Die Lage im Zentrum. <5ine Stimme aus der katholischen Wählerichost. Reichsvorstond und Ausschuß der Zentrumspartei sind zusammengetreten, um über die Disserenzen im Zentrumsbau zu beraten. Niemoud zweifelt, daß es gelingen� wird, eine noch außen verhüllende„Formel" zu finden, die völlige Einige feit betont. In Wirklichfeit aber wühlt auch im Innern dieser Welt- onschauungspartei der soziale Zwiespalt, der nach reinlicher Scheidung drängt. Wir geben im nachsteheirden einer Zuschrift aus katholischen Kreisen Raum, die manche Andeutungen über den Kamps im Lager der Marx und Stvcsemann macht und manche Schlußjolgerungen gestotlet. Es erübrigt sich, zu betonen, daß wir der Gründung neuer Splitterparteien nicht das Wort reden. Wir sind überzeugt, daß die mit der Rechtsentwtcklung des Zentnuns un- 'uiriedenen proletarischen Schichten seiner bisherigen Wähler über furz oder lang den Anschluß an die Sozial- d e m 0 f r a t i c finden werden. Die Rode des Bergarbeitersührers I m b u f ch hat einmal die im Zentrum vorhanden« Kluft klar zutage treten lasten. Der Zen- trumsturm ist im Schwanken, auch wenn nach außen hin wieder verkittet worden'.st. Wenn Marx und Stegerwold sich versöhnlich die Hände reichen, da alles nur aus Mißverständnisten be- ruhte, so hat man wohl in der Fraktion eine gewisse Harmonie erzielt, die wählenden Massen dagegen denken anders! Als vor einiger Zeit der Abg. Stegerwald sZ.) in Ehar- lottenburg sprach, konnte man die Stimmung der bisherigen Zentrumswähler klar erkennen. Der Redner wies daraus hin, daß das Zentrum seit dem Zusammenbruch ständig in der Regierung ge- scssen habe. Anwesende Mitglieder der Chrisllich-sozialcn Reichs- parte! machten deshalb auch die Zentrumssraktion niitverantwortlich dafür, daß die Wohnungsnot nicht gelindert wurde, daß kein Land zu Siedlungen zur Verfügung gestellt wird, daß der Heeresetat von 450 aus zirka 700 Millionen angewachsen ist, daß die Lebenshaltung der Schafsenden des Volkes sich ständig oer- schlechtert usw. Ein großer Teil der Versammelten spendete diesen Diskussionsrednern lebhaften Beifall. In Weißensee sprach vor einigen Tagen der Zentrums- obeeordnete Schimborn. Der Saal faßte zirka 400 Personen, anwesend waren aber nur 65. Schon der Vorstand des dortigen Zen- trumsvereins geißelte schwer die Politik der Partei. Als in der Debatte erklärt wurde, daß man all« Z e n tr u m s v e r s a mm- lungen sprengen werde, in denen die alten Parteibonzen wieder aufgestellt würden, erfolgte spontan allgemeiner Beifall. In Oberhausen erklärte I m b u s ch u. a., daß man von verschiedenen Seiten an ihn herangetreten wäre mit der Forderung, eigen« Arbeiter kandidaten aufzustellen. Aehnlich ging es an verschiedenen anderen Orten des Westens zu. Di« Arbeit der ZsntrumssrakUon im Reichstag, besonders während der letzten Legislaturperiode, hat eben viele stutzig gemacht. Der„gefolgstreue" Zentrumswähler ist aus seiner Lethargie erwacht und lehnt die absolute„Gängeiung!" ab. Als vor Iahren sich der reaktionäre Flügel des Zen- t r u m s loslöste und die Bayerisch « Dolkspartei gründete, hielt der Rumpf der Partei es für unbedingt erforderlich, einen Gegenpol zu schassen. Von fülzrenden Zentrumspokitikern— Dr. Brauns, Giesberts, Stegerwald— wurde in Bayern die Christlich-soziale Partei ins Leben gerufen und ihre Leitung j>sm Sekretär des Voltsverecns, Vitus Heller , eufgentftigt. Es folgte die erste Rechtsschwenkung des Zentrums. Da wurd« an Heller das Ansinnen gestellt, die Christlich- soziale Partei wieder eingehen zu lasten. Stegerwald äußerte lgA» in Esten:„Thristliche