Abendausgabe
Nr. 531
B 263
44. Jahrgang
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FC190 Mittwoch
9. November 1927
10 Pfennig
Die einspaltige Nonpareillezetle 80 Pfennig. Retlamezeile 5. Reiche mart. ,, Kleine Anzeigen" das fettgedruckte Wort 25 Pfennig( zuläffig zwei fettgedruckte Worte) jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Boite über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarft Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnentenzeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3, wochentägl. von 81/2 bis 17 Uhr.
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Deutschnationale Sorgen.
Ein Dokument zum Revolutionstag 1927.
Im preußischen Landtag ist am 5. November 1927 folgende Kleine Anfrage Rittershaus ( D. Bp.) eingegangen:
3wischen dem Herrn, Preußischen Minister des Innern und Seiner Erzellenz dem Herrn Admiral à la suite von Schröder fand ein Briefwechsel statt megen der bekannten Borgänge auf dem Spittelmarkt am Tage des 8. Reichsfrontfoldatentages. Die beiden Schreiben des Herrn Ministers an Seine Exzellenz ben Herrn Admiral tragen im Brieftert und auf den Briefumschlägen die Anschrift: Herrn Admiral von Schröder in Berlin- Halensee ." Das ministerielle Schreiben vom 14. Juli beginnt mit den Worten: Ihre Beschwerde habe ich..."
Nach Artikel 129 der Reichsverfassung sind die wohlerworbenen Rechte der Beamten unverleglich. 3 uden wohlerworbenen Rechten eines Admirals gehört die Führung des Präditates, Exzellenz." Das Prädikat„ Exzellenz" gehörte zur Amtsbezeichnung eines Admirals, es wurde ihm nicht als Titel
verliehen.
Seine Erzellenz, der Herr Admiral à la suite von Schröder hat ein durch die Berfaffung verbrieftes Recht darauf, mit„ Exzellenz" angeredet und bezeichnet zu werden.
Der Herr Preußische Minister des Jnnern verletzte den Artikel 129 der Reichsverfassung, als er dieses wohlerworbene Recht des Herrn Admirals mißachtete. ad
Die naheliegende Annahme, daß der Herr Preußische Minister des Innern vielleicht versehentlich oder in Unkenntnis gehandelt haben könnte, ist dadurch widerlegt, daß Erzellenz von Schröder in feinem Schreiben vom 26. Juli 1926 an den Herrn Preußischen Ministerpräsidenten und durch diesen weitergeleitet an den Herrn Preußischen Minister des Innern ausdrücklich auf dieses sein ver faffungsmäßiges Recht hingewiesen und ausdrücklich verlangt hatte, fünftig mit dem ihm zustehenden Prädikat„ Exzellenz" angeredet und bezeichnet zu werden. Die Unterlassung dieser Forderung in dem darauf folgenden Schreiben des Herrn Preußischen Ministers des Innern vom 14. Juli zeigt die ausgesprochene Absicht, dieses wohl erworbene Recht des Herrn Admirals zu fa botieren und ist fomit eine wiffentliche Verletzung des Artifels 129 der Reichsverfaffung.
Wir fragen das Staatsministerium, ob diese Berfassungsverlegung gebilligt mird, und ob der Herr Preußische Minister des Innern zu einer fühnenden Entschuldigung gegenüber Seiner Exzellenz, dem Herrn Admiral à la suite von Schröder bereit ist?" Eure Sorgen möchten wir haben!
Ergebnis der Hindenburgspende.
Kaum 7 Millionen Mart.
Das Ergebnis der mit unendlicher Reklame durchgeführten Hindenburg - Spende liegt trop der offiziellen Ankündigung, daß man barüber bis Anfang November etwas hören sollte, bisher immer noch nicht vor. Dagegen erfährt man jetzt inoffiziell durch eine Aus laffung des Kyffhäuserbundes, daß aus der ganzen Welt faum 7 Millionen Reichsmart für die Spende zusammen getrommelt worden sind und in Anbetracht dieses unbefriedigenden Ergebnisses nur ein ganz kleiner Leil der Kriegs beschädigten mit finanziellen Unterstüßungen bedacht werden fann. Aber auch das soll nach den Auslassungen des Kyffhäuser bundes mindestens noch Wochen oder gar Monate dauern.
Man braucht sich nach alledem nicht mehr zu wundern, warum man bisher über das Ergebnis der Hindenburg - Spende noch nichts gehört hat. Der Patriotismus des deutschen Spießers hört eben dort auf, wo der Geldbeutel anfängt.
