat, in denen sich die Deutschnationalen auf Anerkennung und Verteidigung der republikanischen Reichsfarben verpflichtet haben. Dieser Zentrumsmann schreibt nun im Westdeutschen Volksblatt" einen furzen aber inhaltreichen Artikel. Er erinnert an die Reichstagsrede des Herrn v. Guérard vom 4. Februar d. J. Damals forderte der Vorsitzende der Zentrumsfraktion, daß der gehäffige Kampf der deutschnationalen Bresse gegen die Reichsfarben aufhören müsse, wenn nicht der Zusammenhalt der Regie rung gefährdet werden sollte. Der Zentrumsmann im Westdeutschen Volksblatt" fragt nun, ob diese Rede vom 4. Februar etwa nur ein fauler Biz" féin sollte. Und er fährt fort:
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Was fagen denn die Herren von der Fraktion zu den unaufhörlichen Beschimpfungen der Reichsfahne? Was jagt Herr Marx, der Parteivorsitzende, dazu? Ist man in unsern Spigen nur hellhörig, wenn Wirth gegen diese Regierung angeht, aber sehr schwerhörig, beinahe taub, wenn die Deutschnationalen auf die Richt linien pfeifen? Was muß denn noch geschehen, ehe man sich im Zentrum gegen die Berhöhnung der Verfassung und ihrer Symbole zur Wehr seht und die in der Februarerklärung angekündigten Konsequenzen zieht? Möge man sich doch keiner Täuschung hingeben: die republikanischen Kreise im Zentrum, die diese Regierung noch zur Not hinnahmen, können nicht viel mehr ertragen; einmal wird das Maß voll sein. Das Ansehen und Vertrauen der Fraktion muß zugrunde gehen, wenn sie es nicht zustande. bringt, die deutschnationale Presse in die Schranken der Richtlinien zu bringen. Eine andere Einstellung würde den Zusammenhalt der gegenwärtigen Regierung gefährden." Ihr Herren von der Frattion war dies Bort Bluff, dann fagt's! War es Ernst, dann wird's Jeit, danach zu handeln!
Zugleich beschäftigt sich die Germania " mit dem Hotelstreit. Sie weist die lächerlichen und infamen Beschuldigungen, die die Rechtspreffe gegen die preußische Regierung und den Berliner Magistrat erhebt, eindeutig zurück. Wenn diese Hotels ihre Freiheit hätten, hätten die Amtspersonen auch ihre Freiheit, nämlich die Freiheit, Häuser zu meiden, die den Reichsfarben die schuldige Achtung verweigerten. Von Terror und Boykott gegen die Hotels zu sprechen, sei deplaciert. Dann fährt das Berliner Zentrumsblatt fort:
Nachdem die Angelegenheit in Fluß gekommen ist, und auch die preußische Regierung zu verstehen gegeben hat, wie sie darüber denkt, wird auch die Reichsregierung nicht umhin können, dazu Stellung zu nehmen. Wie, fann nicht zweifelhaft sein. Mitglieder der Regierung der Republik fönnen noch weniger wie der Berliner Magistrat in amtlicher Eigenschaft in Häufer gehen, wo man den Farben der Republik nicht die gebührende Reverenz erweist. Ein anderes Verhalten wäre ein Berstoß gegen die Regierungsrichtlinien.
Während sich so bei einem Teil des Zentrums die Neigung zeigt, aus Anlaß des Flaggenstreits den Bürgerbloc auffliegen zu lassen, ist die Lust zu gleichem Tun aus gleichem Anlaß bei einem Teil der Deutschnationalen nicht minder groß. Der Berliner Lokalanzeiger" läßt sich von Olden burg Janusch a u einen Artikel schreiben, in dem gefagt wird, der Geßlersche Flaggenerlaß müsse auf den Bügerblock ,, die Wirkung einer unvorhergesehenen Sprengbombe" haben. Die Deutschnationalen fönnten nun nicht mehr mitmachen, sie
Rücktritt Robert Cecils. Wegen der Fortdauer der Rheinlandbefehung. Condon, 27. August.( Eigenbericht.)
