Str. 458 44. Jahrgang Ausgabe A nr. 233
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Mittwoch, den 28. September 1927
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Kriegsschuldblamage Nr. 3.
Die Meute zurückgepfiffen.
Wir haben eine nationale" Regierung, deren Gefühl| ihres verhängnisvollen Irrtums? Das hieße wohl, ihre Infür ,, nationale Ehre" besonders entwidelt sein muß. Die telligenz und ihren guten Willen überschätzen! ,, nationale" Ehre wird darum in gemessenen Intervallen immer wieder gerettet. Wie das geschieht, haben wir in den letzten Tagen wieder einmal schaudernd erlebt. Die unbesonnenerweise herbeigeführte internationale Kriegsschulddebatte hat vorläufig ihren Höhepunkt in der Erklärung des französischen Ministerpräsidenten Poincaré gefunden, daß sich das deutsche Reichsoberhaupt zum Sprachrohr einer Lüge gemacht habe. Anders sind die Worte Poincarés nicht zu verstehen: ,, Unsere Landsleute wollen nicht, daß die Lüge das Feld behauptet."
Was geschieht nun weiter? Am Montag noch gebärdete fich die deutschnationale Presse mie toll. Am Dienstag aber ist in derselben Bresse , trog der inzwischen gehaltenen neuen Rede Poincarés in Bar- le- Duc , völlige Stille eingetreten so einmütige Stille, daß man nur auf höhe res Kommando schließen kann.
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So wird die nationale Ehre im Zeichen des ,, Retters" von mindestens vier schwarzweißroten Reichsministern geschützt!
Solche nationalen Demütigungen ziehen sich übrigens mpie ein roter Faden durch die ganze Zeit der deutschnationalen Mitwirtung an der Regierungspolitit. Es fing damit schon an, noch ehe die Weſtarpisten ins Kabinett eingetreten maren. Damals, im September 1924, erzwangen sie als Gegenleistung für ihre 50 Ja- Stimmen zum Dames- Blan die Ankündigung der Notifizierung" einer Kriegsschulderflärung. Das Echo mar aber derart, daß die feierlich -durch Marr und Stresemann - eingeleitete ,, Aftion" plög: lich abgestoppt wurde. Erste selbstverschuldete Demütigung.
Ein Jahr später, am Vorabend von Locarno , er zwangen die damals in der Luther - Regierung vertretenen Deutschnationalen eine neue ,, Attion": Unter den unwürdig ften Umständen, fo ganz nebenbei, zwischen Tür und Angel, mündlich, verschämt erklärten die deutschen Botschafter und Gesandten den fremden Außenministern- oder auch nur irgendeinem Stellvertreter Deutschland fühle sich unschuldig. Die moralischen Ohrfeigen hagelten nur so. Man fteďte sie ein und ging doch nach Locarno . Zweite felbstverschuldete Demütigung.
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Jezt erzwingen die deutschnationalen Minister der Marg- Regierung eine Neuauflage dieser Tragikomödie: Hindenburg wird vorgeschickt und hält seine Tannenbergrede. Der französische Ministerpräsident Poincaré - eigentlich der letzte, der dazu ein moralisches Recht besitzt- antwortet barsch:„ Das ist eine Lüge!" Und damit ist die Debatte geschlossen. Dritte selbstverschuldete Demütigung. Und all das immer mit der Kriegsschuldfrage. Wie lange soll diese abscheuliche Groteske fortgesetzt werden? Wollen unsere politischen Masochisten auf der Rechten eine vierte, eine fünfte Auflage diefer Demütigungen erzwingen? Oder bedeutet ihr betretenes Schweigen endlich das Geständnis
Pilsudski verhöhnt das Parlament.
Kampfansage der Eisenbahner.
Warschau , 27. September. ( Eigenbericht.) Die Aufhebung des Preffedefrets durch den Sejm wird von der Regierung nach wie vor nicht anerkannt. Sie fnüpft an die amtliche Bekanntgabe dieser Ablehnung vorläufig die Bedingung, daß der( gleichfalls von ihr vertagte) Senat den Beschluß des Sejm bestätigen soll!
