fOeilage Frcifag, 2. März 1928
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Von Oeorg Krämer.
Die Ortsgruppe Berfln des TouristenTereins»Die Naturfreunde"'(Zentrale Wien ) Teranstnlfet am kommenden Sonntag, 19 Uhr, In der Aula der Schule Grflnthaler Strahe 5 einen Lichtbildervortrag:»Durch den ttal enlsche» Sommer-. Der nachfolgende Aufsetz gibt eine interessante Sdülderung einer Besteigung des Vesuvs. Von Sientri fahren wir durch den sinkenden Abend Pompeji entgegen. Am anderen Morgen sind wir lange vor Sonnenaufgang unterwegs, den Vesuv zu besteigen. Ein weites, industriedurchsetztes Vorland muß dabei durch- wandert werden. Hier stehen die vielen Nudelfabriken, die den riesigen Bedarf Italiens an Makkaroni decken. Die Straße wimmelt von den typischen zweirädrigen Karren der Gegend, die, mit Früchten und Weinfäsiern hoch bepackt» eilig hin und her raffeln. Das gibt uns reichliche Gelegenheit, das Voltsleben des Landes zu beobachten, denn in der Glut»
Krater des P eeuv.
Hitze des Tages zeigen sich die Straßen vollkommen aus- gestorben. Da der Durchschnittsitaliener selbst nie zum Der- finugen reist, hält er jeden Ferienreisenden von vornherein ür einen reichen Menschen und behandelt ihn dementsprechend. Unternimmt man es aber, wie wir, den Vesuv im August zu ersteigen, so hat man sofort das Vertrauen der einfachen Bevölkerung gewonnen und erhält kostbare Rat- schlage, die in keinem Reiseführer verzeichnet sind. Wie wir die legten Häuser hinter uns haben und über die weiten Lavafelder. dann wieder durch üppige Wein- tulturen den Weg nach oben suchen, steigt im Morgennebel langsam die Sonne über den Horizont. Trog der weit in die Ebene hinab reichenden, kilometerdreiten Lavazungen jüngeren Datums sind hoch oben schon wieder Anstedlungen und Kulturen entstanden. Die weiten Wcinpflanzungen zeigen, daß der Aschendoden sehr fruchtbar sein muß. Schon weiter unten hatte uns ein junger Mann an- gesprochen und sich mit mühsam zusammengesuchten Sprach- brocken erboten, un» einen festen Weg nach oben zu zeigen. Jntereffant wußte er die Qualen zu schildern, die der eiaent- liche Weg. 1000 Meter aufwärts, in der tiefen, losen Äsche bereite. Er selbst mußte auch zum Kraterrande hinaus, um dort oben Wegegebühren für die Maultiere und Ihre Reiter einzukassieren. Wir hatten seine Begleitung nicht zu bereuen. Der junge Mann führte uns über ein Aschenfeld zu einem steilen Hang, an dem wir aus fester und gut griffiger Lava cinporklettern konnten. Während dieses Kletterns nahm der Vesuv mit seiner weißen und dann wieder gelben Rauch- sahne endlich die Gestalt an, die aus Bildern bekannt ist. In der Höhe der letzten Bäume biegen wir nach rechts ab und halten unter schattigen Obstkulturen die erste Rast. Weiter geht's. Unbarmherzig brennt nun schon die Sonne. Langsam klettern wir zur letzten Etappe empor.
