Nr.» 46. Jahrgang Sonntag, 45. April 4S2S
JiecUnee SUndamaekt
Par�s hat fernen.Flohmarkt', Zlinsterdam die Ioden-Drec. ftraat, die großen Sammelplätze all der invaliden und ausgestoßenen Dinge, die doch irgendwie begehrenswert werden— Berlin Hot sein« Brockensammlunz, draußen, im Hause der.Schrippenkirche". Wir Norddeutschen sind nüchterne, ordentliche Leute, nur auf dem Bodm Berlins war dieser Gedanke der Brockensammlung möglich, nur aus dem Stöcksr-Äreis konnte er hervorgehen: die Brocken,.die von der Herren Asche fallen', sollen freilich die Zlrmen speisen, aber—„wer »licht aichettet, soll auch nicht essen'. Und man kann wirklich allen 'Rcspeji haben vor der Konsequenz mit der dieser Gedanke hier in der.sB rocke' durchgeführt wiicku Di«„Brockensanrmlung' wurde im Jahr« 188? gegründet und ist ein Unternehmen des Vereins.D i e n st o n Arbeitslosen". Sie ist der inneren Mission angeschlossen. Noch heut« ist sie ein beacht- liches Unternehm««: Das Heim hat 6Z Betten, neben diesen 65 Ob. dachlosen arbeiten hier noch ein« ganze Anzahl richtig bezahlter Ar- bciter sowie die vorübergehend eingestellten Arbeiter, die sich nur ein altes Kleidungsstück erarbeiten wollen. Ungefähr 14W> M. werden allein für Löhne allwöchentlich rxrausgabt, stellen Fuhrwerke und ein Auto sind ständig unterwegs für die„Brocke", 1500 bis 2000 Mark werden wöchentlich aus den geschenkten Sachen vereinnahnü. Das Warenhaus des Elends. Awei Etagen des Sestenslügels werden von den Verkaufsräumen eingeiionunen. Alles, alles, außer Männcrkleidung ist hier zu haben: Möbel und Bücher und Bilder, Frauenkleider, Kinderspielzeug, Ge- schirr... was landet nicht alles in der„Brocke"! Und von den ersten Morgenstunden bis zum Schluß der Verkausszeit drängt sich hier «»'S Publikum, viele darunter sind astbekannte Stammgäste, die fast ihren gesamten Bedarf aus dieser Quellc decken. Zuerst kommt man zu de» Bücherllschen. Lieber Gott, da liegt doch wahrhastig unsere ganze„herrliche, große Zeit", der ER uns so glorreich entgegenge- führt hat. Nebenan ist die Sunstabteilung, friedlich stehen hier r nebeneinander die Bücher von Alfred Krupp , von Luther , Schiller, Franz Iosek und unseren überstanden«» Majestäten. Dann aber lammt die Möbclabteilung. Hier gibt es Sofas und Schränke, alles
wirklich recht preiswert, ein gutes, brestes Sofa kostet nur 10 M.. und Bettstellen kann man schon von 2 M. aufwärts haben. Hier kann nran ebensogut ein Zimmerklosett wie eine Wäscherolle kaufen. Mehr Betrieb ist noch in der anderen Etage. Hier gibt es Wirk- schastsgegcvslände, Schuhe und Frauenkleider und erbittert wird hier um manchen„Gelegenheitskauf" gekämpft. Da kauft sich eine aste Frau zwei schwarze Röcke, das Stück kostet 50 Pf., und ein halb» wüchsiger Junge zieht strahlend mit einein Paar Halbschuhen ab: 30 Pf. hoben sie getostet,„und wenn ick se mir putze, sind det noch een Paar schicke Sportschuhe für.n Sonntach!" Außerdem aber schmiedet«r noch mit der Abteilungsleiterm ein Komplott: sie soll eine Fußballhülle.bloß bis nächsten Freitach" recht weit weg buddeln,„damst mir kcen anderer rankommt, ick hol se mir Freitach bestimmt!" Am schlimmsten ist es in der konsektionsabieilung. Wenn die Verkäuferin die alten Kleider ausbreitet, schlägt ein atem- raubender Geruch empor: Seins dieser Stücke wurde gewaschen oder auf andere Art desinsiziert, man denkt mit«schrecken daran, welches Bastllen paradics dieses Lager schmutziger, durchschwitztet Sachen dar- stellt. Die andere Seite. Der Herr Direktor hat alles gezeigt: die Verkaufsräume, die Werkstätten und die Säle des Heims, und er hatte wiederhost ver. sichert, daß man weder kleinlich noch engherzig sei, der Berein wolle ja nur den Armen helfen. Das heim stche jedem Obdachlosen für 14 Tage offen, freilich müsse dafür gearbeitet werden, aber es seien viele leichtere Arbeiten zu verrichten-, nicht einmal die Teilnahme am Gottesdienst fei obligatorisch, und trotzdem es eigentlich ein Ivan. gclisches