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Tir. i 65* 45. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Freitag, 6. April 492S

Frühmorgens, wenn die Hähne träh'n, geht jetzt alle Tage dasselbe Rätselraten los: Wie wird das Wetter? Wird es zu Ostern schön trocken und sonnig sein, warm, wie an diesem wunder- schönen letzten Frühlingssonntag, oder wird ausgerechnet an den beiden Ostertagen die eigentlich schon längst fällige Regenmenge auf alle neuen Frühjahrshüte herabgietzen? Ach, verregnete Feiertage wären für alle reichlich fatal, aber es gibt Leute, für die von dem guten Feiertagswetter ja noch bedeutend mehr ab- hängt: Alle Besitzer von Ausslugslokalen in der näheren und weiteren Umgebung Berlins , für die die Ostertage die ersten Ernte- tag« des neuen Jahres sind, hoffen inbrünstig aus gutes Öfter- weiter. Aber: �Hoffen und Harren.. Nur zu oft schon sahen sie ihre Hoffnungen im wahrsten Sinne des Wortes zu Wasser werden. Nun sind endlich die Versicherungsfachleute auf die ge- scheite Idee gekmnmen, daß man sich gegen solcherlei Betriebs- Unfälle eigentlich genau so gut oersichern könne, wie gegen Ein- bruch, Feuer, Hagelfchlag oder Viehseuchen. Gegen Zahlung der verschiedenen prämiensähe kann man sich jehl entweder auf ein- fache Erstattung der Unkosten oder sogar auf Erstattung des ent­gangenen Gewinnes versichern. Die Sache ist ganz einfach, und es ist dafür gesorgt, daß alles ordentlich und richtig zugeht: Die nächstgelogene meteorologische Beobachtungsstation spielt sozusagen denUnparteiischen", und sobald ihre Apparate an den versicherten Tagen eine Regenmenge registrieren, die übender Vcrsicherungsgrenze liegt, ist der versicherte berechligl, von der Gesellschaft den Ersah seiner Unkosten oder seines Schodens zu verlangen. Wer ober auch der meteorologischen Station miß- traut, oder wem sie zu weit abgelegen ist, der kann sich auch einen eigenen Regenmesser aufstellen, an dem dann ein Kontrollbeainter m seinem Beisein die Regenmengen abliest. Aus einer der Polizen kann man übrigens auch ersehen, welche Regenmenge bei uns als richtiges, hundertprozentiges Hundewetter angeschen wird: Bei einer Regenmenge von 23 Millimeter vergütet die Gesellschaft nur 30 Proz. der Aus­lagen, bei einer Niederschlagsmenge von 3 Millimeter ob KU Proz. der Unkosten und bei einer Niederschlagsmenge von 4 Millimeter und mehr gilt der Tag als total verregnet, die Gesellschaft zahlt die volle versicherte Summe aus. Alle Unkosten, Löhne, Anschaf- fungen an Nahrungsmitteln, Platzmieten usw. werden ersetzt. Ganz vorsichtige Leute können sich sogar gegen den Gewinnausfall in- folge Regenwetters versichern lassen, die Gesellschaft zahlt dann eben die Differenz zwischen den niedrigen Einnahmen des ver- regneten Tages und der oersicherten Summe. Freilich muß man

die Versicherung rechtzeitig abschicken, mindestens zehn Tage vor dem gewünschten Termin, denn sonst wären die Chancen für die Gesellschaft doch zu ungünstig. Diese Regenversicherung ist nun durchaus nicht nur«ine An- gelegenheit, die nur die Inhaber der Restaurations- oder Hotel- betriebe interessiert, auch für Sportvereine bedeutet sie eine erhebliche Erleichterung. Wie oft kann nicht«in Verein durch regnerisches Wetter an den Spieltagen schwer geschädigt werden, wenn den sich unvermeidlichen Ausgaben an Plagmiete, Propa- gandakosten und dergleichen nicht die erhofften Einnahmen beige- sellen wollen. Da wird es oft viel praktischer sein, wenn man sich von vornherein das Risiko des verregneten Sportfestes vom Halse schafft und zu den anderen Unkosten auch noch die Prämie für die Versicherung zahlt.