Horthy hat wieder ,, gefiegt"! Zuchthausurteile in Budapest : Szanto 8% Jahre, Bagi 4 Jahre Zuchthaus. Budapest , 9. November. Im Kommunistenprozeß wurde heute das Urteil verkündet. Der Gerichtshof sprach den größten Teil der Angeklagten schuldig des Verbrechens des gewaltsamen Umsturzes(?) der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung und verurteilte den Hauptangeklagten, den ehemaligen bolichewiftischen Volkskommissar 3oltan Szanto, zu 8½ Jahren Zuchthaus, zehn Jahren Amtsverlust und Berlust der politischen Rechte während dieser Zeit; Stephan Bagi zu 4% Jahren Zuchthaus und Verlust der politischen Rechte auf 10 Jahre; Stephan Gosztola und 30h.& riesel zu je 4 Jahren und Alexander Pohl zu 3½ Jahren Zuchthaus . Dreißig Angeklagte wurden zu Freiheitsstraßen von acht Monaten bis 2% Jahren verurteilt, während zehn Angeklagte freige
jprochen wurden.
Während der Urteilsverkündung tam es zu Standal. 5senen. Die Angeklagten ließen den Bolichemismus hochleben und störten auch durch fonffige 3mischenrufe die Berlefung des Urteils. Die Gefängniswärter fonnten nur mit großer Mühe die Ordnung aufrechterhalten. Der Präfident verhängte über die Stanbalmacher eine Ordnungsstrafe von 4 bis 5 Tagen Duntelzelle
Die Wirkung des bolschewistischen Kriegsgefahr- Geschreis auf das russische Volk.
Im Oktober sprach Bucharin auf dem Plenum des Bentralfomitees und der zentralen Kontrollfommission über die Kriegspanif, die die russische Bevölkerung ergriffen hat: ... Wenn hier bei der Erörterung der vorhergehenden Punkte der Tagesordnung von Schlangestehen gesprochen wurde, uno man dies der unrichtigen Politit des Zentralfomitees in die Schuhe schieben wollte, so haben die oppofitioneüen Genoffen eins vergessen, und zwar, daß wir bereits jegt, obwohl wir noch feinen Krieg haben, in erheblichem Maße die Schwierigkeiten einer Borkriegsperiode zu spüren haben.
die Kulafenelemente, die bürgerlichen und die Nep- Elemente in unserem Lande unterliegen?"
Das sind die Folgen des Kriegsgefahr"-Geschreis der Bolschewifi! Sie haben aus agitatorischen Gründen die russische Bevölkerung in Kriegspsychose gestürzt.
Faule Alepfel, Pfiffe, Gelächter.
Mißtöne im Revolutionsfest.
Mostau, 8. November. ( Amtlich.) In Moskau unternahmen einige Führer der Opposition ver einzelte Versuche, die Aufmerksamkeit der Demonstranten durch ihre an einigen Stellen ausgehängten Bilder und entsprechende Auf=
Es ist ja eine Tatsache, daß wir in den Rubriken aller möglichen wirtschaftlichen und statistischen Tabellen eine Gruppe außerordentlicher, übermäßiger Nachfrage sehen, die bereits da ist, anwächst, und nicht nur durch die Aufrufe auf sich zu lenken. Es ist jedoch kein einziger Fall zu verregung des Spießers, sondern selbst ziemlich bedeutender Shichten der Arbeiterklasse bedingt ist, durch die Aufregung darüber, daß wir die Schwierigkeiten einer Kriegsperiode erleben würden.
zeichnen, wo das Erscheinen Oppositioneller von den Arbeitern, Angestellten, Soldaten der Roten Armee und Studenten beifällig aufgenommen worden wäre. Die Demonstranten empfingen sie vielmehr mit Gelächter, gellenden Pfiffen und Niederrufen und bewarfen die an den Fenstern zweier Moskauer Häuser erschienenen Dies ist eine ganz reale Tatsache. Und haben wir nicht zu- Oppofitionellen mit faulen Aepfeln, Gummischuhen usw. Unter den gleich, wenn wir uns der Frage vom sozialen Slaijenstandpunkt, Rufen Nieder mit den Verrätern!" und allgemeinem Gelächter vom Standpunkt der Verteilung der sozialen Klaffenfräfte innerhalb mußten die Troßfiften sich verbergen. Ein Verfuch Trogfis, am des Landes nähern, haben wir nicht im 3usammenhange weißruffifchen Bahnhof eine Rede zu halten, erregte einen mit der gesteigerten Kriegsgefahr eine Belebung ge- Broteststurm vorbeikommender Demonstrationszüge, und Trojfi wisser gegen die Sowjets gerichteter, sowjetfeindlicher mußte sich, ohne auch nur einen Satz hervorbringen zu können, soräfte? 3ft es nicht ganz flar, daß alles fleinbürgerliche fort entfernen. Ebenso miglang ein Versuch von OppositionsSchachergesindel auf den krieg spekuliert? Haben führern, demonstrativ hervorzutreten, in Leningrad , wo die wir nicht eine Belebung der faschistischen Stimmungen Demonftranten mit Rufen, Pfiffen und Gelächter die dort er| auf der Linie des Antisemitismus, der in unserem Lande schienenen Oppofitionsführer Sinomjem, Radek und Jewdokimem bedrohlich an wächst? 3ft es nicht flar, daß diesem Einfluß zwangen, sich zu entfernen.