Gewerkschaftler sind oft genöagt, im Interesse ihrer Partei parolen gegen Beschlüsse der Gewerkschaften zu stimmen. Das kann die christliche Arbeiterbewegung auf die Dauer nicht er- trogen. Daher ist«ne große christliche Partei mit unverwischbaren sozialen Zielen notwendig." Aus der Erkenntnis heraus, daß die Belange der großen Masten der Schaffenden unseres Volkes bei der Zentrumspartei me mehr gebührende Beachtung finden werden, folgt« nun Heller nicht der erwähnten Aussorderung. seine Sonderarbeit einzustellen, sondern erstrebte und erzielte einen Zusammenschluß der Christlich- sozialen Partei Bayerns mit der im Rheinland und Westfalen ent- standcnen Christlichen Volksgemeinschaft zur„Christlich-sozialen Reichspartei ", die nach ihrem Programm„die Einigkeit des gesamten Proletariats in einem großen Linkskartell" erstrebt, aber durch- aus nicht als ein Wiederaufleben der alten Stöcker-Partei gelten will. War mancher Zentrumsanhänger anfangs über die Zweckmäßigkeit einer neuen Partei aus christlichsozialer, republikanischer Grundlage noch im Zweifel, so wurden durch die weitere Aktion des Zentrums bald vielen bisherigen Zentrumswählern, besonders aus den Kreisen der Schaffenden des Voltes, die Augen geöffnet. Eine riesige Zahl ehemaliger Zentrumsanhänger, die mit ihrer Partei zerfallen sind m'.d sich aus Gründen der Weltanschauung nicht den bestehenden Linksparteien glauben anschließe» zu können, suchen nach einen neuen politischen Halt. Sie glauben es in der vom Zentrum gegründeten Ehristlich-sozialen Reichspartei gefmüten zu haben und sind der Meinung, daß der rechte Flügel des Zentrums mit der Bayerischen Volkspartei völlig zu- sammengehen, der linke aber an der Linken Anschluß suchen müsse. Kürzlich erfolgte ein« Einladung vom Lorsitzenden der Rhei- nischen Zentrumspartei an die dortigen Geistlichen zwecks Be- sprcching kulturpolitischer Fragen. Worin die kurz vor den Wahlen bestehen, bedarf kaum näherer Darlegung. Jzkvch würden viele Katholiken es lebhaft bedauern« wenn der Klerus sich noch einmal von einigen reaktionären Zentrums- führern in eine so schwierige Situation hinein- manöverieren läßt, wie seinerzeit bei der Fürstenabfindung. Dann kann es nicht mehr in Erstaunen versetzen, daß das kirch- lich« Leben ständig zurückgeht. In einer immer weiter nach reckts strebenden Zentrumspartei kann eben eine große Zahl von Christglcubigcn ihre Vertretung nicht mehr seifen: denn zuviel ist ihnen geboten worden durch Einseitigkeit und Derständnislosig- keit für ihre wirtschaftliche Verelendung. Die Zentrumsiagung. Der Parteivorstand des Zentrums hat am Sqnn- abend nachmittag cinc Sitzung abgehalten, an der unter dem Vor- sitz des Parteivorsitzenden Marx fast sämtliche Mitglieder teil- nahmen, darunter die Minister Brauns, Steiger und Hirtsief»r, serner die Abgg- Stegerwald und Dr. W i r t h sowie Fürst Loewenstein. Der Finanzmlnister Köhler konnte wegen dienstlicher Verhandlungen an der Sitzung nicht teilnehmen. In der mehr als fünfstündigen Aussprache wurde die politische Lage und die Fragen innerhalb der Zentrumspartei eingehend verhandelt, ohne daß zu irgendeiner Frage Beschlüsse gesaßt wurden. Erst in der Sitzung des Reichsausschustcs am Sonntag wird in einer Entschließung die Austastung der Partei zu den behandelnden Fragen zum Ausdruck gebracht werden.
Grüne Woche.
„Unmöglich für die Landwirtschaft, Herr Steuer- inspektor, jetzt irgendwelche Steuern zu zahlen."
„Meine Brieftasche ist futsch."—„Und meine auch nicht zu finde»."
„M. H.! Ungeheuer sind die Verluste der Laad- Wirtschaft; Wir forden, staatliche Subventioueu!"
