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Hilde Scheller über die Gchreckensnacht. Bedenkliche Vereidigung der Sechszehnjährigen. Polizeivizepräsident Dr. Weiß soll aussagen.

Die heutige Vormittagssitzung gehörte der Ißjährigcn Hilde Scheller. Der Eindruck des gestrigen Abends wurde durch die Fortsetzung der Vernehmung dieses auf- geweckten Mädels verstärkt. Die Verteidigung hatte mit ihrem Antrag recht. Die Vereidigung, insbesondere die Vorausoereidigung dieser Zeugin war ein schwerer Fehler. Hatte Hilde bereits gestern eine Reche von Un- Wahrheiten gesagt, die sie in gewissem Grade aus Vorhalt des Lorsitzenden sofort selbst richtigstellte, so wiederholte sich das gleiche Spiel auch heute morgen. Man fragte sich, unter- scheidet diese Sechzehnjährige selbst nicht zwischen Dichtung und Wahrheit in ihrer Aussage oder ist diese bewußt unwahr? Und das schlimmste dabei ist, daß man der Kleinen so manche dieser Ungenauigkeiten nicht einmal zum Vorwurf machen kann. Welchen Abgrund von Schamlosigkeit müßte eine Sechzehnjährige besitzen, um angesichts von mehr als 400 neu- gierig lauschender Ohren die intimsten Dinge preiszugeben. Der Staatsanwalt bedurste dieser Vereidigung so wie er auch auf die Verstandesreife der 16jährigen bestehen muß. Sie iit ja seine Kronzeugin. Und ihre Aussagen waren heute tatsächlich für den Angeklagten äußerst belastend: Krantz konnte die Möglichkeit, die Hilde gerade in dem Augenblick festgehalten zu haben, als Günther ins Schlafzimmer ein- zudringen versuchte, nicht unbedingt abstreiten. Er soll laut Behauptung der Zeugin auch zusammen mit Krantz ins Schlafzimmer gegangen fein und es geduldet haben, daß sie fortgedrängt und die Tür zum Schlafzimmer geschlossen wurde. Trifft das zu, so hat Krantz Günthers Tat gewollt. War aber das, was Günther getan, Mord? Die Staatsanwaltschaft hat gestern selbst zugegeben, daß Krantz vielleicht nur Totschlag zur Last gelegt werden könne. Weshalb dann diese Anklage wegen Mordes? Diese Be­zeichnung seiner Tat mußte der 18jährige sieben Monate lang an seiner Zellentür lesen. Die Vereidigung Hilde Schellers wird ihre Aussagen nicht glaubwürdiger machen. Der Vizepoltzelpräsident Dr. Weiß und die Polizeirätin Wieking dürften diese Glaubwürdigkeit aufs tiefste erschüt- tern. Das Mädchen oersteht es im entscheidenden Augenblick müde zu werden: es ist gerade der Augenblick, als Rechts- anwalt Dr. Frey den Brief des Geschäftsführers eines Caf6- Hauses vorliest, in dem es heißt, daß die Kronzeugin, die gegen einenMörder" auesagen soll, vorgestern wegen Un- gebühr aus dem Lokal gewiesen werden mußte. Sensation und pause. *» Der Angeklagte Paul Krantz zeigt« sich auch heute sehr ruhig und ganz beherrscht. Do» Gericht wurde vor Beginn der Nirfzirrdling mit einer neuen Flut von Anträgen um Eintrittskarten ti'-eischüttei Unter den Ernlaßbegehrenden befanden sich eine große Reihe von Personen aus den Kreisen der Wissenschaft und auch per- schieden« Reichs- und L-andiagsobgeordnate. Nachdem Landgerichts- d rektor Dust die Sitzung eröffnet hotte, teilte er mit, daß dos Schwurgericht beschlossen habe, auf Antrag der Verteidigung dip "iolizeirätin Wieting als Zeugin über das Verhalten ier Hilde Scheller nach den Geschehnissen zu vernehmen und ebenso auch den Polizeisekretär Baltrusch über denselben Gegenstand als Zeugen zu laden. Wegen der übrigen Beweisanträge der Verteidi- gnng hat sich dos Gericht die Beschlußfassung vorbehalten, da die Vrtrtoidigung erst aus dem Gang der Verhandlung folgern wird/ ob sie ihre Beweisanträge aufrechterhalten muß. Sie wird dann aber, wie sie erklärt hat, über diese Anträge eine ausführliche Be- gründung des Vernehmungsgegenstondes vorher abgeben. Sodann erhob sich Rechtsanwalt Dr. Frey, um die Ladung de» polizeimze. Präsidenten Dr. weiß al» Zeugen und Sachoersländigen zu bean­tragen. Diesen aufsehenerregenden Antrag begründete Dr. Frey da- mit, daß Dr. Weiß bei den Vernehmungen aus dem Polizeipräsidium, die er selbst geleitet hat, über das Verhalten der Hilde außergewöhnliche Wahrnehmungen gemacht habe. An dem Tag« nach der Tötung ihres Bruders und ihres Geliebten sei Hilde Scheller tänzelnd in da» Vernehmung«. zimmer zu ihm hineingekommen. Lächelnd, freudig und strahlend sei sie ausgetreten und habe das. was am Montag und In der übrigen Rocht geschehen sein sollte, mit einer Sicherheit, wie sie Dr. weiß