Heim sei, gehörten oft ein Drittel der Insassen der katholi- sche» Religion an. Alles schien in schönster Ordnung. Aber:„Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede"... und an einem der näch- sten Tage war unter den Arbeitsuchenden, die an jedem Morgen die Tür des Heims belagern, ein junger Mann, der sich die Brocken» jammlung einmal von der anderen Seite ansehen sollt«. Er mag seine Schicksale erzählen. „Es ist kurz vor 8 Uhr. Schon stehen neben mir vor der Tür der Brockensammlung ein reichliches Dutzend Leidensgefährten, Ar- beitslose, die alle hoffen, hier Obdach oder Kleidung«rarbesten zu können. Endlich wird uns geöffnet. Frierend schiebt sich die kleine Herde Elend in den düsteren, unfreundlichen Raum. Schmale, lehnen-
Menschen, Göttern gleich... esj Nomon von yerbert George Wells . So hatte Lychnis in der Hingabe ihres Lebens an den Kummer keinen Verbündeten gefunden, sogar von feiten Varnstaples konnte sie keine Sympathie gewinnen. Er fand, daß er, soweit es das Temperament anbelangt, ein besserer Ulope sei, als sie. Ihm sowohl, als auch Utopien schien es eher ein Anlaß zur Freude als zur Trauer zu sein, daß ihr Mann und ihre Kinder furchtlos dem Tode begegnet waren. Sie waren tot, ein edler, mutiger Tod: die Wasser glitzerten noch und die Sonne schien noch. Aber ihr Verlust hatte einen in ihrem Unterbewußtsein schlummernden Rassenfehler aus- geweckt, was seit uralten Zeiten in der Art lag, etwas, das Utopien nur sehr allmählich ausrottete, die düstere, religiöse Neigung, sich vor den Schatten zu beugen und Rücksicht auf sie zu nehmen. Es war merkwürdig und war doch vielleicht unvermeidlich, daß Barnstaple in Utopien wieder den Geist antreffen sollte, den die Erde so gut kennt, den Geist, der sich vom Himmelreich abwendet, um die Dornen und Nägel an- zubeten, der seine Wonne darin findet, seinen Gott nicht als die Auferstehung und das Leben, sondern als einen schmerzens- reichen und entstellten Körper darzustellen. Sie sprach mit ihm von seinen Söhnen, als ob sie ihn beneide, da sie ihre eigenen Söhne verloren hatte. Alles, was sie sagte, erinnerte ihn an die erzieherischen Nachteile und beengten Aussichten seiner Jungen und um wieviel kräftiger, schöner und glücklicher sich ihr Leben in Utopien gestaltet hätte. Er hätte es unternommen, sie ein dutzendmol zu ertränken, um sie davor zu bewahren, anderer Leute An- gestellte und Bedienstete zu werden. Er fühlte jetzt, daß er sogar vom irdischen Standpunkt aus nicht das Beste für sie getan hafte. Er hatte viele Dinge in ihrem Leben, in seinem und im Leben seiner Frau durchgehen lassen, bei denen er. wie er setzt fühlte, hätte eingreifen müssen. Wenn er es noch einmal konnte, würde er bestimmt darauf sehen, daß seine Söhne ein lebendigeres Interesse an Pouttk und Wissenschaft r. ihmen und sich nicht so vollständig in die Oberflächlichkeit des Vorstadtlebens verstrickten, in Te..nisspiel, Dilettanten- theater, ungesunde Flirts und ähnliches. Sie waren im Grunde genommen gute Jungen, fühlte er. aber er hatte sie ihrer Mutter überlassen: und ihre Mutter hatte er zuviel sich selbst überlassen, anstatt mit Ibr gemeinsam für das Gelingen seiner eigenen Ideen zu kämpfen. Sie führten ein eintöniges Leben im Schatten einer einzigen großen Katastrophe, m j finer West. Ul der einer vor dem anderen nicht sicher war. I
sie lebten in einer Welt voll nutzloser Vergeudung und schäbiger Unzulänglichkeit. Und auch sein Leben war— nutzlose Vergeudung gewesen. Sein Leben in Sydenham begann ihn zu beschäftigen. „Ich kritisiere alles, aber ich ändere nichts." sagte er.