Nr. 134.
Erscheint täglich außer Montags. Abonnements Preis für Berlin ; Bierteljährlich 8,30 Mart, monats lich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit dem ,, Sonntags= Blatt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mart pro Quartal. Unter Kreuzband : Für Deutschland u.Desterreich- Ungarn 2 Mart, für das übrige Ausland 8 Mart pro Monat. Eingetragen in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1891 unter Nr. 6469,
Vorwärts
8. Jahrg.
Insertions- Gebühr beträgt für bie fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inferate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 Uhr Mittags und von 3 bis 7 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Fefttagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet.
Fernsprecher: Amt 6, Nr. 4106.
Redaktion: Beuth- Straße 2.
Freitag, den 12. Juni 1891.
Ein frommer Wahn. Offiziersverband ausgeschloffen- war und ist es jeden
"
Der Bericht enthält die wörtliche Wiedergabe der Rede, mit welcher der Verfasser der„ Ernsten Gedanken" die Verfammlung eröffnet hat, die Darstellung einiger Gedankengänge, welche in den Ansprachen anderer Redner zum Ausdruck gelangten, sowie ein zusammenfassendes Schlußwort. Als der Zweck des Zusammenkommens wird bezeichnet:„ Der Welt fund zu thun, daß eine Anzahl deutscher Männer fest entschlossen ist, das Einige Christenthum als beseeligendes Eigenthum für die Menschheit wieder zu gewinnen, in furzem Ge dankenaustausch die sehnenden Wünsche des bei Weitem größten Theils unferes Volkes niederzulegen und die Grundzüge
falls ernst mit seinem Streben, und das giebt ihm und Den Sozialismus durch die Kirche zu bekämpfen seinem Streben Anspruch auf unser Interesse. war der Grundgedanke der päpstlichen Encyklika , Der offizielle Bericht über den Pfingstkongreß" ist mit deren Sophismen wir uns des Näheren beschäftigt jetzt erschienen. Er liegt uns noch nicht vor, wir finden haben, und es war auch der Grundgedanke des e van aber in einigen anderen Blättern eine augenscheinlich obgelisch- christlichen Kongresses, der gleich- jektive Mittheilung darüber, die wir nachstehend ihrem falls in diesen Spalten besprochen worden ist. Dort die vollen Wortlaute nach veröffentlichen: katholische, hier die protestantische Kirche im Kampf mit uns- und beide feindliche oder konkurrirende Kirchen mit gleicher Aussicht auf Erfolg, oder richtiger auf Erfolglosigkeit. Hat doch Professor Hermann von Marburg auf dem evangelisch- christlichen Kongreß selbst zugeben müssen-wenn auch nicht in Worten, doch dem Sinne nach, daß der Kampf der Kirche gegen den Sozialismus ein Windmühlenkampf ist. Und das gilt von der katholischen ganz genau ebenso wie von der protestantischen Kirche der verschiedenen Bekenntnisse. Die soziale Frage wird nicht mit religiösen Glaubenssäten gelöst; und daß die Kirche ihrem ganzen Wesen nach unfähig ist, eine Besserung der wirthschaftlichen Verhältnisse herbeizuführen und das gesellschaftliche Elend zu mildern, geschweige denn zu beseitigen, das wird durch die Kirchengeschichte bewiesen die katholische sowohl als die protestantische. All diesen prahlenden Ankündigungen der Mission der Kirche auf sozialem Gebiet", mit denen wir am Ende des 19. Jahrhunderts überschüttet werden, brauchen wir nur, um ihre Nichtigkeit jedem Denkfähigen begreiflich zu machen, die Thaten und Leistungen der Kirche seit ihrem Bestande entgegenzuhalten. Das Jahrhundert, in dem wir leben, ist das neunzehnte der christlichen Aera, und die sozialen Uebel, welche die Kirche jetzt heilen zu wollen und heilen zu können behauptet, sind in der Aera ihrer eigenen Herrschaft gewachsen, und von ihr theils durch Duldung sanktionirt, theils durch Begünstigung positiv gefördert worden. Die Vergangenheit der Kirche ist die reductio ad absurdum ihrer sogenannten Mission zur Lösung der sozialen Frage.
