Einzelbild herunterladen
 
  

Nr. 254.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band  : Deutschland   u. Desterreich­Ungarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste

=

für 1895 unter Nr. 7128.

Vorwärts

12. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder beren Raum 40 Pf., für Vereins: und Bersammlungs- Anzeigen 20 fg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Erpedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin".

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Der Sturz des Minifteriums

Ribot.

Dem Ansturm der Sozialisten in der Carmaux- Frage hat das Ministerium Ribot widerstanden, dem Ansturm der Sozialisten in der Südbahn  - Frage ist es erlegen. Ganz unerwartet kommt die Nachricht des Sturzes nicht. Die Debatte über die Vorgänge in Carmaux hatte gezeigt, daß das Ministerium keine verläßliche Majorität mehr hinter sich hatte. Der Eindruck war allgemein, daß, wenn Jaurès  seine Rede am ersten Tage beschlossen hätte, der Antrag auf Ernennung des Präsidenten Brisson zum Schiedsrichter an­

genommen worden wäre

Mittwoch, den 30. Oktober 1895. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Paris  , 29. Oktober. In den Kreisen der Kammer herrscht Noch am Freitag war Ribot der festen Ueberzeugung, er würde ungefährdet durch alle Klippen hindurchsteuern, die Ansicht vor, daß Bourgeois die Bildung des Kabinets über nachdem ein glorreicher" Friede die Greuel der Madagaskar  - bes 3wischenrufes eines Sozialisten mit, daß außer den nehmen werde. Trarieur theilte in der Kammer infolge Expedition weggewischt hat. Er wettete auf eine Majorität bereits in den Zeitungen Genannten noch der Gouverneur des in der Carmaux- Frage und lachte über die Südbahn  - Affäre. Crédit Foncier", der Deputirte Christophle, Mitglied des Jetzt liegt er am Boden. Syndikats der Südbahn   gewesen sei.

Das ist vor ihm schon vielen widerfahren und niemand weint Herrn Ribot eine Thräne nach. Aber was nun?

Eine feste" Regierung, wir meinen eine Regierung mit fester Majorität, ist in Frankreich   nicht möglich. Die bürgerlichen Parteien sind zu verbröckelt und zu sehr an­was unter den obwaltenden gefault. Es giebt nur noch Gelegenheitsmajoritäten, die aber Verhältnissen die Niederlage und den Fall des Ministeriums jeden Augenblick, sobald nene Fragen und Aufgaben sich dar­bieten, wieder auseinanderfallen. Für ein Ministerium der starken Faust", wie Constans   es bilden möchte, ist Frankreich  zu demokratisch.

Ribot bedeutete.

Auch die Verlängerung der Debatte gab indeß den Ministern nur eine geringe Minorität, und wenn man be­denkt, daß die Zahl der Abgeordneten, die sich der Der jähe Sturz Cafimir Perier's und das Fiasko des Stimme enthielten, weil ihr kapitalistisches Herz ihnen Constans   haben den Beweis geliefert, daß der Kapitalismus  verbot, in einer reinen Arbeiterfrage mit den Sozialisten doch nicht absoluter Herrscher in Frankreich   ist, und daß zu stimmen, mehr als achtzig betrug, so kann die Diktatur der Bourgeoisie an dem demo­man sich nicht wundern, daß bei einer anderen Frage fratischen Geist weiter bürgerlicher Schichten eine Schranke 48 Stunden später die Majorität zur Minorität zusammen hat, die sie bisher wohl für Momente zu überspringen, schmolz. jedoch nicht niederzuwerfen vermocht hat.

"

"

Paris  , 29. Ottober. Die gemäßigten republikanischen Zeitungen beklagen die Abstimmung der Kammer und werfen derselben Zusammenhangslosigkeit und Leichtfertigkeit vor; einige von ihnen, so besonders Siècle", Matin" und" Petit Journal" sehen die Möglichkeit einer Auflösung der Kammer voraus, falls dieselbe im Zustande der Berbröckelung und der Anarchie beharre. Die radikalen und sozialistischen Zeitungen bezeichnen die gestrige Abstimmung als Revanche für Carmaux. " Rappel" und" Lanterne" fordern ein radikales, in sich gleich­artiges Ministerium. Die fonservativen Beitungen stellen feft, daß das Ministerium über eine Frage der öffentlichen Moral gefallen ist; alle Blätter konstatiren übereinstimmend die Schwierigs feiten der gegenwärtigen Lage für den Präsidenten der Republik Der Matin" glaubt an ein und das zukünftige Rabinet. Ministerium Bourgeois Gavaignac, indeffen sei es unmöglich, etwas Bestimmtes vorauszusagen.