Auf dem Absätze über uns beginnt de? eigentliche Aschenkegel. Noch sind es 500 Meter bis zum Kraterrand. Wir haben Rückenwind, der uns vom stickigen Schwefelgeruch der aufsteigenden Dämpfe befreit. Auf dem Maultierweg er- reichen wir dann die„Cosa bianca", die auf der Karte ein- gezeichnet ist. Unser Begleiter hatte immer von„eine kleine Otel"(kleines Hotel) gesprochen, wenn wir ihn fragten, was „Casa bianca" eigentlich sei. Damit war es aber glücklicher- weise nichts; nur die Ueberfetzung des Namens«Weißes Haus" würde ungefähr stimmen. Trotz der sengenden Glut war es im Innern dieses Gebäudes— vier Mauern mit flachem Dach— angenehm kühl und wir konnten unsere für eine Woche gefüllten Rucksäcke dort deponieren. Dann ging's. nur mit Photokasten und einem Vorrat an Früchten be- waffnet, zuerst in loser Asche empor. Bald hals uns auch hier ein fester, griffiger Lavastrom. Nach dreiviertel Stunden haben wir alle Mühen hinter uns und blicken in einen weiten Trichter hinein, der am oberen Rande einen Durchmeffer von 1000 Metern haben mag. Fünfzig Meter tiefer grinst eine Fläche braun herauf» die durch grüne und gelbe Stellen unterbrochen ist. Dieser Trichter hatte vor 1V06 noch eine Tiefe von sechs- bis sieben- hundert Metern, der große Ausbruch in diesem Jahre hat ihn dann bis zur heutigen Höhe mit Lava gefüllt. Alle weiter nachflleßende Lava fand nach dem Meere zu einen Abfluß und bedeckt noch heute ein« 12 Kilometer lange Fläche zum Golf hinab. In der Mitte der weiten Kraterfchüffel bietet sich ein imposantes Bild: Dort erhebt sich jetzt zu ungefähr 30 Metern Höhe«in dunkelbrauner Aschenkegel, der oben vom Schwefel gelb überpudert ist. Aus seiner Spitze stößt er, mit murmelndem Grollen, eine mächtige, leuchtende Rauchfahne, deren Wolken beim Freiwerden in der Sonne goldgelb aufleuchten. Ein Naturfchauspiel von gewaltiger und seltener Schönheit spielt sich vor unseren Augen ab. Und wenn die Sonne nicht gar so heiß brennen würde, könnte auch Stimmung in dieses ewig wechselnde Bild von Wolken aus Schwefeldampf einziehen. Bon Zeit zu Zeit kommt au» dem dumpfen Murmeln im Innern des Kegels dröhnender Donner und eine ge- waltige Rauchsäule wird mit besonderer Kraft nach oben geschleudert. Es ist wunderbar, wenn dann die geballten und plötzlich Raum suchenden weißen Wolkenmaffen leuch- tendes Gelb annehmen, und sich in phantastischen Formen am Himmel abzeichnen. Bald darauf fallen dann mitaus- gestoßene, hafslnußgroße Aschenstücke nieder. Geheimnisvoll erscheint dann wieder die grüngelb- braune Fläche unten um den Aschenkegel herum, auf der es der Farbe nach zu kochen und zu brodeln scheint. Und doch kann man mit einiger Vorsicht über sie hinweglaufen: knisternd sinkt man bei jedem Schritt etwas ein, weil die Oberfläche schaumig erstarrt ist oder in aufgeworfenen
Blättern die Decke bildet. Unten erst erkennt man kleine Löcher, wo aus unheimlicher Tiefe stickige Dünste steigen. Das Photographieren geht deshalb nicht ohne Hustenreiz ab. Aber dennoch ist'das Wandern auf der Decke des Vulkans ganz eigenartig schön, nur läßt der überall leuchtende Schwefel keine Harmonie aufkommen. Wir steigen dann wieder die fünfzig Meter zum Krater- rande empor und erleben de» mächtigen Rauchausbruch mit seinem leuchtenden Farbenspiel noch einmal greifbar nahe. Dann aber laffen wir uns mit weiten Schritten in die lose Asche des Weges zur„Cafa bianco" hinunterfallen. Weit unten werden Staubfahnen sichtbar: die ersten regulären Vefuogäste kommen heraufgeritten. Wir sind also zur rechten Zell oben gewesen und können nun den bequemeren Reisenden das Feld räumen. Unser junger
Das erste auf Lava erbaute Haue.
Freund erhält sein schon bei der ersten Rast unter Feigen- bäumen vereinbartes Honorar in Form eines Taschen- Messers. Es hatte sein besonderes Wohlgefallen durch seine mehr al» fingerlange Klinge erregt. Ein solches Messer be- kommt man in Süditalien nicht zu kaufen. Gegen Abend waren wir wieder in Neapel . Fern über dem Wasser lag die gelbe Ranchfahne, der wir am Morgen auf dreißig Meter nahe gewesen sind. Unsere Lehrzeit als Wanderer im norddeutschen Flachlande hatte wieder Früchte getragen und unser am Flachlande geschulter Blick überall in Süditalien , trotz heißer Augustsonne, Erinnerungen fürs ganze Leben aufgespeichert.
Von Irrenanstalt zu Irrenanstalt. Ein Justizirrtum wird nach 25 Jahren aufgeklärt.
