Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Sonnabend, 21. April 1928

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Die Pressa in Köln   beginnt.

Erste Weltausstellung Deutschlands   nach dem Kriege.

1. Eine Ausstellungsstadt in Köln  .

An den Linien der großen Eisenbahnstrecken, an den Plakat­säulen der deutschen   Städte ist seit einigen Monaten ein seltsames Beichen sichtbar geworden. Ein rundes Auge: es ist das Auge der Welt", das die große Internationale Presseausstellung in Köln  , kurz Pressa" genannt, symbolisieren soll. Fieberhaft wird an der Fertig: Stellung gearbeitet; soll doch die feierliche Eröffnung am 12. Mai

a7.

Die St. Heribert- Kapelle,

21

Krommer  

die einen Teil der kulturhistorischen Schau enthält. erfolgen. Auf der rechten Rheinseite Kölns  , der Altstadt mit den von Heinrich Heine   befurgenen hundert Kapellen und Kirchen" gegenüber, ist eine Ausstellungsstadt entstanden. In einer Front­linie von 5 Kilometern reiht sich Gebäude an Gebäude in fühn hoch­strebender Architektur, deren Schöpfer der städtische Baudirettor Abel ist.

Die alte Kürassiertaserne, in deren Kasematten Auguſt Bebel   geboren wurde, wurde zur Aufnahme der großen fultar geschichtlichen Schau der Prejja vollkommen umgestaltet. Die großen Messehallen jenseits der Dombrücke haben einen Mantel mit Lauben­gängen erhalten, und über ihrem mächtigen Quadrat thront gewaltig ein 85 Meter hoher Turm. Ein großer Rundbau, das Staaten­haus, ist für die ausländischen Aussteller bestimmt. Auf dem meiten Freigelände fiehen die zahlreichen Sondergebäude der großen Verlage und Maschinenfirmen, der weltenschaulichen Richtungen der übliche Vergnügungspark mit einem internationalen Beindorf" mit den vielfältigen Ueberraschungen, womit, allerdings unfrei. millig, die Bressa die Kehrseite tapitalistisch bürgerlicher Kultur" demonstriert.

2. Was will die Pressa?

"

Man war voller Stepsis, als der Gedanke der internationalen Preffaausstellung zuerst auftauchte. Ohne Zweifel besigt sie einen start papiernen Beigeschmad. Man dachte zuerst an eine große Zei tungssichau, die aber weder eine starke Birkung in die Ferne, noch einen Massenbesuch glauben machen tonnte. Um bloße Zeitung" geht es aber dieser Ausstellung nicht. Sie will vielmehr das mensch­liche Werden, die kulturelle und soziale Berbunden­heit, die Kämpfe um den Fortschritt, das Ringen um neue geistige und politische Gestaltung im tausendfältigen Spiegel des geschriebenen, gedrudten und verbrei teten Wortes zur Anschauung bringen. Mit den Mitteln ihrer Zeit haben Nachricht und Sdrift Jeweilig die menschliche Entwick­lung begleitet, große geschichtliche Entscheidungen oft überhaupt erit

fruchtbar gemacht.

In den fünf Monaten der Pressa werden gewaltige Menschen­mengen nach Röln fommen; mehr als 200 Kongresse sind angesagt. Man darf sich nicht darüber täuschen: der Hauptantreiber dieses ge­waltigen Betriebs ist der Kapitalismus, der in seiner Presse eins seiner stärksten Macht- und Kampfmittel besigt. Die Arbeiterschaft hat sich indes immer zu der Methode bekannt, vom Gegner zu lernen. Die ungeheure Entfaltung des bürgerlichen Pressewesens

