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Vellage Montag, 26. Marz 1928

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Snvc stille Sehnsucht geht durch mel« deutsche Hemdenbrüste »rnd steigt hinauf in die Knopflöcher. Erlösung aus der ordenslosen. der schrecklichen Zeit! Die Brust soll wieder glitzern, die Vorder- front soll geschmückt werden, das ist der geheime Wunsch, der nach Erfüllung ruft. Aber es gibt ja eine Verfassung, nach der Orden und Titel nicht verliehen werden dürfen. Doch in der Der- fasfung steht vieles von Dingen, die nicht sein dürfen und doch sind. Wenn man kein« Titel haben darf, dann verteilt man eben Bayern im Reich voranBerussbezeichnungen". Aber was ist schon«in geheimer vberarbeitsrat ohne ein Bündchen aus dem Halse heraus? Hier liegt eines der beliebtentiefgefühlten" Bedürf- nifs« vor. Manch« j«ner Mitbürger, denen die ganz« Berfossung gestohlen bleiben kann, well sie durch sie nicht Ritter pp. werden können, machen sich ihre eigenen Gesetz«. Orden wollen sie haben, auch wenn der böse Staat keine mehr oerleiht, und von dieser Sehnsucht kann ein« ganz« Branche existieren. Die Ordensgeschüste. die sehr daniederliegen, haben in der letzten Zeit eine gewisse Belebung zu verzeichnen gehabt. Man hat gesehen, daß es noch Könige auf der Welt gibt und daß es ihnen möglich ist, auch in Deutschland Orden und Herzogstitel zu verteilen. Amanullah hat die deutsch ? Ordens- schnsucht beflügelt: wenig« nur Hot er beglücken können, ober viel« warten auf den nächsten Königsbesuch, und komm« er auch aus dem dunkelsten Asien oder Afrika . Wer kauft heute Orden? In einem jener Geschäfte, dessen Schaufenster sich so eigenartig von denen anderer Läden unter-

scheidet, kann man mit einiger List etwas darüber erfahren. Hinter den großen Glasscheiben glitzert und funkelt es. und wenn man nahe herantritt, glaubt man einen Augenblick an Weihnachten und Christbaumschmuck. Sonderbar« Sterne ruhen auf roten Kissen, bunte Bänder ziehen sich lamettaartig durch die Schaukästen und da- zwischen halten nackte Bronzemänner Wache. Man tritt in den Laden und sagt, man möchte ein Abzeichen kaufen. Aber viel wichtiger ist die Frage, wer denn noch eigentlich das Spielzeug aus dem Schaufenster kauf«. Der junge Mann hinter dem Ladentisch will nicht so recht mit der Sprach« heraus:Orden, ja... na, wer einen braucht, kauft sich einen." Aber dann verbessert er sich schnell: Wer seinen Orden verloren hat, kaust einen neuen, manche Ordens- ritter kommen auch mit dem einen verliehenen Exemplar nicht aus, die brauchen mehrer«, für jeden Anzug eins." Das Hauptgeschäft im Ordenladen sind ober, wie sich herausstellt, Orden in Miniaturausgaben und Bänder. Auch ganze Ordenarrangements unter Glas sind begehrt. Mancher, der einst von jedem der fünfundzwanzig Bundesfürsten und Staaten einen Orden verliehen bekommen hat, kann den ganzen Klempnerladen beim besten Willen nicht mit sich herumschleppen. Schade, daß man 1 fein« Brust nicht aufstocken lassen kann! Aber seine glitzernden Aus-

Zeichnungen will der fünfundzwanzigfache Ritter doch immer vor sich haben, wenigstens an der Wand. Kinder und Kindestinder sollen sich noch daran erbauen, sollen wissen, was ihr Ahn« für ein Held war. Darum Ordenarrangement unter Glas an die Wand zur Nacheiferung für die kommenden Geschlechter.

