Einzelbild herunterladen
 

Morgenausgabe bul

Nr. 583

A 296

44. Jahrgang

Böchentlich 10 Pfennig monatlich 3, Reichsmart, im voraus zahlbar. Unter Streifband im In- und Aus­Iand 5,50 Reichsmart pro Monat.

*

Der Borwärts" mit der illuftrier. ten Sonntagsbeilage Bolt und Zeit sowie den Beilagen Unterhaltung und Wissen" Aus der Silmwelt", Stadtbeilage"." Frauenstimme", Der Kinderfreund", Jugend- Bor wärts" Blick in die Bücherwelt", Kulturarbeit und Technit ericheint

wochentäglich zweimal,

Sonntags und Montags einmal

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonnabend

10. Dezember 1927

2

Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.

etatpalttge Nonpareillezette 80 Pfennig. Retlamezeile 5.- Reichs mart. Ricine Anzeigen" das fettge brudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwet fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Bort 13 Pfennig, jedes meitere Bort 10 Pfennig Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmartt Beile 60 Pfennig. Familianzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Unzeigen annahme im Hauptgeschäft Linden. Straße 3. wochentagl. von 8 bis 17 Uhr.

Hentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Fernsprecher: Tönhoff 292-297. Telegramm- Adr: Sozialdemokrat Berlin

Postscheckonto: Berlin 37536. Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Diskonto- Gesellschaft, Depofitentasse Lindenstr 3

Die Stillegungsverhandlungen abgesagt!

Die Gewerkschaften erklären: Schlichtungsverhandlungen gehen vor.- Der Regierungsvertreter Entscheidung der Reichsregierung frühestens Sonntag.

schließt sich an.

Die Entscheidung in dem Konflikt mit der Schwer­eisenindustrie wird aller Voraussicht nach zu Beginn der kommenden Woche fallen. Am Freitag vormittag fand eine zweite Ministerbesprechung über den Ar­

beitskonflikt statt. Im Anschluß daran erfolgte eine nicht offizielle Fühlungnahme zwischen dem Reichs arbeitsminister und den Parteien, also sowohl mit den

Eisenindustriellen als auch mit den Gewerk.

schaften.

werden.

Die freien Gewerkschaften wachsen!

J. St. Effen, 9. Dezember.

Die Stellung der freien Gewerkschaften, im Lande des Eisens und der Kohle ist nicht immer ganz leicht. Schwierig feiten erwachsen ihr von rechts wie von links.

#

Die chriftlichen Gewerkschaften geben den Achtstundentag in der weiterverarbeitenden In dustrie preis und beschränken sich, soweit die Arbeitszeit in Frage kommt, auf die Durchführung der Verordnung des Reichsarbeitsministers. Diese Haltung der christlichen Ge­werkschaften ist ein ungewöhnlicher Boraang; denn in den Richtungen im allgemeinen gemeinsam aufgestellt und ver­letzten Jahre sind die Forderungen der Gewerkschaften aller treten worden. Wenn die christlichen Gewerkschaften jetzt in einer so grundsäglichen Frage, wie der des Achtstundentages, eine unerfreuliche Sonderstellung einnehmen, so muß man das auf politische Einflüsse, denen sie unterlegen sind, zurüd führen.

Die Antwort des Reichsarbeitsministers auf das Gesuch der Schwerindustriellen zur Frist verlänge. rung wird nicht vor Sonntag erfolgen. Es ist handlungen, die am Sonnabend beginnen und für die die auch daher kaum anzunehmen, daß die Schlichtungsver Entscheidung des Reichsarbeitsministers über die Ar­beitszeitverordnung zum Teil erst die notwendigen Ver­handlungsgrundlage bringt, am ersten Verhandlungstag bereits über allgemeine Beratungen hinauskommen Bon zuständiger Stelle wird betont, daß die Neuf der anderen Seite fallen die Kommunist en gierung es als ihre ernsteste Pflicht betrachte, bei der den freien Gewerkschaften in den Rücken. Sie, zu deren Schwere und Bedeutung der Entscheidung in engiter Domänen das Ruhrgebiet während der Inflationsjahre Fühlungnahme mit den beiden Parteien die gezählt hat, bemühen sich jetzt, durch eine verlogene Agitation Streitfrage nochmals aufs genaueste zu prüfen. thren Einfluß wenigstens teilweise zurückzugewinnen. Ihr Ziel ist nicht die Förderung der Arbeiterfache in diesem weren Kampfe, sondern die Stärkung der eigenen Bartei. Sie sehen lanbauf, landab und verfünden, daß es den freien Gemerffchaften mit dem Kampf um den Achtstundentag nicht Ernst sei, daß sie die Arbeiter nur betrügen wollten, Keine Berhandlungen, sondern sofort Generalstreif!" ist ihre Barole. Zwischen den christlichen Gewerkschaften und den Kommu­nisten stehen die freien Gewerkschaften. Sie wachsen trotz

Stillegungsverhandlungen abgebrochen

Keine fachliche Entscheidung des Regierungsvertreters.

