Sonnabend 24. September 1927
Unterhaltung unö �Bissen
Seilage des vorwärts
Eine Lehrerkonferenz.'' Von Adolph hoffmann. In der Paus« fand im Amtszimmer eine hochnotpeinliche Be- sprechung zwischen dem Oberschulrat. dem Direktor und Studienrat Lettner statt. Bei dieser markierte der Direktor mit vorsichtiger Zurückhat- tung den schweigenden Moltke. Der Herr Oberschulrat redete zuerst groß« Töne von„unver- antwortlicher, neumodischer Methode mit Kindern über Dinge zu sprechen, die ihm, vor Gleichaltrigen zu erörtern die Schamröte ins Gesicht treiben würde". Solche jungen Bengels vor Geschlechtsumgang wegen Be- schwängerungs- und Ansteckungsgefahr zu warnen und in demselben Atemzug zu sagen, weiin sie es aber doch tun woMen . Cordons zu benutzen, sei geradezu verbrecherisch. Es täte ihm sehr leid, aber die Pflicht und sein Gewissen gebiet« ihm, der Schulbehörde seine Feststellungen zu melden und ein Disziplinarverfahren gegen Herrn Lettner zu beantragen. „Bitte, Herr Oberschulrat. tun Sie. was nach Ihrer Auffassung Ihnen Ihr Amt gebietet. Ich werde ja dann ineiner vorgesetzten Behörde die Gründe entwickeln können, die mir meine Methode als die allein richtige, und bei Menschen in diesem Alter für dringend notwendig erscheinen läßt", gab der Lehrer mit äußerster Ruh« zurück. „Herr Studienrat Lettneri Dafür gibt es keine Gründe, die «iner Behörde stichhaltig fein könnten. Sie scheinen vergessen zu haben, daß die oberste Schulbehörde in Preußen wegen dieser Cor- do»-GeschiMe schon in Magdeburg einem Lehrer die Oualtsikation als solchen entzog. Und daß Minister und Oberverwaltungsgericht den Einspruch des Lehrers abwiesen, obwohl es sich hier um eine Schrift handelt«, die an die„schulentlassene" Jugend oerteilt wurde." „Ich kenne den Fall," replizierte fast noch ruhiger der Lehrer, „aber der Herr Oberschulrat scheinen dabei zu übersehen, daß wir inzwischen eine neue Verfassung erhalten haben, die Wissenschaft und Schule freier gestaltet: daß viereinhalb Jahre Krieg hinter uns liegen, die uns eine ganz andere Jugend und Krankheiten gebracht haben, die gerade für diese die schlimmsten Gefahren bieten." „Durch Ihre Methode wird den Bengel« geradezu aufgedrängt, auf was sie sonst nie kämen", platzte wütend der Oberschulrat heraus. „Herr Oberschulrat! Ich bin bereit, Ihnen sofort das Gegen- teil zu beweisen. Ich ersuche um Ihre Erlaubnis, einen meiner Schüler hereinzurufen. Nicht meiner Rechtfertigung wegen, sondern im Interesie unserer gefährdeten Jugend bitte ich darum." „Ja, was soll dos für einen Zweck haben?" wendete der Ober- schulrat bedenklich«in. „Vielleicht, mich zu überzeugen, daß meine Methode ein« falsche ist, wenn Sie, Herr Oberschulrat,«inen anderen Ausweg zeigen." „Also rufen Sie ihn." Der Lehrer gab auf dem Korridor einem Schüler einen Auftrag und betrat das Zimmer wieder mit den Worten:„Aber, Herr Ober- schulrat, eine Bitte darf ich aussprechen. Ich habe viel Geduld und Liebe aufwenden müssen, ehe ich dem Jungen die Zunge löste und er mir sein Herz ausschüttete. Machen Sie ihn durch strenx« Worte und Vorwürfe nicht kopfscheu." „Sie machen mich gespannt", klang es halb ernst, halb ironisch von