Die Agenturmeldung, daß Lord Cecil , welcher am Dienstag den britischen Außenminister nach Genf begleiten sollte, den Ministerpräsidenten um Enthebung von seinem Poften als Kabinetts
mitglied und Bölkerbundsdelegierter gebeten habe, scheint durchaus mitglied und Bölkerbundsdelegierter gebeten habe, scheint durchaus glaubwürdig zu sein. Das Rücktrittsgesuch ist als ein, Protest gegen die Baris- Londoner Einigung in der Frage der Rheinlandbesayung zu betrachten. Robert Cecil hat während der ganzen Diskussion darüber den Standpunkt vertreten, daß die franzö fische Auffassung ein Berbrechen am Geiste von Locarno sei und eine Besagungsarmee überhaupt Döllig unnötig geworden sei, da die französische Sicherheit durch den Locarnovertrag und die darin von England übernommenen Pflichten völlig gewährleistet sei. Der„ Daily Expreß " hebt hervor, daß Außenminister Chamberlain wie gewöhnlich zu Frank reich stehe; es ergebe sich daher das ungewöhnliche Schauspiel, daß Cecil zurücktrete zum Protest gegen Chamberlain und um Locarno zu retten, für welches Chamberlain die Lorbeeren eingeheimst hat. Da Lord Cecil , dessen dauernde Meinungsverschiedenheiten mit Chamberlain fein Geheimnis sind, in der Vergangenheit bei verschiedenen Gelegenheiten mit dem Rücktritt gedroht hat, so hält man es durchaus für möglich, daß er sich vom Ministerpräsidenten Baldmin überreden lassen wird, sein Rücktrittsgesuch zurüdzu ziehen. Es wird jedenfalls Druck auf ihn in dieser Richtung ausgeübt werden. Lord Cecils Rücktritt würde das Ministérium Bald.
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Der Mann, der diese Parole ausgibt, ist derselbe, der vor zwölf Jahren während der englischen Hungerblockade an den damaligen Preußenminister v. Loebell jenen berühmten Brief schrieb, in dem er sagte, er bestelle aus Aerger über die Regierungsanordnungen einen Teil seiner Aecker längst nicht mehr, und seine Nachbarn handelten ebenso. Dieser Mann, der im Krieg die Volksernährung in landesverräterischer Weise sabotierte und der die Dreiftigkeit besaß, sich in einem Brief an einen aktiven Minister dieser schändlichen Handlungsweise noch zu rühmen, dieser Mann ist in der Tat der würdigste Mitarbeiter des ,, nationalen" ,, Lokalanzeigers", der würdigste Fabrikant ,, nationaler" Wahlparolen! Als Oldenburg im Reichstag seine Schandtat vorgehalten wurde, riefen deutschnationale Abgeordnete voll Entsezen, dieser Mann sei gar nicht deutschnational. Am Tag darauf stellte aber Helfferich fest, daß Herr v. Oldenburg ein angesehenes Mitglied der deutschnationalen Volkspartei" sei. Das ist er in der Tat und damit ist er auch der Büger blod- Kamerad von Margu. Co. Und das wird er vermutlich auch bleiben, denn am Bürgerblod hängen starte Interessen der besigenden Klassen, Interessen, die in den Augen der entscheidenden Block politiker schwerer wiegen als der ganze Flaggenstreit..
Aschinger flaggt Schwarzrotgold. Aber nur auf dem Zentralgebände und an Hindenburgs Geburtstag. Teilerfolg der republikanischen Abwehr. Aschingers Attiengesellschaft bittet uns infolge unserer Hinweise auf ihre Führerstellung im Kampf um die Reichs flagge um Veröffentlichung foigender Notiz:
Die Aschinger- Aktiengesellschaft ist in die Flaggenstreitange legenheit hineingezogen worden, obwohl sie fich stets jeder politischen Stellungnahme nach welcher Richtung auch immer unbedingt und tonsequent enthalten hat. Die AjchingerAttiengesellschaft ertlärt ausdrücklich, daß sie selbstDerständlich in der Flagge Schwarz Rot Gold die Flagge des Deutschen Reichs respettiert und z. B. für den 80. Geburtstag des Herrn Reichspräsidenten bereits dahin disponiert hatte, daß an diesem Tage auf ihrem 3entralbetriebsgebäude, das der Sitz der Generaldirektion der Ascher- Aktiengesellschaft ist, die Flagge des Reichs gehißt wird.
Lindenstraße 3
Schrei nach dem Religionskrieg.
Konfessionsschule und Bürgerkrieg.
