Morgenausgabe
Nr. 147
A74
45. Jahrgang
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Dienstag
27. März 1928
Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.
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Bereit zur Wahlschlacht!
Sozialdemokratische Kandidatenaufstellung im Bezirk Brandenburg- Grenzmark.
Der Parteitag für den Bezirk Brandenburg Grenz. mart hat am Sonntag ohne Debatte die folgenden Kandidatenlisten für die Wahlkreise Potsdam I und Frankfurt a. d. D. gutgeheißen:
1. Rudolf Wiffell, Berlin ; 2. Dr. R. Breiffcheid, Berlin ; 3. Marie Juchacz , Berlin ; 4. Hermann Müller , Lichtenberg ; 5. Wil helm Staab , Potsdam ; 6. Friedrich Ebert , Brandenburg ; 7. Dr. Salomon, Luckenwalde ; 8. Bruno Theet, Berlin ; 9. Adolf Wufchic, Lichtenberg ; 10. Mag Bauer, Erfner.
Landtag:
1. Wilhelm Siering , Nauen ; 2. Elfriede Ryned, Berlin ; 3. Wilhelm Krüger, Berlin ; 4 Emil Stahl, Berlin ; 5. Paul Szillat , Rathenow ; 6. Joh. Bauer, Luckenwalde ; 7. Christoph König, Berlin ; 8. Adolph Wuschid, Lichtenberg ; 9. Heinrich Witt, Brandenburg ; 10. Arthur Richter, Lichtenberg ; 11. Wilhelm Reimann, Weißensee ; 12. Paul Judrian, Friedrichsfelde ; 13. Gottl. Münsinger, Spandau ; 14. Wilhelm Kubig, Pantow; 15. Erich Paschke, Erfner; 16. Gustav Löffler, Pankow ; 17. Gustav Schwabedahl, Rosenthal .
1. Offo Wels, Berlin ; 2. Oswald Schumann , Berlin ; 3. Franz Kohle, Berlin ; 4. Ernst Heilmann , Berlin ; 5. Anton Reigner, Elchwalde; 6. Otto Neitsch, Koffbus; 7. Anna Matschte, Berlin ; 8. Ostar Wegner, Frankfurt a. d. O.; 9. Karl Stoll, Fürstenwalde; 10. Willi Sielaff, Neudamm .
Landtag:
1. Emil Faber, Frankfurt a. d. D.; 2. Wilhelm Paetzel, Berlin ; 3. Ernst Heilmann , Berlin ; 4. Eugen Brückner, Berlin ; 5. Wilhelm Schadow , Kottbus ; 6. Hedwig Wachenheim , Berlin ; 7. Karl Freter, Calau ; 8. Georg Steinbrecher, Mejerih; 9. Kurt Wegner , Sommerfeld; 10. Ferdinand Jäckel, Güstebiefe.
Wahltermin: 20. Mai.
Ein Beschluß des Reichskabinetts. Amtlich wird mitgeteilt: Der Reichsminister des Innern hat die Landesregierungen durch Rundschreiben davon verständigt, daß der Termin für die Neuwahl des Reichstags auf den 20. Mai festgesett werden wird. Die Landesregierungen wurden gebeten, die Gemeindebehörden anzuweisen, mit der Anlegung der Wählerlisten zu beginnen und als Stichtag für die Aufnahme der Wahlberechtigten den 20. Mai vorzusehen.
Das Reichskabinett hat sich gestern mit Mehrheit auf den 20. Mai als Wahltermin geeinigt. Die politischen und technischen Gründe, die für einen früheren Wahltermin geltend gemacht wurden der 20. Mai ist der Sonntag vor Pfingsten sind nicht durchgedrungen. Die letzte Entscheidung fällt der Reichspräsident, er wird sich voraussichtlich ebenfalls für den 20. Mai entscheiden.
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In Toulon ( prach der sozialistische Abgeordnete Renaudel vor feinen Wählern über den politischen Charakter der Nationalen Einheit", bie Boincaré zur selben Stunde in Bordeaug verherrlichte. Renaudel führte aus, daß Poincaré trotz seiner persönlichen Integrität der Gefangene des Großfapitals sei, dessen Wirtschaftspolitit er machen müsse, um dafür seine Unterstügung in den Steuer und Finanzfragen zu erlangen. Darüber hinaus tönne der Ministerpräsident es auch nicht verhindern, daß die Reaktion aus der Tatsache seiner Rückkehr zur Regierungsmacht Profit ziehe. Die von dem sozialistischen Parteitag aufgestellte Formel:„ Die nationale Einheit ist die Reaktion" habe sich seitdem bestätigt. Die französischen Sozialisten würden den Kampf gegen die Reaktion mit aller Energie führen, um die hinter den Reaktionären und den mit ihnen verbündeten Barteien stehenden Proletarier für sich zu gewinnen. Dabei würden die Sozialisten im zweiten Wahlgang gern jeden Republikaner unterstüßen, der die Fortsetzung der Natio nalen Einheit" ablehne.
Poincarés Rede und die Deutschnationalen.