des Schulrat» Lippen. Es klopfte. Auf das fast tonlose„Herein" des Direktors, der bisher der ganzen Szene mit einer sichtbaren Beklemmung lautlos gefolgt war, betrat ein langaufgeschosiener, aber vollentwickelter Schüler der Lettnerschen Klasse das Amtszimmer und blieb an der Tür mit hochrotem Kopf stehen. Er sah aus wie ein Achtzehnjähriger, war aber noch nicht sechzehn Jahr«. Der Lehrer ging auf ihn zu, strich wohlwollend über sein hübsches, kastanienbraunes Lockenhaar und sagt«:„Richard, habe keine Sorge. Die beiden Herren, die du ja kennst, wollen, wie ich, dir nur helfen, daß du wieder froh und freudig in die Welt schauen kannst. Dazu ist, wie ich dir schon wiederholt sagte, rücksichtslos« Offenheit und peinliche Wahrheit nötig. In den beiden Herren wer- den wir die wichtigsten Verbündeten finden, deine Zukunft zu zim- mern, so daß du bald die schwarze Gegenwart vergessen haben wirst. Tritt näher, setze dich und erzähle deine Erlebnisse in kurzen Worten." Richard setzte sich auf den gebotenen Stuhl und blickte ver- trauend zum Lehrer, fragt« aber beklommen:„Mit was soll ich be- ginnen?" „Lieber Richard," sagte der Lehrer zutraulich,„wir wollen keine Generalbeichte, sondern erzähl« nur, wie du dazu kamst, dich mir anzuvertrauen und was dich drückte, nur in ganz kurzen Umrissen. Die Details kann ich, soweit es notwendig sein sollte, den Herren später selbst geben." „Herr Lettner war immer gut und mit meinen Arbeiten stets zufrieden."— Richard liefen die hellen Tränen über die Wangen. „Und dann", sagte er stockend. „Warst du nicht mehr so fleißig?" schaltet«, den strengen Schul» mann möglichst zurückdrängend, der Oberschulrat ein. „Ja", kam es leise aus Richards Munde. „Aber warum denn?" examinierte der Schulrat. „Ich war krank geworden", sagte Richard rleinlaut. „Und was fehlt« dir?" forschte der Herr Schulrat weiter. „Ich hatte mich angesteckt", kam e, kaum hörbar über Richards Lippen. „Ja, mit was denn und wo?" fragte der Herr Rat so erstaunt, daß Richard ängstlich auftah und schüchtern entgegnete:„B«i unse» rem Kindermädchen." „Aber, das ist ja unglaublich", platzt« erregt der Schulgewaltig« heraus. Richard war ängktlich aufgesprungen. Der Lehrer nahm ihn am Arm und sagte beruhigend:„Sei ohne Sorge Was ich dir versprochen habe, geschieht. Du mußt aber auch halten, was du mir versprachst.", Ja Herr Lettner, darmis können Sie sich verlassen, sagte Richard im Tone ehrlichster Ueberzeugung.. � „Nun dann hat ei keine Not. Dann wirst du wieder gesund und bei deinen Fähigkeiten noch ein tüchtiger Mensch, der die häß- liche Episode'einer Jugend bald verschmerzt hat. Jetzt gehe zur Klasse zurück. Ueber dos, was hier vorgegangen, sprichst du nicht. Wenn man dich fragt, sagst du. ich hätte es verboten. Halte dich •) Mit Genehmigung des Bersassers aus seinem Büchlein „Amoretten— Giftpslanzen aus dem Irrgarten der Liebe. auf das wer m unserem heutigen Feuilleton hinweisen,
9er vorschuh für Sie Seamten.
Reichsminisler Köhler:„Nehmen Sie. lieber Beamter, einstweilen den Sperling in der Hand."
Der Leamke:„Aber das ist doch nur ein Sperlingskopf...!" Köhler:„Das andere verzehrt just der Geier auf dem Dache."