Heuie Start der Ozeanflieger? London , 5. April. Nach den am heutigen Spätabend ans Dublin vorliegenden De- richten wird dort mit Bestimmtheit damit gerechnet, daß die beut- schen Flieger morgen früh zu ihrem lange verzöger. ten Transatlantikslug aussteigen werden. Die Wetter- bedingnngen sind ziemlich günstig. DieBremen " wurde heute wieder mit Brennstoff beladen und ist für den Start in jedem beliebigen Augenblick fertig. Auf dem Flugplatz in Baldonnell sind besondere Vorkehrungen für den Start derBremen " getrossen worden. Eine Anlaufsläche von 45 Meter ist ouszementierl worden. weitere 45 Meter sind mit Eisenbahnschwellen belegt worden. Hier- durch will man sich eine gewisse llnabhängikeit von den Wetter- bedingungen beim Start machen, da der Flugplatz infolge dc< Regens der letzten Tage sehr aufgeweicht ist. Gleichzeitig verlautet von wohlinformierter Seite, daß an Stelle des vor einigen Tagen nach Deutschland zurückgekehrten zweiten Piloten derBremen ". Spindler. der Befehlshaber der irischen Luftstreilkräste, Kommandant Fihmaurice, fungieren wird. Fihmaurice machte im September vorigen Jahres einen versuch, von Irland nach New Pork zu fliegen, mußte jedoch nach ZlW Meilen wieder zurückkehren. Dublin , S. April. Wie aus Baldonnell gemeldet wird, lassen die Berichte über die Wetterlage eine erhebliche Wendung zum g ü n st i g e n er- kennen. Man erwartet/ daß morgen früh die deutschen Ozeanslieger nunmehr den Flug nach Amerika antreten. Die Brennstoffvorräte derBremen " sind aufgefüllt worden und das Flugzeug der ei igest elli, so daß es jeden Augenblick st arten kann.

Drei russische Mordbrenner gesucht. Ein grauenhaftes Verbrechen noch ungesühnt.

Ungestihnt ist bis auf den heutigen Tag ein Verbrechen ge- blieben, das, im Jahre IVA) von drei Russen verübt, seiner- zeit durch seine furchtbare Roheit Entsetzen erregte. Besondere Umstände veranlassen die Polizeibehörden, erneut nach den Tätern zu fahnden. Am 1. November 1920 erschienen auf der abseits von dem Dorf Alt-Karow bei Stolp in Pommern gelegenen Besitzung des Landwirts Paul Wolf drei Russen, von denen der eine auf dem Hofe gut bekannt war, weil er als Kriegsgefangener lange Zeit auf einem Nachbargehöft gearbeitet hatte. Es war ein jetzt 34 Jahre alter aus Tomsk gebürtiger Alex Schmidt, der sich auchN o w i k o w" undN o w i ck i" nannte. Die beiden an- deren wurden später als ein Landarbeiter Paul Charitonow, der aus Barsuki im Kreise Wenef, Gmivernenicnt Tula stammt und«in Arsany Schirochow festgestellt. Die Familie Wolf nahm die drei gast freundlich auf und bereitete ihnen aus Wunsch Schmidts Kaffee und Abendbrot. Plötzlich erhob sich Chari- tonow und ging hinaus. In demselben Augenblick streckte einer der beiden anderen Wolf durch einen Hcrzschuß tot zu Boden. Dann fielen beide mit Messern über die 80jährige Mutter des Erschossenen, die Witwe Marie Wolf, seine Ehefrau und seine beiden 14 und 12 Jahre alten Söhne Arthur und Alfred her und stachen blindlings auf sie ein, so daß alle schwer verletzt zu Boden sanken. Darauf e r- brachen die Russen alle Schränke in der Wohnung und holten 12000 Mark in Papier - und Silbergeld heraus. Um die Spuren des Verbrechens zu vernichten, warfen die Räuber Bettzeug, Stroh und andere Sachen auf die am Boden liegenden Schwerverletzten, begossen alles mit Petroleum und zündeten es an. Hierauf verließen die Mordbrenner mit ihrer Beute die Behausung. Von außen her sahen sie dann aber,