-
-
Ein Christ, der es mit dem Christenthum ehrlich meint der ehemalige sächsische Hauptmann von Egidy sieht dies auch sehr wohl ein und er giebt deshalb die christliche Kirche preis. Er will das wahre Christenthum wieder einführen, und da dies eine etwas schwierige Aufgabe ist, sintemalen das wahre Christenthum" erst gefunden werden muß, berief er zu Pfingsten die Gleichgesinnten und Gleichstrebenden zu einem Rongreß nach Berlin . Dem Veranstalter, der für feine Ueberzeugung zum Märtyrer geworden ist. wurde wegen seiner Schrift:„ Ernste Gedanken" aus dem
Feuilleton.
Nachdruck verboten.]
-
( 82
er
Die Falkner von St. Vigil. Roman aus der Zeit der bayerischen Herrschaft in Tirol von Robert Sa, weichel.
Expedition: Benth- Straße 3.
fanft überleitende Zustände schaffe, die dem Einzelnen einen Entschluß ersparen, der ihm selbst der größte Schmerz sein müßte. Zum Schluß bekräftigt Herr v. Egidy noch einmal seinen Glauben an das Werden idealerer Zustände, sowie seine Zuversicht auf die eigene Kraft."
nommen haben, fügt als ihr Urtheil hinzu: Und die Weser- Zeitung", der wir das Resumé ent
"
Die Unternehmung war für ihren Urheber nicht unrühmlich; es wird ihn immer auszeichnen, daß er Stellung und Einkommen dran setzte, um seine Ueberzeugung zu bekunden. Allein, daß seine Unternehmung gescheitert ist, darüber wird fich Niemand mehr täuschen. Mit derartigen Schwär= mereien 1odt man heutzutage teinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor."
Die
Weser- Zeitung" hat mit ihrem Urtheile Recht, wenn auch ihre Gründe nicht die unsrigen sein können. Was will Herr v. Egidy?
-
-
Das was man die christliche Sittenlehre nennt festzustellen, die unfer Handeln fortan leiten die Lehre von der Verwerflichkeit der Selbst sucht und denn um sie, nicht um das Dogma handelt es sich: werden." Der Gedankengang der Eröffnungsrede ist kurz der folgende: Jeder ehrliche Blick in das Weltgetriebe sagt der Menschenfurcht, die Lehre von der Nächstenliebe, die uns: wir gehen falsch; jede Frage an unser Gewissen Lehre, daß wir keinem thun sollen, was wir nicht wünruft uns ein fräftiges alt" und" Umkehr" zu. Der Nation muß die Religion wiedergegeben wer- schen daß er uns thue, die Lehre von der Aufopferung den, Religion, d. h. nicht Unterordnung unter für die Pflicht, kurz, diese ideale, christlich genannte menschliche Sagungen, sondern Gewissenhaftig Sittenlehre will v. Egidy im Leben verwirt. teit. Seit lange haben wir eine gemachte, einlichen, seitige Religion; wir müssen zu der allseitigen den schreienden Widerspruch, der heute übergehen. Das erste Erforderniß ist, alle Versuche aufzugeben, in der christlichen Gesellschaft zwischen Lehre und die Erscheinung des Heilands in eine Reihenfolge von allein Handeln besteht, der Welt schaffen und so giltigen Sätzen zu fassen. Nicht die Frage: ,, wer war Chriftus" von den christlichen" Völkern das Brandmal der ist der Kernpunkt des Christenthums, sondern die Verkör- Heuchelei entfernen, das ihnen, wie in den perung des Christenthums in uns selbst. Nur bie Uebertragung der Religion auf unser Berichten der Missionäre zu lesen ist, die Verachtung der Thun macht den Christen. 8 weitens müssen Muhamedaner und Hindus eingebracht hat, bei denen der wir einen Staat fchaffen nach Christi Lehr- Zusammenhang zwischen Lehre und Handeln noch nicht fäßen. Dann haben wir Alles in einem Begriff: Religion, verloren gegangen ist, wie bei uns, die wir auf dem Christenthum, Kirche; Vaterland, Staat, Leben. Dann ist auch