abfetts von den übrigen und sage ihnen, wenn ich noch etwa» länger bleibe, sollen sie den gestern besprochenen Aufsatz schreiben." Mit einem„Guten Morgen", der sichtlich erleichtert aus Richards Munde kam, war er zur Tür hinaus. „Aber das ist ja entsetzlich," sagte der Oberschulrat zum Lehrer. „Sie haben es doch sofort den Eltern gemeldet?" „Nein", sagte Lettner ruhig. „Was?" fuhr der Oberschulrat auf.„Aber," sagte er, fich selbst beruhigend,„Sie haben ja recht. Das war ja Sache des Herrn Direktors. Sie haben," wandte er sich an diesen,„das natürlich so- fort getan?" Der Herr Direktor räusperte sich verlegen:„Bis jetzt noch nicht. Ich wollte erst...." „Eine solche Pflichtvergesienheit," tobte jetzt der Herr Ober- schulrat los,„ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vor- gekommen. Sie waren amtlich verpflichtet, dies« entsetzlichen Dinge sofort den Eltern und der Behörde zu melden." *„Herr Lettner bat," wendete der Direktor fast ängstlich ein, „ihm zu überlassen, die Angelegenheit zu klären. Und da ich Herrn Lettner als äußerst gewissenhaft kenne... „Sie sehen ja, was es mit der Gewisienhaftigkeit dieses Herrn auf sich hat", stieß der Herr Oberschulrat heftig hervor. „Würden der Herr Oberschulrat mich erst noch anhören, um dann die Anordnungen zu ttefsen, die Ihnen Amt und Gewisien vorschreibt?" „Bitte," sagte der Oberschulrat sehr kurz, mit«iner Hand- bewegung, Platz zu nehmen,„aber machen Sie es ganz kurz. Jede Minute, die in dieser Angelegenheit verloren geht, ist eine Versündi- gung gegen den Knaben, die Angehörigen und das Gesetz." „Das sagte ich mir auch. Das Wesen des Schülers hatte sich plötzlich so verändert, daß ich ihn mit Büchern zu mir in die Woh- nung schickte und ihn dann dort ermunterte, mir sein Herz, seinen Kummer auszuschütten. Ich würde ihm, was es auch fei, helfen. Unter Schluchzen und Tränen schilderte er die Dinge mit dem Kindermädchen, mit dem er über eine Woche allein in der Wohnung war, was sich dann zwischen beiden ereignet« und wie später bei ihm sich die gesundheitlichen Störungen einstellten. Aus dieser Schilderung entnahm ich, daß er geschlechtlich infiziert war. Ich schickte ihn mit einem Brief zu einem mir persönlich bekannten, auf diesem Gebiet ganz besonders erfahrenen Spezialisten, denn mir lag daran, erst mal Gewißheit zu haben. Sie wurde mir m der schlimmsten Weise." „Nun mußten Sie doch die Eltern sofort benachrichtigen", fuhr der Schulrat dazwischen. „Verzeihung, der Knabe hat nur noch eine Mutter." „Da ist manches begreiflich," brummte der Schulrat,„aber der Bengel muß doch einen Bormund haben?" „Ich hielt es für richtiger, erst einen anderen Weg einzuschlagen. Ich ließ das Kindermädchen in meine Wohnung bitten", antwortete der Lehrer. Sind Sie Untersuchungsrichter?" entfuhr es scharf dem Ober- schulrat. „Nein," entgegnete sehr ruhig Lettner:„ich versuchte. Pädagoge zu sein." 9 „Was wollen Sie damit sagen?" rief gereizt der Oberschulrat. „Daß ich es im Interesie des Knaben, seiner Familie und nicht in letzter Linie des Mädchen» für geraten hielt, erst einmal den Pädagogen die Ursachen des Uebels erforschen zu lassen, ehe die strafende Hand de» Gesetzes eingriff. Ich hegte sogar die stille Hofs- nung, das verhindern zu können", war des Lehrers sehr ruhige Antwort. „Sie ließen sich da in ein sehr gefährliches Experiment ein. wenn Sit mit einem solchen Geschöpf in Ährer Wohnunc». verhondel- ten, um sie vor Strafe zu schützen. Das kann man sehr leicht zu Ihrem Schaden falsch auslegen", sagt« scharf pointiert der Schulrat. „Auch das habe ich vorhergesehen und daher meiner Frau, die ja. wie Sie wissen, auch Lehrerin ist, die Besprechung mit dem Mädchen übertragen. Das kaum siebzehnjährige Kind brach voll- ständig zusammen und beichtete meiner Frau unter Tränen alles, so daß man sich auch leicht erklären konnte, wie sie zu der Krankheit gekommen ist." „Run aber," wenbete sich der Oberschulrat an den Rektor,„war es doch die allerhöchste Zeit, die Sache der Mutter und der Behörde «nterbreiten."
Der Direktor sagte verlegen:„Herr Lettner war anderer Meinung." „Und Sie?" sagte unwillig der Schulrat. „Konnte ihm nicht unrecht geben", tönte es etwas unsicher zurück. „Ja, sind denn beiden Herren alle Begnss« von Pflicht und Amt abhanden gekommen?" fuhr der Schulrat erregt auf.„Sie durften den infizierten Bengel ja mit den anderen gar nicht mehr zusammen lassen. Er mußt« sofort von der Schule verwiesen werden."' „Verzeihung, Herr Oberschulrat. Wenn Sie mich nur noch einige Minuten ruhig anhören, wissen Si« alle», um sich ein Urteil zu bilden. Die Mutter ist oerreist. Sie tonnt« ich nicht spreche». Und für eine Korrespondenz eignet sich die Sache nicht. Der Be- Hörde es melden, hieße nach meiner Ansicht beiden Kindern die Lebensbahn verschütten. Seit gestern erst habe ich die Gewißheit durch den Spezialisten. Noch heute findet Richard bei ihm Auf- nähme. Das Mädchen ist heute von meiner Frau im Wrchow- Krankenhaus untergebracht. Der Mutter des Schülers habe ich heute früh durch Brief die Erkrankung ihres Sohnes ohne näher« Umstände gemeldet und gebeten, sobald sie nach Berlin zurückkäme, mich zu besuchen." „Und der Vormund des Bengels?" rief erregt der Schulrat. „War heute morgen ick meiner Wohnung. Er ist, da er es sich leisten kann, sofort nach Bad Wildungen abgereist und hat auf meinen Rat vorher die Vormundschaft niedergelegt", sagte jetzt der Lehrer nicht ohne Erregung. „Und wer ist der gewissenlose Kerl?" schrie der Schulrat. Lettner zog die Brieftasche und überreichte dem Herrn Schulrat eine Visitenkarte. Ein Blick auf dieselbe ließ den Schulrat erbleichen und lautlos in den Stuhl sinken.--- Der Pädagoge hatte über„Amt und Pflicht" gesiegt.
