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Abendausgabe

Nr. 445 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 220

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Dienstag

20. September 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Befchäftszeit bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Dönhoff 292-29T

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

Tunneleinsturz in Charlottenburg  .

Acht Arbeiter unter den Trümmern begraben.

Wie uns furz vor Schluß der Abendausgabe mitgeteilt wird, ereignete sich um 13.30 Uhr an der Neubauftrede der Ringbahn zwischen Charlottenburg   und wih­leben eine schwere Einsturz katastrophe. Ein im Bau befindlicher Tunnel in der Nähe der Rönneftraße und des Dernburgplatzes stürzte aus bisher unbekannten Ursachen plöhlich ein und begrub acht Arbeiter unter den Sandmassen.

Die Feuerwehr traf sofort mit mehreren Zügen an der Unfallstelle ein. Es gelang zunächst drei Arbeiter aus den Sandmassen in schwerverlettem Zu­stand zu retten.

Das Schicksal der anderen ist noch ungewiß.

Was wird aus der Besoldungsvorlage?

Noch immer kein Abschluß.

Der 1. Oktober, als der Tag, an dem die Beamtenbezüge nach der neuen Besoldungsordnung gezahlt oder auf ste Borschüsse gegeben werden sollen, rückt näher, ohne daß bisher sle Borschüsse gegeben werden sollen, rückt näher, ohne daß bisher etwas Positives beschlossen worden ist. Deshalb wird die Unruhe etwas Bositives beschlossen worden ist. Deshalb wird die Unruhe Das Reichskabinett hat zwar verkünden lassen, daß die Be­foldungsvorlage vom Rabinett endgültig verabschiedet worden sei. Wir wissen aber, daß dies nicht zutrifft und daß noch erheb­liche Differenzen zu bereinigen sind. Man will, wie mir erfahren, noch auf die Rückkehr Dr. Stresemanns warten, weil er gebeten hat, im Kabinett seine Stellung zu der Vorlage darlegen zu können. Inzwischen ist die Sigung des Haushalts­ausschusses des Reichstages, in der über die Borschußzahlungen Beschluß gefaßt werden soll, von Donnerstag, dem 22. September vormittags 10 Uhr auf mittags 12 Uhr verlegt worden. Als Grund wird eine Kabinettsjigung angegeben, die am selben Tage vormittags stattfinden soll.

in den beteiligten Kreisen immer größer.

Es ist anzunehmen, daß erst in dieser Sigung mit oder ohne Stresemann die Besoldungsvorlage vom Rabinett endgültig verab schiedet wird, und daß sich das Kabinett dabei auch über die Vor­schläge klar werden wird, die es wegen der Borschußzahlungen dem Haushaltsausschuß unterbreiten will. Der Haushaltsausschuß des Reichstags wird also genötigt sein, über die Borschußzahlungen ohne irgend eine Unterlage Beschluß fassen zu müssen, wenn überhaupt noch Borschußzahlungen am 1. Oftober geleistet werden sollen.

Unter diesen Umständen erscheint es ausgeschlossen, daß die neuen Besoldungsgruppen und die neuen Gehälter zur Grundlage der Vorschußzahlungen gemacht werden. Es wird sich vielmehr emp­fehlen, die bisherigen Gehälter zu zahlen und hierauf als Vor­schuß einen festen Betrag zuzuschlagen. Würde man ohne genaue Brüfung und Durchberatung der Besoldungsvorlage Borschüsse aus den neuen Gehaltsskalen zahlen, so entstände die Gefahr, daß die Besoldungsverhandlungen des Reichstages und seine Entscheidungen präjudiziert werden. Uebrigens hatte der Reichsfinanzminister Dr. Köhler zugesagt, die Beamtenspikenorganisationen noch zu Berhandlungen über die Vorschußzahlungen zu laden.

Bisher ist dies jedoch nicht geschehen.

Der Sinn des Flaggenkampfes. Stimmen aus dem Zentrum.

Das Berliner   Organ des Zentrums, die Germania  ", nimmt in einem Leitaufsatz zu der Flaggenfrage Stel lung, nachdem die deutschnationale Bresse und die Rechts­organisationen dazu aufgerufen haben, den Geburtstag des achtzigjährigen Hindenburg   zu einem Kampf tag für die Kaiserfarben zu gestalten.

