Morgenausgabe
Nr. 173
45. Jahrgang
A 88
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mart
Donnerstag
12. Apríl 1928
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Die etnipalttge Ronparetfiezefle 80 Bfennig. Reflamezeile 5.- Reichs Kleine Anzeigen" das fettgebrudte Wort 25 Pfennig zuläffig zmet fettgebrudte Borte), jebes meitere Bort 12 Bfennig. Stellengefuche das erste Bort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Seile 60 Pfennig. Familianzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen. annahme im Hauptgeschäft Linden. traße 3, wochentägl. von 81%, bis 17 Ubz.
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titionsfreiheit und das Wahlrecht sind Bestandteile der politischen Freiheit, und in den Kämpfen um ihre Erringung hat die Arbeiterschaft gelernt, vom politischen Recht Gebrauch zu machen. Die Behauptung der Freiheit ist auch darum für uns wertvollste Aufgabe, weil wir glauben, daß nur in der Freiheit der Aufstieg zur Persönlichkeit möglich ist, und innerhalb der Gemeinschaft die geistige Eigenart des einzelnen sich herausbilden kann. Nur durch den Aufstieg des einzelnen wird der Aufstieg der Gesamtklasse möglich.
Der Kreisverein Friedrichshain der Partei hat gestern im| für den Verlust der Freiheit sein. Die Errungenschaft- der- Roa großen Saalbau Friedrichshain eine machtvolle Wahlfundgebung abgehalten. Sie war so stark besucht, daß der Saal abgesperrt werden mußte. Das Referat hatte Genosse Hilferding übernommen. Genosse Hilferding führte in einstündigem Vortrage aus: Die Wahlen am 20. Mai bedeuten für die Sozialdemokratie nicht allein die Möglichkeit, den Bürger.blod zu sprengen und seine Wiederfehr unmöglich zu machen. Der 20. Mai soll der Sozialdemokratie mehr macht bringen. Mehr Macht, um das Schicksal des Proletariats meistern zu können. Mehr Macht, um zur politischen Freiheit die wirtschaftliche Freiheit bringen zu können. Große Fragen, wie die des Acht stundentages und der Löhne sind nur dann zu lösen, wenn die Sozialdemokratie in den Parlamenten start genug ist, um jede Verschlechterung dieser Gesetzgebung zu verhindern und sie die Macht in der Hand hat, bei der Gestaltung der Löhne maßgeblichen Einfluß zu nehmen. Ueber den Weg der Politik muß die Wirtschaft beeinflußt werden. Große Industriekreise, wie die Kali- und Rohlenindustrie, fönnen heute ihre Preise nicht willkürlich ändern. Der Reichswirtschaftsminister hat das Betorecht und kann die Preiserhöhung verhindern. Schon dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es für die organische Entwicklung der Wirtschaft ist, welche Parteien im Barlament die Macht haben. Ein bürgerlicher Minister tann alles verteuern und ein sozialdemokratischer hat die Möglichkeit, durch fein Beto eine erhöhte Preisgestaltung zu verhindern.
Im Reichstag hat in einer der letzten Sizungen der Landwirt schaftsminister Schiele mir vorgehalten, wir hätten bei der AnerPennung des Privatbesizes der Landwirtschaft ein Brinzip geopfert. Herr Schiele fennt die Entwicklung des Kapitalismus nicht. Erst der Bürgerkrieg in Amerika hat die Sklaverei beseitigt, erst die Macht der Gewerkschaften hat die Gesetzgebung beeinflußt, die Ausbeutung der Arbeitskraft gefeßlich zu beschränken.
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Genau wie die Ausbeutung der Arbeitskraft geseklichen Beschränkungen unterliegt, so wird auch eines Tages das Bejitprivileg vom demokratischen Staat fontrolliert werden!
Dos Machtmittel des demokratischen Staates allein kann die Ausmüchse des Kapitalismus bändigen, aber auch nur dann, wenn die Demokratie von den Massen der Arbeiter getragen wird. Die Demokratie ist das Mittel, mit Hilfe des Staates auf die Geftaltung der Wirtschaft Einfluß zu nehmen.