Die Hewerksthast öer heiligen Settler. Daß sich Arbeiter zu Gewerkschaften zusammenschließen, ist heute auf der ganzen Weit notwendig. Aber merkwürdig ist es, daß auch Leute ein« solche Organisation wählen, die aus tiefster Ueberzeugung jede Arbeit ablehnen. Au» Indien wird genieldet, daß die heiligen Bettler, die sich seit uralten Zeiten der Selbstpeinigung hingeben, sich zu einer Gewerkschaften zusammengeschlossen haben, um dieses dem Nichtstun geweihte, von Peinigungen erfüllte Leben in Ruhe weiterführen zu können. Schon viele Jahrhunderte vor Christus bestand in Indien diese Sekte der sogenannten Fakire oder heiligen Bettler, die durch Selbstmarterung die Mildtätigkeit der Vorüber- gehenden anrufen und sie auch aus Furcht vor einem Fluch des Heiligen Mannes zu Gaben zwingen. In neuester Zeit aber ist das Geschäft dieser Bettler-Heiligen nicht mehr so gut wie früher: die Konkurrenz wird immer größer, und so haben sie sich jetzt zu einer Gewerkschaft zusammengeschlossen, die unzllnftige Nebenbuhler fern- halten und dafür sorgen soll, daß nur eine geringe Anzahl von Neulingeu aufgenonimen und in den Fakirkünsten unterrichtet wird. Die Taten der Fakire, die uns in letzter Zeit auch in Europa häufig gezeigt worden find, dürfen nicht alle als Betrug angesehen werden: viele von ihnen gehen auf uralte Ueberlieferung zurück, und schon aus fernen Zeiten werden uns erstaunliche Leistungen gemeldet. So berichtet z. B. der englische Reisende John Fryer 1698 von einem Fakir, der sich lebendig begraben lreß, und er erzählt von einem anderert, der beschlossen hatte, solange an den Füßen mit dem Kopf nach unten zu hangen, bis er genug Geld beisammen habe, um einen Tempel zu bauen. Häusig hält solch ein Bettler seinen rechten Arm solange über den Kopf empor, bis die Muskeln verdorrt sind und er ihn nicht mehr herunternehmen kann. Eine andere„Lieblingspose" der Fakire ähnelt der des Storches; der Bettler steht auf einem Bein, hat das andere an den Körper angezogen und legt sich nicht nieder. Auf dies« Weise lenkt er die Aufmerksamkeit auf sich und oeranlaßt die Vorübergehenden, etwas in den irdenen Topf zu tun, der neben ihm steht.'Berühmt ist die Atemtechnik der Fakire, die dadurch sowie durch Uebung und geringe Nahrungsaufnahme eine erstaunliche Kontrolle über ihren Körper gewinnen: sie vermögen sich in«inen Zustand völliger Starre zu versetzen, indem sie mehrere Stunden, ja Tage, lebendig begraben werden. Ein Fakir, Hamid Bey, blieb In einem versiegelten Sarg drei Stunden unter Master und schlug damit den Rekord Houdinis, der nur 1% Stunden in diesem Behälter blieb, das für den gewöhnlichen Sterblichen kaum genug Luft für drei bis vier Minuten enthält. Die Vorführungen eines anderen Fakirs, Bahman Bey, der in Paris und London großes Aufsehen erregte, bestehen hauptsächlich darin, sich ein Schwert durch die Gurtzel zu stoßen und mtt Nadeln in Wangen , Brust und Arme zu stechen, ohne daß Blut flieht, sowie sich fest auf ein Brett mtt rostigen Nägeln drücken zu lasten.