Bochum , 9. Dezember. ( Eigenbericht.) Heute fanden in dem Westfälischen Drahtwerk in Hamm vor dem Vertreter des Demobilmachungskommissars, Regierungsrat Fritsch, die ersten Stillegungsverhandlungen für die in Durchführung des Beschlusses zur Betriebsstillegung in der Eisen- und Stahlinduſtrie am 1. Januar 1928 angemeldeten Werke statt.

An den Verhandlungen nahmen Vertreter der Werksleitung, der drei Metallarbeiterverbände, sowie der Betriebsrat teil. Direktor Langen begründete den Stillegungsantrag. Er führte aus, daß die Stillegung teine Rampfmaßnahme, sondern viel­mehr eine Vorsichtsmaßregel gegen die durch die For­derungen der Metallarbeiterverbände eingetretene Ueberlastung des Unternehmens darstellen. Die Metallarbeiterverbände gaben folgende Erklärung ab:

., Wir sehen in dem Stillegungsantrag ein Druck. mittel auf die Regierung, um ihre Entscheidung in der Durchführung der Arbeitszeitverordnung vom 16. Juli zu beeinflussen. Der Stillegungsantrag stellt einen uu berechtigten Eingriff in die schwebenden Verhandlungen und eine Verletzung der sich aus dem bestehenden Tarifvertrag ergebenden Friedenspflicht dar. Bis zur Erledigung des Schlichtungs verfahrens, an dem wir beteiligt sind, können wir feine weiteren Erklärungen abgeben, auch schon aus dem Grunde, weil die örtliche Werks­leitung auf eine Durchführung oder Aufhebung des Still. legungsantrages keinen Einfluß hat."

Nach der Verlesung dieser Erklärung erklärte der Regierungs­vertreter, daß dem Demobilmachungskommissar jetzt der Beg gezeigt sei, der beschritten werden müsse. Er entnehme der Mitteilung der Gewerkschaftsvertreter, daß sie nicht bereit seien, an den Stillegungs verhandlungen teilzunehmen. Aus diesem Grunde erkläre er die Berhandlungen für beendet.

Unter diesen Umständen würden sich auch weitere Stillegungsverhandlungen für die übrigen Werke nach seiner Auffassung für überflüssig erweisen, doch bleibe dem Demobilmachungskommissar, Regierungs­präsident Königin Arnsberg die Entscheidung vorbehalten.

Der Demobilmachungskommiffar lehne es ab, weder nach der einen noch nach der anderen Seite pofitiv Stellung zu nehmen, um die Objektivität zu wahren. Gleichzeitig fagte der Stillegungs­tommiffar die für heute nachmittag angesetzten Stilegungsverhand fungen bei der Westfälischen Union in Hamm ab.

Die Gemertloaften erflärten sich mit dem Standpunkt bes Demobilmachungstommissars, dessen Verhandlungstätigkeit von ber gebotenen Sachlichkeit bestimmt mar, einverstanben

dem!

Die Arbeiter, die sich jetzt furz vor Weihnachten von der Erwerbslosenzeit bedroht sehen, schauen nach Hilfe gegen ihre Unternehmer aus. Die Geschäftsleute klagen jezt schon, daß durch die Stillegungsdrohung das Weihnachtsgeschäft ver­

dorben sei, weil die Arbeiter mit ihren Spargroschen zurück­hielten. Es ist ganz natürlich, daß die Unorganisierten, die besonders unter den ungelernten Arbeitern der Stahl­und Walzwerke sehr zahlreich sind, sich der Gewerkschaften wieder erinnern, aus denen fie am Ausgang des Ruhrkrieges unter dem Einfluß der KPD. herausgelaufen sind. Die freien Gewerkschaften erfreuen sich also infolge der Stillegungs­drohung eines außerordentlich starken Zuflusses von Mit­gliedern. Die Unternehmer haben sich als die besten gewerk­chaftlichen Agitatoren erwiesen. Wenn sie, wie das heute bei der Behandlung des Stillegungsantrages der Westfälischen Drahtwerke in Hamm geschehen ist, vorgeben, daß die Still­legung eine Borsichtsmaßnahme" gegen die Forderungen der Gewerkschaften sei, so versuchen sie damit zwar die Kampffront zu verschieben, tatsächlich wirkt diese Ausrede nur als Agitation für die Gewerkschaften.