der Fürst des Landes nicht mehr oberster Bischof nur der Boden der kapitalistischen Wirthschaft stehen. Kirche, zu der er sich bekennt, dann vielmehr einigen fich Krummstab und Szepter im Kreuze. Der Fürst wird Stell- christlichen Sittenlehre nicht verträglich; Kapitalismus und Die Grundlagen des Kapitalismus find mit der vertreter Gottes auf Erden. Es soll fein neuer Sonderverband gebildet werden, der christliche Gedanke soll gleichzeitig in den Christenthum sind diametrale Gegensäge. Der KapitalisHerzen von Millionen und Abermillionen Wurzel fassen, und mus bedingt die Ausbeutung und Unterdrückung, welche dann wird, wie mit einem Zauberschlage, das Christenthum von der christlichen Sittenlehre verdammt werden. Die da sein. Nur keinen Berein und feine Beiträge. Beschlüsse christliche Sittenlehre schließt die Praxis sind tönende Worte, zu Entschließungen wollen wir- innerlich
-gelangen. Von durchschlagender Bedeutung ist das baldigste des Kapitalismus mit all seinen KonAufhören der Sekten, es würde sich darin ein erster Sieg des fequenzen aus. Das Eine von Beiden ist neben dem chriftlichen Gedankens zeigen. Zur Verwirklichung der Ideen Andern nicht möglich; der Kapitalismus muß seinem foll jeder sein Wahlrecht auf das Entschlossenste zum Heil des Wesen nach Vaterlandes, das ist zur Schaffung eines wahren christlichen die christliche Sittenlehre mit Füßen
Staates einsehen. In dem weiteren Bericht hebt Herr treten und die christliche Sittenlehre muß, wenn v. Egidy noch einmal ausdrücklich hervor, daß er neben den sie sich nicht selbst ins Gesicht schlagen will, den natürlichen" Verbänden: Familie, Gemeinde, Staat die Kapitalismus verdammen. Der Versuch, beide GegenKirche für unnöthig halte. Was den verschiedenen
"
Kirchen als„ Behörde" bisher oblag, übernimmt der Staat. läge mit einander zu vereinigen, kann nur zur Heuchelei Was den Austritt aus der Landeskirche betrifft, so hält Herr führen.
v. Egidy unbedingt an der Hoffnung fest, daß die Zukunft uns Der Gedanke, der das Streben des Herrn v. Egidy
Reisepfeife an und machte einen Spaziergang ins Dorf. Er von Nichts? Und da sitzt doch der Schulmeister, der's euch blieb auffallend lange weg. In dem Zustande Jergs war hätt' erzählen können!" inzwischen keine Veränderung eingetreten. Lisei fielen vor Entsetzen die Arme schlaff am Leibe
Um acht Uhr fand sich der Schullehrer auf dem Kloster- herunter. Dem Klosterbauer schwollen die Adern auf der hofe ein. Er hatte in den letzten Tagen viele Briefe für den Stirn und an den Schläfen dick an: blauschwarz standen Klosterbauer schreiben müssen: Mahnbriefe an Säumige sie in dem braunen Gesicht, und seine Augen flimmerten Schuldner, Kündigungen kleiner Hypotheken. Die Arbeit unter den überhängenden Brauen.