Diesem Treiben seht das Zentrumsblatt schärfsten Wider­stand entgegen. Es fragt nach dem Sinn dieser schwarz­weißroten Propaganda:

dieser Sachlage ins Auge zu sehen. Der Kampf um die Sicherung der Grundlagen des neuen Staates ist noch nicht zu Ende. Eine unmittelbare Gefahr droht der Republik   zwar nicht, aber es besteht die Gefahr, daß fie innerlich ausgehöhlt wird. Wer von der Teilnahme der Deutschnationalen an der Regierung eine stärkere und allgemeinere Bejahung der Grundlagen des neuen Staates erwartet hat, wird leider diese Erwartung heute nicht gut als ganz gerechtfertigt bezeichnen können. Wird von der Rechten die Parole ausgegeben: für Schwarzweißrot!, dann wissen wir: nicht nur um die Farben geht der Kampf, sondern um den Staats­inhalt, für den die Farben nur Symbole find.

Die Wahlvorbereitungen im Bürgerblod gehen danach in verschiedenen Richtungen. Wir können es dem Zentrum nachfühlen, daß es nicht mit den Westarp und Scholz in einer Front den Wahlkampf führen möchte, trotzdem es in dieser Front die Zollgefeße und die Mietserhöhungen mitbeschlossen hat und im Begriff ist, das schwarzweißrote Reichs­schulgeset zu machen.

Aber ein anderes ist es, im Reichstag gemeinsame Politit gegen die Wähler zu machen, als vor den Wählern diese Politik in der gleichen Front zu verteidigen. Deshalb sieht das Zentrum mit steigendem Interesse, wie sehr sich die schwarzweißrote Garde von dem Zentrum als Koalitions­genossen entfernt. Deshalb das wiederholte Betonen der Gegensäße. Wahrscheinlich ist es dem Zentrum nicht einmal unangenehm, wenn die Koalition mit den Junkern noch vor den Wahlen in die Brüche gehen würde.

Ein Verleumderkonzern.

Das Freie Wort" vor Gericht.

Vor der Berufungsinstanz wurde am Montag in Essen   ein Beleidigungsprozeß gegen den verantwortlichen Redakteur des " Freien Wort" Dr. Arnold verhandelt, der das journalistische Kunststück fertiggebracht hatte, in einem Schimpfartikel von knapp 25 Zeilen nicht weniger als ein Dugend verleumderische Behauptungen gegen den Landtagsabgeordneten Genossen Kuttner aufzustellen.

In der ersten Instanz war Arnold zu zwei Monaten Ge. fängnis verurteilt worden. Wie damals machte er auch jetzt fängnis verurteilt worden. Wie damals machte er auch jetzt Behauptungen zu beweisen. Er und sein Berteidiger flehten vielmehr nur um Herabsetzung der Strafe und beriesen sich darauf, daß Arnold seine Behauptungen in gutem Glauben" aus " Deutschen Vorwärts" und aus einer Broschüre von Karl Erdmann   übernommen habe. Außerdem sei er gegen den Beleidigten durch ein in Lachen links" erschienenes Gedicht des bekannten Dichters Klabund   erregt gewesen.

keinerlei Versuch, auch nur eine einzige seiner

dem

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Das Blutbad in Litauen  .

Furchtbare Unterdrückung des antifaschistischen Aufstandes Von Abg. Bruno Kalnin- Riga  .

Bald nach dem faschistischen Umsturz vom 17. Dezember 1926 und der Verjagung des Parlaments war es für jeden aufmerksamen Beobachter Litauens   klar, daß das faschistische Regime Smetonas- Woldemaras Daukantas eine gewaltjame Auflehnung des geknebelten Volkes hervor­rufen wird. War doch der Dezemberputsch nur durch die Unwachsamkeit der demokratischen Elemente möglich gewesen. Die faschistische Regierung konnte sich nur auf einige hundert junger Bourgeoisoffiziere und auf ganz dünne Schichten des Großbürgertums stützen. Im Parlament fonnten die jetzigen Machthaber nicht mehr als ganze fünf Abgeordnete von den 85 aufbringen! Woldemaras hat zehn Monate nur mit dreihundert faschistischen Leutnants und einigen, den Dezemberhelden ergebenen Truppenteilen gegen den ausdrücklichen Willen der großen Volksmehrheit regiert. Es ist dieses ein reines Gewaltregime einer numerisch ganz fleinen militärischen Clique. Das ganze litauische Volt aber, sogar die christlich- fleritale Partei ist gegen die faschistischen Gewalthaber.

