Morgenausgabe
Rr. 113
A 57
45. Jahrgang
Böchentlich 70 Big- monalfid 3- ini voraus zahlbar, Boftbezug 3,72 2. einschl Beftellgelb, Auslandsabonne ment 5,50 m. pro Monat.
Der Borwärts, ericheint wochentag fich zweimal, Sonntags und Montags einmal, bie Abenbausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend, Juftrierte Beilagen Bolk und Zeit und Kinderfreund" Ferner Unterhaltung und Wissen".. Frauen timme". Techni?". Blid in die Bügerwelt und Jugend- Borwärts".
Mittwoch
7. März 1928 Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pt.
Die etntpattige Ronpareillezetts 80 Pfennig Reflamezeile 5.- Reichs mart Kleine Anzeigen" das fettge brudte Wort 25 Pfennig( zuläffig zwet fettgedruckte Worte). jedes wettere Wort 12 Bfennig Stellengeiuche das erste Bort 15 Blennig jedes mettere Bort 10 Bfennig Borte über 15 Buchstaben gablen für swet Worte Arbeitsmarkt Beile 60 Biennig Familianzeigen für Abonnenten Zeite 40 Pfennig Anzeigen annahme im Hauptgeschäft Linden. Straße 3. wochentägt von 8%, bte 17 Upr
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Tonhoff 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts- Verlag G. m. b. H.
Bostichedkonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter. Angestellten und Beamten Wallstr. 65 Diskonto- Gesellschaft. Depofitentasie Lindenstr 8
Es wird weiter ausgesperrt!
Die Schlichterkammer soll unter Druck gesetzt werden.
Siemens hat gestern nachmittag die lesten 15 000| zu heute vormittag angesetzt waren und die Vertrauens. Arbeiter ausgesperrt. Sämtliche Siemens- Be- tommission des Verbandes Berliner Metallindustrieller am triebe liegen still. Dienstag beschloffen hatte, über weitere Maßnahmen am Donnerstag zu beschließen, hat der Metallarbeiterverband von einer weiteren Ausdehnung des Streits abgesehen, um die Situation bis zu den Verhandlungen nicht zu verschärfen. Die Leitungen der bestreiften Betriebe haben jedoch am Dienstag auch noch den Rest der Arbeiterschaft
Wieder 2500 Arbeiter bei Bergmann. Seit gestern morgen sind bei der Firma Bergmann. Hennigsdorfer Straße, 2500 Arbeiter ausgeInsgesamt sind bei Bergmann jetzt 5000 Arbeiter ausgesperrt! ausgesperrt.
sperrt.
2200 Mann bei den Lorenzwerken entlassen. Die Gesamtbelegschaft der Lorenz- Werke in Tempelhof von 2200 Mann ist mit dem gestrigen Arbeitsschluß um 16,30 Uhr entlassen worden.
Was bezwecken die Metallindustriellen mit dieser Tattit? Wollen sie etwa quf diese Weise ihre Friedensbereitschaft betunden? Sie wollen noch im letzten Augenblick den Versuch machen, die morgen zusammentretende Schlichter fammer gehörig unter Drud zu sezen.
Diese Taktik zeigt deutlich, daß auch jetzt noch beim Verband Berliner Metallindustrieller von der Absicht einer VerNachdem die neuen Verhandlungen in dem Konflikt ständigung, eines Entgegenkommens zur Herbeiführung eines zwischen Werkzeugmachern und Berliner Metallindustriellen| billigen Ausgleichs nicht die Rede sein kann.
Sabotage der Scheidungsreform.
Deutschnationale und Zentrum wollen die Ehescheidungsreform verschleppen. Scheidungsrecht erst mit 60 Jahren!
Deutschnationale und Zentrum haben sich im Rechts-| Deshalb tönne er nicht einmal mehr dem Ausschuß die im Justiz ausschuß verbündet, um die Ehescheidungsreform zu Fall zu ministerium zur Ehescheidungsreform vorgelegte Denfschrift vorbringen die einen aus ftodreaktionären Anschauungen, die legen. anderen aus dogmatisch- katholischen Bedenken.
