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Abendausgabe

Nr. 613

B 303

44. Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Mittwoch

28. Dezember 1927

10 Pfennig

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Hungersnot in Nordchina.

Die Folge des Bürgerkriegs.- Vier Millionen Menschen am Berhungern!

Peting, 28. Dezember( Reuter).

Europäer in Schantung bestätigen die Meldung der Gesell­schaften zur Linderung der Hungersnot, daß vier Millionen Menschen nahe am Berhungern sind. In 35 Bezirken von den 107 Bezirken der Provinz Schantung find weniger als 10 Proz. der Ernte tatsächlich eingebracht worden, in 30 anderen Bezirken zwischen 10 und 40 Proz. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt bereits von Baumrinde und Spreu. Der schlimmste Punkt ist noch nicht erreicht. Früher wohlhabende Bauern verschleudern ihre Biehbestände für geringfügige Beträge, um auszuwandern. Die Lokalbehörden geben der Dürre und dem Heuschredenstaß die Schuld an der Hungersnot; wie die Europäer erklären, ist sie aber hauptsächlich auf den Bürgerkrieg, das Banditentum und die drückende Besteuerung zurückzuführen. Es besteht feine Hoffnung, in China felbft ausreichende Geldmittel aufzubringen, um große Massen der Bevölkerung vor dem drohenden Tod zu reiten.

Hilfe vom Ausland wird dringend gebraucht. Die Truppen und die Banditen verschärfen noch die Notlage im Hungerbezirt und machen es dabei unmöglich, großangelegte Hilfsmaßnahmen unter ausländischer Leitung durchzuführen, wie etwa den Bau von Straßen und Kanälen. Aehnliche Verhältniffe herrschen in Tamingfu im südlichen Tschili, wo nur 20 Proj. der Ernte eingebracht werden konnten.

Der Terror in Kanton.

London , 28. Dezember.

Times" meldet aus Hongkong , daß General Litschaifum mit den Kwangsi- Truppen Samichni genommen hat und gegen Kanton vorrückt. In Kanton selbst hätten sich einige Unruhen ereignet. Dreißig angebliche Bolschewisten, zum größten Teil Frauen, wurden verhaftet und hingerichtet.

Wann wird gewählt?

Die Angstpsychose der Rechten.

Schon vor einigen Wochen hat der Vorwärts" die sach-| lichen Gründe dargelegt, aus denen mit einer Wahrscheinlich feit, die an Gewißheit grenzt, Frühjahrswahlen zum Reichstag zu erwarten sind. Nun ist in der Presse eine neue Diskussion über den Wahltermin entstanden. Sie ist ver: anlaßt durch die Behauptung der Welt am Montag", daß zwischen Stresemann und Briand eine Vereinbarung über die Wahltermine getroffen worden sei, wonach auch in Deutschland wie in Frankreich die Wahlen im Frühjahr vor­genommen werden sollten.

"

Auf diese Nachricht hin stieß die Kreuz- 3eiturig" einen furchtbaren Angst schrei aus. Sie verschanzte sich hinter die nationale Bürde" und versicherte, es sei unwürdig, die deutschen Wahlen von den französischen abhängig zu machen. Sofort sprang ihr auch der Fraktionsvorsigende der Bolts partei, Herr Scholz, bei, der in den Berliner Stimmen" erflärte, eine vierjährige Wahlperiode sei sowieso schon fehr furz, und er sehe feinen Grund, die Wahlen vor Ende 1928 oder Anfang 1929 vorzunehmen.

Nun meldet sich auch die ,, Tägliche Rundschau" und. pie man annehmen darf, durch sie Herr Stresemann zum Wort,

um zu erklären:

Bon irgendwelchen Vereinbarungen fann schon deshalb nicht. die Rede sein, weil die Ansehung des Neuwahltermines von dem Willen des Reichsaußenministers in feiner Weise abhängig ist. Man fann höchstens von Auffassungen über die voraussichtliche Lebens­dauer des Reichstages sprechen, Auffassungen, die ja be= tanntlich verschieden sind. Es ist aber soviel sicher, daß der Reichstag unter allen Umständen zusammengehalten werden muß, bis der Haushaltsplan für 1928 verabschiedet ist. Es kann heute noch niemand wissen, ob diese Verabschiedung recht­zeitig bis zum 1. April erfolgt, oder ob es, wie in früheren Jahren. darüber hinaus noch wochenlang dauert, bis der Haushaltsplan er­ledigt ist. Selbst wenn man also der Ansicht wäre, der Reichstag könne nach der Berabschiedung des Etats nicht mehr lange lebensfähig sein, selbst dann ließe sich ein Neuwahltermin auch nicht mit annähernder Sicherheit voraussagen.