daß die Eehefrau Wolf wieder zu sich gekommen war und das Feuer löschte. Darauf kehrte einer der Verbrecher in die Woh- nung zurück, st a ch noch einmal auf alle Verletzten e i n und legte den Brand noch einmal an. Bevor aber das Feuer weiter inn sich griff, rafften sich die Opfer wieder auf und es gelang ihnen abermals, den Brand zu löschen. Die Räuber waren unterdessen verschwunden. Die greise Witwe Wolf mar so schwer verletzt, daß sie nach wenigen Tagen ihrem Sohne in den Tod folgte. Zwar gelang es zunächst, den Charitonow festzunehmen, der aber wieder entfloh. Die beiden anderen jedoch waren uuanfiind- bar, auch Charitonow war und blieb verschwunden. Nach Lage der Sache ist nicht anzunehmen, daß die drei nach Rußland zurück- gekehrt sind, viel wahrscheinlicher ist, daß sie sich noch in Deutschland , vielleicht in Berlin , aushalten. Schmidt hatte in Alt-Karow ein'Verhältnis mit einer gewissen Luise Witten­berg angeknüpft. Das Mädchen halte ihm dann ein Kind geboren, aber beide, Mutter und Kind, fiild' spurlos verschwunden. Schmidt« Nowikow ist 1,74 Meter groß und schlank und spricht Deutsch , Russisch und Polnisch. Charitonow ist 1.K8 Meter groß, hat dunkel- blondes Haar, eine spitze Rase, blaue Augen und auf der linken Wange ein b e u l e n a r t i g e s Gewächs. Auf einer Hand ist zwischen Daumen und Zcigesiitger ein Anker tätowiert. Schirochow ist noch etwas kleiner, nur 1,05 Meter groß, aber kräftig, hat ebenfalls dunkelblondes Haar, einen dunklen Schnurrbart, der kurz geschnitten ist und eine Stülpnase. Cr spricht außer Russisch etwas Deutsch und Polnisch. Mitteilungen über das Auflauchen der Luise Wittenberg, deren Ermittlung wohl auf die Spur der Verbrecher führen würde und der Verbrecher selbst, nimmt die Mordinspektion A. im Berliner Polizeipräsidium entgegen.

Menschen.Göttern gleich... 631 Roman von Herbert George wells . Mr. Varnstaple solle bedenken, daß in der Vergangenheit Utopiens , im Zeitalter der Verworrenheit, jeder Mensch mit einem verkrüppelten oder verschrobenen Willen, verstrickt in Hemmungen der Eitelkeit oder verführt durch richtig er- scheinende Täuschungen, aufgewachsen sei. In Utopien herrsche immer noch die Ansicht, daß die menschliche Natur, im Grunde genommen, tierisch und wild sei und den sozialen Notwen- digkeitcn angepaßt werden müsse, aber Utopien habe die besseren Methoden dieser Anpassung gelernt nach endlosen Fehlern, begangen infolge von Zwang, Grausamkeit und Betrug. Auf Erden zähmen wir unsere wilden Tiere mit glühenden Eisen, und unsere Mcnschenbrüder durch Gewalt oder Betrug," sagte Mr. Barnstaple und schilderte seinem ungläubigen Gefährten die Schulen, Bücher, Zeitungen und öffentlichen Verhandlungen des zwanzigsten Jahrhunderts. Du kannst dir nicht vorstellen, wie verprügelt und ängstlich sogar anständige Leute auf der Erde sind. Du lernst in eurer Geschichte vom Zeitalter der Verworrenheit, aber du weißt nicht, wie in Wirklichkeit eine schlechte geistige Atmosphäre, eine Atmosphäre schwacher Gesetze, des Hasses und der Vor- urteile, wirkt. Wenn die Nacht über die Erde hereinbricht. gibt es stets Hunderttausende, die schlafen sollten, aber wach daliegen und einen rücksichtslosen Menschen, eine grausame Konkurrenz fürchten, voll Angst, daß sie etwas versäumen könnten, krank an einem Leiden, das sie nicht verstehen, be- trübt durch irgendeinen unvernünftigen Streit, verrückt ge- macht durch einen verbogenen Instinkt oder eine unterdrückte und perverse Begierde. Crystall gab zu. daß es schwer sei, sich jetzt das Elend im Zeitalter der Verworrenheit vorzustellen. Ein großer Teil der täglichen Not auf Erden fei hier unverständlich. Sehr langsam habe Utopien seine gegenwärtige Harmonie der Ge- setze, Sitten und Erziehung entwickelt. Der Mensch sei nicht mehr verkrüppelt und unterdrückt: es sei anerkannt, daß er im Grunde ein Tier sei und daß sein �tägliches Leben dem Kreislauf befriedigter Begierde und gelöster Instinkte folgen «lüge. Das Gewebe des uwpifcheo Alltags fei durchflochteu I