Ist es der Schwerindustrie Ernst mit ihrer Kriegs­erklärung? Die Schwerindustriellen scheinen sich gegenwärtig brohung treiben jolfen. Sie beschweren fich darüber, daß man felbst noch nicht darüber klar zu sein, wie weit sie die Kriegs­von ihnen die Durchführung des Achtstundentages verlangt und daß man ihnen als equivalent nicht wenigstens eine Erhöhung der Stahl und Eisenpreise, wenn nicht die Freigabe der Preisfestsetzung überhaupt zugesteht. Sie, die nur Syndikatspeise kennen, die eine Zwangswirt­schaft ohne Beispiel aufgerichtet haben, wollen von staat­lichem Zwang nichts wissen. Für ihre Unsicherheit ist es bezeichnend, daß jezt hinter den Kulissen mit den 3echena befigern verhandelt wird, um diese gleichfalls zu veranlassen, Stillegungsanträge zu stellen. Bom Bergbau liegen bis jetzt Anträge solcher Art nicht vor. Es scheint also, daß innerhalb der Unternehmerschaft ziemlich tiefgehende Unstimmigkeiten bestehen und daß es den führenden Scharf­machern der Großeisenindustrie bis jetzt noch nicht gelungen ist, die Zechenbesizer ins Schlepptau zu bekommen, wie sie die weiterverarbeitende Industrie ins Schlepptau bekommen

haben.

Geld her oder- Krieg!

Woldemaras beendet den Kriegszustand- wenn er eine Anleihe erhält.

V. Sch. Genf , 9. Dezember. ( Eigenbericht.) Das Interesse konzentriert sich jetzt auf die Person Pilsudstis. Im Hotel, wo er abgestiegen ist, und wo auch Briand und Scialoja wohnen, geht es wie in einem Taubenschlage zu. während des ganzen Nachmittags folgte Besuch auf Besuch. Die ver schiedenen Ratsmitglieder, Chamberlain an der Spize, haben fich zu dem polnischen Ministerpräsidenten begeben. Die erste Be gegnung zwischen Stresemann und Bilsudski wird erst morgen vormittag in einer vertraulichen Ratssitzung erfolgen. Dann werden sich die beiden bei einem Frühstück, das Briand gibt, treffen. Die Lösung des polnisch- fitauischen Konfliktes macht nur sehr langfame Fortschritte. Der Holländer van Blockland, der ais Berichterstatter bald mit der einen, bald mit der anderen Seite der handeln muß, ist ein schwer geplagter Mann. In der Frage der Ernennung einer Grenzfommiffion zeigte sich heute Bolen entgegenkommender. Die Befürchtung, daß Pilsudskis Eingreifen die Verständigung erschweren würde, scheint sich nicht zu bewahrheiten. Dagegen macht Woldemaras nach wie vor große Schwie rigkeiten. Für ihn ist die Aufrechterhaltung des Kriegszustandes Litauens Tester Trumpf. ten er

Regierungsfrise in Finnland . Steuerscheu und Zollwucher fürzen das Sozialistenkabinett. Helsingfors , 9. Dezember.

Die fotialdemokratische Regierung Tanner, die feit etwa einem Jahre im Amte ist, demissionierte, meil fie im Reichstag bei der Abstimmung über ihre neuen Steuer. und 3011 varichläge, zumal in der Frage des Roggenjolls, für ihre Anfrage eine Mehrheit nicht zu erzielen vermochte

nicht aus der Hand geben will. Denn dieser Kriegszustand bedeutet die Sperrung des Verkehrs auf dem Njemen und somit eine ernste wirtschaftliche Schädigung Polens , dessen Holzerport aus dem Wilnas gebiet völlig brach liegt.

Am Nachmittag versuchten Briand und Scialoja auf Wolde­maras einen Druck auszuüben, dennoch erklärte dieser nach diesen Besprechungen zu den Journalisten, daß er noch feine Bafis für eine Einigung fehe. Bielleicht wäre der einzige Mensch in Genf , der mit Erfolg auf Boldemaras einwirken fönnte, der Bertreter des britischen Schahzamts, Sir Francis Niemeyer. Schon jetzt wird gemunfelt, daß Woldemaras als Preis für eine etwaige Nachglebigkeit die Gewährung einer englischen Anleihe an Litauen beantragen, wenn nicht gar erreichen werde. Das würde durchaus in die diplomatischen Methoden passen, die heutzutage pori gewissen fleinen und großen östlichen Ländern angewendet werden!

Morgen vormittag wird nun der gesamte Rat in der geheimen Sitzung einen neuen starten moralischen Druck auf Woldemars cuszuüben versuchen. Je nach dem Erfolg, foll am Nachmittag die öffentliche Sigung stattfinden oder auf Montag verschoben werden. Doch wird allgemein bezweifelt, daß es morgen schon fa weit sein wiro.

Aber auch dann, wenn die Einigung im Wilna - Konflikt wider Erwarten bereits am Sonnabend erzielt werden könnte, wird der Rat jedenfalls bis Montag zusammenbleiben müssen, denn auch im deutsch - griechischen Konflikt um den Kreuzer Sala. mis" find teine Fortschritte zu verzeichnen. Indirekte Berhand lungen zweds Erzielung eines Rompromiffes tommen nicht nom Bled . Diefe Lappalie, die eigentlich niemals den Rat hätte bea schäftigen dürfen, da es sich nur um einen Streit zwischen einer deutschen Privatfirma, der Stettiner Bulfanwerft. und der griechischen Regierung, handelt, wird möglicherweise in Ermangelung einer Einigung auf eine spätere Tagung verfchoben werden müssen.