Bazille wird gestellt. Erregie Debatte im Württembergischen Landtag.— Das Zentrum für Vazille.
Stuttgart , 25. Januar. (Eigenbericht.) Im Württembergischen Landtag kam es am Sonnabend bei der Besprechung der Red«, die Staatspräsident Bazille auf der Länderkonferenz in Berlin geholten hatte, wiederholt zu stürmischen Auseinandersetzungen. v'4 im Dc:zllle wartete.dir Begründung der sozialdemokratischen Interpellation erst gar nicht ab, sondern nahm sofort zu Beginn der Sitzung das Wort. um„die Interpellation überflüssig zu machen". Cr be- hauptete zu diesem Zweck, daß er der Presse nur ein Stück seiner Rede zur Veröffentlichung übergeben lfabe, in Berlin selbst ober verschieden« Einfügungen gemacht und Erläuterungen gegeben hätte, die den gegen ihn erhobenen Vorwurf entkräfteten. Hin- sichtlich der Stellung zum Föderativ- oder Einheitsstaat hätte er gesprochen. Der Ausgangspunkt seiner Betrachtungen sei gewesen, daß heute die Wirtschaft und die nur für sie maßgebenden Gesichts- punkte.das Leben der Ration zu sehr überwuchern und sich ein« zu starke Neigung zur Abstraktion zeige, die aber nirgends gefährlicher sei als in der Politik. Daraus ergebe sich dann auch die außen- politische Gefahr, auf die er verwiesen habe. So sei er zu den Worten gekommen: der Doktrinarismus der Unitarier verbünde sich mit dem Großkapital. Die Todfeinde. Kapital und Sozialismus. wirkten hier zusammen, und so entständen Gefahren, da sie ihr Ziel durch mehr oder weniger sanften Druck oder auf Umwegen zu erreichen suchten. Das könnten sich die Länder nicht gefallen lassen, und fo werde es zn mnerdeuischen Unruhen kommen, die dem Auslände den Anlaß geben könaicn. sich einzumischen. In diesem Sinne einer Befürchtung und nicht einer Drohung habe er ron einer europäischen Brandgefahr gesprochen. Auch der preußische Ministerpräsident habe sich ähnlich ausge- drückt und die Spaltung des Reiches, die Neubelebung der Main- linie für den Fall angekündigt, daß der Einheitsstaat durch den Beschluß«iner Dcrsassungsänderung herbeigeführt werden sollte. Auf diese freche Verdrehung erhielt Bazille aus dem Hause heraus sofort die richtige Antwort. Otto Braun hat nämlich nur gegen einen ganz bestimmten Plan, den Höpker-Aschoff entwickelte, gesprochen, nicht aber den Einheitsstaat als politisches Ziel grundsätzlich abgelehnt. Auf die faulen Ausreden des FranzosenstSmmlings Bazille erwiderte namens der sozialdemokratischen Fraktion Genosse Dr. Schuhmacher. Dabei wurde die ganze„staatsrechlliche und politisch« Einstellung' dieses Pseudo-Germanen einer grundsätzlichen kritischen Betrachtung unterzogen. Bazille habe— so führte Schuhmacher aus— jetzt in Berlin die Rede gehalten, die zu halten der bayerische Held zu klug gewesen sei.„Organisch" sei für Herrn Bazille alles, was den Schutz von Privilegien bilde,„mechanisch" erscheine ihm alles, was dagegen ankämpfe, vor allem die Arbeiterbewegung. Er verwechsele die Begrisie Stamm und Nation und mißverstehe völlig die politischen Ziel« Bismarcks. Die Abgrenzung der beut- schen Staaten sei absolut unorganisch. Die deutsche Boltskrast habe sich 1914 nicht wegen, sondern trotz des Föderativ- staat-s offenbart: denn das Volk sei marschiert wegen des Deutschen Reiches, nicht aber wegen des Bundesstaates. Die kulturelle Ent- wicklung der einzelnen Länder sei von der Frage der Erhaltung einer Staatspersönlichkeit ganz unabhängig. Das beweise das Schick- sal Münchens, dos kulturell veröde, während die Pro- vinzstadt Frankfurt am Main ausblühe. Die endgültige Gestaltung des Reiches stehe nach der versasiung dem Volke zu. Die Androhung, sie sich nicht gefallen zu lassen, sei cinc Drohung gegen die Verfassung, also Hochverrat. Das württembergischc Volk verbitte es sich, durch solche politischen Tendenzen in den Strudel nationalistischer Entwürdigung hinein- gezogen zu werden. Ein föderativ ausgelockertes Deutschland wäre
