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Freitag 21. Oktober 1927

Technik

* gunun Beilage

des Vorwärts

Zur Eröffnung der Werkstoffschau.

Die Werkstoffschau, die der Verein Deutscher Ingenieure in Ber­bindung mit maßgebenden Fachverbänden und dem Messeamt Berlin am Kaiserdamm veranstaltet, ist nicht eine Angelegenheit der Fach­freise, sondern eine Angelegenheit von jedermann. Unser aller Leben und Gesundheit hängt davon ab, daß die Stoffe, die zum Bau nicht nur von Maschinen, Brücken, Gebäuden, sondern ebensogut auch von Kleidern und Schuhen dienen, in ihrem Verhalten und ihren Eigen­schaften richtig erfannt werden. Das furchtbare Flugzeugunglüd bei Schleiz , bei dem sechs Menschen getötet wurden, weil ein fleines Stückchen Stahlblech im entscheidenden Augenblick den Dienst ver­sagte, beweist deutlich, wie sehr mir alle von diesen leblosen Gegen­ständen abhängig sind. Die Werkstoffschau soll uns nun zeigen, nicht nur was auf dem Gebiete der Werkstoffe alles erreicht worden ist, sondern auch, wie unsere Kenntnisse zustande kommen.

Prüfverfahren der Technik.

Hier find in erster Linie wichtig die Prüfverfahren, die zur Feststellung der Materialeigenschaften dienen. Früher überfrug sich solche Kenntnis von Mund zu Mund, vom Meister auf den Lehrling und von diesem wieder auf seinen Lehr­ling, wie man Schafleder und Ziegenleder, Stahl und Eisen unter­scheiden könne und behandeln müsse; heute werden in wissenschaft­lichen Anstalten die Eigenschaften systematisch untersucht und in Form, von Zahlen, allenfalls mit fnappen erläuternden Bemerkungen ver: öffentlicht. Für alle Metalle ist vor allem die Festigkeit wichtig. Diese Grundeigenschaft spaltet sich aber wieder in zahlreiche Unter­eigenfchaften, man unterscheidet 8ug, Drud- und Biege­festigteit, die Festigkeit gegen dauernde und stoßr cife Beanspruchungen und noch anderes. Diese kleine Aufführung zeigt, wie verwickelt die Frage ist, sind doch alle diese Zahlen wichtig, um diejenigen, die das Werk der Mechanik gebrauchen, zu schützen. Um die Bruchfestigkeit festzustellen, wird aus dem Metall ein Stab Don genau bekanntem Querschnitt geformt, der in einer Zerreiß­maschine mit solcher Kraft auseinander gezogen wird, daß er schließ­lich zerreißt. Die aufgewendete Kraft wird von der Maschine selbst­tätig aufgeschrieben; dividiert man sie durch den Querschnitt, so erhält man den Zug je Quadratmillimeter, der als sogenannte spezifische Bruchlaft bezeichnet wird. Für Schmiedeeisen gewöhnlicher Art beträgt die Bruchfestigkeit etwa 40 Rilogramm je Quadratmillimeter, für Gußeisen dagegen viel weniger. Daß Gußeisen spröde ist, wissen mir alle, worauf es beruht, sagt uns die Festigkeitsuntersuchung. Wenn man das Metall unter eine Presse mit sehr hohem Drucke bringt, wird es zusammengebrüdt, das Maß des Zusammenbrüdens gibt uns die Druckfestigkeit an. Sie ist bei Gußeisen wiederum im Berhältnis zu Schmiedeeisen recht hoch. Eine dritte wichtige Größe ist die Dehnung. Der zerrissene Stab dehnt sich um ein gewisses Stück aus, ehe er bricht, man mißt die Dehnung in Prozenten der Gesamtlänge. Je höher die Dehnung, um so elastischer ist der Stoff, Gußeisen hat eine geringe, Schmiedeeisen eine hohe Dehnung, aus den Zahlen kann man fofort erkennen, ob man ein sprödes oder elastisches Material vor sich hat. Natürlich sind Schmiedeeisen und Gußeisen mur Beispiele, die jeder kennt. Unsere Stahlindustrie stellt aber häufig neue Stahlsorten her, und der Maschinenfabrikant in Ostpreußen oder auch in Indien und Australien fann nicht immer wissen, wozu fie gut sind. Diese Zahlen aber sagen ihm alles.