„Ich war ebenso schlecht wie Peeve. War ich in jener Welt irgend- wie nützlicher als in dieser? Aber auf Erden sind wir alle Taugenichtse..." Er mied Lychnis ein oder zwei Tage und wanderte allein im Tal umher. Er kam in einen großen Lesesaal und blätterte in Büchern, die er nicht lesen konnte; der Aufenthalt in einer Werkstatt wurde ihm gestattet und er iah zu, wie ein Künstler ein nacktes Mädchen aus Gold verfertigte, lieb- licher als irgendeine irdische Stutuette, und wie e" sie un- zufrieden wieder einschmolz. Aw einer Stelle traf er auf Menschen, die Gebäude errichteten, an einer anderen wurde auf den Feldern gearbeitet und dort war ein großer Schacht im Berghang und eine tiefe Höhlung im Berg, in der es blitzte und merkwürdig funkelte; man wollte ihn dort nicht hineinlassen: er sah tausend Dinge, die er nicht verstand. Er fühlte sich allmählich so, wie sich vielleicht manchmal ein sehr kluger Hund in der Welt der Menschen fühlt, nur daß er keinen Herrn hatte und keine Instinkte, die in hündischer Unter- würfigkeit einen Trost finden konnten. Die Utopen gingen tagsüber ihren Geschäften nach, gingen lächelnd an ihm vor- über und erfüllten ihn mit unerträglichem Neid. Sie wußten, was sie zu tun hatten, sie gehörten dazu. Sie gingen zu zweit und zu dritt am Abend vorüber, einander verstehend und manchmal singend. Liebespaare wandelten vorbei, die boldseligen Gesichter dicht beieinander, und seine Einsamkeit wurde zu einer Seelenpein hoffnungsloser Wünsche. Denn, obwohl Mr. Barnstaple heftig ankämpfte, es unter der Schwelle des Bewußtseins zu hallen, wünschte er doch sehr, in Utopien zu lieben und geliebt zu werden. Das Be- wußtsein, daß keiner dieser Lbute jemals an eine solche körperliche oder geistige Vertraulichkeit mit ihm denken konnte, war für ihn eine noch tiefer greifende Erniedrigung, als seine Nutzlosigkeit. Die Lieblichkeft der utopischen Mädchen und Frau, die ihn neugierig anblickten oder mit heiterer Unbekümmertheit an ihm vorübergingen, vernichtete seine Selbstachtung und machte die utopische Well für ihn ganz unerträglich. Stumm und unbewußt ließen diese utopischen Göttinnen ihn die Erniedrigung seiner Kasten- und Rassen- Minderwertigkeit aufs äußerste fühlen. Er konnte seine Ge- danken nichl von der Liebe abwenden, da jeder anscheinend einen Liebespartner hatte, aber für ihn war in dieser i utopischen Well die Liebe eine groteske und unmögliche I Sache...___,___
lose Bänke, davor«ine Art Katheder, an der Wand eine Tafel, auf der eine ländliche Arbettsstelle ausgeschrieben ist. Einzeln müssen die Neulinge vortreten, um ihre Wünsche anzugeben und einen pein- lich genauen Personalbogen ausfüllen. Die erst« Enttäuschung: Wer ins Heim will, muß sich nicht nur zur Arbeit bereit erklären, sondern muß sich auch gleich verpflichten, das Heim nicht vor dem Ablauf von 14 Tagen zu verlassen. Für den Aufenthalt im heim«»erdea IS Al. in der Woche als Naturallohn angerechnet. Ob man dann noch einige Groschen bar erhält, hängt von der Art der zugewiesen e» Arbeit und ihrer Ausführung ab. Trotzdem bitte ich um Aufnahm« in das Heim; aber— ich habe leichtsinnigerweise die Frage nach meiner Religion auf dem Melde, zettel mit dem Wort„Dissident" beantwortet. Als ich darum in das Nebenkabinett zu den eigentliche' Berhandlungen gerufen werde, sst dort die erste Frage:„Sie sind Disstoent? Aus liebe rzeugung? Da werden Sie sich doch bei uns «cht wohl fühlen." Auf mein« bescheidene Bemerkung, ich kenn« ja das Heim noch nicht und darum könne man das doch nicht ohne wetteres behaupten, werde ich belehrt:„Ja, Sie müßten sich doch der Hausordnung fügen: und der Gottesdienst gehört zur Hausordauag." Und richtig, weil ich nicht am Gottesdienst teilnehmen will, werde ich von der Benutzung des Heims ausgeschlossen, trotzdem sehr m» Heimgäste geworben wird und trotzdem sich keiner meiner Leid«». gesährten dazu berett findet, sich für 14 Tage zu einer Arbett ohne jeden Barlohn zu oerpflichten..Det i» bloß für solche, die schon jar nich mehr weiter wissen; wer noch»ich janz zusammenjedrochen i». jibt sich dazu nich her!" meint mein Nachbar. Auch daß ich dreimal wöchentlich zum„Stempeln" gehen muß, scheint ein Hindernis zu fern, denn natürlich nehmen diese Gänge gar zu viel von der Ar- beitszett weg. Schließlich werde ich mit der Amveistmg entlassen,
Lavier Abgelegtes.
