fibenöausgabe Nr. 459« 44. Jahrgang Ausgabe L Nr. 227
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Derlinev VolkesblAkt
(lO Pfennis) Mittwoch 28. September 1 �27
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Zcnfralorgan der Sozialdemokratifchen parte» Deutfchlands
Streitbesthluß der Straßenbahner. Morgen Festsetzung des Streikbeginns.
Das vollständige Ergebnis der Urabstimmung der Sirahenbahner liegt nunmehr vor. Von 13 030 Beschäftigten haben sich 11 SS? an der Abstimmung beteiligt. Da von den Beschäftigten die Kranken und Urlauber abzuziehen sind, haben sich die Straßenbahner also f a st restlos an der Abstimmung beteiligt. Von den 11 SS? Stimmen lauteten 11178 für Streik. SS3 für Arbeit. 38 waren ungültig. Somit ist die Dreiviertelmehrheit nicht nur erreicht, sondern noch ganz erheblich überschritten worden. Man kann sagen, daß die Streikmehrheit— wenn man die Kranken und Urlauber in Rechnung stellt— über SO Prozent beträgt. Morgen abend treten die Funktionäre der Straßenbahner zusammen, um die letzten Vorbereitungen für den
Die tzanüelsvertrag-Sabotage. Rauscher erhält aus Berlin keine Instruktionen. Warschau , 23. September. (Eigenbericht.) Die presse meldet übereinstimmend, daß die deutsch -polnischen Verhandlungen über einen Handelsvertrag aus einem toten Punkt angelangt seien. Die Besprechungen, die der deutsche Gesandte Rauscher das eine Wal mit den Stellvertretern des erkrankten Außenministers und das andere Wal mit dem Direktor des politischen Departements sühre, trügen lediglich ollgemeinen Charakter, dazu anzunehmen sei, daß der Gesandte keinerlei neue Instruktionen aus Berlin erhalten habe. * Ueber dies« Meldung ist an den Berliner Regierungsstellen eine sachliche Aeußerung vorläufig nicht zu erlangen. Eben- sowenig ist in Erfahrung zu bringen, o b und wann die Reichs- regicrung über neue Instruktionen für den Gesandten in Warschau beschließen werde. Man erklärt lediglich, daß ein günstiges Fort- schreiten der deutsch -polnischen Verhandlungen auch dadurch beein- trächtigt worden sei, daß es zu der erwünschten und angekündigten Zusammenkunft der beiden Außenminister in Genf nicht ge- kommen ist. Der polnische Außenminister Zaleski war bei Be- ginn der Pölkerbundstagung krank und ist auch bis zu ihrem Schluß nicht in Genf eingetroffen. Aber sollte es denn wirklich nicht vielmehr als auf Herrn Strefe- mann auf Herrn Schiel«, dem deutschnnotionalen Ernährung-. minister, bei diesen Bertragsverhandlungen ankommen, deren günstiger Erfolg dem deutschen Volke billigere Lebens- mittel verschaffen würde?!_ Der Terror in Litauen . Tos„Plebiszit" der Faschisten. Aus Eydtkuhnen an der ostpreußisch-litauischen Grenze erhalten wir von einem geflüchteten litauischen Sozialdemokraten nachstehenden Bericht. Die litauische Regierung hat beschlossen, im Ottober das geplante „Plebiszit" durchzuführen. Sie hat verfassungswidrig allen Bürgern von 20 bis 24 Iahren das Wahlrecht geraubt. Dadurch werden 1S0 000 wahlberechtigte Bürger von der Wahl ausgeschlossen. Das„Plebiszit" soll nicht geheim, sondern unter polizei- l i ch e r Aufsicht vorgenommen werden. Stimmabgabe soll gleich- zeitig die Bestätigung S m e t o n a s als Präsidenten für die Dauer von sieben Jahren bedeuten. Alle polilischen Parteien, wie die Christlichen Demokraten, die Partei der Bolkswirte, Volkspartei, die Sozialdemokraten und die Minderheiten haben beschlossen, das„Plebiszit" zu boykottieren. Es wird sich daran nur die Re- gierungspartei, die„Tautininkai", beteiligen. Auf der letzten Kon- serenz der Kreishauptmänner und der Kommandanten hat der Innen- minister M u st« i k i s befohlen, das Referendum nötigenfalls brutal durchzusetzen. Im Zusammenhang damit wurden schon 1500 oppositionell gesinnte Personen in hast gesetzt, hauptsächlich Sozialdemokraten. Diese Tat begründet die Regierung damit, daß die Verhafteten am Putsch von Tauroggen mitschuldig seien. Infolge- dessen wurden viele Sozialdemokraten gezwungen, das Land geheim zu verlassen, darunter einer der Führer der Sozialdemokratischen Partei, Genosse Pletschkaitis, der vermißt wird. Es wird versichert, daß der Genosse Pletschkaitis durch die politische Polizei ermordet wurde. Der Terror in Litauen steht in größter Blüte. Es werden sogar einige Arbeiter verfolgt, deren„Schuld" allein darin besteht, daß sie an dem Bankett, das zu Ehren Albert Thomas' veranstaltet wurde, teilgenommen haben. Fast alle Fachverbände sind aufgelöst.