Der Wert der Demokratie liegt in der politischen Freiheit. Um diese politische Freiheit haben die Arbeiter Jahrzehnte gefämpft. In Rußland würde selbst, wenn der russische Arbeiter beffer lebte, als der deutsche , was nicht der Fall ist, diese Besserstellung fein Entgelt
Auch in den bürgerlichen Parteien sind in den letzten Jahren die Spannungen zwischen Unternehmer und Arbeiter gewachsen.
In den Unternehmerverbänden sind die christlichen und evangelischen Unternehmer organisiert. Barum ger splittern die christlichen Gewerkschaften die Kampffraft der Arbeiterschaft? Diese Frage werden mir immer wieder den christlichen Arbeitern vorlegen und wir sind gewiß, daß sie eines Tages einsehen werden, daß sie sich in unsere Fronten einreihen müssen!
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Der neue Reichstag hat ein großes Arbeitsfeld vor sich. Die Erledigung dieses Programms wird davon abhängen, wie das deutsche Volk diesen Reichstag zusammenseßt. So viel ist gewiß: Die Räumung des Rheinlandes, die Milderung des Dames Plans ist nur möglich, wenn die Deutsch nationalen nicht in der Regierung figen. Bon dem Ausfall der Bahlen in den anderen Ländern wird es, abhängen, ob die internationale Zusammenarbeit der Demokratien zur Sicherung des Friedens und der Abrüftung möglich wird. Um ein Stüd mehr macht geht der Wahlkampf, mehr. Macht, um die Wirtschaft zu beeinflussen und die soziale Gefeßgebung im Interesse der Arbeiterschaft umzugestalten.( Stürmischer Beifall.)
Nach ihm nahm die Genossin Bohm Schuch das Wort, um die letzten Taten des Reichstages fritisch zu beleuchten. An Hand eines ausgezeichneten Zahlenmaterials fonnte Genoffin Bohm- Schuch nachweisen, daß der Bürgerblod alle Geseze für die Arbeiterschaft dem neuen Reichstag überlassen hat. Mit den Worten: „ Wir wollen sie schaffen, wir wollen den Rentnern, Liquidationsgeschädigten, den Frauen und der Jugend helfen, wenn uns die arbeitende Bevölkerung die Macht gibt!" schloß die Genossin Bohm- Schuch unter stürmischem Beifall ihre Ausführungen.
Dann wurde der Wahlfilm der Sozialdemokratischen Partei vor geführt und zum Abschluß feuerte Genoffe Künstler die Arbeiter an, alles für den Sieg der Sozialdemokratie zu tun..
Beim Pariser Pariser Nordbahnhof ereignete fich am Mittwoch, dem 11. April, mittags gegen 1 Uhr, zwischen der Brücke von Soudeau- Bille und der Marcadef- Brücke ein schweres Eisenbahnunglüd. Ein Zug fuhr nach Chantilly , ein anderer kam leer zurüd, um Fahrgäste nach dem Rennplatz Enghien aufzunehmen. Offenbar infolge falscher Weichenstellung fuhren die beiden Züge derari scharf auseinander, daß die beiden Lokomotiven aufrecht standen. Die beiden Wagen 1. und 2. Klaffe haben sich auf eine Länge von 5 Metern ineinandergeschoben. Die Reisenden, die nicht sofort tot waren, wurden schwer verletzt und konnten nur mit Mühe aus den Trümmern befreit werden.