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Im Ktnztgial des Schwarzwaldes liegt bei Biderach da» große Dorf Unterentersbach. Wie in so vielen Där- fern, lagen auch hier auf dorfpolitischer Grundlage zwei Par- teien seit Jahrzehnten im Streit. Die eine war die Bürger» meisterpartei. Führer der anderen war da« Gemeinderats» Mitglied Bauergutsdcsitzer Taver Braun. Jahrzehnte- lang wurden dort Hunderte von Schmähbriefen in die Welt gesetzt, man schob sie dem Braun, einem weit über dem bäuerlichen Horizont hinaus gebildeten Mann, in die Schuhe. Zweimal wurde gegen Braun Anklage erhoben, aber beide- mal wurde er freigesprochen. Die Verschickung von Schmutz- briefon hörte aber nicht aus. Im Jahre 1900 wurde Braun abermals unter Anklage gestellt. Er sollte der Dersasier von Schmähbriefen sein, die mit verstellter Handschrift ge- schrieben und mit seinem Namen, noch dazu falsch, unter- zeichnet waren. Erstaunliches Ergebnis: 10 Monat« 8 Wochen Gefängnis. Verlust der bürgerlichen Ehren- rechte auf die Dauer von drei Iahren. Braun erlitt im Ge- fängnis einen seelischen Zusammenbruch, darauf erfolgte die vorläufige Entlassung, die e? zur Flucht nach der Schweiz be- nutzte. Von der Grenze her wurden nunmehr aufs neue Schmöhb riefe in das Darf gesandt. Aber an. der Grenze hielt sich zur gleichen Zeit ein Dorsiusasse der dem Braun fsindlichen Partei auf. Es kam neue Verhaftung und die Ueberführuug nach der badischen Irrenanstalt Münsterlingen . Hier wurde er für unzurechnungsfähig erklärt und er erhielt die Ent- laflung In den folgenden Jahren wird Braun für fedes Ver- gehen, das im Dorfe begangen wird, verantwortlich gemacht. So wird einmal zur Nachtzeit eine große Anwhl von Obst- bäumen abgesägt. Gendarmen ziehen am Strick einen Polizeihund zu Brauns Gehöft, der hier leicht Brauns Spur findet und ihn verbellt. Also war Braun der Täter! i Sein junger Sohn soll bei der Tat geholfen haben. Erneut«' Verhaftung Brauns, Ueberführung nach der Irrenanstalt Emmendingen . Unterbringung des Sohnes in ein« Er- ziehungsanftalt. Entmündigung, Flucht au» der Irrenanstalt
abermals nack) der Schweiz . Hier amtlich bescheinigte tadel- lose Führung bei der Landarbeit. Dann wird Braun von seinen Gegnern aufgespürt; kommt zuerst ins Polizeige- fängni», von da in die schweizerische Irrenanstalt Waldau, wo die Aerzte bescheinigen: keine Geisteskrankheit vorhanden! Trotzdem wird auf diplomatischem Wege der Rücktransport nach der Irrenaustalt Emmendingen erreicht: zur Strafe für feine Flucht wird Braun in eins Isolierzelle untergebracht. Inzwischen haben sich ein Reichstagsabgeordneter, ein badischer Landtagsabgeordneter, jetziger Minister, der Bund für Irrenrecht und die badische Tagsspresse mit aller Energie des gemarterten Mannes angenommen. Es wurde nach harten Kämpfen die Entlassung Brauns aus der Irrenanstalt erreicht Er Surfte jedoch zunächst nicht nach seinem Heimat- darf, sondern mußte erst bei einem fremden Bauern monats- lang arbeiten, bis auch diese Schranke fiel. Im Petitions - ausfchuß des Reichstages herrschte später bei allen Dar- teien helle Empörung, als die Einzelheiten des Falles vorgetragen wurden. Die Entmündigung wurde aufgehoben. Einige Jahre blieb Ruhs. Mit der erneuten Wahl Brauns in de» Gemeinderat begann aber wieder der alte Dorfstank. Zahlreiche Dörfler erhielte» Drohbriefe, daß ihnen der rote Hahn auf das Dach gesetzt werde. Das nur dreißig Meter von Brauns Dauernhof entfernte Gehöft seines frilhe» ren Vormundes Armbruster brannte ab. Bald darauf ging ein zweites Gehöft in Flammen auf. Wieder hieß es: Das ist kein anderer als Braun gewesen! Die Behörden versagten bei der Untersuchung völlig. Braun prüfte in aller Stifl� die Drohbriefe und stellte fest, daß sie von dem Sohne des Arm- bruster geschrieben sein mußten. Nun wurde Armbrust er verhaftet, der endlich gestand, beide Brände an- gelegt zu haben, aber nicht zu bewegen war Mitschul» dige zu nennen. Noch aus dem Gefängnis waren Drohkarten herausgefchmuggett worden; selbst in der Zelle des Brand- ftisters fand man eine ganze Anzahl. Urteil: 5 Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehrverlust.