Dienstag
25. Oktober 1927
Unterhaltung und Wissen
Der Lauscher von Arensdorf.
Beilage des Vorwärts
In dem durch die Bluffat der Hakenkreuzler berüchtigten Arensdorf fand zugleich mit Gründung einer Ortsgruppe eine große Demonftration des Reichsbanners statt. Dabei betätigte sich der Oberhäuptling des Werwolfs, Junter Udo von Alvensleben , im Fenster eines nahen Gebäudes als Horchposten"
Und sie schrieben...
Kleine Geschichten von Hanns Fr. Oft.
Borwort.
Es gibt Menschen, die irgendwie leben. Erst wenn der Drud, der jahrelang auf ihnen lastet, Beutnerschwere erreicht hat oder wenn ein seltenes Ereignis sie aus dem Tagestrott reißt, greifen sie zur Feder. Es ist das letzte Mittel, das ihnen vorschwebt. Feder, Tinte und Papier haftet noch etwas Rätselhaftes, Dämo= nisches an. Es wird weniger Brief als Bekenntnis, unbeholfen, trifft nicht immer den Kern, bleibt bei Nebensächlichem, ist aber wahr, und der Schreiber wundert sich selbst, was Angst, Sorge, Not ihn in den engen Rahmen eines Stückchen Papiers einzmängen ließ.
Eine turze Erleichterung tritt ein, dumpfes Hoffen, bis nach Wochen ales wieder meiter läuft, wie es gewesen, auch die Erlösung aus dem Papier und den schwarzen Tintenhieroglyphen in nichts zerfließt.
Menschen, die noch an Menschen glauben, und Menschen, die nur schreiben, um immer wieder ihre vernichtende Berneinung alles Bertrauens zum Ausdruck zu bringen.
Menschen auf der Schattenseite.
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Wenn der Körper nicht mehr fann, Arbeit nicht mehr geht, fommt die Not. Unerbittlich. Die Frau fagt das ungefähr vor sich hin. Alles, was sie hat, ist ein fleines Stübchen, mit veraltetem Hausrat. Wurmstichiges Gerät; fleine häufchen Holzmehl hat der Burm herausgeschafft aus den vielen Gängen. Er herrscht im Stuhl, im Bett, in der Kommode. Bohrt immer weiter.
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immer weiter.
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Eine trockene
Bohrt wie der Hunger Semmel, ein Töpfchen braunen Kaffee- Ersatz: Fragt in den Spifalen, wie unglaublich lange alte Leute damit um den Tod herumgehen.
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Dann fehlt auch das. Das Schweigen wird fester. Diese Beute nurren nicht, fie ertragen.
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Der Wurm figt im Holz und hat alles. Die Frau starrt durch die opalisierenden Scheiben der Fenster. Sieht nichts; hat nichts. Nie fällt ihr auf, mie schlaraffenhaft das Leben des Holzwurms neben ihr verfäuft. Ihre Gedanken bluten, sie glaubt an Gott und weiß doch nicht, womit sie alles verdient hat. Erst wenn die Hände zittern, die Augen blind sehen und das Leben dennoch im Körper nicht aufhören will, tut fie es:
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An den Herrn Armennvorsteher.
Ich wurde vor Jahren von der Ehefrau eines pensionierten Beichenstellers aus unbegründeter Eifersucht mit tochendem Wasser im Genid und am Oberförper schwer verbrüht, habe daraus volle mier Monate trant gelegen, in welcher Zeit mich Herr Dr. L. behandelte, und habe der dadurch erfolgten Schwächung des Oberförpers Rheumatismus in beiden Armen, Gehörverlust auf dem rechten Ohr, und bei Erfältungen teilweise auch auf dem linken Ohr. Ich stehe im 60. Lebensjahr und tomte dieser Gebrechen halber bisher Beschäftigung nicht wieder aufnehmen. Wenn sich mein 3u ftand nicht wesentlich bessert, stehe ich in Gefahr, der Not zu verfallen, denn ich mußte meine Mittel allmählich aufbrauchen und fann aus mir selbst nicht mehr für mich sorgen."
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Niedrig ist die Schantstube, verräuchert, luftheiß. Die Fliegen steigen zu Duzenden an den Fensterscheiben auf und ab, und in den Glasfängern schwimmen fie in Effigwasser wie schwarze Kränze aufgehäuft um Leben und Tod. Nichts zu hören wie das Fliegensummen; es ist gegen Mittag, die Schenke leer.