Auf diese Forderung hat der Sejmmarschall dem Ministerpräsi denten mitgeteilt, daß die Dekrete des Staatspräsidenten durch ein fachen Gejmbeschluß jederzeit aufgehoben werden können. Trogdem beschlagnahmt die Regierung nach wie vor die Oppositionspresse, nunmehr auch die Linksblätter. So wurde z. B. jetzt wieder die sozialistische Bolkszeitung" in Lodz beschlag nahmt, auch ein linksradikales Bauernblatt somie der Robotnit", das Zentralorgan der polnischen Sozialisten in Warschau ; der Robotnit" megen eines Berichts über den gegenwärtig in Barschau tagenden Eisenbahnertongreß. Auf dieser Tagung sind sehr scharfe Reden gegen die Regierung gehalten worden und es wurde geradezu mit Reue daran erinnert, daß die Eisenbahner im Mai 1926 den Sieg des Pilsudski - Putsches mit entschieden haben, indem sie Truppentransporte für seine Gegner verhinderten.
Schandjustiz in Ostoberschlesien.
Kattowik, 27. September. ( TU.) Das Schöffengericht in Rybnik hat den deutschen Bergarbeiter allelhet, der in seiner eigenen Wohnung von fünf polni fchen Aufständischen überfallen und schwer mißhandelt
Nur die ,, Deutsche Zeitung" hält durch. Das einzige rechtsstehende Blatt, das gestern abend die Barole abstoppen!" nicht oder noch nicht befolgt, ist das alldeutsche Organ, die„ Deutsche Zeitung". Dieses Blatt ist allerdings stets das enfant terrible" der Regierungspresse, und man merkt es feinen Kommentaren an, daß es die Aktion nur fortfehen mill, um Stresemann eins auszuwischen. Herr Stresemann irrt gewaltig", so schreibt das Sprachrohr der Claß, Sodenstern und Genossen, wenn er glauben sollte, daß durch die Rede Hindenburgs und sein eigenes Interview im Matin" die Frage der Kriegsschuld fürs erste erledigt sei. Man dürfe„ nicht halb megs stehen bleiben, nachdem die Regierung den richtigen Weg eingefchlagen habe. Die ganze Welt wartet nun auf die Taten, die den Worten folgen". Der Reichsaußenminister sollte auf der Oftober- Tagung des Reichstages Aufklärung darüber geben, " wie die Reichsregierung zur neugeschaffenen Lage in der Kriegsschuldfrage steht und was sie zu tun beabsichtigt".
Während noch allgemein am Montag angenommen und gemeldet wurde, daß Stresemann und Briand , nach bem fie eine furze Unterredung im Borraum des Böller bundfaales gewiffermaßen öffentlich geführt hatten, vor ihrer Abreise eine neue Aussprache haben würden, ist durch die plögliche Abreise des französischen Außenministers am Dienstag mittag dieser Plan vereitelt worden. auf Bariser Bint zurückzuführen sei. Es bleibe dahin Es wird versichert, daß diese vorzeitige Abreise Briands geftelt, ob wirklich dringende Geschäfte die Rückkehr Briands veranlaßt haben oder ob seine Ministerkollegen infolge der durch die Tannenberg- Rede eingetretenen Spannung einstweilen verhindern wollten, daß er sich mit dem Reichsaußenminister über die deutsch - französischen Fragen eingehend unterhalte.
Es wäre zwar bei einer solchen Aussprache doch nichts Bositives herausgekommen. Aber die Tatsache, daß sie nicht mehr stattgefunden hat, ist jedenfalls kennzeichnend für die Stimmung, die zwischen der deutschen und der französi fchen Regierung trop vierwöchiger Völkerbundstagung durch die Tannenberg- Rede entstanden ist.
Was begab sich in der Vorhalle?
Paris , 27. September. ( Eigenbericht.)