Die große Wahlrede, die Poincaré am Sonntag in Borbeaug gehalten hat, enthält eine Stelle, in der er seine Ruhrpolitit von 1923 nachträglich zu rechtfertigen versucht hat. Seine Beweisführung läßt sich etwa wie folgt zufammenfassen: Ohne Ruhr
besetzung hätte Deutschland niemals den Dawes- Plan angenommen, ohne den Dames- Plan wären auch die Verträge von Locarno nicht zustandegekommen. Folglich bin ich, Poincaré , der eigentliche Bater
Es ist nicht erstaunlich, daß Boincaré, zu dessen markantesten Charakterzügen die Recht haberet gehört, das Bedürfnis emp findet. seine Gewaltpolitit von 1923 mit seiner Anpassung an die Verständigungspolitik von 1928 in Einklang zu bringen. Vor vier Jahren ist er als der„, Mann der Ruhrbesehung" in den Wahlkampf gezogen und befiegt worden. Innerpolitische Wechselfälle, vor allem die Finanzkrise, haben ihn wieder ans Ruder gebracht. Er möchte nun wenigstens diesmal als Sieger aus dem Kampf hervor. gehen, um seine Regierung der nationalen Einigkeit über die Wahlen hinaus zu behaupten. Das ist aber nur möglich, wenn er fich außenpolitisch die Politit Briands zu eigen macht. Deshalb der frampfhafte Verfuch, mit rabulistischen Argumenten zu beweisen, daß die Locarno - Politik Briands nicht nur feinen Bruch mit der Ruhrpolitit Poincarés bedeute, sondern daß die Ruhrbelegung Locarno erst möglich gemacht habe.
In Frankreich wird man diese geistigen Burzelbäume Boincarés nicht tragisch nehmen, vor allem wird Briand selbst derüber lächeln. In Deutschland aber stürzt sich die gesamte deutschnationale Bresse wie auf Kommando auf die Rede Poincarés und versucht, daraus den Nachweis herzuleiten, als hätte die gesamte deutsche Außenpolitik Fiasko erlitten: denn da der französische Ministerpräsident sich heute noch zu seiner Ruhrpolitik betenne, so liege darin der Beweis, daß wir durch Locarno und Völkerbund nicht das Geringste erreicht hätten. Wir feien feit Locarno immer nur die Gebenden gewesen und die Rede von Bordeaux zeige, daß wir von Frankreich nichts zu erwarten hätten.
Ein plumpes deutschnationales Ablenkungs. manöver! Denn, selbst angenommen, diese Behauptung wäre richtig, so würden die Deutschnationalen genau dasselbe Maß an Schuld an dieser Illufionspolitit" tragen wie die anderen Parteien. Denn die Deutschnationalen haben bei ihrem Eintritt in die Koalition des Bürgerblocks, dessen stärkster Bestandteil sie waren und noch heute sind, die außenpolitischen Richtlinien des Zentrums vorbehaltlos angenommen: fie ver. pflichteten sich damals zur Fortsetzung der Politik von Lo carno und zum Verzicht auf alle bisherigen chauvinistischen Schlagworte und Forderungen. Deutschnationale Minister und Abgeordnete haben sich dementsprechend verhalten. Zähneknirschend und vielleicht auch innerlich widerstrebend haben sie auf die bequeme nationale Opposition" verzichten müssen. Sobald ein verantwortlicher Führer ihrer Partei außer der Reihe zu tanzen verfuchte 3. B. Herr von Freytagh- Loringhoven - wurde er auf Befehl des Zentrums sofort de savouiert. So trägt die Deutsch nationale Partei als stärkste Regierungspartei die Hauptverantwortung für die deutsche Außenpolitik der legten 15 Monate, insbesondere für ihre Erfolglosigkeit. Der Versuch, die Rede Poincarés gegen die Linke auszubeuten, ist deshalb ebenso plump Aber diese Rede beweist, wie gesagt, in Wirklichkeit nichts gegen die deutsche Außenpolitit, sondern sie zeigt nur, daß Poincaré seine innere Anpassung an die Politit Briands nach außen zu rechtfertigen bemüht ist. Poincaré hat in seinem Leben vor allem durch die Ruhrbefeßung manchen Gefallen erwiesen. Deshalb stürzen sich die Deutschnationalen instinktiv auf die Rede von Bordeaux und suchen aus ihr Kapital zu schlagen. Aber diesmal ist den Deutsch nationalen bei den Wahlen nicht mehr zu helfen, diesmal wird selbst Poincaré als Retter" versagen.
wie aussichtslos.
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Sozialdemokratie und Amnestie
Noch mehr Gnade für reaktionäre Mörder und Tots schläger? Nein!