Die Erklärung, daß in Genf über den Wahltermin keine ,, Vereinbarungen" getroffen worden sind, ist selbstverständlich forrett. Nicht bestritten aber wird von der Täglichen Rund­schau", daß Briand und die französische Linke auf ihren Sieg bei den Wahlen rechnen und daß sie den lebhaften Bunsch haben, auch alsbald einen Deutschen Reichstag vor sich zu sehen, der ein anderes Gesicht hat als der gegenwärtige. Es ist ein Unsinn, von nationaler Würdelosigkeit zu sprechen, wenn man sich für Wahltermin und Wahlausgang beiderseits lebhaft interessiert In Deutschland wünscht jeder­mann für Frankreich den Sieg der verständigungsbereiten Linken. Daß diese Linte nach dem Sieg, den sie erhofft, in Deutschland es nicht gern mit einer Bürgerblodregierung zu tun haben möchte, ist doch ganz selbstverständlich.

Recht geben kann man der ,, Täglichen Rundschau" darin, daß der Etat für 1928 noch verabschiedet werden muß. Der Reichstag wird sich die größte Mühe geben müssen, wieder einzuholen, was durch die Bummelei der Regierung verfäumt worden ist. Wie dann aber noch Schulvorlage, Strafgesetz und weiß Gott , was noch alles zwischendurch erledigt werden sollen, bleibt ein Rätsel.

Ist der Etat erledigt, wird man den Reichstag auflösen und Neuwahlen ausschreiben müssen nicht meil diefe oder jene Bartei es will, sondern weil das aus zwingenden fachlichen Gründen geschehen muß. Spätestens in der 3eit zwischen den französischen Neuwahlen und dem 1. Sep: tember, an dem der Dawes- Plan mit voller Wirksamkeit in Kraft tritt, müssen die innerpolitischen Fragen bereinigt sein. In diese Zeit mit einer Regierung hineinzugehen, die zum Abbruch reif ist und an deren Fortbestand man nicht glaubt, wäre unverantwortlich. Darum müssen die Deutsch­nationalen und Herr Scholz, mag das Scheiden auch wehe tun, sich auf ein baldiges Ende dieses geliebten Reichstags gefaßt machen.

Futterfrippe! Futterfrippe!

Oder schreie beizeiten!

Die Deutschnationale Deutsche Tageszeitung schreit laut über, fozialdemokratische Futterkrippenwirtschaft". In Sachsen . Sie regt sich auf, weil Fräulein Rosenhain, die Sekretärin des preußischen Ministers des Innern, zum Regierungsrat ernannt worden ist.

3u Sachsen : dort hat eine Bürgerblockregierung systematisch die reaktionärsten und republikfeindlichsten Elemente in der Berwaltung veranfert und eine Persona!- politik getrieben, die sich selbst neben der der gestürzten Stahlhelmregierung in Braunschweig sehen lassen fonnnte!

Zu Rosenhain: es schmerzt die Herren Deutsch­nationalen, daß für einen Jungling ihrer Gesinnung, der feine Befähigung zum Regierungsrat durch fleißigen Besuch staats- und verfassungsfeindlicher Kollegs an deutschen Universitäten und durch eifriges Mühen um die Protettion. der alten Herren seines Korps erworben hat, wieder eine Beförderungschance mehr dahin ist. Noch dazu durch eine Frau! Grund genug, daß fie die ganze Gemeinheit ihrer Gesinnung gegen Regierungsrat Rosenhain austoben, noch bazu in einer Sprache, die eines Revolverblatts würdig wäre. Im übrigen: fiehe unten.

Herr von eudell und die Seinen haben im Reich energisch parteipolitisch bestimmte Personalpoliti? getrieben. Damals fchwiegen alle Flöten, und von dem Bort Futter­frippe war weit und breit nichts zu sehen. Warum heute wieder das Gefchrei? Weil die Deutschnationalen wissen, daß es mit ihrer Herrlichkeit nach den nächsten Wahlen aus ift. Deshalb schreien fie beizeiten!

Deutschnationale Hehmethoden.

Die Ernennung von Fräulein Käthe Rosenhain, seit 1919 Privatjekretärin dreier peußischer Innenminister, zur Regie­rungsrätin gibt der deutschnatonalen Breffe einmal wieder Ge­legenheit, ihre schäbige Gesinnung in hellstem Licht zu zeigen..

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Hämisch glaubt die Deutsche Tageszeitung" feststellen zu sollen, daß der Innenminister Grzesins feine Stenotypistin" für ihre hervorragenden Kenntnisse in der Stenographie und auf der Schreibmaschine" zur Regierungsräun befördert habe. Run können wir uns sehr wohl vorstellen, daß eine Stenotypistin mindestens ebenso intelligent ist, wie beispielsweise ein Regierungsassessor, an dem sich das Bunder vollzieht. daß er innerhalb weniger Monate zum Regierungsrat, Oberregierungsrat und Ministerialrat apan­Ganz irrig ist die Annahme, die Sozialdemociert, natürlich temnesfalls desweges, weil er zufällig der Bruder fratie versteife sich auf den Frühjahrstermin und fie tue des deutschnationalen Innenministers y. Reubell ist. Schlieblich ist das aus parteipolitiihen Gründen". Die Sozialdemokratie Bwed und Wesen der Demokratie, die Begabungen aus den unteren als Bartei hat gar feine Eile. Jeder Monat Bürgerblod Schichten zu fördern, nicht fie, wie das das alte System tat und die bedeutet für sie schäßungsweise zwei Mandate mehr Reichswehr heute noch tut, von den Aufstiegsmöglichkeiten abzu­bei den nächsten Wahlen. Danach kann sich jeder schließen. bequem ausrechnen, ein wie langes Leben sie dem Bürger­bed münicht soweit es auf.parteipolitische Gründe" an­soweit es auf.parteipolitische Gründe" an­tommt. Nicht parteipolitische", sondern staat s politische Gründe zwingender Art sprechen für die Frühjahrswahlen. Darum richten wir uns auf sie ein.

