Nr. 549• 44. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Gonniag, 29. November 492?
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Xotenfonntog! Der«ine Tag im Jahr, der den Toten gehört: vom frühen Vormittag an sind dt« Jdirdjhofsbahmn" überfüllt, in ollen Verkehrsmitteln riecht es nach dem feuchten Grün der Kränz«, feit mindestens einer Woche arbeiten olle Blumengeschäfte mit Ileberschicht. Fliegende Händler stellen für diesen einen Tag ihr Geschäft von Schnürsenkeln und Schlüsselringen auf Wachsblumen und billig« Kränze um. eine ganze Industrie hat sich um den Totensonntag herumknstallisiert. und in den langen Reihen der Gräber uns unseren Friedhöfen bleiben— selbst ganz draußen in Stahnsdors— nur wenig« ungeschmückt, und wenn nur ein Dutzend Popierblumen davon zeugt, daß auch die Armut an diesem Tage ihren Toten dasselbe Gedenken erweist, von dem auf anderen Gräbern prunkvolle Kränze reden. Der Friedhof der Ausgestoßenen. Ja—»06 arm. ob reich, im Tode gleich"— so haben wir die Sprichwvrtweisheit immer im Munde geführt, und am Toten» sonntag scheinen sie all« Gräber zu bestätigen: und doch gibt e, Friedhöfe der verlassenen und vergessenen, aus denen uns deuttich genug demonstriert wird, daß zum wenigsten über der Erde die Ungleichheit auch mit dem Tode nicht aushört. Da liegt, rings von dürftiger, magerer märkischer Heid« umgeben, gegenüber dem Tor der StrasanstaN Vlötzensee ein Friedhos. der ehematig« Fried- Hof des Gutsbezirkes Plötzense«. Auf den ersten Blick unterscheidet ihn nichts von anderen Begräbnisplätzen. Denkstein« und Kreuze stehen dicht bei dicht, efeubepflanzt« Hügel, sorglich gepslegt, liegen rechts und links des Weges. Hier und da ist auf den Gedenk- steinen der Beruf des Berstorbenen angegeben. Fast alle dies« Toten gehörten zum Personal der Strasanstalt oder zu den Familien
i�fbes Personals. Dann scheidet eine Fliederhecke diese Gräber von denen der Sträfling«. Auf ebenem Platz wachen dichtes Gras, nur hier und da ist ein«feubesteckter Hügel zu sehen, nur fünf oder sechs dieser Hügel haben Gedenksteine, und fast immer steht nur ein Vorname aus diesen Steinen. Hier liegen die toten Straf- gefangenen der Anstalt, die, die eines natürlichen Todes gestorben sind und... die Hingerichteten. Ja, auch diese glatt« Grasnarbe deckt Gräber, mehr Gräber als sie Hügel tragen könnt«, denn hier wurden wahrend des Krieges die verstorbenen Strafgefangenen der Anstalt beigesetzt, und noch heute spricht man von dieser Gegend des Friedhofes als von dem.Massengrab", denn die Kriegskost, die schon unter der freien Bevölkerung nur zu viele Opfer forderte, bewirkte unter den Gefangenen geradem ein Massensterben. Rur die wenigsten der Gefangenen hatten Angehörig«, die sich um die Art ihrer Bestattung künimerten, so liegen sie da durcheinander, Verstorben« und Hingerichtet«, doch säuberlich getrennt sogar noch von den.Fundleichen", von denen wenigstens jede doch einen eigenen Hügel hat. Auf den wenigen erhöhten Hügeln der ..Sträflingsabteilung" liegen Blumen des Gedenkens,.hier ver- schläsl ein heißes herz seinen stummen, bitteren Schmerz!" steht aus zweien der Gedenksteine: andere loben den Berstorbenen als guten Sohn und Bruder. Trostlos öde liegt nur das.Massengrab" der Vergessenen und Ausgestoßenen: es ist, als höre man den .Schüdderump", den Pestkarren, durch den novembergraueu Tag rumpeln. Strandgut des Lebens grub man hier ein.... heule wird kein Strafgefangener mehr hier bestattet, denn nun ist der Gutsbezirk Plötzensee eingemeindet in Groß-Berlin, und der klein« Friedhof ist nur noch sozusagen der Privatfriedhof des Anstaltspersonals. Ohnehin gibt's nur noch wenig Sterbesälle m der Anstalt, denn jeder Schwerkranke wird in ein größere» Kranken- haus übergeführt. Die Körper der Hingerichteten können den An- gehörigen zu einem„schmucklosen Begräbnis" freigegeben werden. Melden sich die Angehörigen nicht, so werden sie von der Anstalts- leitung»der Polizei zur weiteren Verfugung übergeben", das heißt sie werden dann, wie die meisten frischen Leichen unbekannter Toter in Groß-Berlin, wohl in die Anatomie wandern. Die anderen aber kommen nach dem großen Waldfriedhvf in Stahnsdorf .
Vom Friedhof zum Kinderspielplatz. Mitten in Wilmersdorf , wo neben richtigen, so gar nicht noblen Mietskasernen die letzten einstöckigen Häuser Alt-Wilmers- dorfs von der guten, alten Zeit erzählen, im Proletarierviertel
CfoiJifit atuefent,.
dieses reichsten Bezirks von Berlin , liegt ein schottiger Spielplatz mit schönem, altem Baumbestand. Noch vor zwei Jahren war der Platz von einem Zaun umschlossen, kein Kind dieses dicht- bevölkerten Stadtteils durfte ihn betreten, denn immer noch waren einige Gräber auf diesem allen vegräbnlsplatz der Gemeinde Wilmersdorf , und peinlichst wurden die Rechte der Toten gewahrt, wenn auch die lebendige Jugend außer der autodurchtobten Strohe keinen Spielplatz hatte.— Da hatte Alt-Berlin mehr Berständm?! In der Oranienstraße liegt der.Wnldeckpark"— so genannt noch dem Standbild des liberalen Politikers Franz Leo Waldeck , dem 1849 mit Hilfe qesälsch�er Briefe als„Verschwörer" der Prozeß gemacht werden sollte, und für dessen Denkmal in den Straßen und auf den Plätzen des kaiserlichen Berlin kein Platz war. Da beschloß Berlin einfach, dem um die Stadt vielfach verdienlen Mann aus dem Friedhof, doch nah genug der Straße, ein Denkmal zu setzen. Hier hatten die Hohenzollern nichts zu sage»!— Aber gleichzeitig wurde der Friedhof der allgemeinen Benutzung zugängig gemacht. Zwar liegen in den Rasenflächen des Parkes noch immer einzelne Gräber, aber mit Recht dachte Berlin , daß sich wohl nicht einmal die.Familie des Kottunfabrikantsn". die da an der Mauer ihr Erbbegräbnis hat, in ihrer Ruhe gestört fühlen könnte, weil lust- und sonnehungrige Großstadtkinder neben diesen alten Gräbern spielen. Und so ist der Waldeckpark eine der schönsten Oasen in der Steimvüste der inneren Stadt geworden. Aber wo die Kirche regiert... Ganz nahe den' Waldeckpark, in der Sebastianslraße, liegt noch«ine andere Oase, aber ein eiserner Zaun und'festverschiossene Türen sorgen dafür, daß sie nur wenigen Auserwählten zugute koniint. Ein schöner Park mit herrlichein alten Baumbestand, der ehemalige kirchhos der Lulsenslädtischen Kirche, kein Grab liegt mehr in diesem Part— nur an der Mauer zeugen einig« Gedenktafeln von seiner einmaligen Bestimmung. So vermietet die Kirche mm ihren ehemaligen vegräbnisplatz an die Lebenden. Und nach welch weis« abgestuftem System! Angehörige der Luisenstädiischen Gemeinde zahlen für die Benutzung des Parks in de» Sommer. monaien vier Mark, Mitglieder anderer Gemeinden der«von- gelischen Kirche müssen sieben Mark zahlen— aber Juden. Dissidenten und Angehörige sonstiger Religionsbekenntnisse hoben sür dasselbe Vergnügen zwanzig Mark zu erlegen.— Rund um die vornehm zurückgezogene Kirch«, die in ihrem Zopfstil so unendlich rattonalistisch aussieht, rund um ihr Resugiinn, daß an Belgiens Beghinenviertel erinnert, tobt die lännende Stodt. Ihre Kinder haben kein grünes Fleckchen Erde zum Spielen, die Straß« ist ihnen eine horte Stiefmutter. Und der gütige Mensch, der in dieser Kirche noch heul« angebetet wird, rief vor zweitausend Jahren:.Lastet die Kindlein zu mir kommen!", und er hat, soviel wie wir einmal im Konfirmationsunterricht lernten, damals nicht? von Eintrittspreisen und Konfessionszugehörigkeit gesagt.... Oer verschwundene Friedhof. Vor dem Potsdamer Bahnhof ist ein' grünes Stückchen Rasen: ein paar alt«, eigenwillig gewachsene Bäume kegen an sonnigen Tagen ein schütteres Stückchen Schatten darüber. Rur wenig Jahre sind es her, daß der umschließende Zaun fiel, der dieses Stück des Potsdamer Platzes in einen unerfreulichen Enovoß ver- wandelte, und doch: wer von allen den vorüberhastendcn Passanten denkt wohl heute noch daran, daß dieses bißchen Grün letzte Kunde davon gibt, daß hier einmal, mnbrandet vom Verkehr der Weltstadt, ein Kirchhof lag.— Das war der alle vegröbnisptah der Drelsaltigkeilsgemeinde. eines jener alten Friedliöse, aus deren Denkmälern Rainen stehen, die uns aus der Geschichte der vor- märzlichen Zeit und der Märzkage mir z» bekannt sind. So war hier die letzte Ruhestätte des Ministers Eichhorn und des Eigen- tümers der damals prominentesten Berliner Zeitung , Spener . Erst in unseren Tagen haben diese alten, ehrwürdigen Herrschaften den Platz freigeben müssen, und schon ist es im Gedächtnis der Lebenden fast gelöscht, daß hier ein Begrübnisplotz war. Und wenn nach fünfzig Jahren bei Str.ißenarbeiien hier Schädel ge- funden werden, dann gibt es um diese alte», aus ganz norinale Weise verstorbenen und begrabenen Herrschasten vielleicht auch wieder große Untersuchungen, Mordgerüchre und Preßfehden, bis irgend ein alter Berliner sich erinnert: Richtig, hier war ja mal der Dreifaitigkeitskirchhof.