Die Pariser Blätter geben der Ueberzeugung Ausdruck, daß die kurze Besprechung, die am Montag zwischen Briand und Stresemann in Genf stattgefunden hat, nicht den Charakter eines politischen Meinungsaustausches über die zwischen Paris und Berlin schwebenden Probleme gehabt habe. Stresemann habe sich vor allen Dingen bemüht, in gewisser Weise das Unbehagen zu zer: streuen, das in Paris durch die Tannenberg- Rede hervorgerufen worden sei.
Gewerkschaftliche Entwicklung.
Die Tagung des Baugewerksbandes. Bon J. Steiner Jullien.
Dresden , 27. September. Die Debatte über den Vorstandsbericht des Baugewerks bundes, die inhaltlich und auch in der äußeren Form auf einem hohen Niveau sich bewegte, ist heute mit einem Schlußwort des Vorsitzenden Pa e plow zu Ende gegangen. Dieses Schlußwort war sozusagen der Schwanen gesang des alten Kämpen, der seit 1½ Jahrzehnten, jeit dem Hinscheiden seines hervorragenden Borgängers Bömelburg nicht nur an der Spiße dieser gewerkschaftlichen Großorganisation stand, sondern sie auch leitete. Paeplow ist von der Altersgrenze von 65 Jahren erreicht worden. Das Schlußwort, wie auch sein Kommentar zum Vorstandsbericht, zeigten, daß die Jahre unserem alten Freund mohl das Steuer aus der Hand, aber ihm nichts von seinem geistigen Scharfblick, von seinem mit dem Scheine resignierter Stepfis umhüllten Wagemut nehmen konnten. Und es klong unter dem Lächeln etwas wie Bitterfeit durch, daß doch nicht alle organisatorischen Ziele erreicht worden seien, die er sich gesteckt hatte. Und menn Paeplow humoristisch sagte, er hinterlasse seinem Nachfolger 400 000 Mitglieder und 15 Millionen Marf, so war gewiß fein Stolz hinter der scherzhaften Bemerkung, eher das Gegenteil.
lleberraschend für den Fernstehenden ist es aber, daß die Enttäuschung Baeplows darüber, daß nicht alle Blütenträume gereift sind, von den Delegierten geteilt wurde, was manchmal mit einer Leidenschaft zum Ausdruck fam, die verwundern muß. In der Debatte, die weit hinausgreift über den Rahmen einer Gewerkschaft, in der u. a. auch Graßmann vom Bundesvorstand des ADGB. , Wolgast Borsitzender des Dachdeckerverbandes zu Worte kamen, als Vorsitzender des Zimmererverbandes und Thomas als murde in erster Linie das Problem der gewerkschaftlichen Fortentwicklung zum Industrieverband er örtert. Aber bevor der Inhalt dieser Debatte skizziert wird, ist es notwendig, noch einige andere Punkte hervorzuheben.
Es ist bekannt, daß von dem Vorgänger Paeplows, von Theodor Bömelburg, das Wort stammt: Partei und Ge= wertschaften sind eins." Damals, vor 25 Jahren, auf dem Stuttgarter Gewerkschaftskongreß gehörte ein gewisser Bekennermut dazu, trotz aller polizeilichen und juristischen Schikanen und Fangeisen, als Vorsitzender des Gewerkschaftsfongresses, laut auszurufen ,, Partei und Gewerkschaften sind eins!"
Heute haben die Gewerkschaften nicht mehr diese Schifanen und Fangeifen zu fürchten. Aber die Arbeiterschaft ist durch die bosschemistische Spaltung gegangen und ist leider noch weit davon entfernt, sie überwunden zu haben. Bei den Bauarbeitern ist der alte Bekennermut zur Sozialdemokratischen Partei geblieben. Wohl gibt es Aber ihre Bedeutung ist gleich Null. Und an Bömelburg auch einige fommunistische Delegierte auf dem Bundestag. Herzens vom Sozialismus sprach, den man sich als Mensch wurde man erinnert, als Baeplow mit der Leidenschaft des erarbeitet haben muß; als der Redakteur Schmidt ausrief, daß er heute schon den Kommunisten das Bersprechen gebe, bei den nächsten Wahlen im Grundstein" mit aller Entfchiedenheit für die Wahl von Sozialdemokraten sich einzusetzen: Man sage, es gebe amei Arbeiter parteien. Wie sieht es aber damit aus? Die Kommunisten bekämpfen und beschimpfen uns. Die Sozialdemo= fratische Partei ist die einzige Partei, die rückhaltlos für die Forderungen der Gewerf= fchaften eintritt, die niemals versucht, den GewerfSchaften ihren Willen aufzuzwingen, ihnen zu dittieren, wie und wann sie ihre Kämpfe führen sollen." Diese Bekenntnisse hat der sonst nicht gerade beifallsfreudige Bundestag mit lebhaften, teilweise stürmischen Beifallsbezeugungen unterstrichen.