Auch der weniger Heldenhast« und Ordengekrönte braucht nicht zu verzagen. Muß man denn die Orden, die da so schön die Wand schmücken, wirklich oerliehen bekommen haben? Wer kann es noch- weisen? Der Verkäufer im Ordensg eschäst meint zwar gutgläuibig. daß nur verlorene Orden neu angeschafft werden, aber nach der Verleihungsurkunde fragt er nie, die interessiert ihn nicht. Orden sind für ihn ein« Ware wie für den Kolomolwarenhändler Mehl und Graupen. Daß der Käufer sich unter den glitzernden Metall- stückchen etwas anderes als eben nur Metall vorstellt, das ist dem jungen Mann hinter dem Ladentisch völlig gleichgültig. Ein eisernes Kreuz ist für ihn ein Gegenstand, der zehn Mark und achtzig Pfennige kostet, und kein Symbol. Er verkauft seine Ware ebenso gern an klein« Domelas wie an charakterfeste Leute, die einst in aufgeregten Zeiten das Original auf den Müll warfen, jetzt aber. wo sie einen neuen amtlichen Ordenssegen erhoffen, nicht zurück- stehen wollen hinter den eventuellen Rittern. Während man noch im Laden steht, tritt ein alter Mann herein und verlangt einen Orden mit Schnalle. Welchen bitte? Den billigsten! lind als er das etwas erstaunte Gesicht des Verkäufers bemerkt, versichert er:Meinen Sie, ich brauch solch einen Piepmotz für mich? Ich werde mir doch nicht fo ein Ding vor den Bauch hängen. Das macht nur meine Kundschaft. Ich bin Schneider und brauche das Ding zum Maßnehmen für die Oesen." Befriedigt zog der Schneidermeister schließlich mit eitrnn etwas zerschäbten Apfelsinenorden ab. Mit echten Orden allein kann man freilich noch kein Geschäft betreiben. Ein Glück, daß es Abzeichen gibt. Abzeichen sind die große Mode, Abzeichen oller Format«, vom Stahl hell n bis zum Kakenkreuz. Was wäre eine Hiller-Kappe ohne jchwarzweißrote Kokarde, ohne Sterne, Eichenlaub und Schwerter? Wenn Luden- dorff auch keine Orden, etwa in Form einer blauen Brill«, verleihen darf, so kann er seine Sturmtrupps doch wenigstens mit Abzeichen dekorieren, diedeutsche Brust" schwillt auch so. Sie schwillt auch bei denen, die ihr« Auszeichnung nicht auf die Brust heften, sondern aufs Firmenschild. Der Titel.Hoflieferant", einst ängstlich vom Firmenschild heruntergekratzt, wird wieder modern. Man kann sein Emblem im Ordensgeschäst beziehen, mit Kronen aller Zackengvade, mit keulenschwingenden wilden Männern und Wappen aller Fürsten - geschlechter. Wozu neueOrden gebraucht werden? Um einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen. Der junge Mann hinter dem Ladentisch meinte, es sei für leine Branche geradezu eine Lebensfrage G. Keron.

Wer kauft Liebesbriefe? Die Kundschaft des Schriftstellereibesitzers.

Lassen wir einmal in miserer Erinnerung die seligen Zeiten emporsteigen, als.Ll m or, der Herzensdieb"(die heutige Generation kennt bloß noch den Kicntopp gleichen Namens), den gluckhch. noch mehr aber den unglücklich Verliebten allerlei zu schassen macht«! Wer kennt si« nicht, die herzzerreißenden Arien»ergangener Tag«:.Lieb mich, und die Welt ist mein." oder:Du bist zu schön, um treu zu setn."für mich leuchtet kein Sternlein am Himmel da droben,"ich Hab halt kein Glück auf der Welt" usw. Das war noch Poesie, die berauscht« und die Literaturfabrikation dieses Genres zur Großindustrie erhob. Ferne, längst entschwundene Zeiten! Plötzlich aber ist der gute, alte Liebesbriefsteller, ein wichtiges Requisit einstiger Liebesepochen, m veränderter, lebendiger -?orm wieder auferstanden. Di« Jugend von heute kennt es w'hl nicht mehr, dies prächtig« Nachschlagewerk für ungluck- lich Liebende. Aber die vorig« Generation wird sich seiner noch ent- sinnen. Em kleines Büchlein, das ein paar Groschen kostete, mit sämtlichen Schemen für den gesamten Briefwechsel von Liebesleutin. Tränenden Auge» und klopfenden Herzen»«» griff Minna des Abends, nach getaner Arbeit. di«s«n Dortschatz. wählt« da» passende Dokument zur Rückeroberung des entfleucht«, Geliebten und schrieb haargenau, wie es da stand, mit allen Ein- fchaüungen, die sich auf die verschiedenartig« Einstellung des Schreiber« zum Empfänger htffii, treu und brm» ab. etwa folgender-