Keramische Werkstoffe.

Ein interessantes Sendergebiet find die teramischen Werkstoffe. Hier findet am meisten das Porzellan in der Technik Bermendung. Wer von uns tennt seine Festigkeits­eigenschaften? Wahrscheinlich halten wir es alle für ganz un­geeignet, Festigkeit zu zeigen. In Wirklichkeit hat es aber eine außerordentlich hohe Drudfestigkeit, die z. B. da ausgenutzt wird, wo elektrisch leitende Körper von hohem Gewichte zu tragen sind. Die hohen Funktürme in Nauen , die viele Hunderte von Tonnen( zu je 1000 Kilogramm) wiegen, ruhen auf Porzellan­förpern! Die 100 000- Boltleitungen, die durch die Straßen des nördlichen Berlins führen, hängen an Hänge- Isolatoren aus Porzellan, jeder dieser Isolatoren ist geprüft und fann eine hängende Last Don mindestens 4-5 Tonnen tragen ohne zu brechen. Zugfestigkeit ist sonst nicht die Stärke von Porzellan, hier ist sie durch eine außer­ordentliche Vervollkommnung des Werkstoffes erreicht worden. Die Technik der feramischen Isoliermaterialien ist aber noch weiter por­geschritten. Ein neuerer Werkstoff, der dem Borzellan einen gefähr lichen Wettbewerb macht, ist das Steatit, das aus Spedite in gebrannt wird. Es hat nahezu die gleichen isolierenden Eigen­schaften wie das Porzellan, ist aber fast unzerbrechlich. Wenn man gegen einen Steatit- folator aus fürzester Entfernung mit einer flein falibrigen Pistole schießt, gibt es einen hellen Klang: die Kugel ist abgeprallt, der Isolator unversehrt. Läßt ein Monteur einen Steatitifolator von der Höhe eines dieser Maste auf das Straßen­pflaster herunterfallen, so springt er bis nahezu zur vollen Höhe wieder hinauf, er ist elastisch wie ein Gummiball.

Steine und Erden.

Mit den feramischen Werkstoffen verwandt sind die Steine und Erden, die zum Bauen dienen. Natürliches Gestein, 3iegelsteine, Beton, 3ement und alle die vielen Arten Sunfifteine müssen genau so in der Festigkeitsmaschine geprüft werden, wie Eisen oder Messing. Nur ihre charakteristischen Eigenschaften find etwas anders, aber aus den Zahlen kann der Fachmann die Verwendungsmöglichkeit ablesen. Fast alle zeichnen sich dadurch aus, daß sie verhältnismäßig hohe Druckfestigkeit, aber ge= ringe Biegefestigkeit und Dehnung haben. Man muß fie also so verwenden, daß sie auf Druck beansprucht werden, d. h. ihnen aufliegende Laften tragen. Das ist z. B. bei unseren Haus­mauern fast immer der Fall, dagegen werden sie auf Biegung be­ansprucht, wenn der Wind mit großer Kraft gegen die Seitenflächen eines Hauses bläst und es umzuwerfen trachtet. Selbst ein sehr festes Haus wird dann etwas nachgeben, aber auch wieder zurück federn, wenn der Wind aufhört. Eine gewisse Elastizität ist also nötig. Bei manchen Bauwerken genügt das nicht, man muß hohe Elastizität fordern, wie z. B. bei weitgespannten Brücken. Hierfür ist dann ein besonderes Kunstmaterial erfunden worden, der Eisenbeton. Beton selbst ist ein Gemisch aus Sand, Kies und 3ement, der Eisenbeton enthält außerdem noch Ein lagen von Eisenstäben. Wird der Eisenbeton nun auf Druck beansprucht, wie etwa in den Pfeilern von Brücken, die die über ihnen liegende Last zu tragen haben, so übernimmt der Beton die Last, denn die dünnen Eisenstäbe haben natürlich feine Druck­festigkeit. Tritt aber eine Biegungsbeanspruchung auf, wie sie in den Brüdengurtungen immer vorkommt, so tommt das Eisen zur Wirkung, feine Elastizität zusammen mit der Festigkeit des Betons hält der Belastung stand. Bei solchen Stoffen sind aber noch ganz andere Eigenschaften zu prüfen als nur die Festigkeit. Ihre Be­ftändigkeit gegen Waffer, auch unter erschwerenden Umständen 1