Bon August Erdmann.
zweiten wie bei der dritten Lesung der Reichsverfassung dem Der alte Zentrumsführer Gröber hat sowohl bei der Schultompromiß namens seiner Fraktion die Erflärung mit auf den Weg gegeben, daß er und seine Freunde ,, in dem Kompromiß ein großes Friedenswert erblicken, ein Friedenswert, das überflüssige und gefähr liche, erbitternde Kämpfe auf dem Schulgebiete zu vermeiden geeignet ist". Unter den händen der Nachfolger Gröbers ist aus dem damaliger. großen Friedenswerk" das Gegenteil geworden, und was der alte erfahrene Zentrumspolitiker vermeiden wollte: überflüssige, erbitternde und gefährliche Kämpfe auf dem Schulgebiete, das ist in ungeheuerlicher Weise zur Wirklichkeit ge= worden. Was würde der alte Gröber sagen, wenn die Schrift Ueber den bevorstehenden Schulkampf in Deutschland "( Verlag Manz, München - Regensburg ) von Universitätsprofessor Dr. 3iesche( Breslau ) zu lesen bekäme, auf deren ersten Seiten die Säße zu lesen find:
Es ist eine politische Unsittlichkeit, den Artikel 146 der Reichsverfassung zu schonen, der ein Ergebnis von Des ma gogie, Judentum und Willensschwäche ist. Nicht die Gemeinschaftsschule, sondern die christliche Konfessionsschule ist seit jeher und auch heute die tatsächliche Schule des deutschen Voltes. Den Ernst dieser Tatsache... fann man dem Gegner nur flar machen, wenn man den Artikel 146 der Reichsver= faffung beseitigt und die Konfessionsschule den Tatsachen entsprechend zur gefeßlichen Regelschule macht.
Biesche empfiehlt ,, parlamentarischen Fälschungsversuchen mit Beharrlichkeit durchgesezt werden müsse. Sonst fönne gegenüber die Waffe des Volfsentscheides, der man den Hauptgefahrenpunkt, die unselige Sammelschule, das Gleitbrett zu aller Verschwommenheit und politischer Schultyrannei nicht wirksam bekämpfen". Die Entscheidung liege in der Klarheit darüber, ob ,, unser Staat die Formung der in der Staatsbevölkerung vorhandenen gesellschaftlichen Kräfte ist, oder ob er der Staat der Aufklärung und der französischen Revolution sein soll". Aber die Klarheit allein helfe nichts, sondern es müsse gefämpft werden.
Den unerbittlichen Anhängern des revolutionären Staatszwanges werden die Anhänger der tonfessionellen Freiheiten flar und scharf, offen und rücksichtslos entgegentreten; und sie werden ihnen den Vorrang abgewinnen. Allerdings nur auf dem Wege, daß sie ihnen ihr Dasein in unbequemfter politischer Weise rauh Hund remplerisch bemeitbar machen.
und erkennen an, daß dieser Beschluß der Aschinger- Direktion nicht Wir verzeichnen mit Befriedigung den Erfolg unserer Kritik auf eine grundsägliche Abneigung dieses Konzerns gegen die Reichsfarben schließen läßt. Aschinger- a.- G. liegt in der Saarbrücker Straße, im proletarischen Das Zentralbetriebsgebäude der norden. Es gehört wenig Mut dazu, dort die Reichsflagge zu hißen. Wenn aber die Aschinger- Attien- Gesellschaft es für richtig empfindet, auf ihrem Hauptgebäude und zum Geburtstag des Reichs präsidenten die Reichsfahne aufzuziehen, wie vielmehr hat sie die Berpflichtung, die ihr nahestehenden Hotels inmitten der Stadt und vor den großen Bahnhöfen zu der gleichen Achtung zu veranlassen. Der wiedergegebene Beschluß der Aschinger- 2.- G. steht bereits in deutlichem Widerspruch zu der Haltung der Berliner Hotelbefizer. Wir erwarten, daß die Aschinger- Attien- Gesellschaft diesen Widerspruch auch dort bekundet. So lange das nicht geschieht, so lange lediglich in versteckten Winkeln des Nordens die Reichsflagge gezeigt wird, wird sich das Urteil der Republikaner an der Haltung der Konzernleitung von Aschinger nicht ändern können.
win feines aufrichtigen Völkerbundfreundes sowie des einzigen ernsten Bortämpfers für die Entwaffnung berauben und daher eine ausgesprochene Stärkung der Reaktion m Ministerium Baldwin, besonders in den außenpolitischen Fragen,
bedeuten.