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Poincaré und die Linksminister. Sonderberatung über die allgemeine Regierungspolitik. Paris , 28. Dezember.( Eigenbericht.)

Wie der Matin" zu berichten weiß, hat Ministerpräsident Boncaré gestern nachmittag Briand , Herriot , Bain leo& und Sartaut zu einer bedeutsamen Privatbesprechung zu fich geten. Es handelt sich, wie die Zeitung meldet, um die Bor­bereitung der für Januar angekündigten großen Diskussion über Die allgemeine Politit der Regierung. Der Mint sterpräfient habe es für notwendig gehalten, zunächst die Ansicht derjenigen seiner Minifter einzuholen, die bei den Lints parteien eine befonters einflußreiche Stellung einnehmen. Dieser Bunsch sei allein dadurch gerechtfertigt, daß von der bevorstehenden Kammer. debatte eine große Rückwirkung auf den Wahlkampf und auch auf die Existenz des Kabinetis zu erwarten ſei.

Republikanisierung des Heeres.

3n Merito.

Megito- City, 27. Dezember.( Eigenbericht.)

Die Regierung, hat nach der Hinrichtung der aufständischen Generale Lucero und Bertani die Haftenlassung aller unter dem Verdacht der Teilnahme an der jüngsten Militärrebellion verhafteten Offiziere angeordnet, während das bereits eingeleitete Prozeßverfahren weitergeht. Alle der Teilnahme verdächtigen Offi. ziere find jedoch aus dem Heere arsgestoßen worden. Von den Aufstandsführern sind nur noch die Generale Ima ba, Me. dina und Aleman flüchtig. Jedoch hofft die Regierung, auch fie bald gefangen nehmen zu annen. In diesem Fall dürften auch sie von dem Schidjal ihrer Romplicen ereilt werden.

Im übrigen hat Fräulein Rosenhain die Soziale Frauenschule absolviert, noch unter dem alten System die Befähigung zur Wohl= fahrtspflegerin erhalten und hat während des Krieges mehrere Jahre lang das Frauenreferat der Kriegs. amtsstelle in den Marten innegehabt und in dieser Eigenschaft wesentlich an der Organisierung des weiblichen Hilfs­dienstes in Lazaretten, Bureaus ufm. mitgewirft, wie ihr die unter dem alten System ausgestellten glänzenden Zeugnisse bestätigen.

Daß die Rechtspresse Fräulein Rofenhain als Stenotypistin, die außer der Schreibmaschine nichts versteht, hinzustellen sucht, wundert uns bei dem Charakter dieser Gesellschaft nicht. Wenn aber die Deutsche Zeitung" mit Ausdrücken wie Baschuwirtschaft" usw. Motive ganz anderer Art für die Ernennung der Dame anzu­deuten sucht, so stellt diese Bemerkung einen Reford der Gemeinheit dar, der bei allem Gewohnten notiert zu werben werdient.

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Gesinnungsterror gegen Geißliche.

Zum Kapitel: Militarismus und Kirche. Bor nicht zu langer Zeit wurde ein Aufruf zur Bil­dung einer Gruppe antimilitaristischer ferrer Deröffentlicht. Unter den Antworten, die darauf eingingen, befand sich folgender Brief eines Geistlichen:

Ostelbien, den 19. November 1927. Hochverehrter Herr Amtsbruder! Unlängst las ich, daß sich auf Ihren Aufruf zur Bildung einer Gruppe antimilitaristischer Pfarrer aus ganz Deutschland bisher nur die aufs ganze gesehen überaus bescheidene Zahl von etwa 125 a storen gemeldet haben; ich möchte Ihnen schreiben, daß nach meiner ziemlich eingehenden Kenntnis der ostelbischen Land. verhältnisse die Zahl auch nicht annähernb die tatsäch. lichen Berhältnissen widerspiegelt. Natürlich sind auch bei der hiesigen Pfarrerschaft die Kriegsheger in der erbrüdenden Mehr­heit, aber doch gibt es hin und her eine nicht ganz fleine Zahl von solchen, die im Grunde ihres Herzens ehrliche Pazifisten sind. Warum aber kommen diese so wenig mit der Sprache heraus?