eine Darstellung der Kämpfe zwischen Zensur und Presse, an der sich| teilung unter eigener Verantwortung schaffen und erhalten müssen alle Ministerien beteiligen. Es gibt Sonderausstellungen über " Frauen und Presse"," Kunst und Presse"," Karrikatur in der Presse". Die weltanschaulichen Gruppen fommen in großen Sonder: gebäuden und geben wertvolle Rechenschaft, so der Katholizismus, der Protestantismus  , das Judentum im Bilde ihrer Presse mit den Mitteln von Kunst und Kunstgewerbe. Auf dem Freigelände steht endlich das große, bereits erwähnte Haus der Arbeiter presse", das nicht nur das sozialdemokratische und gewerkschaft­liche Bresseleben verdeutlichen, sondern auch eine unmittelbare An schauung von den Kämpfen der Arbeiterschaft um ihren politischen und sozialen Aufstieg in höchft lebendiger Form geben soll. Sehr aufschlußreich wird die Schau des Buchgewerbevereins über Buch­gewerbe und Graphit werden, die in einer Gruppe Europäische Buchkunst der Gegenwart" gipfelt. Die große Zeit­schriftenschau will endlich die ungeheure Bielfalt des Zeit­schriftenwesens zeigen, das fein Gebiet menschlichen Wirkens bis hin­unter zum letzten Fachblatt unberührt läßt.

-

4. Die ganze Welt kommt!

Man hat um die Teilnahme aller Länder der Welt ge­worben mit Erfolg! Es erscheinen: Frankreich  , England, Dester­reich, Portugal  , Belgien  , Holland  , Schweiz  , Spanien   mit Süd­ amerika  , die Bereinigten Staaten, Japan  , China   und auch Sowjet­rußland mit betonter propagandistischer Absicht. Alle Länder wer­den im Wettbewerb ihre nationale, tulturelle und technisch- organi­fatorische Eigenart zeigen. Auch der Völkerbund   stellt in Berbin­dung mit dem Institut die geistige Zusammenarbeit in Paris   aus. Man verspricht sich von dieser internationalen Schau eine wert= volle Bekräftigung der wachsenden Solidarität unter den Völkern. Wurden doch die Ströme von Haß und Kriegsheze und die Vergiftungen des Nationalismus vor allem durch die Kanäle der Bresse zu den Menschen hingelenkt. Das Beispiel der Pressa fann Wunden heilen und neue Verbundenheiten ge­winnen.

5. Lohnt sich der Aufwand?

Diese Ausstellung tostet zahlreiche Millionen. Ihre Trägerin ist die Stadt Köln  , die auch die Hauptlasten übernehmen muß. Dazu kommen die Unkosten für die Aussteller selber, die ihre Ab

Eingang zum Staatenhaus.

mit seiner dauernden Willensbeeinflussung ist für sie eine unaufhör­liche Mahnung und ein dauernder Ansporn.

Wir müssen mit dem Willen unserer Gesinnung, mit den Zielen einer sozialen und fulturellen Neuordnung dauernd gegen die Welt des Gewinns aufs heftigste ringen. Diesen harten 3wang prägt uns die Pressa ein, und darum besitzt sie das Interesse der sozialistischen  Menschen. gb.

WAS DER TAG BRINGT.

Sonst ein anständiger Mensch...

Manchmal stößt man in dieser noch so sehr unvollkommenen Republit auf guterhaltene amtliche Exemplare aus der Fossilien­fammlung Wilhelms des Seligen. Die reden und bewegen sich dann genau so, als ob vor rund 10 Jahren nicht das Mindeste vorgefallen wäre. Die Revolution hat diese Leute nicht im geringsten aus der Fasson gebracht, sie haben noch die alte Nachtwächter persepttive und sehen, gottesfürchtig und glüdlich beschränkt, in jedem Sozialisten so etwas wie einen Zuchthäusler. Da trat

jüngst in irgendeinen Prozeß in Leipzig   ein Oberlandjäger Küster als 3euge auf Küfter sollte über den Leumund des An­geklagten aussagen. Mit strahlender Miene sagte er folgendes: ,, Der Angeklagte gehörte dem Arbeitergesangverein an und be­suchte regelmäßig die Singstunden sonst ist er ein an: ständiger Mensch!" Herr Stüfter ist ein braver Mensch! ständiger Mensch!" Herr Küster ist ein braver Mensch! Man sollte ihn für ein historisches Museum erwerben. Für

-

praktischen Polizeidienst scheint er jedoch nicht ganz geeignet zu sein. praktischen Polizeidienst scheint er jedoch nicht ganz geeignet zu sein. Lehrer, Schüler und Höllermaschine.

Eine Höllenmaschine dem Lehrer ins Haus zu schicken, weil er einen Schüler schifaniert, ist schon ein starkes Stüd. Im Hirn eines empfindsamen, seelisch unausgeglichenen, vielleicht auch phan tastischen und ein wenig frankhaften jungen Menschen entstehen aber manchmal Gedanken, auf die er bei reiflicher Ueberlegung vielleicht nicht gekommen wäre... Mit einem Wort, eines Tages erhielt der Lehrer einer Wiener Oberrealschule ein Postpatet ins Haus geschickt: ein neuer Radioapparat sei es, hieß es im Begleit Schreiben. Dem Lehrer war die Suche nicht ganz geheuer, er ließ das Paket untersuchen. Es war eine Höllenmaschine mit einem Kilo Bulver, genug, um dem Lehrer und seiner Umgebang schwere Berlegungen zuzufügen. Die Polizei entdeckte den Uebeltäter in dem 19jährigen Schüler B. Also hatte er sich wegen gemeingefähr­lichen Gebrauchs von Sprengstoffen und Gefährdung der förper: lichen Sicherheit zu verantworten. Er habe nicht geglaubt, daß dem Gericht; seine Absicht sei es gewesen, seinem Lehrer einen bösen Streich zu spielen: er sollte sich die Hände verbrennen und einige Wochen der Schule fernbleiben. Und weshalb? Weil dieser Lehrer ihn stets vor der ganzen Klasse blamiert und ihn Ejef und Trottel genannt habe. Wann werden es nun die Herren Lehrer endlich verstehen, daß. insbesondere in erzieherischen Dingen, fleine Ur­fachen große Wirkungen haben können... Das Gericht verurteilte B zu sechs Monaten Kerfer. Gegen das Urteil hat der junge Mensch Berufung eingelegt.

Das verdeutlicht sich in der großen kulturgeschichtlichen Abteilung. Sie greift mit den Hilfsmitteln plastischer Model­Terungen auf die Entstehung und Entwicklung alles Nachrichten- und Zeitungswesens zurüd. Die Ereignisse von zwei Jahrtausenden werden in bunten, wechselvollen Szenen lebendig. Die Bolts- und Bandsknechtslieder in Bergomenten und ersten Druden, die ge­jungene Zeitung", die von Schlachten und schauerlichen Begebirgendwelche schlimmen Folgen entstehen würden, so erklärte er nissen Kunde brachte, die Trommelnachrichten der Kulturvölker welch ein Weg bis zur Gegenwart, wo sich der Weg vom Ereignis bis zur Beröffentlichung immer mehr verkürzt! F

Den ganzen Rhythmus von heute macht dann die Ausstellung der modernen Tageszeitung", in Berbindung mit der technisch- maschinellen Entwicklung, Radio, drahtlose Telegraphie und Bildübertragung sichtbar. Reichsbahn und Reichs poft tommen in eigenen Ausstellungen mit in Betrieb gesetzten Modellen. Man versucht auch die Darstellung des inneren Lebens einer mo dernen Redaktion. Dabei wird freilich das Wesentlichyste fehlen müssen, weil es ausstellungstechnisch überhaupt nicht zum Leben erweckt werden fann: der geistige Schaffungsprozeß der Jour nalistit mit feinen inneren Bewegungsvorgängen und Entscheidun­gen, die in der Fieberhaft der Tages ereignisse bald nach der Rich tung der Politik, bald zur Veranschaulichung für den Lesehungrigen Rechnung tragen müssen.

3. Wichtige Sonderausstellungen. Es erscheint die Reichsregierung überaus repräsentativ mit den wichtigsten Verfassungsdokumenben aus der deutschen   Ge­Khichte. Preußens Ausstellung wird besonders interessant durch

Eine Diebesgeschichte wie im Film.