In einer Besprechung des jugoslawisch- franzöfifchen Vertrages schreibt Lavoro d'Italia": Frankreich ff a chelt Jugoslawien gegen 3talien auf, und der jugoslawische Minifler des Aeußern wird verfuchen, mit diesem Vertrag die Opposition glauben zu machen, daß Jugoslawien nicht isoliert jei. Aber Jugoslawien gibt sich Jllusionen hin; denn alle feine Verfuche, gegen Italien Stimmung zu machen in Tirana , Budapest , Sojia und Athen , find mißlungen, weil diese Mächte eingesehen haben, daß Jugoslawien einen antiitalienischen Bled gründen wolle. Der Weg zum Gleichgewicht auf dem Balkan wie an der Donau geht aber und wird immer über Rom gehen. Wer diese Realität, die aus dem italienischen Siege und dem Untergang der habsburgischen Monarchie folgt, ignorieren will, wird nur Enttäuschungen erleben.
„ Tribuna" gibt der Hoffnung Ausdrud, daß Frankreich sich seiner Berantwortung als Großmacht bewußt bleiben und daß der gefunde Menschenverstand in Jugoslawien die Oberhand behalten werde.
3taliens Feuerbrand auf dem Balkan .
Paris, 9. November. ( Eigenbericht.) Das„ Echo de Paris", das bisher immer mit dem Faschismus liebäugelte, veröffentlicht einen ausführlichen Bericht eines Sonder berichterstatters über den Balkan . Darin wird in unverblümter Weise zugegeben, daß Italien bei den ewigen Bandenüberfällen bulgarischer Komitad schis auf jugoslawischem Gebiet die Hand im Spiele habe. Wie tief der Einfluß Italiens in Bulgarien gehe, fönne man schon aus der Tatsache erkennen, daß der bulgarische Finanzminister aufs engste mit der Banca Commerciale Italiana liiert sei. Jedenfalls könne man
nicht mit einer Berföhnung zwischen Belgrad , Sofia und Athen rechnen,
so lange Italien nicht seine Absicht aufgegeben habe, den Balkan unter seinen Einfluß zu nehmen. Gleichzeitig veröffentlicht das Blatt ein Interview mit dem jugoslawischen Außenminister Marinkowitsch über die Komitadschi- Ueberfälle. Marinkowitsch wies darauf hin, daß diese Ueberfälle eine merkwürdige internationale Rechtslage hergestellt hätten. Die Romitadschis hätten nämlich
Jugoslawien rund heraus den Krieg erklärt. Jugoslawien könne also berechtigt sein, sich mit den Wassen in der Hand zu wehren und eventuell die Offensive zu ergreifen. Aber fie ftehe in offiziell- forretten frieblichen Beziehungen zu Bulgarien und tönne aljo teinen Krieg führen. Die bulgarische
Regierung selbst aber sei zu schwach, um gegen die Komitadschi aufzukommen. Es sei dies also ein Problem, das wichtig genug sei, um unbedingt, dem Völkerbund vorgelegt zu werden.
Polen mit litauischen Emigranten. Eine gescheiterte Konferenz in Riga .
Riga , 8. November. Der hier abgehaltene Rongreß litauischer Emigranten endete nach erregten Tumulten mit einem völligen Fiasto. Die Tagung zeigte die Zersplitterung der politischen Flüchtlinge Litauens . Vertreten waren die litauischen bürgerlichen Laudninkai, die litauische Sozialdemokratie und einige Sozialrevo lutionäre. Als Gäste waren auch mehrere Polen anwesend, darunter der Vizebürgermeister von Wilna als Vertreter der polnischen Sozialisten. Die lettländischen Sozialdemokraten waren durch) den Abgeordneten Ulpe, die Arbeitersportler durch Kalnin ver treten, die estländischen Sozialdemokraten hatten den Abgeordneten und früheren Minister A st entsandt. Schon am ersten Kongreßtage fam es zu stürmischen Szenen, die sich auch am zweiten Tage wiederholten.
Die litauischen Sozialisten legten eine Entschließung vor, die die Die anderen. Parteien Wilnafrage nicht ausdrücklich erwähnt. lehnten sie ab. Die Sozialisten wiesen nach, daß die polnische Regierung die Tagung finanziere und verlangten den Rücktritt der Einberufer. Das wurde abgelehnt und die Sozialisten verließen den Saal.
Arbeiter Offensive im Unterhaus. Erörterungen gefordert, die die Regierung fürchtet. London , 8. November. ( Eigenbericht.)
Das Unterhaus ist nach dreimonatiger Bause wieder zusammen getreten. Genoffe Macdonald forderte die im Tagungspro gramun der Regierung nicht vorgesehene Erörterung folgender Fragen: Arbeitslosigkeit und Lage im Bergbau, See abrüstung und Außenpolitik im allgemeinen, Washing. toner Achtstundentagtonvention.
Die Regierung versicherte, die Erörterung dieser Fragen na t Magligteit gulaffen zu wollen(!).