tzorthps Kriegsruf. „Seid sprungbereit!" In Gödöllö , wo Franz Joseph oft In seinem Lustschloß weilte, sind zwei Fahnen de, Reichsverbandes der Levente- Gruppen und der Pfadfinder eingeweiht. Dies find die jugendlichen Sturmtruppen der Reaktion, die militärisch organisiert sind und, m i t den besten Waffen feldmößig ausgerüstet, durch Offiziere der Horthy-Arme« militärisch ausgebildet werden. Die
Streik zu lrefsen. Auch der Zeitpunkt für den Streik- beginn wird von den Funktionären festgesetzt werden. Es kann sich dabei aber nur um eine kurze Spanne von etwa 24 bis höchstens 30 Stunden handeln. Somit ist damit zu rechnen, daß ab Freitag, spätestens Sonnabend die Slraßenbahnzum Still st andkommt. Denn auch die paar hundert, die für Annahme des Vergleichsvorschlages gestimmt haben, dürsten sich dem Streik anschließen. Der Streik wird mit seltener Einheitlichkeit geführt werden. Oer Schlichter greift ein. wie wir kurz vor Redaktionsschluß erfahren, hat der Schlichter die Parteien zu einem letzten Einigungsversuch zu morgen miliag geladen. Dadurch würden die Funktionäre Gelegenheit haben, eventuell zu der neuen Situation Stellung zu nehmen— vorausgesetzt. die Verhandlungen führen zu einem neuen Ergebnis.
Heranziehung zum Dienste in diesen Verbänden geschieht Zwangs- weise durch die Gendarmerie, Verweigerung des Dienstes wird als Verweigerung des militärischen Gehorsams geahndet. Zur Fahnenweihe erschien u. a. H o r t h y sowie A l b r e ch t Habsburg, der Oberbefehlshaber aller dieser Organisationen, weiter der stellvertretende Ministerpräsident, Prälat Dr. V a s s, und zahlreiche Politiker. Nach einer Feldmesse übergab Horthy die Fahnen an die Kommandanten beider Organisationen. Er hielt eine kurze Rede, die mit stürmischer Begeisterung auf- genommen wurde. Horthy sagte nur: „Euch brauche ich nicht näher auseinanderzusetzen, was die Ausgabe oller anständigen Magyaren ist. Ihr habt Euer warmes Herzblut dem Vaterlande verschrieben. Vereilet Euch vor« Seid sprungbereit; Denn in der nahen Zukunft harrt Euer eine große Rolle!" Die ungarischen Kriegsrüstungen samt der allgemeinen Levente- Pflicht sind mit stiller Duldung der Ententemächte, besonders Eng- lands und Italiens , eingeleitet und fortentwickelt worden. Für das konservative Regime Englands spricht die Kampagne Rothermeres auf Wiedergabe der Slowakei und Karpathorußlands an Ungarn ; auch in Warschau hätte man gern eine Grenze mit Ungarn und gönnte der Tschechoslowakei herzlich gern eine starke Verkleinerung— was man aber in Warschau möchte, hat auch Fürsprecher in Paris . Und Italien braucht einen waffenfähigen Verbündeten in der Flank« Südflawiens, das die Ostküste der Adria besitzt und ihm den Weg auf den Ostbalkan verlegt. Sin früheres Rüftungsangebot 5ranereichs. Budapest , 28. September. Da» legitimistische Organ„Magyarsäg" bringt in großer Auf- machung auf der ersten Seite«ine Rote der französischen Regierung vom IS. April 1920, gezeichnet von dem ge- wesenen Botschafter in Moskau, Maurice Poleologue. In dieser Rote macht die französische Regierung durch die Vermittlung Palco- logues, der 1920 Generalsekretär im französischen Außenministerium war. der ungarischen Regierung den Vorschlag. Ungarn solle eine aus 100 000 Mann bestehende Armee schaffen, damit sie dann durch Karpathorußland Polen zu Hilfe eile, welches Land damals von der russischen Offensive bedroht war, und zwar gegen«ine Reihe von der in der Note genau aufgeführten politischen und wirtschaftlichen Zugeständnissen. Der„Magyarsäg" bemerkt zu dieser Note, der damalige Ministerpräsident Simenyei-Semadam habe die Beschlußfassung über diese französische Note ständig hi n a u s g e s ch o b e n, bis dann der fran- zösische General W e y g a n d die polnische Armee reorganisiert und die Russen aus Polen verjagt habe, worauf die französische Regie- rung ihr Angebot zurückgezogen habe.