"

Paris  , 29. Oktober.  ( Eigener Drahtbericht der Bossischen Beitung".) Die Mehrheit, die Ribot gestürzt, bestand aus 123 abitalen, 65 Sozialisten und Sozial Radikalen, 46 Reaktionären, 16 Bekehrten und 30 gemäßigten Republikanern, Der Südbahn  - Standal ist unseren Lesern durch die Wir lassen nun nachstehend die auf die gestrige Kammer die 188 Stimmen der Minderheit sind ausschließlich die der Ge Briefe von Gallus, namentlich den gestern veröffentlichten, sizung und die Kabinetsfrise bezüglichen Telegramme folgen: mäßigten und Bekehrten. Viele Radikale, Reaktionäre und Be bekannt. Es ist in diesem bereits darauf hingewiesen, daß Paris  , 28. Ottober. Deputirtenkammer. Rouanet( Sozialist) fehrte versichern, sie seien überzeugt gewesen, nicht gegen das Ronanet Enthüllungen machen werde, die das Ministerium bringt eine Interpellation über die Südbahn  - Angelegenheit ein Kabinet, sondern blos gegen Trarieur zu stimmen. Ribot's An­und insbesondere den Justizminister schwer belasten würden. verbreite und den Berdacht beseitige, der über mehreren Par- vertheidigte, sie sind überzeugt, daß er seinen Sturz verhütet und verlangt, daß die Regierung über die Sache völlige Klarheit hänger machen ihm bittere Vorwürfe, daß er sich nicht ernstlich Und am Sonntag war in Paris   auch das Gerücht ver- lamentariern schwebe. Der Justizminister Trarieur erklärt, hätte, wenn er vor der Abstimmung deutlich die Kabinetsfrage gestellt breitet, der Justizminister Trarieur folle ausgeschifft" sämmtliche Schulbigen seien gerichtlich verfolgt, es sei, außer den hätte. Die Lage, die er hinterläßt, ist überaus verworren. Die Radikalen das heißt über Bord geworfen werden, damit die übrigen bekannten Senatoren und Deputirten, welche sich regelmäßig an hoffen, fich der Gewalt zu bemächtigen, und schieben die Namen Minister in Sicherheit weiter fahren könnten. Die Absicht den Emissionssyndikaten betheiligt hätten, kein Name eines Bourgeois, Peytral und Cavaignac   vor. Gin rein radikales hat wohl auch unzweifelhaft bestanden. Allein die Be- Deputirten in den Akten gefunden worden. Nach einigen Rabinet fönnte jedoch keinen Tag dauern, und die Gemäßigten schaffenheit des Falles war derart, daß es nicht anging, die Gegenreden wurde die Diskussion geschlossen. Das Haus scheinen nicht geneigt, sich auf die berühmte Zusammenfassung Schuld auf ein einziges Mitglied des Kabinets abzuladen. nahm dann mit Stimmeneinheit bei 518 Abstimmenden eine mit ihnen einzulassen. Aber auch ein ausschließlich gemäßigtes Denn es handelte sich um Vorkommnisse und Thatsachen, Tagesordnung Habert an, in welcher es heißt, daß es geboten Ministerium, das Loubet   bilden fönnte, hätte feine Mehrheit. erscheine, den Mitgliedern des Parlaments die Theilnahme an Man beginnt also wieder, das Wort Auflösung auszu­die, wie Gallus dargelegt hat, stadt- und landkundig waren Finanz- Syndikaten zu untersagen. Rouanet brachte hierauf eine sprechen. In der Presse jubeln die Sozialisten, die sich und keinem der Minister verborgen geblieben sein Tagesordnung ein, nach welcher volle Klarheit über die als die