-
Beide Parteien haben eine reformwillige Mehrheit gegen fich. Sie greifen deshalb zum Artikel der Obstruktion. Der Reichsjuftizminister Hergt unterstüßt die Sabotageversuche.
Das Ziel ist, die Reform zu verschleppen bis zur Auf Lösung des Reichstages. Die Mittel der Obstruktion, die Zentrum und Deutschnationale anwenden, sind wenig würdig und wenig anständig.
Abg. Hahnemann( Dnat.) beantragte daraufhin die Abe fehung der Ehescheidungsreform von der Tagesordnung. Frau Dr. Lüders( Dem.) und Genosse Rosenfeld protestierten dagegen. Unser Redner führte aus, daß der deutschnationale Antrag, die Scheidung vom Alter der Ehegatten abhängig zu machen, geradezu lächerlich sei und nur als Berhöhnung des Ausschusses aufgefaßt werden könne. Das Berlangen des 3en trums nach einem Sondergefeß für die katholischen Teile der Bevölkerung sei recht sonderbar, es sei das erftemal, daß das Zentrum soweit gehe, ein Sondergesez für den Katholie zismus zu fordern. Wenn Minister Hergt auf das Notprogramm hingewiesen habe, so seien die hieraus hergeleiteten Einwendungen bereits in der vorigen Sigung des Ausschusses behandelt und wider tage der Berhandlungen über die Ehescheidungsreform. Das werde ihm aber auf die Dauer doch nicht glüden.
Ueber die Sigung erhalten wir folgenden Bericht: Der Rechtsausschuß des Reichstags sollte nach den Beschlüssen der letzten Sigung gestern in die Spezialberatung der Ehescheidungs reform eintreten. Bevor es aber zur Beratung des vom Unterlegt worden. Der Minister unterstüge nur die Sabo= ausschuß beschlossenen Antrages Kahl, Hampel, Lüders, Rosenfeld fam, wiederholten 3entrum und Deutschnationale den schon in der vorigen Sitzung, wenn auch damals erfolglos unternommenen Versuch, die Sache zu verschleppen, diesmal mit Unterstügung des Herrn Reichsjustizministers Sergt.
Borsigender Kahl verlas unter großer Heiterfeit der Linken einen deutschnationalen Antrag, nach welchem das Recht zur Erhebung der Ehescheidungsklage der Ehefrau nur zustehen soll, wenn sie das 45. Lebensjahr bollendet hat, dem Ehemanne, wenn er das 60. Lebensjahr überschritten hat.
Abg. Schulte( 3.) wandte sich vom christlichen Standpunkt aus gegen jede Erleichterung der Ehescheidung. Gleichzeitig fündigte er für den Fall der Annahme des Antrages Kahl und Genoffen an, daß seine Freunde beantragen würden, für die ihrer Anschauung nahestehenden Kreise der Bevölkerung die Ausdehnung des Ehescheidungsrechts nicht zur Anwendung zu bringen.
Bei der Abstimmung wurde der deutschnatio nale Antrag mit vierzehn Stimmen gegen die zwölf Stimmen der Deutschnationalen, des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei abgelehnt.
Der Ausschuß fonnte nunmehr endlich in die fachliche Beratung eintreten. Absaz 1 der neuen Vorlage, der ein Scheidungsrecht bei Zerrüttung der Ehe gibt, wurde mit derselben Mehrheit an genommen.
Abjazz 2 der Borlage, der das Scheidungsrecht ausschließt, wenn der tlagende Ehegatte selbst einen Scheidungsgrund gegeben hat,
wurde einstimmig angenommen.
