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44. Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Mittwoch 7. Dezember 1927

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Verhandlungen in Essen gescheitert!

Gewerkschaftsprotest gegen Scharfmacherprovokation.

Effen, 7. Dezember.( Eigenbericht.)

Heute vormitag 9 Uhr begannen in Essen die letzten direkten Verhandlungen zwischen den Parteien der Schwerindustrie des Ruhrgebiets über den Lohnaus gleich bei der Umstellung der Walz und Hüttenwerke vom 3mei zum Dreischichtensystem. Den Berhand­lungen wohnte als 3uhörer der Schlichter für Rheinland­Westfalen, Dr. Jötten, bet, der vom Reichsarbeits­minister heauftragt ist, die Parteien sofort zu Schlich tungsverhandlungen zu laden, falls die direkten Berhandlungen scheitern sollten. Zu Beginn der Ver­handlungen gab der Bezirksleiter des Deutschen Metalls arbeiterverbandes, Genosse Wolf, im Namen der Vertreter der freien Gewerkschaften folgende Erklärung ab:

,, Der Deutsche Metallarbeiterverband erklärt für die beteiligten freien Gewerkschaften, daß die Stillegungs anzeige des Arbeitgeberverbandes der Nordwestlichen Gruppe eine starke Provokation der gesamten Ar­beiterschaft darstellt und als unzulässiges Drud. mittel auf Arbeitnehmerseite und auf die Ceffentlich feit angesehen werden muß. Der Deutsche Metallarbeiter berband erklärt weiter, dah thn diese Maßnahme des Arbeitgeberterbandes bou seiner bisherigen Saltung nicht abbringen kann, und wenn seine Vertreter an den heutigen Verhandlungen trotzdem teilnehmen, so nur des halb, weil es ihnen ernst ist mit der Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder."

Die Gewerkschaften trugen ihre bisherigen Forderungen vor, von denen sie unter felnen Umständen abgehen wollen. Eine einheitliche Forderung ist von den Gewerkschaften nicht gestellt worden; jede einzelne vertritt ihren Standpunkt.

Daraufhin trugen die Unternehmer ihre Ansicht vor. Zu einer Einigung ist es nicht gekommen. Die Ver­handlungen find infolgedessen ergebnislos verlaufen. Nunmehr werden morgen neue Verhandlungen vor dem Schlichter, Oberlandesgerichtsrat Jötten, statt­finden, der zu Berhandlungen einladen wird.

Verhandlungen über die Stiflegung. Für die Bereinigten Stahlwerke und die Drahtindustrie.

Hagen , 7. Dezember. Auf die Anzeige der Betriebsstillegung zum 31. Dezember haben die Metallarbeiterverbände in Hamm von der Regierung in Arns­ berg die Nachricht erhalten, daß für die westfälische Draht­industrie und die Bereinigten Stahlwert e, Abteilung Westfälische Union, am Freitag, dem 9. diefes Monats, Stillegungs­verhandlungen stattfinden. Die beiden Werke haften sich dem Bor­gehen der Großzelfenindustrie angeschloffen. Ein Schlichtungsver­falyren vor einem unpartelischen Schlichter hatte noch nicht statt. gefunden.

Angst vor der Verantwortung. Merkwürdig ist das Spiel, das die Schwerindustrie treibt, um die Berantwortung für den Anschlag der Unternehmer auf die Ar erschaft abzuwälzen. Die Deutsche Allgemeine Zeitung" schreibt:

In den nächsten Tagen beginnen in Düsseldorf unter Borst des Schlichters Dr. Jötten die Schlichtungsverhandlungen im Konflikt der Eisenindustrie. Es bedeutet eine bewußte Sabotage der fachlichen Erledigung des Streites, wenn die Sozialdemokratie jegt eine politische Debatte im Reichstag über diese Frage her beiführen will. Dieser Eingriff in ein schwebenbes Schlichtungsverfahren würde zur Folge haben, daß die politischen Streitmemente sich auf die Verhandlungen in Düsseldorf übertragen und eine Annäherung erschweren, vielleicht unmöglich machen. Die Verantwortung für diese Gefahr fällt auf die Sozialbemotratie.

Fehlt nur noch, daß die Schwerindustriellen behaupten, bie Sozialdemokratie fet die Besitzerin der Eisen­hütten und sie habe die Stillegung angeordnet.

Den Eingriff in das schwebende Schlichtungsverfahren hat die Schwerindustrie und niemand anders begangen. Sie hat mit ihrer Stillegungsdrohung ein Gefeß zu zerschlagen und bie Einigungs- und Schlichtungsverhandlungen mit dem be­

Morgen Schlichtungsverhandlungen.

Morgen

rühmten Griff an die Gurgel des Staates zu ihrem Vorteil zu beeinflussen versucht. industriellen schlecht zu betommen. Sonst wären Das Manöver scheint allerdings schon jetzt den Eisen derartig verzweifelte Berdrehungsversuche einfach unmöglich.

Die KPD. für die Scharfmacher.

Wo etwas los ist, da muß natürlich die KPD . ganz vorne voran fein. Sie läßt heute in der Roten Fahne" proflamieren, die Arbeiterschaft sollte auf die Stillegung der Eisen industrie mit dem Streit antworten.

Berblüfft faßt sich jeder gewerkschaftlich geschulte Arbeiter an den Kopf. Er weiß nämlich, daß die Sireildrohung nur einen Interesse haben. Bie man aber eine ftillgelegte Induſtrie 3wed hat, menn die Unternehmer an der Produktion ein beftreifen soll, bas ift einigermaßen rätselhaft.

Schließlich merkt das auch ein Bosschewit. Und daher will die Rote Fahre nicht nur das Eisen, sondern gleich die Rohle, die Bahn und den Transport bestreifen, um schließlich den General ftreif herbeizuführen.

Die Schwäche der Eisenunternehmer ist es, daß sie wegen ihres brutalen Auftretens und wegen ihrer offenen Rebellion gegen die Staatsgewalt den Widerspruch der gesamten organi

fierten Arbeiterschaft und die Mißbilligung großer Teile des Bürgertums herausbeschworen haben Diese Schwäche der Unternehmer ist die Stärke der fämpfenden Arbeiterschaft.

Die KPD. aber will mit ihrer abgedroschenen Generalftreil­parole die eigene Bartei stärken und das Unternehmertum er­muuntern, den Staatsapparat, der jetzt gegen die Industriellen steht, gegen die Arbeiterschaft in Bewegung zu legen. Das ift echt Mostomiter Syftem. Die organisierte Arbeiterschaft wird fich dafür bedanken, getreu solchen Ratschlägen ihre eigene Stellung zu schwächen zur großen Ehre der Mostauer Draht­zieher, die noch nicht einmal die Anfangsgründe gewert­fchaftlichen Kampfes in einem hochindustrialifierten Bolt begriffen haben.

Besorgnisse des westdeutschen Handwerks.

Barmen, 7: Dezember.

Führende Persönlichkeiten des mestdeutschen Handwerks haben fich unter dem Borsiz der Düsseldorfer Handwerkskammer mit dem Konflikt in der Großeisenindustrie beschäftigt. Der Geschäftsführer der Düsseldorfer Handwerkskammer , Dr. Peters, erflärte, daß die in der Eisen- und Kohlenindustrie bestehende Spannung wegest der ungeheuren Folgen unter teinen Umständen zu einer Entladung führen dürfe. Die deutsche Wirtschaft würde diese Erschütterung nicht ertragen fönnen.

Minister Becker gegen Keudell.

Der Studenten- Unfug vor dem Landtag.

Auf der Tagesordnung der heutigen Landtagssigung ftand die eigentlich die politischen Drahtzieher?( Stürmische Zurufe links: deutschnationale Interpellation über das Studentenrecht.

Abg. Delze( Dnat.) weift einleitend darauf hin, daß die Rede, die der Minister Becker heute halten werde, aus Bersehen bereits vorgestern im.8-11hr- 2Fentblett" gestanten hätte.( Große He ter­feit rechts.) Der Ausfall der Abstimmung habe dem Kultusminifter gezeigt, daß er die Imponderabilien des studentischen Empfindens nicht richtig gewürdigt hätte. Die Studentenschaft sei der beste Hort deutscher Kultur gegen die Schlammflut des Materialismus.( Lachen links.) Die Studentenschaft habe nichts weiter verlangt, als eine Sicherung gegen die Ueberflutung durch volfsfremde Elemente. Ohne die völkifte Frage war die deutsche Frage nicht zu lösen. Jezt raube die Regierung den Studenten ihre Selbstverwaltung und fehre zu Metternich zurüid, aber er rufe warnend dem Minister das Wort zu, daß Scheidemann am legten Sonntag auf der Magdeburger Reichs. bannerfundgebung gesprochen habe: Reaktionäre Politik verdirbt den Charakter.( Bronischer Beifall links.)

Kultusminister Dr. Beder:

Ich habe gestern die Schlammflut des Herrn Delze evenjo ge­lesen, wie er meine Rede im 8- Uhr- Abendblatt", denn wir haben beide unser Manuskript demselben parlamentarischen Bureau zur Berfügung gestellt.( Große Heiterkeit.) Die Interpellation beant worte ich dahin, daß die Staatsregierung nicht bereit ist, ihre Berordnung betreffend Neuregelung des Studentenrechts zu= rüdzuziehen.( Bravo ! links.) Die Staatsregierung hätte gern Studentenfchaft hat durch ihre Abstimmung darauf verzichtet. Damit die studentische Selbstverwaltung erhalten; aber die wird sie wieder Objekt der Erziehung und Verwaltung wie die Schüler der anderen höheren Bildungsanstalten auch.( Große Un­ruhe rechts) Die Studentenschaft wird damit in dieselbe Rechts. ftellung zurückgedrängt, in der sie zur Zeit der Monarchie immer gewesen ist.( Sehr gut! links.) Die Regierung mußte zunächst neue