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worden mar, megen schwerer Rörperverlegung zu zwei Wochen Haft ohne Umwandlung in eine Geldstrafe und zu 75 Zloty Geldstrafe wegen groben Unfugs verurteilt! Seine Angreifer wurden wegen Hausfriedensbruchs und Körperverlegung bei Annahme mildernder Umstände, weil sie gereizt gewesen seien, zu je einem Monat Gefängnis mit Umwandlung von je einem Tag Haft in 10 Zloty Geldstrafe verurteilt. Dieses Urteil war nach der ganzen Art der Prozeßführung zu erwarten. Dem Verteidiger des Ueberfallenen gelang es nicht, das Verfahren gegen seinen Klienten von dem Verfahren gegen die Angreifer abzutrennen und so wurde Walloschet, obwohl Angeklagter und gleichzeitig 3euge, lediglich als Angeklagter be handelt. Von den Zeugen wollte nur ein einziger beleidigende Aeußerungen des Walloschek gegen die Aufständischen gehört haben. Walloschek wurde seinerzeit auf der Straße verfolgt und flüchtete in seine Wohnung, die er hinter sich abschloß. Die Aufständischen zerbrochen die Tür, zerrissen die Sicherheitskette und drangen in die Wohnung Walloschets ein. Walloschek gibt zu, zu feiner Berzialisierter Baubetriebe eingesetzt und haben es teidigung ein Meffer ergriffen zu haben; der angeblich durch das Messer im Gesicht Berlegte wies aber bei der Verhandlung nicht die Spur einer Narbe auf. Auch die Frau des Angeklagten murde mißhandelt. Walloschef flüchtete aus der Wohnung in den Hof und wurde auch dort von den Aufständischen schwer mißhandelt. Die schwere Gefängnisstrafe gegen einen Deutschen , der sich in seinem eigenen Hause gegen Eindringlinge zur Behr sette einer von diesen ist übrigens wegen Diebstahls mehrere Male vorbestraft Diese Enttäuschung, die immer wieder durchbrach, und das milde Urteil gegen die Eindringlinge felbft ist um so be ist vielleicht ein Zeichen innerer Jugendlichkeit. Ge zeichnender, als besonders die den Aufständischen auferlegten Gelb wiß, noch immer sind nicht alle Bauarbeiter im trafen höheren Ortes beglichen zu werden pflegen. Die Baugewerksbund vereinigt. Aber Industrieorgani. tattowiger Zeitung", die den Berhandlungsbericht brachte, ift befationen macht man nicht, auch wenn man sich mit fchlagnahmt worden. bem Eifer von Neubefehrten dafür einfegt, auch wenn Ge
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Und noch ein anderes verdient erwähnt zu werden. Der Bauarbeiterverband hat dem Drängen der Massen unmittelbar nach dem Kriege auf sozialistische Verwirklichungen nachgegeben. Die scheinbar so nüchternen Realisten haben sich mit Feuereifer für die Schaffung sotrotz der Widrigkeit der Umstände durchgesetzt, daß heute, nach sieben Jahren, die Bauhütten die übrigens von den gesamten Gewerkschaften unterstügt werden ein mit bestimmender Fattor auf dem Baumarkt geworden sind. Verwunderlich angesichts dieses beispiellosen Erfolges ist es, daß auch hier bei Paeplom und anderen ein unbefriedigtsein, wenn nicht eine Enttäuschung durchklang.