Der Inhalt der gestern in Paris überreichten englischen Note ist noch nicht veröffentlicht. Es scheint jedoch festzustehen, daß die Rheinlandbesagung um 8000 oder 10 000 Mann vermindert werden soll. Die Rücktrittsabficht Cecils zeigt deutlicher als das Rätselraten über den Noteninhalt, daß die britische Regierung jedenfalls nicht die sofortige Beendigung der Rheinlandbesatzung fordert.
Paris , 27. Auguft.( Eigenbericht.)
In Cherbourg ist es am Freitag im Anschluß an eine von den Gewerkschaften veranstaltete Protestfundgebung gegen die Hinrichtung von Sacco und Banzeffi zu schweren 3wischenfällen gekommen. Eine zahlreiche Menschenmenge versuchte zum amerikanischen Konsulat vorzudringen, wurde aber von berittener Polizei und solonialtruppen daran gehindert. Es tam zu wüsten Straßentämpfen, im Laufe derer die Manifestanten eine Barrikade errichteten, die von der Kolonialinfanterie erst nach schwerem Kampfe genommen werden konnte. Das in der Nähe befindliche Militärfasino ist völlig verwüst et worden. Die Zahl der verwundeten Polizeibeamten soll sehr groß sein. 15 Manifeftanten wurden festgenommen.
leben. Ziesche ist nämlich Zentrumsmann jener Richtung, die Da fönnen wir ja demnächst recht muntere Sachen er= fbark zum Völkischen neigt. Die Juden, die Freimauter, die gründe" sind ihm so geläufig, wie dem mütigsten der NationalWelschen, die Westmächte, der Feindbund und derlei„ Beweisfozialisten, wenn er auch als Katholik und Theologe deren Wotanstult nicht teilt. Broben seiner völfisch, rauh und remplerischer Sitten gibt er er in seiner Schrift als Vorgeschmad deffen, was wir auf der Höhe des Schulkampfes von dem tatendurftigen Professor noch zu erwarten haben, so wenn er, um nur ein Beispiel anzuführen, die Gegner der konfessionelum nur ein Beispiel aufzuführen, die Gegner der konfessionel len Schule in allen Kinder- und Schuifachen grobe und offene Ignoranten oder ebenso grobe und ver stedte Religionsfeinde" nennt.
bei der Richtungen. Die sind nach seiner Meinung
Biefche setzt seine Hoffmung auf die Konfessionen ,, nicht nur geistige und gesellschaftliche Kräfte. sondern dank der gesellschaftsbildenden Kraft der christlichen Ideen, auch politische Mächte", die den politischen Anspruch erheben. der staatlichen Formung der Volksschule gehört und berückfelber Bolfsschulen gründen zu dürfen und bei Gewalt von ihren Ansprüchen abzubringen, und wenn man sichtigt zu werden". Es sei unmöglich, sie mit Güte oder die beiden Richtungen widereinander aufbringen wolle, dann wird die firchlich geführte fatholische Hälfte auch allein start genug fein, ihre eigenen tonfessionellen AnSprüche auf dem Bolksschulgebiete politisch durchzusetzen, und sie wird sich dabei im Notfalle feineswegs auf die ken". Welcher Art diese außerparlamentarischen Mittel sein parlamentarischen Mittel dazu beschränsollen, darüber läßt Ziesche fich nicht aus. Zunächst glaubt er, daß es zwei unbequem deutliche und verständliche Dinge" gebe, die man den gläubigen Leuten sagen müsse: die Kinder gehören den Eltern! und: Eltern, die nicht für das ewige Heil der Kinder sorgen, verlieren ihr eignes! Die voltsbewegende Kraft dieser beiden Säße könne jede freidenkerische und sozialistische Gegenarbeit beiseite fchieben. Und was nüße es deutschen Staatsmännern und Philosophen, die selber nicht an Himmel und Hölle glauben", wenn viele Millionen Deutscher um so fester und hartnäckiger davon überzeugt seien:
Beigt sich nicht in Deutschland der politische Wille in Gewissenssachen immer am stärksten? Haben wir das blutige Lehrgeld des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts ganz umsonst bezahlt?... Bei der frankhaften Erregung unserer Beit erheben die verzweifelten Vorgänge jener Jahrhunderte sich von neuem als bitterste Möglichkeiten