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WERKSTOFFÜBERSICHT: METALLE

WERKSTOFF­OBERSICHT

ELEKTROTECHN

ISOLIER STOFFE

WERKSTOFFPPUFSCHAU

ELEKTROTECHN ISOLER STOFFE

PHYSIK

METALLO

GRAPHIE

CHEMIE

MECAN

PRUFUNC

LAGER­PROFUNG

WERKSTOFFPROFSCHAD METALE

u. BEARBEITBARKE

PHYSIK

METALLO

GRAPHIE

STAHL- EISEN

WERKSTOFFPRUFSCHAU

CHEMIE

144.00

AECHAN

PROFUNC

WERKSTATT

WARNE­BEHANDLUNG

TECHNOLOG PROFUNG

WERKSTOFFÜBERSICHT STAHL- EISEN

VORTRAGS­RAUME

RESTAURANT

EINCANC

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B

a

3

Universal- Prüfmaschine mit Laufgewichts­

waage und Meßdose

DVM

Dehnung eines Zerreißstabes

Mechanische DVM

Prüfungen

Meßdose

Dehnungen der

unzelne

einzelnen Stabteile

Manometero

Länge des Stabes vor dem Versuch

Gedehnter Stab nach Bruch

Mechanische Prüfungen

Laufgewichts. wage

Zugprobe Druckkörper

Antrieb

G

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Bild 1: Vom Aufbau der Werkstoffschau in der neuen Autohalle am Kaiser lamm. Die großen Krangerüste, die zur Montage der schweren Schaustücke nötig wurden. Bild 2: Pendelhammer zur Prüfung der Sprödigkeit von Porzellan. Bild 3: Festigkeits­prüfung im Flugzeugbau. Das Werkstück A wird durch die mit Pfeilen gekennzeichne en Kräfte beansprucht Z1 und Z2 sind Zugkräfte, D ist eine Druckkraft. Mit Hilfe von Dynamometern werden diese Kräfte gemessen. Bild 4 und 5: Zwei Sensationen der Werkstoffschau", der große aus einem Stück gewalzte, 31 m lange Doppel- T- Träger und die ebenfalls aus einem Stück hergestellte Kupferschale von 5 m Durchmesser, 11, m Höhe. Bild 6 und 7: Ein Zerreißstab vor und nach der Prüfung. Die Vierecke über dem unverletzten Stab zeigen die Größe der Dehnung. In der Mitte ist sie am größten und führt hier zum Bruch. Bild 7 zeigt in schematischer Darstellung einen eingespannten Stab in einer Universal- Prüfmaschine. In der Mitte ist der Lageplan der Werk­stoffschau wiedergegeben.

( Moorwasser, Seewaffer), ist wichtig, die Durchlässigkeit für den Schall muß man tennen, um feine unangenehmen Ueberraschungen zu erleben wenn man ein Haus daraus gebaut hat, die Leitfähigkeit für Wärme soll niedrig sein, damit das Haus warm bleibt usw. Für alles dies gibt es eigens ausgearbeitete Prüfverfahren.

Glas.