Breite Massen der Bauern, die in Litauen   90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sowie die Arbeiterschaft und ein beträchtlicher Teil der Armee geriet schon im Frühling 1927 in Gärung. Schon damals war die Lage sehr kritisch und in den Tagen um den 15. März war die Usurpatoren­regierung in großer Furcht. Es wurden damals Massen= verhaftungen, besonders im Heere vorgenommen. bürgerlich- demokratische Abgeordnete Dr. Balau jis wurde zum Tode verurteilt. Mit diesen Repressalien gelang der Faschistenclique die Unterdrückung der ersten Aufwallung der Boltsmassen.

Der

Die antifaschistische Bewegung war aber dadurch noch lange nicht beendet. Die Gewaltmaßnahmen der herrschenden Clique wurden immer dreister. Es herrschte volles Ver­fammlungsverbot. Arbeiterorganisationen wurden aufgelöst, die Presse durch Zenfur gefnebelt, die Worte Demokratie" und demokratisch" wurden immer gestrichen! Verhaftungen un­fchuldiger Arbeiter und Bauern wurden massenweise vor­genommen. Viele Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei und der bürgerlichen Demokraten( Liaudininken) mußten flüchten; zumeist gingen sie nach Lettland  . Hier, in Riga  , wird auch die einzige freie Zeitung der litauischen Demokratie, Liaudas Balsas", gedruckt.

Im Herbst wurden die Volksmassen besonders durch die beabsichtigte erfassungsänderung, welche Litauen  auch rechtlich" in eine faschistische Mordhöhle verwandeln foll, gereizt. Diese Verfassungsänderung wollte man durch eine gefälschte Boltsabstimmung bei voller Unfreiheit der Gegenagitation durchpeitschen. Die Empörung wurde immer größer und es fam zum bewaffneten Aufstand. Das Signal zum Aufstand gaben die Arbeiter der Kreis­stadt Tauroggen, unweit der deutschen   Grenze. Am Ruttner wies mit Recht darauf hin, daß das betreffende Gedicht fast ihren Kampf für die Wiederherstellung der Demokratie. Die Rechtsanwalt Dr. Levy- Effen als Vertreter des Nebenklägers 9. September vier Uhr morgens begannen 150 Aufständische anderthalb Jahre vor dem infriminierten Artitel Eis gelegt haben müffe, oder richtiger gesagt- daß es sich um eine Mitulsti( Sekretär des Landarbeiterverbandes) und ein erschienen war, daß der Angeklagte also feine Erregung" gut auf Führer waren der sozialdemokratische Abgeordnete Genosse Hauptmann des Generalstabes, Majus  , bürgerlicher Demo­nachträglich ersonnene Ausrede handele. dartun, daß von allen über ihn im Freien Wort" aufgestellten Be- Bletsch laitis 30g mit einer Kolonne Arbeiter und Als einziger vernommener Zeuge fonnte Genosse Ruttner leichtfrat. Die Staatsgebäude wurden ohne großen Widerstand besetzt, die Polizei entwaffnet. Abgeordneter Genosse hauptungen ungefähr das Gegenteil den Tatsachen entspreche. In Bauern gegen die benachbarte Stadt Olita. Die Hauptstadt seinem Schlußwort als Nebenkläger wies er darauf hin, daß eine Anzahl von Hezzblättern offenbar einen Konzern zur Verleumdung Row no und die größten Provinzstädte waren in Gärung fozialdemokratischer Politiker bilden, indem sie zwar mit größter geraten. Doch es fam leider hier nicht zum offenen Auf­Genauigkeit jede herabseßende Behauptung voneinander abschreiben stand. Dadurch war das Mißlingen des Aufstandes besiegelt. und noch verschärfen, aber merkwürdigerweise nie etwas davon er- Wohl haben sich mehrere Teile des 7. Infanterieregiments fahren haben wollen, daß diese Behauptungen bereits durch Gerichts von Memel  , sowie das 9. Infanterieregiment und das Eisen­bahnbataillon in Schaulen geweigert, nach Tauroggen urteil widerlegt worden sind. au marschieren. Man formierte dann eine Offiziers= truppe, die gegen drei Uhr nachmittags nach einigen Kämpfen Tauroggen befeßte.