gestrigen Sieger und den Sturz Ribot's a 13 die Das Ministerium hätte betrachten. Die nur durch einen Südbahn   Angelegenheit verlangt und der Minister ersucht Bergeltung für Carmaux konnten das Carug- Fr in der Carmaux- Frage, der die wird, alle diejenigen zu verfolgen, die verantwortlich sind, mäßigten Blätter beurtheilen die Kammer mit äußerster kapitalistischen   Instinkte und Leidenschaften lebhaft für und dem Hause den Bericht des Sachverständigen Flory Strenge. Die" Débats" sagen: Es ist unmöglich, zu erkennen, seinen Bestand interessirt hätte, gerettet und befestigt werden mitzutheilen. Ministerpräsident Ribot erklärte hierauf, daß weshalb Ribot gefallen ist oder auf welchem Boden sein Nach­tönnen. Dieser Sieg ist ausgeblieben, und die schwanken- es ihm nach der heutigen Debatte nicht nützlich erscheine, folger fußen wird. Die Kammer hat einen neuen Riesenschritt den vollständigen Bericht zu veröffentlichen. Was Die zu ihrer eigenen Ohnmacht und der allgemeinen Versumpfung den Glemente, die am Sonnabend noch Herrn Ribot aus Berfolgungen betreffe, so habe die Justiz ihre Pflicht erfüllt; gethan." Petit Journal" ruft: Die Kammer erweist sich als dem Wasser ziehen halfen, haben ihn am Montag sammt diese Frage sei daher erledigt.( Beifall im Zentrum.) Die Tages- arbeitsunfähig, ziellos, gedankenlos, jede Sigung widerspricht der jeinem Kabinet in die Fluthen hinabgestoßen. ordnung Rouanet wurde hierauf bis zu den Worten den Be- vorigen, in einstündigem Abstand bejubelt und beschimpft sie die Beiläufig ist das Kabinet Ribot nicht das erste, welches richt des Sachverständigen Flory mitzutheilen" mit 275 gegen nämlichen Menschen, sie geht in tindischer Verworrenheit unter. durch den Südbahnskandal zu Fall gekommen ist. Auch der 196 Stimmen angenommen. Der zweite Theil dieser Tages. Ein großes arbeitsames Volk wie das französische wird sich nicht Borgänger des Herrn Ribot, Dupuy mit seinem zweiten ordnung und die ganze Tagesordnung wurden dann mit 320 cwig mit Hampelmännern von zweifelhafter Ehrlichkeit und Kabinet ist über diesen Stein des Anstoßes gestolpert, und gegen 211 Stimmen angenommen, worauf die Minister; wie vollendeter Unfähigkeit und Unbewußtheit zufriedengeben." bereits gemeldet, den Gaal unter dem ironischen Beifall der Gaulois" bemerkt, jetzt trete an Faure   die erſte ernſte Prüfung zwar am 14. Januar dieses Jahres. Damals erregte es den Zorn der Kammermajorität, daß der Staatsgerichtshof gehoben. Nächste Sihung Montag. äußersten Zinken verließen. Die Sizung wurde hierauf auf- beran, und es werde sich zu zeigen haben, ob seine beginnende Boltsthümlichkeit ihr widerstehen könne. Die Krise wird jeden fich in bezug auf die Giltigkeitsdauer der staatlichen Zinsen- Paris  , 28. Oftober. Die Deputirtenkammer nahm die von falls langwierig sein. gewähr im Sinne der Südbahn- Gesellschaft ausgesprochen dem Sozialisten Rouanet eingebrachte Tagesordnung an. Die hatte, wofür die Kammer das Kabinet verantwortlich Minifter verließen darauf den Sigungssaal und begaben sich nach machte. dem Elysee, um die Demission des Kabinets zu überreichen.