Wenn eingangs gesagt wurde, daß die Uebertragung der Kunde von den Eigenschaften der Werkstoffe nicht mehr wie früher von Mund zu Mund erfolge, so soll damit nicht gesagt sein, daß der Mensch nun vollkommen ausgeschaltet sei. Handwerkliche Tüchtigkeit spielt auch in unserer Zeit immer noch eine große Rolle. Ein erfahrener und tüchtiger Stahlmacher ist einem Hüttenwerk unschätz­bar, die Zusammensetzung nach Prozenten der Bestandteile bringt sehr häufig nicht genau das gewünschte Ergebnis. In anderen Gebieten, in denen die Wissenschaft noch weniger vorgedrungen ist, B. ist das noch in höherem Grade der Fall. Bei Delraffinerien 3. spielt der Chemifer eine recht bescheidene Rolle, der Raffiniermeister ist die Hauptperson, auf seiner Erfahrung und persönlichen Tüchtig feit beruht alles, in merkwürdigem Gegensatz zu unserem, sonst ganz auf wiffenfchaftliche Methoden eingestellten Zeitalter Auch die Glastechnik ist von der Wissenschaft noch verhältnismäßig wenig durchdrungen worden. Hier hat Deutschland einen Fachmann, der ein so feines Gefühl für das Material hat, daß er ohne chemische Analyse fühlt. wie ein Glas für irgendeinen Sonderzweck zusammen­zusehen ist: Otto Schott in Jena , den Begründer des welt­berühmten Jenaer Glaswerkes. Für feine Arbeitsweise ist sehr be­zeichnend die Erfindung eines Sonderglases für Gasglühlicht. zylinder. Die Aelteren unter uns werden sich noch erinnern, wie im Anfange der Gasglühlichtepoche dauernd 3ylinder plaßten. Man versuchte es mit allen möglichen Aushilfsmitteln, 3ylinder aus Glimmer usw. tamen auf und perschwanden wieder Bei Gelegen heit einer Konferenz im Jenaer Glaswerk, das schon mit Gasglüh­licht beleuchtet wurde, sprangen an einer Lampe mehrere 3ylinder hintereinander, so daß schließlich eine Betroleumlampe aus der pein

| lichen Verlegenheit helfen mußte. Schott sagte sich aber daß diesem hartnäckigen Plazen ein Naturgesetz zugrundeliegen müsse, und daß dem nur abgeholfen werden könne, wenn man ein Sonderglas eben für diesen Zweck herstelle. Er suchte sich indeffen dafür nicht aus den zahlreichen Erfahrungszahlen des Jenaer Wertes die Zusammen­fegung des Glafes heraus, die am besten geeignet sein fönnte, sondern stellte gefühlsmäßig ein Glas zusammen, das ein chemisches Element enthielt, das bisher überhaupt noch nicht zum Glasmachen verwendet worden war, das Bor. Und dieses Glas hielt, es plante nicht einmal, wenn man es außen mit faltem Wasser bespritzte, während innen der Auerstrumpi glühte. Hier ist eben ein Künstler seines Faches am Werke gemejen.

In den vorstehenden Zeilen konnte nur ein kleiner Ausschnitt dessen gegeben werden, was in den Ausstellungshallen am Kaiser­damm zu sehen sein wird. Fast unübersehbar ist die Menge der Werkstoffe, der Prüfungsverfahren der Anwendungen. Ein jeder von

uns hat mit diesen Dingen zu tun, ein jeder wird irgendetwas Dipl.- Ing. Dr. Hamm. finden, was ihn besonders interessiert.

Die Werkstoffschau findet in Verbindung mit einer Wert stofftagung vom 22. Oftober bis 13. November 1927 statt. Etwa 220 Vorträge werden das riesige Stoffgebiet be= handeln. Sie alle sollen ihren Niederschlag in einem von maßgeben­ten Fachleuten bearbeiteten Wertstoffhandbuch" finden. Die Tagung selbst wird von Fachleuten des In- und Auslandes, sogar von Uebersee, beschickt sein. Die Werkstoffschau aber wird auch dem Laien und gerade ihm einen tiefen Einblick in die Geheimnisse des

Werkstoffes geben.

Hart ist das Eisen, härfer der Stahl, Am härtsten die Stunden gar manches Mal.

T

Mar Enth Berautwortliche Schriftleitung: Billa Möbus, Berlin .