war noch nicht beendigt. Seine Schule hatte während der" So hat's tommen müssen, das hat noch gefehlt," ganzen schönen Jahreszeit Ferien. Auf dem Klosterhof zischte er und sich gegen Ruthler wendend, der den Kopf wußte man noch nichts von den traurigen Ereignissen des tief auf das Papier gebückt hatte, fuhr er fort: Und Jhr Arigaya sah ihn mit einem langen Blick an; dann auf dem Klosterhofe ja nicht von Ambros gesprochen wer- fehrte er sich gegen seine Tochter und schrie sie an: geftrigen Abends und Ruthler schwieg darüber. Es durfte sizet da und könnet das Maul nicht aufthun?" Plötzlich sagte er:" Ihr müßt noch verziehen, bis das Pferd ordeut den und er fürchtete, seine Beschäftigung zu verlieren, wenn schau, wohin der Trotz gegen mich führt! Wirst ihn jetzt Da lich gefressen und sich verruht hat, nachher fahr' ich Euch er es that. Er war zu alt geworden, um sich, wie früher noch in Schutz nehmen, den Mordbuben?" felber zurüd. Kommt in unsere Stube; meine Frau wird in den langen Ferien, als Knecht bei den Bauern zu verberweilen wohl für einen Raffee gesorgt haben." " Der Ambros ein Mörder, ich kann, ich kann's nicht dingen, und daher froh, durch seine Schreibereien wenigstens glauben," ächzte Lisei mit bebenden Lippen. Laßt dem Gaul nur Beit," äußerte der Doktor, ihm eine Kleinigkeit zu verdienen. Auch ist der Jerg noch nicht todt," wagte der Schulfolgend. Ich muß doch noch eine Weile zuschauen, wie es Wenn er aber nicht reden wollte, so that es Befa, die lehrer zu bemerken. Ich habe heut früh den Doktor ber Patient treibt. Sie haben zuweilen ganz merkwürdige mit hochrothem Gesicht in die Stube gestürzt kam, Lisei, die gesprochen. Ein Wunder wär's freilich, wenn er davon Einfälle." sie zurückhalten wollte, weil der Vater beschäftigt wäre, mit käme, hat er gemeint." Afra hatte in der That für einen Kaffee gesorgt und sich zerrend. Sie war in der Sägemühle gewesen; doch brachte ihn bald. Mißtrauisch kostete ihn der Doktor, hatte Afra mit ihrer Neugierde keine Geduld gehabt, fie„ Mein Name, mein ehrlicher Name!" Und er griff sich mit Was liegt an dem Jerg?" schrie der Klosterbauer. worauf er das heiße Getränk mit Behagen schlürfte. Afra auch Jerg nicht sehen lassen und ihr mit herben Worten beiden Händen ins Haar. nöthigte auch ihren Mann zu trinken. Dann verließ sie die die Wege gewiesen. Die Unglücksbotschaft schoß ihr wie ein Und wenn unser ehrlicher Name in Schande durch den Männer, um einen frischen Umschlag für Jerg zu besorgen. Wasserfall von den Lippen. Was der Klosterbauer Wich- Ambros gerathen ist, wer anders ist Schuld daran als die Mit einem finstern Ausdruck in dem schönen Gesicht stand tiges zu thun hätte, daß er nicht hören könnte, daß der Lifei, rief Befa. Weil der Ambros nicht hat leiden wollen, sie vor seinem Bette. Er trug die Schuld, daß sie Alle Ambros den Jerg ermordet hätte? schrie sie. Jerg wäre daß der Jerg mit ihr den Klosterhof heirathet, darum sind elend waren. Ihn hatte nur die gerechte Strafe für seine todt, Ambros entflohen; die Landjäger, die ihn hätten ver- die Beiden aneinander gerathen. Der Müller, der dabei boshafte Bunge getroffen. Voll Bitterfeit gegen ihn dachte haften sollen, hätten das leere Nachsehen gehabt. Und vor gewesen ist, hat's offen erklärt." fie an ihre Zukunft. Es war eine troftlose Perspektive, die Schreck darüber ist die Staft zu früh in die Wochen ge- Und sie wird ihn heirathen, trotz alldem, noch bin ich sich vor ihr eröffnete. kommen," trächte sie weiter, und das Kind ist todt ge der Klosterbauer," schrie dieser mit einem Faustschlag auf Doktor Ostler zündete nach dem Frühstück seine kurze wesen und jetzt liegt sie selbst im Sterben. Und ihr wißt den Tisch dazwischen.