Die Totenliste stellt sich bisher wie folgt: 5 Leichname wurden unter den Trümmern der Wagen hervorgezogen, 5 weifere Personen starben auf dem Transport zum Krankenhaus. 6 Verwundete sind inzwischen in den Hospitälern ihren Berletzungen erlegen. Demnach find bisher 16 Tofe festgestellt. Nach einer weiteren meldung sollen es aber 20 Tote sein. Die Verantwortlichkeit für das Unglüd steht noch nicht feft. Man ist jedoch der Ansicht, daß es auf falsche Weichenstellung zurückzuführen ist. Dem Führer des aus Paris abgehenden Zuges wird zum Vorwurf gemacht, daß er die falsche Weichenstellung nicht recht. zeitig bemerkt habe. Die Zahl der Schwerverletten mird offiziell mit 19 angegeben, nach dem„ Soir" beträgt sie 33. Der Führer des von Pierrefifte kommenden Juges ift in Haft
teile und Eisenstüde bededen den Boden. Unter den Trümmern der buchstäblich zersplitterten Wagen ist das Stöhnen von noch nicht geborgenen Berlegten zu hören. Das von allen Bahnhöfen herbeigeeilte Hilfspersonal und die Feuerwehr bemühen fich, die Reffungsarbeiten zu beschleunigen. Die Zahl der Verletzten übersteigt bereits 40. Man befürchtet jedoch, daß sich unter den Trümmern noch zahlreiche Tote befinden. Einer jungen Mutter, die mit ihren zwei Kindern reiffe, wurden beide Beine aus dem Leibe gerissen.
Der Wunsch des Kaisers.
Wilhelm und Bethmann Hollweg , Schorlemer und Hugen berg suchen Geld für Scherl .
Man schreibt uns:
Ein Freund und Parteigenosse Hugenbergs, der deutschnationale ordentliche Professor der Staatswissenschaften an der Universität in Berlin Ludwig Bernhard berichtet in einer foeben erschienenen Broschüre Der Hugenbergfonzern"( Berlag von Juilus Springer, Berlin ) über den Aufstieg und das Lebensmerk des Geheimen Finanzrats Alfred Hugenberg , den er im Jahre 1904 als Profeffor an der Akademie in Bosen kennen lernte. Die Broschüre ist vermutlich gedruckt worden, bevor dem Herrn Brofessor Bernhard bekannt wurde, daß das Preußische Ministerium des Innern gegenwärtig damit beschäftigt ist, festzustellen, wieviel Millionen aus preußischen Staatsmitteln in der Zeit von 1914 bis 1917 für die Ausbezahlung des Herrn August Scherl und für die Sanierung der G. m. b. H. Auguft Scherl auf dem Wege durch die Preußenlasse in die Kassen des Hugenberg- Konzerns geflossen sind. Da sowohl in der Preußenkasse wie im Ministerium des Innern vor und während des Krieges die eigenartige Angelegenheit sehr geheimnisvoll behandelt wurde und die Aften teilweise vernichtet worden sind, so war es sehr schmer zu sagen, welcher Minister sich zuerst um die Sanierung der G. m. b. H. August Scherl bemüht hatte.
Nach Ludwig Bernhards Darstellung gab August Scherl durch einen Vertreter zu Beginn des Jahres 1913 dem Reichstanzler von Bethmann Hollweg davon Kenntnis, daß er entschlossen sei, 8 Millionen Marf Stammanteile der G. m. b. S. Auguft Scherl zu verkaufen. Zugleich erwähnte der Bertreter August Scherls die Tatsache, daß Rudolf Moffe für die 8 Millionen Mark Scherl'sche Stammanteile 111 Millionen Mark geboten habe, während Scherl diese Anteile Freunden der Regierung zum Preise von nur 10 Millionen Mart anbiete. Dies Angebot müsse aber spätestens am 30. Juli 1913 afzeptiert sein. Die un mittelbare Folge dieses Angebots war. daß der Reichsfanzler von Bethmann Hollmeg persönlich mit einigen Herren, die wegen ihres Reichtums bekannt waren, in Verbindung trat. Ueber das Ergebnis melden die Aften leider sagt Professor Bernhard nicht welche Akten- lafonisch: ,, Mehrmonatige Verhandlungen des Herrn Reichstanzlers mit wohlhabenden Herren hatten feinen Erfolg." Mitte Jun 1913, furz vor Ablauf der von Auguſt Scherl gestellten Frist gab der Reichskanzler seine Bemühungen als aussichtslos auf und bat den Landwirtfchaftsminister Freiherrn von Schorlemer, noch einen Versuch zu unternehmen. Schorlemer erlangte zunächst von August Scherl eine Berlängerung der Frist bis zum 1. Oftober 1913, freilich nur unter der Bedingung, daß bereits am 28. Juli 1913 1 500 000 Mark gezahlt würden, die, falls der Vertrag nicht spätestens am 1. Oktober 1913 geschlossen sei, zurückgezahlt werden würden.