12

=

"

sein möcht. Bleib nur sizen!" lachte er höhnisch, als deri Ein Verrückter.( Machbr. verboten. Schuften, dem Göpfert, wahrscheinli scho wieder vergessen, Gereizte auffahren wollte. Bleib nur siten, hast's dem daß er uns Bauernluder, verfluchte, g'hoaßen hat? Ha? Woaßt' s nimma?"

Kampf und Ende eines Lehrers.

Roman von Joseph Ruederer.

" Ich verlang' von Ihnen blos, daß Sie die einfache Wahrheit sag'n, falls ich Sie zu einer Vernehmung bei der Distrikts Schulinspektion oder auf dem Bezirksamt brauchen sollt."

,, Kümma di net so vicl! I woaß scho selba." Also?"

"

" Ja, ja, des vergiß i a dem Lackl, dem hoch müthigen, net."

Recht hast, Poiten," bemerkte Straßner trocken. " Wart nur, wir zahlen' s eahm heim, aber g'höri", schrie Eigenberger.

"

"

ge­

Wann moanen S', Herr Lehrer, daß ma wieder was hört über de G'schicht?" Das kann i selbst no net sag'n, i muß morgen erst mit' m Balder reden und das weitere laß i ent noch wissen."

" scho gut, Herr Lehrer," lachte Eigenberger, und stolperte mit Poiten und Straßner in die Gast­stube zurück.-

Dort stand der Förster immer noch mit Kathi im eifrigen Gespräche, das er abbrach, als sich Boiten wieder auf seinem Blaze niederließ.

Wo's is, das is mir ganz gleich. I sag alle Lent ins Gesicht, daß der Göpfert g'logen hat und bal's " Du hast ja a saubers Madel", sagte er und nickte Noth thut, nacher sag i a no ganz andr'e G'schichten" Freili! Von so am Jaga laß i mi no net z'samm- dem Bauern zu. und sag dene Ochsen am Bezirksamt drob'n ganz kalt, stell'n", brummte Poiten wieder, der moant er is mehra, Kathi lachte dumm und sah auf ihre Schürze herab. daß i überhaupts so meine eig'ne Ansichten hab über die wie unseroans. Ha, ha, nix da! Da, Herr Lehrer, hab'n" Hörst' s, Poiten, heut werft no globt a, weil'st Dei hohe Obrigkeit und über die Kirch'." S' mei Hand." Sach so guat g'macht hast", schrie Eigenberger und grinste Dazu brauch' ich Sie nicht," sagte der Lehrer unwillig Zufrieden erhob sich Gattl. Daß sich der Eigenberger dem Förster ins Gesicht. und schob den Angetrunkenen, der ihm schon förmlich auf Seppl, den er nicht gerufen hatte, so sonderbar aufgedrängt Dieser that, als hätte er nichts bemerkt und neigte sich dem Halse saß, energisch von sich. hatte, war ihm zwar nicht sehr angenehm, denn dieser jäh- zu dem Vater des Mädchens, der ärgerlich dreinsah. Er zornige, rohe Mensch stand nirgends gut angeschrieben, die hielt Göpfert's Worte für Sticheleien und griff verlegen in beiden anderen dagegen waren die angesehenſten Bauern die ungekämmten Haare. Sein glattes Gesicht hatte dabei vom Dorfe. Besonders auf Poiten, dessen Kindern der einen stupiden Ausdruck von Trotz und Unbeholfenheit. Lehrer stets die größte Beachtung beim Unterrichte geschenkt hatte, durfte er sicher rechnen, denn er stand vortrefflich mit ihm, und der Wirth hatte gauz recht, wenn er dem Förster sagte, daß Hausl alle Aussicht hatte, auf Gattis Rath bald in die Stadt zu kommen, um sein wirklich auf fallendes Zeichentalent in einer richtigen Schule weiter zu erproben.

"

An Euch zwei wend ich mich noch einmal," sprach er Poiten und Straßner an. Ihr fönnt mir d' Hand d'rauf geb'n, daß Ihr nix von dem g'hört habt, wessen man mich anflagt?"

" Ja wohl, Herr Lehrer."

Straßner reichte ihm langsam die Rechte hin. ,, Natürli," sagte Boiten, der eben nachdenklich in das Bimmer geblickt hatte, um Göpfert und Kathi zu be­obachten. Natürli," wiederholte er. Seine Hand gab er aber nicht.

Um so eifriger streckte Eigenberger die seine dem Lehrer entgegen:

"

Also gut, ich dank' Euch, und wohlgemerkt: Vorerst ja nix drüber reden." Er wollte gehen, aber Straßuer hielt ihn noch einmal

Da, da, Herr Lehrer, verlassen G' Eahna ganz auf mi, wenn am End der Poiten wieder net dabei g'wesen zurück:

" Du derfst's scho glauben, Poiten, de Kathi is wirkli gar net übel, es is mei voller Ernst," lachte Göpfert. Herr Kreittmayer trat an den Ofen: " Sollst froh sein, Poiten, bal die Kathi' m Herrn Förster g'fallt, das is ja a Ehr." " B'sonders bal ma' n Vata von dem Madel a dummes Bauernluader g'hoaßen hat," höhnte Eigenberger.

Geh, Du! Mit Deine frechen Redensarten," sagte der Wirth. Eigenberger lachte wieder und holte seinen Krug unter I der Bank hervor. Göpfert antwortete ihm nicht. Er rauchte