Kämpfe in Süöchina. Erfolgreiche Verteidigung der Stadt Dünnanfu. London , 28. September. In der Provinz P ü n n a n(im Süden, gegen Französisch- Tonking) kam es zu blutigen Kämpfen um den Besitz der Hauptstadt Dünnanfu, die General Sing-Din, angeblich ein Anhänger der Kuomintang, verteidigt. Gegen ihn marschiert nach Er- oberung von Ischenkiang, das etwa 12 Meilen von Aünnansu liegt, der General Tangjchiyu. Die Anhänger der Kuomintang mußten nach der Hauptstadt zurückweichen, auf die zwei Tage vergeb- lich Sturm gelaufen wurde. Die Bürger verteidigten die Stadt von den Festungswällen herab mit Felsblöcken und flüssig gemacht en Blei. Wie die„Chicago Tribüne" meldet, mußten die Angreifer unter Zurücklassung von 300 Toten zurückgehen. Kommunistenrazzia in Japan . Tokio . 28. September. In D o k o h a m a ist bei zahlreichen Kommunisten gehaussucht worden. Außerdem wurden 4 0 Schiff« nach kommunistischen S gitatoren durchsucht. Mehrere hundert Personen wurden r erhastet.
Aufstieg Oer Sozialdemokratie. Die Kommunalmahlen im Unterelbegebiet und ihre Lehren.— Erste Probe für das Jahr 19588. Von H. Pohlmeycr. Mit begreiflicher Spannung hat man in Preußen und im Reiche dem Ausfall der Wahlen im Unterelbe- gebiet entgegengesehen. Alle Parteien erblickten in ihnen eine Probe auf das Jahr 1928, das die großen Entscheidungen in der Zusammensetzung der Volksvertretungen bringen wird. Die Sozialdemokratie hat den Kampf mit einem Sieg für sich beendet. Der Ausgang des wochenlangen Ringens an der Elbemündung wird mif die Wahl zur Vürgerfchaft in Hamburg am 9. Oktober und auf die nächstjährigen Wahlen zum Preußischen Landtag und Deutschen Reichstag von starkem Einfluß sein. Der W a h l k a m p f selbst ist in den Städten Altona , Harburg-Wilhelmsburg , Wandsbek und Lok- ft e d t, wo auf Grund des vom Preußischen Landtage am 29. Juni beschlossenen Gesetzes über die Neuregelung der kommunalen Grenzen im Unterelbegebiet die Stadtverord- netenkollegien frisch gewählt wurden, und iin Kreise Pinneberg , wo aus dem gleichen Grunde ein neuer Kreistag zu bilden war, mit größter Schärfe geführt worden. Alle Parteien, mit Ausnahme der Demokraten, richteten ihre ganze Stoßkraft gegen die Sozialdemo- kratie. Allerdings war das Bürgertum, besonders in den Großstädten Altona und Wilhelmsburo, völlig zersplittert. In seinen Reihen hat sich die unselig- Reichspolitik der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei bereits gründlich ausgewirkt. In A l t o n a gab es 13 Listen, dar- unter 10 bürgerliche und 2 kommunistische(linke KPD . und Moskauer Richtung); in Harburg-Wilhelmsburg standen neben der sozialdemokratischen und kommunistischen Liste 8 bürgerliche Wahloorschläge. Die tieferen Ursachen des Auseinanderfallens des Bürgertums gehen aus der B e- nennung der Listen am deutlichsten hervor. Es sind in erster Linie die verschiedenen Wirtschastsgruppen des sogenannten Mittel st andes, die als neue Be- werber um Stadtverordnetenmandate auftauchten. Von ihnen feien genannt:„Deutschtum»md Vaterland",„Zentral- ausschuß der kommunalen Vereine", Aufwertungspartei, Mittelstandspartei(Altona ), Haus- und Grundbesitzer, Mieter und Aufwerter, Handwerk, Handel und Gewerbe, Unpolitische Liste(Harburg-Wilhelmsburg ),„Bund für Volkswohl und Recht"(Wandsbek), Vaterland, Eigenheim, Beamte, Baum- schulen(Kreis Pinneberg ). Alle diese Splittergruppen er- litten, sofern sie früher schon bestanden, schwere Nieder- lagen. So ging z. B. die Mieterliste in Harburg und Wil- Helmsburg von insgesamt 11 Sitzen auf einen zurück. Die neuen Sondergruppen erzielten gleichfalls keine bemerkens- werten Erfolge oder sie erhielten gar kein Mandat. In Harburg-Wilhelmsburg, Wandsbek und Lokstedt hatten sich Deutschnationale und Deutsche Volkspartei verbündet; im Kreise Pinneberg tauchten sie gar nicht auf und in Altona litten sie erheblich unter der starken Zersplitterung. Sie brachten es in Harburg-Wilhelmsburg nur noch auf 7 Sitze gegenüber 19, die sie 1924 in den Vertretungen beider Städte gemeinsam besaßen. In dem Uebergangskollegium waren ihnen nach der Vereinigung in Gemeinschaft mit dem übrigen bürgerlichen Mischmasch 16 Sitze zugebilligt worden. Es ist im Hinblick auf die Ein- und Umgemeindungen die Verschiebung in den Wählerziffern und die erfolgte Ver- stärkung der Wählerschaft selbstverständlich sehr schwer, Ver- gleiche mit den Gemeindewahlen vom Jahre 1924 zu ziehen. Aber an einigen besonderen Zusammenstellungen kann doch der große Fortschritt der Sozialdemokratie ersichtlich gemacht werden. Im Jahre 1924(vor der Verein!- gung) entfielen auf die Sozialdemokratie in Harburg und Wilhelmsburg zusammen 17 498 Stimmen. Sämtliche Gegner mit Einschluß der Kommunisten vereinigten auf sich 31 S98 Stimmen. Bei 46 080 Wählern, die ihre Stimme abgaben, entfielen demnach 38 Proz. auf unsere Partei und 13 Proz. auf die KPD . Ganz anders dagegen sieht das Bild aus, das die Wahlen vom 25. September 1927 ergaben. Durch sie errang die Sozialdemokratie 24 136 Stimmen in beiden Städten. Sämtliche Gegner brachten es zuzüglich KPD. nur noch auf 29 051 Stimmen. Während die Differenz zwischen unseren Bekämpfern und unserer Partei 1924 noch 14 100 Wähler betrug, schrumpfte sie 1927 auf 4915 zusammen. Die Sozialdemokratie erzielte 44 Proz. aller Stimmen, die Kommuni st en brachten es auf rund 17 Proz. Dabei kam ihnen lediglich der Verteilungsschlüssel zugute, denn ihr gesamter Stimmenzuwachs betrug in Har- bürg und Wilhelmsburg zusammen bei dieser Wahl gegen- über Mai 1924 nur 525 Wähler, wir konnten dagegen 6648 Stimmen mehr buchen. Aehnlich gestaltet sich das Ver- hältnis in Altona , wo die SPD . 1924 ohne Berücksichtigung der Eingemeindungen 29 598 Stimmen mit 18 Stadtverord- neten erhielt. Am 25. September 1927, also nach den Ein- gemeindungen, gaben 43 026 Wähler ihre Stimme für uns ab, und wir erhielten 26 Mandate. Die Kommunisten be- kamen 1924 ohne Berücksichtigung der Eingemeindung 17 273 Stimmen mit 10 Mandaten; sie konnten jetzt nach der Zusammenlegung aber nur 18 537 Wählerstimmen erringen, wodurch sie ein Mandat mehr bekamen. Ihre Zunahme ist danach lediglich ein natürliches Ergebiris der Eingemeindung, dagegen tritt bei der Sozial-