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Wahrscheinlich gelang es dem Freiherrn von Schorlemer, das Interesse des Kaisers für die Auszahlung des Herrn August Scherl zu erwecken. An hoher und allerhöchster Stelle" sah man nunmehr nach der Darstellung Bernhards das Gespenst einer Beherrschung der Berliner Presse durch Mosse Ilstein" aufsteigen, man sprach von der jüdischen Gefahr". Zur Befämpfung der jüdischen Gefahr" fand der Kaiser per fönlich die geeignetsten Personen, nämlich den Freiherrn Simon Alfred von Oppenheim in Firma Sal. Oppenheim jun.& Co in Köln und den Geheimen Kommerzienrat Louis Hagen in Köln , die beide Mitinhaber Hagen brachten nach der Darstellung Bernhards einen Kreis des Bankgeschäfts A. Levy in Köln sind. Oppenheim und von Leuten zusammen, die fein anderes Band miteinander hatten, als die Tatsache, daß sie alle wohlhabend und alle von dem Ehrgeiz beseelt waren, zur Erfüllung eines an hoher Stelle gehegten Wunsches beizu tragen. Diese Leute schlossen sich schon am Ende des Jahres 1913 zu dem Deutschen Verlagsverein in Düsselsondern am 1. Mai 1914 von dem Innenminister und Justiz minister die Rechtsfähigkeit als Berein erhielt.
Der Leiter der Pariser Polizei und die leitenden Persönlich feiten des Eisenbahndienstes haben sich an Ort und Stelle begeben. Alle Züge haben viele Stunden Verspätung, da die Zufahrt zum Bahnhof noch nicht frei gemacht werden konnte. In den frühendorf" zusammen. der niemals ein eingetragener Verein war, bendstunden wurde von der Eisenbahn- Gesellschaft ein Bericht ausgegeben, in dem jedoch nur die Tatsache des Unglücks bekannt. gegeben und nur von sechs Toten gesprochen wird.
Der Donez- Prozeß.
Datum noch unbestimmt.
Mostau, 11. April. ( WTB.- Privattelegramm.) Der Beginn des Prozesses gegen die wegen der Vorgänge im Donezgebiet Angeklagten wird sich verzögern, da die Antlageschrift noch nicht fertiggestellt ist und nach der Sowjetprozeß ordnung zwischen der Aushändigung der Anklagefchrift an die An geklagten und der Eröffnung des Hauptverfahrens eine bestimmte Frift vorgesehen ift. Nähere Mitteilungen über den Prozeßbeginn Die Unglideftelle, an der fich der schwere Zusammenstoß er- find der deutschen Botschaft möglichst nach den ruffischen Oster. eignete, blefet einen furchtbaren Anblid. Menfchliche Körper, Wagenfeiertagen( tommenden Sonntag) in Aussicht gestellt worden.
genommen worden.
Am 28. Juli 1913 zahlte das Bankhaus Oppenheim 1 500 000 Mart an August Scherl . Am 1. Oftober 1913 faufte S. Alfred von Oppenheim 8 Millionen Mart Stammanteile von Herrn August Scherl für 10 Millionen Mark und gab ihm sofort 6 Millionen Mart. Am 5. Februar 1914 legte August Scherl feine Aemter als Geschäftsführer und Vor fizender des Berwaltungsausschusses der August Scherl G. m. b. 5. nieder. Bei seinem offiziellen Zusammenschluß am 25. April 1914 zählte der Deutsche Verlagsverein 59 mohlhabende Herren", die ihre Geschäfte von einem Ausschuß besorgen ließen, in dem Alfred von Oppenheim, Louis Hagen sowie der Borsigende des Aufsichtsrats der Farbwerte vorm. Meifter, Lucius und Brüning. der Rentner Walter nom Rath, Frankfurt a. M., sowie der schlesische Magnat Graf Tiele Windler neben dem