Lieber Carl(liebe Grete). Es hat mich tief gekrankt, daß ich von Dir(Ihnen) solange nichts gehört habe. Solltest(n) Du(Sie) ein« weiter« Zusammenkunft nicht mehr wünschen, so tut es mir leid, mein Herz an einen(«) Unwürdigen(e) verschwendet zu haben. Dein(Ihr) tiefunglückliche(r) R. N." Hierauf erfolgte die Unterschrist. Jetzt aber gibt ein lebender Liebesbrieffabrikant der liebenden Menschheit das Geleite.Ja, wer schreibt denn heute überhaupt noch Liebesbriefe?" fragte ich mit reichlich un- gläubigem Lächeln den Dichterling.Oho" darauf er,Sie würden staunen, was für Herrschaften aus verschiedensten Kreisen bei mir ihr Herz erleichtern kommen." Er erzählt Fälte aus seiner Praxis"JDa kam beispielsweise vor nicht allzu langer Zeit eine fesche, stattliche Blondine und klagte das Leid ihrer u n- glücklichen Ehe. Der Mann wollte sich von ihr trennen wenn er feine Geliebte nicht ins Haus bringen durste. Roch eindring- lichem Forschen über die näheren Umstände dieser unglücklichen Se- memschast erzählt sie, der Mann sei Paralytiker, habe sie schon immer sehr v«rna<Aässtgt und habe z. B.die Hochze't»nacht in der Badewanne verbracht!" Auf sein«(de« Dichter- lings) Briefe, die wahrhaft zu Herzen gingen, hätte er Geiieble und Badewanne verlassen und sei reumütig zum Frauchen zurück- gekehrt.Ein voller Erfolg" meint er stolz lächelnd,nicht wcchr."

Oder: Ein« holde Schön«, anfangs der zweiten Iahrhundcn- hälste, kommt aufgeregt in seineSprechstunde" und zeigt ihm ein blutgetränktes Billetdoux ihres Freundes, der sie heiß, aber unerwidert liebte. Der Mann hatte in rasender Liebespein aus seinem Blut Tinte gemacht und damit geschrieben in der zitternden Hoffnung, vielleicht so das starre Herz der kalten Liebsten zu erobern. Mer weit gefehlt, armer Blutrünstigerl Die alternd« Schön« war eine gefährlich« Kokotte, die eben man kennt dies jamit Männerherzen Fangball spielte". Außerdem dies flüsterte er mir diskret ins Ohr ist sie fest langen Iahren die Freundin eines ganzhohen Herrn" und hält, treu ihrer bisherigen, recht erfolgreichen Liebespraxis, streng auf.Milieu". Boshaft, wie das Schicksal aber einmal ist, soll scheinbar keiner der beiden Rivalen zu seinem Rechte kommen, denn den Nachforschungen des Poeten ist es gelungen, der Kokotten das Geständnis zu em- reißen, daß sie der l e s b i s ch e n Liebe huldigt. Angeregt und neugierig gemacht, ließ auch ich mir, der näheren Wissenschost halber, solch briefliches Wundermittel für mein scheinbar liebeskrankes Herz« verschreiben, welches hier im Urtext wiedergegeben sei:.Lieb« Grete! Du wirst Dich gewiß wundern, von mir wieder etwas zu hören. Der Anlaß, weshalb ich an Dich schreibe, ist ein sehr dringender. Es handelt sich, kurz gesagt, um Dich, in Deinerehemaligen Eigenschaft als mein Lieb st es, das ich je auf Erden befaß! Ich fürchte, liebe Grete, Du befindest Dich in einer schweren Gefahr. Der Zufall wollt« es, daß ich gestern abend mit einem Menschen zusammentraf. der Dich bester kennt, wie Du Dich selbst. Er sprach frei von allen Deinen Derhältnisten. Er erzählte mir von einer Person Deiner Umgebung derart Erschütterndes, daß mir die Tränen in die Augen traten. Ich bitte Dich von Herzen, im Angesicht der Er- innerung an die schönen Stunden, die wir zusammen oerlebt haben, um eine neue Zusammenkunft. Im übrigen will ich Dir nur sagen, daß derjenige, der jetzt im Verkehr mit Dir steht, im Begriffe ist. Dich vollends zu unterjochen, obwohl jüngere Personen den größeren Reiz für Dich, meine Liebste, haben sollten. In diesem Sinne bin ich bis auf Wiedersehen Dein....." DiesGeistesprodukt" kostete 2,50 M. Ich wollte aus der inserierten Anfangstaxe von 1 M. bestehen, habe mich jedoch, ein- geschüchtert durch des �Literaten" tiefgründige Bemerkung,daß geistig« Arbeit standesgemäß honoriert werden müsse." schließlich eines besteren belehren lasten. Kunst geht nach Brot. Wie wenige und spärliche Brosamen mag diese hier erhaschen!