=
Bei Absatz 3 entirann sich eine längere Debatte. Nath diefer Bestimmung soll jeder Ehegatte auch dann auf Scheidung flagen fönnen, wenn die Ehegatten mindestens fünf Jahre im beiderseitigen Einverständnis voneinander getrennt gelebt haben. Hierzu lag ein sozialbemotra tischer und demokratischer Antrag vor, die Worte im Außerdem stellte der Redner des Zentrums einen Antrag in beiderseitigen Einverständnis zu streichen. Nach Aussicht, einem Ehegatten dann ein Recht zur Scheidung zu geben, einer längeren Debatte, in deren Verlauf Genosse Rosenfeld unseren wenn ihm versprochen war, daß nach der staatlichen Eheschließung Standpunkt vertrat, Abg. Lohmann( Dnat.) von einer Bolschewidie firchliche folgen werde, dies Bersprechen aber nicht erfüllt werde. fierung der Ehe sprach, wurde infolge eines Irrtums eines bürgerVorsitzender Kahl protestterte dagegen, daß die christliche Auf- lichen Bertreters Absaz 3 mit Stimmengleichheit abgelehnt. Da faffung gegen die Erleichterung der Scheidung spreche er fei gerade haber dieser Irrtum sofort herausstellte, wurde nochmals in die vom christlichen Standpunkt aus für die Ehescheidungsreform. Beratung eingetreten. Diese mußte aber dann abgebrochen Daraufhin mußte fich Abg. Schulte( 3.) zu der Erklärung bequemen, der Mittagspause drängten und Abg. Schulte( 3.) erft bie daß er nur vom Standpunkt der katholischen Auffassung geschriftliche Vorlegung des neuen Antrags forderte. Nach langer Geschaftsordnungsdebatte wurde dann die Beratung abgebrochen. Reichsjuftiaminister Hergt erflärte namens der Reichsregierung, bak die Scheidungsreform nicht zum Notprogramm gehöre und daher nicht mehr erledigt werden könne, ban sogar die Behandlung dieser Frage geeignet sei, die Erledigung des Notprogramms zu stören.
fprochen habe.
werden, weil die Deutschnationalen auf die Innehaltung
Cine neue Sikung fann leider infolge eines in der Familie Stahl eingetretenen Todesfalles erst am Mittwoch nächster 23o che stattfinden, da Abg. Schulte( 3.), der stellvertretende Bor figende des Ausschuffes, erklärte. eine Sigung nicht leiten zu fönnen, da er an den früheren Berhandlungen nicht teilgenommen hat.
3taliens Wortbruch.
Was Mussolinis Borgänger den Südtirolern versprachen. Am meisten Aufsehen hat in der Rede Mussolinis wohl die Erklärung erregt, daß die faschistische Regierung sich durch die mehr oder minder vagen und rhetorischen Bersicherungen von Leuten nicht gebunden hält, die Systeme und Regierungen veriraten, die inzwischen durch die faschistische Revolution längst überholt sind".
Wortbruch beschränkt sich nicht auf den deutschsprechenden Die Entrüftung über dieses Befenntnis zum Teil Europas. Wir erwähnten bereits die scharfe Aeußerung des Pariser demokratischen Blattes Quotidien", daß Mussolinis Borte nichts anderes feien, als die Bethmann Hollwegsche Theorie vom Fegen Papier", die bekanntlich Deutschland im Weltkrieg mehr geschadet hat, als hundert verlorene Schlachten. Der Quotidien" nannte die Rede Mussolinis eine Provokation aller friedlichen Staaten der Belt". Wie unser Genfer Sonderberichterstatter meldet, ist diese Rede und besonders die er wähnte Erklärung von den in Genf anwesenden Plazdele gationen mit stärtstem Befremden aufgenommen worden. In der deutschen Delegation weist man darauf hin, daß diese Erklärung weit über das hinausgehe, was einst die Sowjetregierung hinsichtlich der anleihen erflärt habe und was hierüber von den Alliierten als Hauptgrund für die Nichtaufnahme von diplomatischen Beziehungen angeführt worden sei.