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�Zement. Roman von Fjodor Gladtow.
..Halt!... Hände hoch... habt ihr euch erwischen lassen, Spitzbuben, Hundesöhne!.. Hinter den Felsen, aus dem Gebüsche kletterten, mit Gewehren in den Händen, Tscherkessen in zottigen schwarzen Pelzmützen hervor. Dascha sah nur die Pelzmützen und die Augen unter den Pelzmützen. Bemerkte die raubtierähnlichen Sprünge dieser Augen. Und noch eins bemerkte sie: nahe, neben ihr, stolpernd, sich überschlagend, lief ein hellblonder Kosak ohne Mütze zu den Pferden, spritzte Speichel, heulte vor Lachen, und seine Oberlippe zitterte unter den Nasenlöchern, und upter der Lippe waren keine Gaumen, sondern rote Falten und Beulen und rotbraune, weit auseinanderstehende, kleine, wie Nägel dünne Zähne. Und in diesem Augenblicke konnte Dascha nur noch kurz und grell aufschreien:„Fahr weiter!" Und sprang vom Wagen, direkt auf den Kosaken und fiel mit ihm zusammen auf die Steine, in den Graben neben der Straße. Eine unerträgliche Last erdrückte sie, als ob sich eine Riejenmasse auf sie gewälzt hätte, mit den Absätzen auf ihr herumtanze und sie in eine schmale Spalte hineinzwänge. Und eines spürte sie noch— einen scharfen, sauren Geruch von nasser Wolle und Stiefeln. Man prügelte sie,— sie erinnerte sich nicht, ob man dem Wagen nachjagte und schoß— sie hörte nichts. Als ob man sie ins Wasser geworfen hätte, in einen siedenden Wirbel, und sie fühlte nichts außer einer dröhnen- den Tiefe mid Schwere. Und als sie zu sich kam— da stand sie vor einem Felsen, und eine ganze Horde, in einen Fleischklumpen zusammen- gepfercht, brüllte sie an, einen erstickenden Geruch von nasser Wolle ausatmend. Man stieß sie, renkte ihr die Hände aus und riß sie am Haar. . Weib!... Teufelsweib... Luder! Hündin, stoß sie in den Bauch!.. Der Wagen war nicht da und nur in der Ferne, in der Schlucht, hörte man die Pferde stampfen, wie wenn Steine in den Steinbrüchen die Abhänge herunterrollen. Und kaum hörte Dascha das ferne Pferdeftampfen, als sie sofort ztt sich kam— ihr Hirn und Herz auftüttelte: Genosie Badiin ist dort... weit weg aus der Straße... Genosse Badjin ist unversehrt...." Aus der anderen Seite der Straß«. Dascha gegenüber,
lag, einen Fuß auf dem Felsen(der Fuß war nackt, in einem Bauernstiefel), in seinem Kutscherrock. Iegorow, und auf der Straße wälzte sich seine zerstampfte Mütze. Die Haare, das Ohr und ein Teil seines Bartes waren mit Blutkruste verklebt. Hinter dem Gerippe des Abgrundes wieherte und stampfte ein Pferd und klirrte mit dem Zaume. Einzelne Kosaken mit verschwitzten, oerwilderten Gesichtern liefen hin und her. „Führt sie her! Was treibt ihr dort, zum Teufel?.. Eine schnurrbärtige Pelzmütze blieb wie im Fluge vor der Schlucht stehen und stand, mit der Hand an der Mütze und abstehenden Ellbogen, stramm. „Ein Frauenzimmer. Herr Hauptmann.... Man soll sie nur aufhängen und Schluß.... Dieses Teufelsweib hat dem Lymarenko was angestellt... erlauben Sie. Herr Hauptmann.. „Führ sie her und red nicht so viel, hol dich der Teufel! ... Nur gegen Weiber seid ihr tapfer, ihr Hundekerle... ... Ich werde euch Feiglinge statt ihrer aushängen. Heulend, über die Gewehre stolpernd, schleppte sie die ganze Horde wie eine Puppe(sie ging nicht, sondern wankte zwischen ihren Händen) über die Steine, Löcher, über das Gras und stellte sie vor das Pferd, und das Pferd schnaufte wütend, rollte