daß ich morgen um 8 Uhr wiederkommen solle, dann könne ich mir wenigstens die gewünscht« alle Jacke erarbeiten. Ueb«r all den Ver- Handlungen ist es 10 Uhr geworden; nun werden wir zur Frühstücks- fuppe g«rusen. Man führt uns in ein anderes, ebenso unfreundliches Zimmer, von dessen grauen Wänden Bibelsprüche zur Zufriedenheit und zu Gottoertrauen ermahnen. Ein gerade nicht sehr sauberer Koch setzt uns ein« unsagbar graubraune Brühe vor. Am nächsten Morgen stehe ich wieder vor der Tür. Diesmal geht die Anmeldung schneller vonstatten, schon um neun bin ich zur
Als er eines nachts wach dalag, über alle Maßen durch solche Gedanken bedrückt, kam ihm eine Idee, wie er vielleicht seine Selbstachtung wieder herstellen und eine Art Bürger- recht in Utopien erwerben könnte. Man würde sogar von ihm sprechen und sich mit Inter- esse und Mitgefühl seiner erinnern. Der Dienst des tkrdllngs. 1. Der Mann, an den sich Mr. Barnstaple nach entsprechen- den Erkundigungen wandte, um mit ihm zu sprechen, hieß Chryseos. Wahrscheinlich war er sehr all: denn über seinen Augen und den freien Brauen hatte er Alterslinien. Er war ein rüstiger Mann mit einem goldbraunen Bart, untermischt mit weißen Strähnen, und hatte braune, bewegliche Augen unter den buschigen Augenbrauen. Sein Haar war nur ein wenig schütter geworden und legte sich wie eine Mähne nach hinten, aber die kupferrote Farbe war verblaßt. Er saß an einem mit Papieren bedeckten Tisch und machte handschriftlich Notizen. Er lächelte Mr. Barnstaple zu; denn er hatte ihn erwartet und wies. ihm mit seiner kräftigen, sommersprossigen Hand einen Sitz an. Dann wartete er lächelnd, daß Mr. Barnstaple beginnen solle. „Diese Welt ist ein einziger Triumph der in den Menschen schlummernden Sehnsucht nach Ordnung und Schönheit," sagte Mr. Barnstaple.„Aber sie wird eine nutzlose Seele nicht auf sich dulden. Jeder ist glücklich tätig. Jeder, außer mir.... Ich gehöre nirgends hin. Ich habe nichts zu tun. Und niemand— hat eine Beziehung zu mir." Chryseos wandte leicht den Kopf, um zu zeigen, daß er oerstehe. „Es ist schwer für einen Erdling, mst dem irdischen Mangel an Erziehung hier irgendeinen Platz auszufüllen. Sei es in gewöhnlicher Arbeit oder in den üblichen mensch* lichen Beziehungen. Man ist— ein Fremder.... Aber noch schwerer ist es, überhaupt keinen Platz zu haben. Es ist mir eingefallen, daß ich bei dem neuen Werk, von. dem Sie, wie mir erzähll wurde, am meisten von allen verstehen und dessen Mittelpunkt und Leiter Sie sind, irgendwie nütz- lich sein könnte, sc gut wie ein Utope.... Wenn es so ist, möchte ich mich nützlich machen. Vielleicht können Sie gerade jemanden brauchen, der den Tod wagt— die Gefahr auf sich nimmt, an einen unbekannten Ort zu gehen— jemanden, der Utopien zu dienen verlangt— der weder Geschicklichkeit noch Kenntnisse besitzen— oder schön und gewandt sein muß?" Mr. Barnstaple brach kurz ab. � _________________(Forchtzuog Jotttt) j