Für den Kampf und die Freude! Einige Druckschriften, die jeden angehen. Eine Festschrift von bleibendem Wert wird der Verlag I. H. W. Dietz Nachf., Berlin , der Zenttawerlag der Sozialdemo- kratischen Partei, zur diesjährigen Feier der Arbeit am 1. M a t herausgeben. Das farbige Titelbild zeigt auf leuchtendem Rot ein« meisterhaft gezeichnete krafwolle Gestall, die den Gegnern der Arbeiterklasse die Losung zuruft:Unser die Macht!" An den Beittägen ist eine Reihe von Mitarbeitern betelligt, deren Namen in der deutschen Arbeiterbewegung einen guten Klang haben: Carl S e- Oering, Leipart, Crispien, Hermann Müller, Paul L ö b e, Toni Sender . Die Ausstattung, von der Tiefdruck­abteilung desVorwärts"-Betriebes mustergültig besorgt, gibt der Festschrist bleibenden Wert. Es oersteht sich von selbst, daß die dies- jährige Maizeitung nicht allein der Freude gewidmet ist, sondern mehr noch als ihre Borgängerinnen dem Kampf. Drei Wochen später sind die Wahlen: si« müssen eine gründliche Abrechnung mit den Parteien des Bürgerblocks bringen, und in diesem Kampfe wird auch die Maifestzeitung eine gute Waffe sein. Bei dieser Gelegenheit sei noch auf zwei andere, regelmäßig erscheinende Zeitschriften des rührigen Dietz-Verlages hingewiesen. Da ist zuerstDer Wahr« I a c o b", der wieder das außer- ordentlich beliebte und volkstümliche Witzblatt geworden ist. In kurzer Zeit nach der Umwandlung aus.Lachen links" hat der Wahre Jacob " eine Auslage erreicht, die nicht mehr weit hinter der Berbreitung seines Meisters aus der Vorkriegszeit zurücksteht. Das Blatt zeichnet sich nicht nur durch seinen gediegenen Inhalt aus, es ist auch vorbildlich in der Ausstattung. Ebenso Gutes kann man von derFrauenwelt" sagen. Die Redaktion ist seit kurzem mit einer Frau besetzt, der Inhalt umgestaltet und erweitert worden. Auch dieFrauenwelt" ist ein ausgezeichnetes Erzeugnis Neuzeit- licher Buchdrucktunst. Sie verdient die weiteste Berbreitung unter den Frauen und Mädchen der werktätigen Bevölkerung.

DerEhehimmel des Lokalredakteurs Christliche Ehen werden bekanntlich nur im Himmel geschlosten. Daher gehören sie auch zu den sakramentalen Objekten. So heilig sollen ihre Ketten sein, daß sich unsere Klerikalen z. B. vom Zentrum partout weigern, ihre Lösung über die geltenden gesetzlichen Be- stimnnmgen hinaus zu erleichtern. Sie haben vom Standpunkt des lieben Gottes aus sogar recht mit ihrer Hallung. Wie dürft« das Amtsgericht auseinander- reihen, was der Himmel gebunden hat! Unsere Justiz schreckt zwar gewiß sobald vor nichts zurück, aber vom himmlischen Werk muß sie die Finger lasten. Gäbe man ihr erhöhte Macht zur Ehetrennung, machte man sie zum Korrektor göttlicher Leistung: was wäre dann noch heilig auf der Well? Darf man dem Himmel Pfuscherei zu- trauen? Freilich: seine Wege smd oft wunderbar, sozusagen erdgebundm. Hier ein Beweis: . Erste Kraft für Lokalblatt(Zentrum), nur Katholik, ge­sucht. Zielbewußter Herr... Nicht unter 40 Jahr. evtl. Einheiratung..." Der Himmel muß bei dieser Chesehnsucht seine Hand im Spiele haben. Denn erstens wird ein Katholik verlangt und zweitens in der..Germania " dem Leiborgan der katholischen Bischöfe Doutfchlands und ihrer Partei, des Zentrums, und drittens aus- gerechnet zu der Zeit, wo die stammen Zentrumsabgeordneten im Reichstag « die Reform der Ehescheidung oerweigerten. Weil doch Ehen im Himmel geschlosten werden. Und ist die Einheirat eines zielbewußten Herrn in ein katho- lisches Lokalblatt mit dazugehöriger Druckerei nicht wirklich ein« himmlische Geschichte, die, bis der Tod sie trennt, geleimt bleiben muß? Nur gottlose und daher sowieso verdammte Krakehler dürfen sich über solchen Himmelsbund mokieren.