3aren
Welches sind nun die Versprechungen, auf die man sich auf österreichischer Seite beruft und die Mussolini mit einer verächtlichen Handbewegung abzutun versucht? Die Wiener Neue Freie Preffe" veröffentlicht eine interessante Busammenstellung dieser Kundgebungen. Es handelt sich einmal um folgende offizielle mitteilung der Siegerstaaten vom 2. September 1919 an die öfterreichische Regierung:
„ Die alliierten und affoziierten Staaten find der Meinung, daß die Grenze zwischen Italien und Desterreich nicht geändert werden fann. Wie aus den sehr flarep Darlegungen, die im römischen Parlament durch den italienischen Minister. präsidenten erfolgten, hervorgeht, hat die italienische Regierung die Absicht, eine weitherfige und liberale Politik in beug auf Sprache, Inftitutionen und ökonomische Interessen gegenüber ihren neuen Untertanen einzuhalten."
Danach haben also die Alliierten die Erklärungen des damaligen italienischen Regierungschefs zur Grundlage einer gemeinsamen, offiziellen Zusicherung gemacht.
Don
Wenige Wochen später, am 27. September 1919, führte der italienische Hauptunterhändler des Friedens St. Germain, Senator Tittoni, in der römischen Kammer aus:
Italien wird jcht 180 000 Deutsche( in Wirklichkeit rund 250 000. Red. d.„ B.") einschließen. Die Haltung dieser Minorität tonn noch nicht vorausgesehen werden. Es fann noch nicht voraus gesehen werden, ob es möglich sein wird, eine neue irredentistische und revolutionäre Bewegung zu verhindern. Die Behandlung dieser Minorität wird sehr stark von diesem Umstand abhängen. Bolen, die Tschechoslowakei, Rumänien und Serbien sind durch Vorschrif ten, die in den Friedensverträgen eingeschaltet wurden, gebunden, die Sprache, die Religion, die Institutionen, den Unterricht und alle sonstigen Freiheiten der nationalen Minderheiten zu respektieren. Es ist absolut notwendig, daß diese Vorschriften loyal und mit Treue eingehalten werden. Italien wie die anderen großen Mächte hat teine legale Verpflichtung dieser Art, aber meine Aufafffung ist, daß die liberalen Traditionen, welche seinen Ruhm und seine Würde bilden, ihm die moralische Verpflichtung auferlegen, in derselben Weise vorzugehen. Die wissen, daß der Gedanke der Unterdrückung und der EntnationaliBölker fremder Nationalität, die unter unser Gesetz fallen, follen fierung uns absolut fremd ist, daß ihre Sprache und ihre kulturellen Inffitutionen respektiert werden sollen, daß ihre Verwaltungsbeamten alle Vorrechte liberaler und demokratischer Gesetze genießen werden. Wir können der Bevölkerung des deutschen Südtirol versichern, aß ein Polizeiregime mit seinen Berfolgungen und feiner Willfür jemals eingefegt werden soll, so geartet, wie es die Bevölkerung von Istrien und Trentino solange Zeit unter Desterreich erdulden mußte."
Da Mussolini die Berfasser jener Rundgebungen als Bertreter längst überholter Systeme" bezeichnet hat, ist die Feststellung wohl nicht uninteressant, daß derselbe Littoni heute noch, also unter dem faschistischen Regime. Präsident des italienischen Genats iſt. Als dritte Kundgebung zitiert das Wiener Blatt die Rede. die der italienische Staatsmann Luigi Luzzatti als Berichterstatter über den Friedensvertrag von St. Germain in der Deputiertenkammer hielt:
3u den Deutschen, beren Einverleibung in unseren Staat durch die Notendigkeit der nationalen Berteidigung er zwungen wurde, möchten wir sagen: Es muß eine Ehrenpflicht der Regierung und des Parlaments fein, den Deutschen, die mun anneftiert wurden wegen der absoluten Notwendigkeit für uns