Vor dem Schantwirt liegt ein Strafmandat wegen lleber. schreitung der Polizeistunde. Der Mann ist eine Masse, die sich auch Mensch nennt, ein Zerrbild. Keiner der Bauern sieht's mehr. Niemand tennt ihn anders. Wenn er aufsteht, zur Tonbank humpelt, Bier in die Gläser fült, geht's. 3eit ist immer. Er ist ihr Schantwirt.
Der fegt mit der Hand über den Tisch, streicht über die Wachstuchdecke, die in der Hize flebrig fnittert. Das ist sein Plaz. Die anderen Tische haben feine Deden, nicht mal aus Wachstuch. Nur mem er sehr wohl will, darf sich dann und mann zu ihm setzen. Hat nichts zu bezahlen. Was auf diesem Tisch steht, gibt der Wirt.
Der Landjäger wird nie die Beine unter diesen Tisch stecken dürfen. Er ist das lebendige Gemeindegruseln. Hat den Schankwirt angezeigt, weil eine Stunde nicht anders totzuschlagen war, wie nach Feierabend im Gasthof.
Da hilft nur eins, denn die Kasse ist leer. Eine bewegliche Klage an den Herrn Amtsvorsteher. Der wird milde lächeln, er fennt seine Leute:
An den Herrn Amtsvorsteher.
Ich bin ganz gestört an meinem Körper und zur Arbeit nicht fähig und kann die Leute nicht rausschmeißen. 1. Leide ich an Doppelbruch aber sehr schlimm dermaßen manchen Tag darf ich kaum mich bewegen um den Brand, welcher vom Bruch entsteht, zu verhüten, 2. ist mir ein Auge aus dem Kopf entfernt worden, 3. habe ich einen lahmen Fuß, 4. durch mein schlechtes Sehen habe ich durch Fehltritt eine Schulter ausgeschlagen, bis heute noch nicht in Ord
nung.
Jh habe ein Kind in der Schule, eine Weise mit zwei Kinder in meiner Wohnung die ich Unterſtügung gebe. Ein Sohn ist Krämpf leidend. Da ich mit Zeiten nicht weiß was ich machen soll, denn er hat mich schon die Fenster eingeschmissen.
Aus diese Verhältnisse fann ich mich nicht wehren und nichts bezahlen."
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Der Abend wird dämmerig. Wie feiner Nebel steigt es aus der Ober. Die Wasserwirbel vermischen sich hier und dort mit leichten Schleiern. Ein schweres, nafjes Floß treibt stromab. Alte Riefernstämme, riffige, dicke Borte; rot, wo sie feucht ist, wird sie brauner. Ueber diese Stellen geht der Flößer vorsichtiger, wenn er die lange Stange nach vorn schleppt. Dann drückt er sie sentrecht gegen den Strom, stemmt fie gegen die Schulter, und langsam, Schritt um mühsamen Schritt, stapft er schwer feuchend gegen das Ende des Floffes zu. Das hat in der Mitte eine Art Hütte, aus fpit zusamengestellten Strohwänden. Zwei Kinder liegen davor. Eine jüngere Frau hodt zusammengefauert daneben und schält Kar toffeln. Am Ende des Flosses führt die alte Schifferfrau ein langes, schweres Ruder, das als Steuer dient.
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Eine Scholle im Wasser, eine eigene Welt, eigene Leute. Der Flößer zieht gebüdt und feuchend feine Stange wieder
tz:
חוד
F
Was lauscht der Junker so verstört? Ich wüßte gern, was er wohl hört.
weiter. Beim Einstaten verjagt einige Male der feste, altgewohnte Griff. Das metterbraune, zerfritterte Gesicht wird noch müder. Die hängenden Barthaare zittern, als hätten sich die Lippen darunter bewegt. Der Kopf nicht nicht, schüttelt nicht, macht aber eine Verzweiflungsgebärde. Dann schielt der Mann zu seiner Frau rüber, die, auch schon an die Fünfzig, noch Mithilfe leistet. Das ist der Gedankenweg zum müssen. Ein dumpfes Gefühl, daß Arbeit Arbeit ist. Seit vierzig Jahren. Und nun will's nicht mehr. Schluß heute abend.
Es gehört wenig zur Berständigung mit der Ruderfrau. Das Floß treibt zum Ufer, liegt bald fest. Anderntags schreibt der Schiffer. Er hat unterwegs viel Beit gehabt zum Ausgrübeln:
„ An das Infantrieregiment in Saarburg . Bitte meinen Schwiegersohn vom Militär zu entlassen. Ich bin 60 Jahr und fann's nicht mehr Allein. Ein Schifferknecht fann ich nicht halten.
Bemerke daß ein hohes Einkommen auf Schiffahrt nicht erzielt werden kann, weil der Kahnraum mehr zu nimmt und die Frachten dadurch niederer werden, und der Dampf bei den hohen Kohlen Preisen Teurer ist.
Auch habe ich meine Tochter Röschen, die ohne erwerb ist weil sie ihre zwei kleine Kinder 1 von drei Jahr und 1 von 2 Jahr zu marten hat, zu erhalten. Sie ist an Mar Heu verheiratet er ist von Herbst bis auf weiteres bei das Infan.- Regiment in Saarburg Soldat."
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Das Fischerdorf heißt wie alle Fischersiedlungen Kietz.
Die Frau stützt sich mit der einen Hand auf den Tisch und müht fich, gerade zu stehen. In ihr liegen viele Fischergenerationen. Denn wer fischen will, muß aus einer der Familien stammen und Haus und Hof haben. Die Fischereigerechtsame hängt am Haus. Wie die Eltern tot waren, nahm sie sich als spätes Mädchen einen fremden. viel jüngeren Mann. Sie brachte ihm den Broterwerb, aber die Farbe der kommenden Lebensjahre ähnelte dem Gelb ihres franken Gesichtes.
Es war etwas Furchtbares gewesen, das sie hätte trennen müssen. Aber dann gingen sie nachher doch durch dieselbe Stube, dicht aneinander vorüber, ohne innere Berührung, jeder nur ein dicht aneinander vorüber, ohne innere Berührung, jeder nur ein Arbeitsmensch.
Der Mann war jetzt draußen, zwei Tage, eine Nacht auf Fisch fang. Den Kaffee für die Nacht hatte sie ihm eingepact, die Brote, und einen Blick hatte sie nach dem eisernen, teerschwarzen Kessel ge= worfen, der die Mahlzeiten gleich aus dem Fange aufnehmen mußte. Zwei Männer fuhren immer einen Kahn. Geduct sezte die Frau sich in einen Weidensessel und rührte sich faum. Nichts entspannte das Gesicht.
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Der franke Körper wollte nicht mehr, wenn er ganz versagte, war's zu spät. Etwas tam in Gedanken, lag so weit zurück, aber ein gespenstisch langer Arm ging von dort aus über alle Bergangenheit, und seine Hand flopfte dann und wann mahnend auf ihre Schulter. Der starr in den Nacken geworfene Kopf wollte nichts wissen, aber die entsetzten Augen sahen, was nicht Bergangenheit, nicht Gegen
wart war.
Mal mußte es getan werden:
Mein Testament.
§ I. Mein Mann hat im Jahre 1910 eine Anzeige gegen mich wegen Mordverfuchs erstattet. Die Anzeige war grundlos, ich wurde daraufhin mehrere Tage in Untersuchungshaft genommen. Mein Ehemann hat sich damit einer groben und widerrechtlichen Kränkung meiner Ehre und meiner persönlichen Freiheit schuldig gemacht.
Ich enterbe ihn deshalb.
Sollte diese Enterbung nicht rechtskräftig sein, so sehe ich ihn auf den Pflichtteil als Erbe ein."
Ja, was? ei nun, das ist bekannt: Was hört der Horcher an der Wand?!
Auf der Eisenbahn.
Eine luftige Stizze von Leonid Andrejew . ( Deutsch von Grete Neufeld.)
Michts hat mir mehr Kopfzerbrechen bereitet, als das Schlafen im Waggon. Raum hatte ich meinen Blag eingenommen; begann ich schon meine Nachbarn von dem Gesichtspunkt aus zu beurteilen: wird er mich bestehlen oder nicht? und hatte dabei die Empfindung, auch selbst derselben Beurteilung unterworfen zu sein. Ich kam zu der Erkenntnis, daß von diesem Standpunkte aus alle menschlichen Gesichter ein absolutes Rätsel darstellen. Man fann nach dem Gesicht beurteilen, ob jemand gut oder schlecht, flug oder dumm ist; aber zu entscheiden, ob er stehlen wird oder nicht, ist unmöglich. Nach vieljährigen Versuchen gelangte ich zu der Ueberzeugung, daß man sich in dieser Frage nach anderen Kennzeichen richten muß: wie sich der Betreffende fleidet und hauptsächlich, ob er eine Uhr hat oder nicht; es steht aber fest, daß der Besizer einer Uhr Vertrauen einflößt. Dein Signachbar aber spielt mit seiner Uhrfette, du schauft gleichgültig auf deine Uhr und das genügt, um zwischen euch beiden ein stummes Bündnis herzustellen. Nachbars gibt dir noch nicht die Gewißheit eines ruhigen Schlafes. Aber selbst die günstigste Lösung der Frage der Moral deines Alle Menschen fann man nicht ergründen, und das Kupee passieren doch viele Leute. Anfangs beschloß ich, die ganze Nacht zu machen. Da ich aber trotzdem regelmäßig einschlief, blieb mir nichts anderes übrig, als diesem Umstand eine stichhaltige Begründung zu geben. Ich entkleidete mich, soweit es ging, und stopfte mir alles unter den Kopf. Da man mir aber selbst unter dem Kopf hervor die Brieftasche und einem Nachbarn eine Belzmüze gestohlen hatte, verlor ich den Glauben an die Gefahrlosigkeit dieser Methode.
Seit dieser Zeit schlafe ich folgendermaßen: Ich stopfe alle wertvollen Sache in die Hofertaschen und stecke auch noch die Hände hinein, wo ich sie die ganze Nacht laffe. Die Belzmüze aber drücke ich mir derart ins Gesicht, daß ich sie mit Leichtigkeit auch mit den Zähnen festhalten könnte. In dieser Stellung sich umzudrehen, ist allerdings nicht ganz leicht, und man kann auch nur ganz flach liegen, mit dem Rücken nach oben oder nach unten, dafür ist es aber gefahrlos.
Ich erinnere mich eines äußerst unangenehmen Zwischenfalls. Wir hatten taum den Bahnhof verlassen und brachten es noch fertig, uns gegenseitig fennen zu lernen, als der Stationschef in Begleitung eines Gendarmen ins Rupee trat und sagte:
,, Meine Herren, Borsicht! Im Zuge befindet sich ein ge schickter Taschendieb. Bitte auf Ihre Sachen gut achtzugeben!" Was hat er für besondere Merkmale?" fragten wir ,, Blondes Haar, und er ist ungefähr 30 Jahre alt," erwiderte der Gendarm. ,, Aber nein, er ist brünett und noch ganz jung," verbesserte der Sie stritten ein wenig und gingen dann weiter, auch die anderen Fahrgäste zur Vorsicht zu mahnen.
Stationschef
Wie ich nun nach deren Fortgehen auf meinen Nachbarn blickte, wollte ich im ersten Impuls um Hilfe rufen. Er war blondhaarig, ungefähr dreißig Jahre alt und hatte das Aeußere eines geriebenen Taschendiebs. Er fam mir aber zuvor.
Sie find ja noch jung," sagte er. Nun ja, so ziemlich."
,, Und brünett."
Was wollen Sie damit gesagt haben?" schrie ich ihn an. ,,, nichts." Und er rückte ein wenig zur Seite. Allem Anschein nach hatte er die Unverschämtheit, mich für den Taschendieb zu halten. Was aber noch schrecklicher war, auch andere waren seiner Meinung, und ich las aus allen Blicken: Ich kenne dich, du Gauner!" Und dabei waren sie selbst durchweg typische Gauner, besonders mein linter Nachbar, der Blondhaarige, und dann der rechte Nachbar, der Brünette.
und ließen uns gegenseitig nicht aus den Augen. Und wenn i Bis Tagesanbruch saßen wir unbeweglich auf unseren Blägen auch nur einer von uns ein wenig rührte, schrien gleich ofi wildem, verzweifeltem Chor:
Hilfe!"
Am lautesten aber schrie der wirkliche Taschendieb.