nehmung von Hilde Scheller. Es handle sich hier um die Aussage eines Zeugen, der als früherer Leiter der Abteilung I A des Polizei­präsidium» unch als Chef der Kriminalpolizei besonders fachvcr- ständig erscheine. Nach kurzer Beratung beschloß das Schwurgericht, die Eni- fcheidung über diesen Antrag zurückzustellen, bis die Berneh- nrung der Zeugin Hilde Scheller abgeschlossen ist. Es ersolgtc dann der Zeugenaufrus und hierbei erbat sich Rechtsanwalt Dr. F r.« y nochsiials das Wort: Herr Lorsitzender, trotz Ihres gestrigen strengen Verbots haben die Eltern Scheller die Zeugin Ellinor in ihre Mitte genommen und laut aus das junge Mädchen eingesprochen, so daß man allgemein den Eindruck gewann, daß diese Zeugin b e- e i n f l ii ß t werden soll. Ich werde Frau Scheller bei ihrer Zeugen- Vernehmung unter ihrem Eide noch besonders über dieses Vorkomm- nis befragen. Frau Scheller(dazwischensahrend): Wir haben über ganz gleichgültige Sachen gesprochen. Vors.: Sie sehen aber, welch? Schlüsie daraus gezogen werden. Deshalb empfehle ich Ihnen nochmals, sich der größten Zurückhaltung zu befleißigen und mit den zu vernehmenden Zeugen sich nicht zu unterhalten. Hilde erzählt. Dann wurde die Beweisaufnahme fortgesetzt, Hilde Scheller von neuem ausgerufen. Das junge Mädchen ist in ihrem Austreten auch heute ganz selbstsicher und gibt im allgemeinen schlagfertig uud prompt aus alle Fragen Anlworl. Nur gelegentlich wird sie etwas o erlegen und antwortet ausweichend. Vors.: Wir sind gestern bis

noch nie vorgekommen war, teilweise in Abrede gestellt. Als P a u l Krantz ihr gegenübergestellt wurde, habe sie ihnangehaucht" wegen seines Geständnisses. Noch nie Hot der Zeuge Dr. Weiß, wie er sich selbst ausdrückte,«inen derartig erschütternden Eindruck von der Anglaubwürdigteit eine» Menschen erhalten wie bei der Ver-

Milde Scheller.

zu dem Punkt gekommen, wo plötzlich Ihr Bruder mit Krantz vor dem Haus« in Steglitz auftauchte. Sie haben shon gesogt, daß es Ihre Absicht war, mit Hans Stephon sich kurz vor 8 Uhr vor dem Hause zu treffen, haß Sse ihn benachrichtigt hatten, zu kommen und daß er pfeijen sollte, daß Sie die Absicht gehabt hätten, mit ihm spazieren zy gehen. Wie kam es, daß Sie Günther und Krantz kommen sahen? Zeugin: Ich stand am Fenster hinter der Gardine und da sah ich beide ankommen. Ich trat zurück, die Gardine muß sich be­wegt hoben, dann mein Bruder sagte mir später, daß er das ge» sehen habe und in dem Glauben, es seien Einbrecher in der Woh- nung, die Polizei schon benachrichtigen wollte. Dann hätte ich aber nochmals hinausgesehen und er Hobe mich erkannt. Beide hielten sich etwas vor dem Hause aus, ehe sie hineinginge:,. Als sie in der Wohnung waren, ging ich zu Hans hinunter. Vors.: Ist es möglich, daß Sie 3l>rem Bruder und Krantz an der Wohnungstüur begegnet sind? Zeugin: Das ist möglich. Vors.(eindringlich): Waren Sie verlegen? Die Zeugin gibt eine ganz leise und tauin verständliche Antwort. Vors.: Sie können sich dos nicht denken? Zeugin: Nein. Vors.: Hans war noch nicht da? Zeugin: Doch, er war kurz vorher gekommen. Vors.: Sind ihm die beiden da nicht begegnet? Zeugin: Hans hat wohl Günther gesehen, aber Günther ihn nicht. Ich nehme wenig- stens an, daß Günther ihn nicht gesehen hat. Vors.: Woher nehme,: Sie das an? Zeugin: Hans war hinter die Mauer getreten. Vors.: Nun gingen Sie hinunter und da sollen Sie verlegen gewesen sein, denn Ihrem Bruder siel dos auf und er hat die Wohnung durchsucht. Was taten Sie nun unten? Zeugin: Ich stand wohl dreiviertel bis eii« Stunde mit Hans unten, o l s Ellinor kam. Diese wollte nicht allein hinausgehen und da kam mir der Gedanke, Hans könnte doch auch mit hinaufkommen. Vors.: Das sst doch ein sonderbarer Gedanke. Erstens ist es cigentümlih, einen jungen Menschen überhaupt in die Wohnung mitzunehmen und dann mußten Sic doch auch befürchten, daß die beiden, die verfeindet waren, sich begegneten. Zeugin: Wir wollten nur noch etwas länger zusammen sein und da nahnz Ich ihn mit hinauf. Vor(.: Wo gingen Sie nun mir ihn, hin, al« Sie in die Wohnung kamen? Zeugin: In Günthers Kammer. die anderen waren im Eßzimmer. Inzwischen kam Ellinor mit der Meldung, baß unten Herbert stehe, der mich sprechen wolle. Ich ging zu ihm hinunter. Vor s.e Wie lange waren Sie bis dahin bei Stephon in der Kammer gewesen? Zeugin: Dreiviertel Stunde. Vors.: Und die Zärtlichkeiten haben Sie nicht vorausgesehen? Haben Sic nicht Stephan allein mst in djc Wohnung genommen? Zeugin: Nein, ich hatte immer nur cm das Zusammensein gedacht. Vors.: Mit Stephan hatten Sie sich doch früher«ich wohl schon öfter geküßt. Zeugin(verleg«-,): Mit Hans? Ja. Die Vorgänge in der Nacht. Di« Vernehmung der Hildegard Scheller wandte sich dann wieder den Vorgängen in der Mordnacht zu. Zeugin: Al« ich in da» Eßzimmer kam, sah es dort wüst aus, so daß ich olles erst auf» räumte. Ellinor und Paul saßen dort und sagten mir. sie wüßten nicht, wo Günther hingegangen sei. Als ich wieder hinaus- gegangen war, kam Ellinor zu mir und sagte mir. sie hätte dem Pauk mitgeteilt, daß Hans Stephan da sei. Wir standen dann zu Vieren aus dem Korridor, und Hans meint« nun. er müsse nach Hause gehen, da seine Eltern nicht wüßten, wo er wäre. Da merkten wir dann, daß wir keinen Hausschlüssel hatten. Jetzt meinte Paul Krantz , es sei für ihn zu spät, noch Mahtow zu sahren und«r würde deshalb hier bleiben. Ellinor möchte oäch in der Wohnung