Der die Anklage vertretende Oberstaatsanwalt bean­traçte Herauffeßung der in erster Instanz erkannten Strafe auf fünf Monate Gefängnis. Das Gericht erkannte zwar an, daß bei der außerordentlichen Schwere der Beleidigungen, die in allen Bunften als widerlegt anzusehen seien, eine Geldstrafe nicht am Blake fei. Es ließ aber trotzdem eine befremdliche Milde walten- wozu wohl auch der geradezu niederschmetternde Eindruck beitrug, Wir kennen als offizielle Farben keine gleichberech den der Angeklagte trotz seines Doktorgrades in bezug auf seine tigten Farben, sondern nur die als Reichsfarben allein be geistigen Fähigkeiten machte und setzte die Strafe von zwei auf Fähigkeiten, bei est Angeflagten für diejen rechtigten Farben Schwarzrotgold. Die Handelsflagge ist Monat noch eine dreijährige Bewährungsfrist gegen 3ah­feine Nationalfahne. Immer wieder muß daran erinnert wer­den, daß die Minister, auch die deutschnationalen, und der Reichslung einer Geldbuße von 500 m. zuerkannte. präsident, wie es selbstverständlich ist, offiziell nur das schwarz­rotgoldene Reichsbanner führen.

einen Monat herab,

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Es mag hier erwähnt werden, daß jüngst eine Gefängnisstrafe von 5 Monaten, die Arnold wegen der bekannten Verleumdung des Ministers Hirtfiefer erhielt, gleichfalls in der Berufungsinstanz trog unveränderter Sachlage auf 2000 m. Geldstrafe herabgesetzt wurde. Charakteristisch ist schließlich noch, daß das als typisches Berleumder. blatt anzusprechende Freie Wort" fich der besonderen Gunit poltsparteilicher und schwerindustrieller Kreise

Der Kampf um die Farben hat nie geruht. Er ist auch geführt worden, als er nach außen hin nicht so in die Erscheinung trat, wie in den letzten Monaten. Darum ist die Darstellung, als ob der Berliner Magistrat und die preußische Regierung ben Frieden gestört hätten, tendenziös. Der Kampf um die Farbensymbole in Essen   erfreut. würde nie mit solcher Leidenschaft geführt werden, wenn es fich nicht eben um Symbole handelte, um Symbole entgegenge. fester Staatsauffassung. Ist es nicht etwa so, daß in den Herzen derer, die für Schwarzweißrot eintreten, auch heute noch das Berlangen lebt, die ganze neue Staatsordnung abzubauen? Jeder ist davon überzeugt, nur in der Deutschen Boltspartei scheint es Kreise zu geben, die sich noch in der Illusion wiegen, gleichzeitig für die Republik   und die schwarzweißroten Farben eintreten zu fönnen. Und doch steht fest: die Republik   wird schwarzrotgold jein ober lig with sigt jei s handelt fi bonum,

nach Deutschland   und Lettland   zu entkommen. Wieder Die Aufständischen ergriffen die Flucht. Man versuchte, andere gingen nach Polen  . So die Gewerkschaftsführer und Abgeordneten Poplaustas und Redis, die 12. September die Demarkationslinie bei Wilna   überschritten. Der Aufstandsführer, Genosse Mikulski, wurde am 11. September während seiner Flucht nach Lettland   von den Faschisten in einem Dorf umzingelt und nach tapferer Ver­teidigung erschossen. Seine Leiche war von zehn Kugel durchbohrt. So hat einer der aktivsten Funktionäre der Sozialdemokratie Litauens   den Heldentot gefunden.

In der Stadt Unter

Sogleich begann die blutige Rache der faschistischen Regie­rung. Es wurde in Tauroggen ein Kriegsfeldgericht ein­gefeßt. Dieses fällt feit dem 13. September täglich mehrere Todesurteile. Es sind bis zur Stunde on 20 Personen erschossen. murden zweihundert Berhaftungen vorgenommen. niden Erschossenen befinden sich fünf Jünglinge im Alter von vierzehn bis sechzehn Jahren! Ein fünfzehnjäh= riger Genosse wurde zu fünfzehn Jahren Zucht= haus verurteilt. Die Hinrichtungen dauern an. Die Wut der Henter kennt keine Grenzen. Sozialdemo fraten und bürgerliche Demokraten werden zu Hunderten verhaftet. Es befinden sich schon zwanzig Abgeord= nefein Gefängnissen! In Romno hat man die ganze Redaktion des Sozialdemokratas" verhaftet. Der Partei­jetretär, den man festnehmen wollte, ist geflüchtet. Die

Das Kriegsschädenschlußgeseh. Eine Denkschrift der Geschädigten- Verbände. Die Arbeitsgemeinschaft für den Ersatz von Kriegs- und Ver­drängungsschäden hat in einer neuen Denkschrift, die jetzt den maß­gebenden Regierungsstellen zugeht, ihre Stellungnahme zu dem Ent­wurf eines Kriegsschädenschlußgesetzes festgelegt und eingehend be­gründet,

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