von mannigfaltigen anregenden Speisen und Getränken, von freier und"unterhaltender Uebung und Arbeit, von lindem Schlaf, von der Anregung und der Freudigkeit furchtlosen und harmlosen Liebesspiels. Verbote gebe es fast gar nicht, aber wenn das Tier gesättigt und befriedigt sei, dann beginne die Wirkung der utopischen Erziehung. Die treibende Kraft, die Utopien aus den Verirrungen des menschlichen Lebens her- ausgeführt habe, sei Wißbegierde, der Spieltrieb, der sich im Leben der Erwachsenen zu einem unersättlichen Appetit aus Wissen zu einem meist schöpferischen Drang ausgedehnt und ausgeweitet habe. Alle Utopen seien wie kleine Kinder Schüler und Bastler geworden. Es mar merkwürdig, diesen Knaben so offen und klar über das Erziehungsverfahren, dem er selbst unterworfen war, erzählen zu hören, und besonders, daß er so freimütig über Liebe sprechen konnte. Eine irdische Befangenheit hielt Mr. Bamstaple fast von der Frage zurück:Und du liebst du nicht?" Ich empfand hie und da Neugierde," sagte der Knabe, indem er offenbar das aussprach, was man ihn gelehrt hatte, aber es ist nicht notwendig, noch bekömmlich, zu früh im Leben der Liebe zu pflegen oder sich der Begierde ganz zu überlassen. Es schwächt die Jugend, zu früh von der Be- gierde beherrscht zu werden die einen oft nicht wieder los- läßt. Sie verdirbt und lähmt die Einbildungskraft. Ich möchte tüchtige Arbeit leisten, wie es mein Bater vor mir ge- tan hat." Mr. Barnstaple sah das schöne junge Profil an seiner Seite an und wurde plötzlich durch Erinnerungen an ein ge- wisses Zimmer Nr. 4 in der Schule gepeinigt, an gewisse häßliche Phasen seiner Jünglingszeit, an den schwülen, ver­steckten Raum, die heiße und scheußliche Tat. Er fühlte sich als einen gemeineren Erdling denn je.Ach Gott, " seufzte er.Eure Welt ist ja so rein wie Sternenlicht und so köstlich wie kaltes Wasser an einem schwülen Tage." Ich liebe viele Menschen," sagte der Junge,aber nicht mit Leidenschaft. Eines Tages wird das kommen. Aber man soll nicht zu begierig und erpicht auf leidenschaftliche Liebe sein, oder man spielt Komödie und hascht nach einem Trug- bild... Es hat keine Eile. Niemand wird mich hindern, wenn meine Zeit kommt. Alles Gute kommt zu seiner Zeit." Aber auf Arbeit wartet man nicht: seit es die Ange- legenheit eines jeden ist, geht man frisch daran. Crystall

l dachte sehr viel an die Arbeit, die er vorhatte. Es schien Mr. Barnstaple, daß Arbeit im Sinn einer aufgezwungenen Bürde aus Utopien fast verschwunden war. Dennoch arbeitete alles in Utopien. Jeder leistete eine Arbeit, die seiner natür- lichen Anlage angemessen war und die Phantasie des Ar- bettenden anregte. Jeder arbeitete mit Freude und Eifer so wie jene, die wir auf unserer Erde Genies nennen. Auf einmal war Mr. Barnstaple mitten im Erzählen, wie glücklich der wahre Künstler, der wahre Gelehrte und sogar nur der Mann von Persönlichkeit heutzutage auf der Erde seien. Auch sie leisten eine Arbeit, aus freien Stücken, die ihrer eigenen Natur gemäß auf große Ziele gerichtet ist, wie bei den Utopen. Sie seien von allen Erdlingen am meisten zu beneiden. Wenn solche Männer auf der Erde nicht glücklich sind," sagte Mr. Barnstaple,so deshalb, weil die Gemeinheit an sie heranreicht und sie sich noch um den schmutzigen Beifall, um Ehrungen und die günstig» Meinung des Pöbels küm- mern und weil sie immer noch Vernachlässigung und Be­engung fühlen, die sie nichts mehr angehen sollte. Aber für denjenigen, der den Sonnenschein Utopiens gesehen hat, kann sicherlich die höchste irdische Ehre und Auszeichnung nicht mehr bedeuten und nicht begehrenswerter fein, als die schmeichel- hafte Anerkennung eines Niggerhäuptlings oder eine Schnur Glasperlen. 3. Crystall war noch in dem Alter, in dem man auf seine Tüchtigkeit stolz ist. Er zeigte Mr. Barnstaple seine Bücher und erzählte ihm von seinen Lehrern und Aufgaben. Utopien machte noch von gedruckten Büchern Gebrauch, Bücher waren noch der einfachste, geradeste Weg� um Schluß­folgerungen dem Geist zu vermitteln. Crystalls Bücher waren prachtvoll in schmiegsames Leder gebunden, das seine Mutter für ihn bearbeitet hatte, und waren aus handgeschöpftem Papier hergestellt. Die Schrift selbst war eine fließende Laut- schrift, die Barnstaple nicht verstehen konnte. Sie erinnerte ihn an Arabisch: zahlreiche Skizzen, Grundrisse und Dia- gramme waren eingestreut. Crystall wurde während seiner Ferien beim Studium von einem Lehrer beraten, für den er eine Art Uebungsbericht vorbereitete, und ergänzte feine Lektüre durch Besuche von Museen: doch im Tal des Friedens war kein Erziehungsmuseum vorhanden, das für einen Besuch Mr. Barnstaples geeignet gewesen wäre. (Fortsetzung folgt.)

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