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Der Rechtsausschuß des Reichstags hat sich in den letzten Wochen mit der Frage einer Amnestie befaßt. Die Sozial demokraten stellten dazu den weitestgehenden Antrag. Wäre er angenommen worden, so wäre allen Arbeitern, die bei politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kämpfen in die Maschen des Strafgesetzes geraten waren, die Freiheit wiedergegeben worden. Leider wurde er abgelehnt. Um eine Mehrheit zu schaffen, verhandelten dann die Kommunisten mit den Deutschnationalen über einen Austausch der beiderseitigen politischen Gefangenen. Die Kommunisten sollten freigelassen werden. Die Fememörder und die Mörder von Arensdorf aber auch. Dem verweigerten die Sozialdemokraten ihre Zustimmung. Die Deutschnationalen ließen jedoch mit sich handeln und so entstand folgender Antrag, zu dem auch die Mehrheit der Sozialdemokraten im Rechtsausschuß vorbehaltlich der Zustimmung der Fraktion ihr Einverständnis erklärte:
§ 1: Es wird Straferlaß gewährt für die zur Zeit des Infrafttretens dieses Gesetzes noch nicht verbüßten Strafen, die von Gerichten des Reiches und der Länder verhängt wurden megen Straftaten, die aus politischen Beweggründen begangen worden sind. Der Straferlaß erstreckt sich auch auf Nebenstrafen, Sicherungsmaßnahmen, rückständige Geldbußen und Kosten.
§ 2: Anhängige Verfahren wegen der im§ 1 Absatz 1 umschriebenen Straftaten werden eingestellt. Neue Verfahren werden nicht eingeleitet, soweit sie sich auf Handlungen beziehen, die vor dem 1. Januar 1928 begangen worden sind.
§ 3: Ausgeschlossen von der Straffreiheit(§§ 1 und 2) bleiben Landesverrat( SS 87-92 des Reichsstrafgefehbuches) und Berrat militärischer Geheimnisse( Reichsgesetz vom 3. Juli 1914), wenn die Tat aus Eigennut begangen ist.
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§ 4: Ausgeschloffen von der Straffreiheit sind ferner vollendeter oder versuchter Mord oder Totschlag und Teilnahme an einer folchen Straftat. Strafen, die wegen eines der in Absah 1 bezeichneten, aus politischen Beweggründen begangenen Verbrechens zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes rechtskräftig erkannt sind, werden in Festung umgewandelt. Freiheitsstrafen werden auf ein Drittel der durch Urteil oder Gnadenerweis fefigefehten Zeifdauer, jedenfalls aber auf nicht mehr als die Hälfte der gejehlichen Höchst dauer zeitiger Freiheitsstrafen herabgefeht.
Die erlittene Untersuchungshaft ist auf die hiernach zu verbüßenden Strafen anzurechnen.
Die Befugnis der zuständigen Gnadeninstanzen zu weitergehenden Gnadenerweisen bleibt unberührt.
Die Sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat gestern abend nach mehrstündiger Debatte bei aller Anerkennung der Motive, von denen sich die Anhänger dieses Kompromiffes leiten ließendem Antrag die Zustimmung verweigert.
Entscheidend war dafür der§ 4, der den Fememördern und den sonstigen rechtsgerichteten Mördern und Totschlägern ganz unerträgliche mit der Schwere ihrer Tat und der Gemeinheit ihrer Gesinnung ganz unvereinbare Gnadenbeweise verheißt.
Fememörder würden nach Gesetzwerdung dieses Antrags im Höchftfall eine Ehrenhaft von 712 Jahren( für lebenslängliches Zuchthaus) zumeist aber noch viel geringere Ehrenstrafen zu verbüßen haben. Die Totschläger pon Arensdorf würden mit einigen Monaten Ehrenhaft davonkommen! Folge davon wäre, daß auch die Mörder von Erzberger , Gareis usw., wenn sie gefaßt werden sollten, und die zahllosen Gewaltverbrecher von rechts, die von Rechts wegen längst ins Zuchthaus gehören, auf ähnlich gelinde Bestrafung- Ehrenhaft von verhältnismäßig furzer Dauer- Anspruch erhalten würden.
Die Sozialdemokratische Partei bekämpft seit Jahr und Tag die schier unbegreifliche Milde, die die deutschen Gerichte gegenüber rechts gerichteten Gewaltsverbrechern gefordert, dem Treiben dieser Leute schärfere Aufmerkſamfeit zuzuwenden. Damit hat sie neuerdings gewiffe, wenn auch lange nicht ausreichende Erfolge erzielt. Es ist gelegentlich auch nach rechts zugegriffen worden, es wurden Todesurteile ausgesprochen, sie wurden,- entsprechend unseren Grundsägen- durch die Gnade der preußischen Regierung in Buchthausstrafe umgewandelt. War es wirklich zu verantworten, wenn man diesem eben erst erfolgten Gnadenerlaß sofort einen neuen und viel weitergehenden hinzufügte? Wenn man Leute, die den Arm der Gerechtigfeit faum noch oder überhaupt noch nicht gespürt hatten, wieder laufen ließ oder sie zu verhältnismäßig furzer Ehrenhaft begnadigte? Ehrenhaft für Leute, die Gemeinheit der Gesinnung, an viehischer Roheit bei Ausübung ihrer Laten und an Feigheit ihres Berhaltens vor Gericht das Menschenunwürdigste geleistet hatten?!
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