das Kriegsziel der Entente gewesen, wie der Briefwechsel zwischen Delcasse und Jswolsii beweise, vazillc habe fehl da, Auslaad mit der Rose daraus gestoßen, daß in dieser Hinsicht noch etwas zu machen fei. Der heutige Versuch, die in Berlin gehaltene Rede abzuschwächen, könne den Effekt der schweren r e i ch s- politischen Schädigung nicht mehr beseitigen. Es wäre nur das Glück Deutschlands , daß die Staatsmänner des Auslandes nicht so tatastrophensüchtig seien wie Bazille. Der Hintergrund seiner partikularistischen Einstellung bildeten klassenkämpferische Tendenzen, gegen die sich die Sozialdemokratie mit aller Schorfe wenden müsse. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie zeigte sich dos w ü r t t e m- bergische Zentrum als treuer Koalitionsfreund von Bazille. Die Ausführungen seines Redners waren so extrem, daß es wieder- holt zu erregten Auseinandersetzungen kam. Die Demokraten wandten sich dagegen ebenfalls in äußerster Schärfe gegen die m der Presse erschienene Ausführung des„Staats- mannes" Bazille. Immerhin wurden die von sozialdemokratischer und demokrati- scher Seite gegen Bazille eingereichten Airträge von der Bürger- blockmchrheit niedergestimmt. Bazille wird sich jetzt vielleicht daraus berufen, daß ihm die Mehrheit des Landtages trotz feiner Red« auch weiterhin das Bertrauen schenkt. Dos stimmt, soweit die Mehrheit des Landtages in Frage kommt, aber nicht von der Mehr- heit des Volkes. Die gegenwärtige Landtagsmehrheit entspricht schon längst nicht mehr der Balksstimmung.
Die Helden von Gchattendorf. Frontkämpfer als Einbrecher. Man weih, was der Anlaß zu der Iulimittedemonstration in Wien gewesen ist, die zu so grauenhosten Folgen führte: die Frei- sprechung jener„Frontkämpfer" aus Schaitendorf, die auf sozial- demokratische Arbeiter geschcssen, einen von ihnen und ein zusehendes Kind ermordet hatten. Jetzt sind mehrer« Mitglieder dieser Schatten- dorfer Frontkämpfergruppe, Grast und Konsorten, wegen schwerer Einbruchsdiebstähle im Konsumverein Schaitendorf und bei Privaten in Ocdenburg(Ungarn ) dort zu Zuchthausstrafen bis zu zwei Iahren verurteilt worden. Dos schlecht« Gewissen wegen des Arbeitermorders hatte Graft und andere am IS. Juli nach Ungarn flüchten lassen.• Wiener Elend. In der gleicheu Nacht, da die Redoute im Opernhaus glanzvoll verlies, haben sich in Wien sieben Menschen durch S e l b st m o r d aus ihren Nahrungssorgen geflüchtet.— Einer Anzahl Arbeitsloser, die in Erdhöhlen gewohnt und sich richtig bei der Polizei gemeldet hatten, sind infolge des Alarms in der Linkspresse Wohnungen zugewiefen worden. AmenkasArbeiiergegeuImperialismus Offener Brief Greens an Hughes. London . 28. Januar.(Eigenbericht.) Der Präsident des amerikanischen Gewerkschoftsbundes. Green, hat an den Staatssekretär der Vereinigten Stgaten Hughes als den Führer der Delegation der Vereinigten Staaten zum panamerika- "ftchen Kongreß einen offenen Brief gerichtet, in dem er im Namen der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung erklärt, daß die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter Amerikas geschlossen jede Intervention der Vereinigten Staaten in die inneren An- gelegenhciten irgendeines lateln-anierikanischen Staates verurteilen. Der Aeliestenrak des Reichstags, der sich mit den Zwischen- fällen!n der Freitagsitzung beschäftigen soll, wird wn nächsten Montag zusammentreten.