mit den Augen und schrak zurück. Dascha fühlte den feuchten heißen Pferdegeruch und spürte, wie schamlose Hände gierig über ihre Hüften glitten und zwischen ihre Beine griffen. Gewehre klirrten, und alle schrien aus vollem Hals: „Ein Frauenzimmer. Herr Hauptmann!... Erlauben Sie, diese Laus zu zerdrücken!.. Dascha stand grade und sah mit ihrem ganzen Gesicht den Hauptmann an. Und der Hauptmann schaukelt« auf dem Pferd, sah sie ebenfalls an und war finster und böse. Er trug einen Tscherkessenmantel mit silbernem Gürtel, mit silbernen Cpauletten und eine flache Tellermütze. Sein Gesicht war schmutzig, lange nicht mehr rasiert, mit langem schwarzen, zottigen Schnurrbart, und dieser zottige Schnurr- bart bedeckte seine Lippen und sein Kinn. Und seine Nase war stumpf mit einem glänzenden Knorpel, und seine hervor- stehenden Augen blickten so, daß man nicht wußte, ob sie lachen oder feindlich dreinschauen. „Laßt siel... Zwei Schritte nach rückwärts... Und weil es leichter und freier um sie wurde und die Luft plötzlich aufhörte nach nasser Wolle zu riechen, begriff sie, daß sie zwischen diesem Offizier auf dem Pferde und dieser Horde ganz ollein war. Und sah dem Hauptmann scharf ins Gesicht(das Tuch war heruntergerissen und in dieienr Wirrwarr zerstampft worden). Sie kämpfte mit allen Kräften
egen das Zittern in den Knien und bohrte sich mit der ganzen 'reite ihrer Fersen in die Erde. „Kurzes Haar... Kommunistin?" „Ja, Arbeiterin." „Wer fuhr mit dir im Wagen?" „Genosse Badjin, Vorsitzender des Exekutivkomitees." „Vorsitzender des Exekutivkomitees? Was ist das für eine Sprache?" „Russisch , was denn sonst?" „Du lügst. Die russische Sprache ist anders. Das ist euer Jargon, halb jüdisch, halb diebisch." „Bei uns, in Sowjetrußland, sind keine Diebe, wir erschießen sie unbarmherzig." Rückwärts wieherte jemand ein Pferdelachen. „Stoßt sie, das Teufelsweib.... Schwatzt da herum, die Verdammte, wie eine Elster...." „Ich werde sie an einem Ast aufhängen, dann wird sie gleich aus einem anderen Loch pfeifen...." Dascha und der Hauptmann wandten nicht den Blick voneinander. „Sind bei auch alle Kommunisten so, wie dieser euer Gouverneur? Ist es bei euch Sitte, in Momenten der Gefahr feine Genossen zu verlassen?" „Das kommt niemals vor. Das habe ich aus eigenem Willen getan...." Der Hauptmann zupfte seinen Schnurrbart, und feine Backenknochen zuckten und schwollen auf. Er lächelte. „Ack so, aus eigenem Willen.... Wieso, hast du mit unserer Dummheit gerechnet?" „Das ist Ihre Sache, wie Sie das verstehen wollen. Ich Hobe es getan— und Schluß!" Der Hauptmann schlug mit der Nagaika durch die Luft und sah sie mit dem Lächeln eines kalmückischen Götzen- bildes an. Und Dascha emvfand die ganze Zeit eine ungewöhnliche Leichtigkeit. Ihre Brust atmete gleichmäßig und ruhig, und der Kopf war wie leer— keine Gedanken, kein Mitleid mit sich selber, keine Angst. Als ob sie niemals so frei und jung gewesen wäre wie jetzt, und ein Erstaunen war in ihr: warum zieht es sie so stark zu dieser einsamen, kleinen Fichte hin. die dort auf dem Felsen, oben, ganz hoch auf dem Berggipfel (ach wie hoch!...) wächst. Warum sieht sie zum ersten Male so eine dichte Luft über den Bergabhängen und warmn schillert sie in lila Farben? Und nicht die Fichte ist die Hauptsache, und nicht die Lust, sondern etwas anderes— Tiefes, Nahes, Beflügeltes, dem sie keinen Namen geben kann. (Fortsetzung soigt.)