Sicherheiten gegen Berwahrlofung und Veruntreuung der Zwangsbeiträge der Studentenschaft forbern, nachdem 18 fch were Fälle von Unterfolagung zur gerichtlichen Aburteilung gelangt waren.( hört, hört! links. Die Regierung will der Studentenschaft nicht verwehren, sich in anti­femitischen Ariervereinen zufammenzuschließen soviel ihr beliebt, aber ein Organ der öffentlich- rechtlichen Berwaltung mit Swangsbeiträgen darf die Verfassung nicht verb Ben, und die deutsche Reichsverfassung unterscheidet nun einmal nicht zwischen Ariern und Nichtariern, fon dern fennt nur Deutsche. ( Grose inruhe rechts, Burufe bei den Bölt schen: Tro- Balästina- Reiner) Bar es etwa großdeutsch, ein Statut für die Stutentenschaften zu entwe: f.n, das einen Bor­denten& öbe, von der Mitgliedschaft ausgeschloffen fämpfer des österreichischen Anschluffes, wie den Reichstagspräfi­hätte? Was jetzt von der Studentenschaft übrig geblieben ist, ist reine, unverhüllte Politif. Die Studentenschaft ist bei der Ab­ftimmung mißbraut und irregeführt worden. Wer waren denn

Keubell.) Die Drahtzieher maren die Spizenorganisationen der Altakademikerverbände, die ein Hort der Reaktion find

und auf die aktiven Studenten einen geradezu terroristischen 3 wang ausgeübt haben. Die preußische Staatsregierung wird unbeirrt von allen Anwürfen und aller Agitation ihren flaren Weg weitergehen.( Bravo links und in der Mitte.)

Die einzige Bedeutung, die eine wirklich großdeutsche Bereinigung aller deutschen Studenten befizzen fann, liege in der durch fie versinnbildlichten Idee der Einigkeit der akademischen Jugend aller deutschen Stämme.

In der Besprechung erhält zunächst das Wort

Abg. Frau Dr. Wegscheider( Soz.) ( von der Rechten mit Zurufen wie Alte Studententante" und alter Rahltopf" empfangen): Ihre unverschämte Art, sich gegenüber einer alten Frau beleidigend zu benehmen, beweist, daß die heutigen Akademiter vielfach tief unter dem sittlichen Niveau jedes deutschen Arbeiters stehen.( Lebhaf­geordneten Delze hat bewiesen, daß es den Rechtsparteien mit ter Beifall links.) Die sehr gedämpfte Tonart der Rede des Ab­ihrem Abstimmungssieg bei den Studenten nicht sehr wohl ist. Die feine pädagogische Führung des Kultusministers war wohl gegen­über den heutigen Studenten etwas zu geiftvoll.( Heiterfeit und Sehr gut! bei den Soz.) Aber er hat heute mit Recht die Frage aufgeworfen: Wo waren die Profefforen? Ja, mir fragen ben Kultusminister:

Wo find die republikanischen Staatsrechtslehrer und Hifforifer an unferen Universitäten?

Der Fall des Professors v. Möller beweist, daß man ein ganz un­rei den frenetischen Beifall der Studenten hervorrufen fann. Es bedeutender Hochschullehrer sein und doch durch politische Seze ift richtig, daß nicht alle Studenten, die mit Nein gestimmt haben. monarchistisch find. Aber die Abstimmung vom vorigen Sonntag ist doch erschütternd, wenn man an die Zukunft der

deutschen Republik denft. Das sind also unfere fünftigen Sozial­hygienifer, unfere fünffigen Richter, unfere fünftigen Lehrer an

den höheren Schulen!

Der Reichsinnenminister von Reudell, der gute Musiker, hat wieder einmal gezeigt, daß er in der Politik den richtigen Ion und Taft stets verfehlt. Mit den schwächlichen Ausreden des Reichs fanzlers Marg empfinden wir tiefes Mitleid.( Sehr wahr! links.) Im übrigen lohnt es nicht d'el, über Herrn Keubell zu reben. Da er nicht weiß, was tas Reichsschulgeset tosten wird, mollte er doch menigstens bei den Studenten einmal Bolitif machen, die erntet.( Heiterfeit und Sehr gut! fints.) Wir verlangen von der nichts fostet, Bol'tif, die mit einer Phrase großen Beifall Regierung feste und planmäßige Arbeit für die Forderung der Staatsgefinnung an ten Universitäten. ( Bravo ! links.)

Bei Schluß des Blattes spricht Abg. Steuer( Dnat.).