bleiben. Deshalb sollte ich zu ihren Eltern gehen und diese um die Erlaubnis dazu fragen. Ich sprang jetzt aus dem Fenster, da ich ja nicht durch die Haustür konnte, ging hin zu den Eltern Ellinors und bat sie um die Erlaubnis. Die Mutter Ellinoro war aber sehr ausgeregt und sagte. Ellinor möchte sosort nach Hause kommen. AI » ich wieder vor unserem Hause stand, wachten die unter uns wohnenden Leute aus und gaben mir den Hausschlüssel, so daß ich«ieder hinausging und Ellinor herauslassen konnte. Ich sagte nun. damit ich nicht mit Paul Krantz allein bliebe, zu Hans, er sollte doch bleiben, so daß wir zu Dritt in der Wohnung die Rocht über wären. Hans wollte zuerst nicht und wir standen nun aus dem Korridor, clhne zu wissen, was wir machen sollten. In dem Augen- blick hörten wir Günther die Treppe hinaufkommen, und ich sagte deshalb zu Hans: Hans versteck Dich schnell, damit Dich Sünkher nicht sieht. Zu Paul sagte ich. er solle dasür sorgen, daß Günther schnell schiasen ginge. Gleichzeitig ließ ich mir sein Ehrenwort geben, daß er dem Günther nichts von der Anwesenheit des Hans verriet. Paul sagte zwar zu Günther, er würde jetzt schlafen gehen, ober Günther legte sich nicht hin und beide blieben nun die ganz« Nacht wach. Erst sah ich mit Hans«ine ganze Weile da. Gegen 3 Uhr wurde ich müde und legte mich etwas zur Seite. Da sagte Hans zu mir, ich möchte mich doch hinlegen, ober ich wollte es nicht tun. Jetzt sagte Hans zu mir: Denke doch, daß wir einfach schon verheiratet wären. Da er früher schon davon zu mir gesprochen hatte, daß er mich heiraten wolle, legt« ich mich auch ins Bett. Dos geschah aber erst, j nachbem ich ihm das Versprechen abgenommen hatte, mir nicht zu nah« zu tr«<«n. Das hat er mir auch fest versprochen und darauf legten wir uns zusammen hin. Erster Staatsanwalt Steinbeck stellt nun den An- trag, falls nähere Erörterungen sich über diese Punkte entspinnen sollten, die O e s f e n t l i ch t e i t auszuschließen. R.-A. Dr. Frey: Die Verteidigung hat kein Interesse daran mehr zu fragen, als sich ans der letzten Angabe der Zeugin bereits ergibt. D o rs.(zur Zeugin): Ist es nun zu Annäherungsversuchen ge- kommen? Zeugin: Ig, nachdem wir ein Weilchen gelegen hatten. Dr. F r e y: Ist es früher mit dem Hans Stephan auch mir bei Annäherungsversuchen geblieben? Zeugin: Hans hat vorher schon einmal versucht, sich mir intimer zu nähern, aber ich erklärte, daß ich mich auf solche Dinge nicht«inließe. Di« Zeugin fährt dann in der Schilderung der Vorgänge fort: Gegen Morgen hörte ich aus der Küche einen Schuß sollen. Als ich deshalb au? dem Schlafzimmer in die Küche ging, sah ich dort Weinflasche» und.Likör gl äse r stehen. Die Küche war voller Zigarettenrauch und Zettel lagen aus dem Usch. Soipeit ich mich besinnen kann, hatte Paul die Pistole in der Hand, während neben ihm Patronen logen. 3<b habe mir nichts welter dabei ge- dacht, weil ich bei Paul schon oft einen Revolver gesehen hatte. Er sagte zu mir. er wäre beinahe getroffen worden, woraus ich entnahm. daß Günther geschossen hatte. Vors.: Hoben Sie sich denn dabei beruhigt, dos war doch etwas ganz Ungewöhnliches? Zeugin: Nein, ich sagte doch schon, daß ich bei Paul oft einen Revolver gesehen und er damit öfter in unserem Garten damit

Der Angeklagte Paul Krantz. geschossen hatte. Als ich dann zu Haus zurückkehrte, ftagt« er mich, was draußen los sei. Al» ich ihm sagte, es sei nicht» weiter los, meint« er: Na. ich danke! Ich beruhigte ihn aber mit den Worten, die beiden würden sich schon mit dem� Revolver vorsehen. Hans er- zählte mir dann von seinem Beruf. Er war Kochlehrling, wollte sich ober al» Geiger ausbilden. Vors.:Als Sie Ihr Bruder zum erstenmal fragte, wer der junge Mann gewesen sei. mit dem er Sie gesehen hatte, was sagten Sie da zu ihm?" Zeugin: Ach. Wtike du nicht, da? ist«in Bekannter. Vors.: Warum teilten Sie ihm nicht die Wahrheit mit? Zeugin:Ich wollte nicht, daß Günther es wußte, weil Günther mir vorher einmal gesagt hatte, er sei jetzt endgültig mit han» settig. ich dürste deshalb mich auch mit ihm nicht mehr treffen." Vors.: Hat Günther Jhmm nicht mitgeteilt, weshalb er sich mit Hans verfeindet hätte? Zeugin: Ja, das weiß ich. Günther war doch mit einem Herrn verschiedene Male im Auto sorlgesahren. Zweimal bin ich dabei gewesen. Ein drittes Mql war Günther mit dem Herrn nach Dresden gefahren. Ob er mit ihm auch in Paris gewesen war »der nur mif dieser Fahrt renomnüerte, das weiß ich njcht. Den