Dem Angestellten emer großen französischen   Juwelierfirma war ein Malheur passiert. Ais er sich für wenige Minuten von seinem | Automobil entfernte, ließ er seine zwei Köfferchen mit Edelsteinen im Werte von 250 000 Frant im Wagen. Im nächsten Augenblic faufte ein Torpedomotorrad heran, bem zwei junge Leute entstiegen. Sie liefen an das Automobil heran, faßten die Köfferchen, und weg waren sie. Zufällig hatte aber der Bewohner eines Nachbar. hauses den 3wischenfall beobachtet und sich auch die Nummer des hauses den Zwischenfall beobachtet und sich auch die Nummer des Torpedorades gemerkt. Die Polizei hatte mit ihren Ermittlungen Erfolg. Der Besitzer des Torpedorodes wurde festgestellt. Es war

dies eine der Polizei bekannte Persönlichkeit. Er war geständig und nannte seinen Helfershelfer. Auch das Torpedorad wurde be= schlagnahmt. Um feine Zeit zu verlieren, benußte es die Polizei, um einen der Diebe in dem Restaurant, in dem er zu speisen pflegte, zu verhaften. Als die Polizeibeamten ihre Aufgabe erfüllt hatten und auf die Straße zurückkehrten, was das Torpedorad verschwun­den. Wie im Film...

Der Mann mit dem entschwundenen Gedächtnis.

erffärte, sich nicht mehr zu entsinnen, wie er heiße und wo er In einem Pariser   Polizeirenier erschien ein junger Mensch und wohne. Er wisse mur, fagte er, daß er des morgens irgendein Haus verlassen habe, daß er eine breite Straße entlang gegangen, sei auf der es wenig Verkehr gegeben habe und... das wäre alles. Bei dem jungen Menschen fand man einen Ausweis für Eisen­bahnfahrten. Aber auch der gehörte ihm nicht. Was hinter der sonderbaren Angelegenheit steckt, ist bis heute nicht bekannt geworden. Die Schuld des Vaters bei Kindesmord.

Die Revisionsinftanz des Obersten Gerichtshofes in Mostau hat foeben die Frage aufgeworfen, ob es nicht richtig wäre, beim Kindesmord sich auch an den Vater des getöteten Kindes zu halten. Trifft denn nicht auch ihn die Schuld, wenn er, die Mutter in hilf­losem Zustande wiffend, nichts dafür getan hat, um ihr über den schwersten Augenblick ihres Lebens hinwegzuhelfen? Trägt er da nicht auch einen Teil der Verantwortung für den Kindesmord? Sollte man ihn nicht zusaminen mit der Mutter strafrechtlich be= langen? Ein Gedante, der zweifelsohne einen richtigen Kern in sich hat, sofern man auf dem Standpunkt steht, daß man moralische Schuld durch Gefängnis fühnen" soll und glaubt, soziale und fulturelle Mißstände durch Strafmaßnahmen lindern oder gar aus der Welt schaffen zu können.

Obgleich die russische Strafgesetzgebung in der Theorie auf deni Standpunkt steht, daß die Girafe nur den Zweck der sozialen Siche­rung gegen gemeingefährliche Individuen hat, ist die Praxis der Berichte jedoch in nichts anderes als sonst in der ganzen Welt: Es wird da gefühnt, vergolten, abgeschreckt. Den Abschreckungszweck verfolgen auch die Strafen, die über die Mütter verhängt werden, die aus Not, Furcht vor den nächsten oder falsche Scham, ihre Neugeborenen töten. Glaubt das Gericht hier strafen zu müssen, so muß es ihm auch tonsequent erscheinen, den Bater strafrechtlich zu belangen. Als erstes ist diese Fragestellung von dem Blatte Die Armut  " aufgeworfen worden. Es wäre abzuwarten, wie der Oberste Gerichtshof   sich dazu stellt.

Jazz als Hausmusik.

Aus Amerika  , der Heimat der Jazzmusit, kommt die Nach­richt, daß dort der Jazz als Hausmusit von Tag zu Tag mehr Anhänger gewinnt. Sarophen zu blasen, ein Banio funstperecht zu bearbeiten, hält die fortschrittliche amerikanische   Jugend heute schon für einen unerläßlichen Bestandteil der sogenannten Bil­dung". Kluge musikalische Fachleute in Amerika   haben sich diese Konjunktur bereits zunuze gemacht und bringen, von feinerlei Regungen eines veralteten europäischen   Kulturgewissens angeträn felt, die musikalischen Klassiter von Mozart bis Wagner in Bea arbeitungen für Jazzftil" ouf den Markt. Dieses Schicksal hat besonders den in Amerika   sehr beliebten Chopin getroffen.

"