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Beilage

Donnerstag, 26. April 1928

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

In der, Légacion de Mexiko".

Der Aufbau eines Arbeiterstaats.

Die Berliner merikanische Gesandtschaft ist keineswegs ein| Prunkbau von der Art der Paläste, die Großmächte" erster Garni­tur um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nach Berlin stellten. Sie liegt ganz verträumt in einer Seitenstraße des Alten Westens" zwischen 300, Tiergarten und Lützowplay und beschränkt sich auf ein schmales Haus mit den üblichen Schnörkeln und villenartigen Ornamenten, das zwischen dem ersten Grün der Linden und Ka­ftanien des Tiergartenviertels ein höchst beschauliches Dasein führt. An der Gartentür zwei Wappenschilder, auf denen ein grim­miger Adler mit großem Behagen eine Schlange verzehrt und der Text Légacion de Merito" sowie Consulado des los Estados Unidos Mericanos". Im Innern bietet sich das typische Bild, das man auf allen Konsulaten immer wieder sieht: die große, mit Del­gemälden, alten Bronzen und Statuetten geschmückte Diele, in der meist ein halbes Hundert Menschen auf ein Baßvisum, eine Aus­tunft oder eine Unterredung zu marten pflegt, und die Zimmer­flucht der fonfularischen Funktionäre, durch die die Boten mit aller Lautlosigkeit hindurchgleiten.

Im übrigen bemerkt man an der ausgesuchten Höflichkeit, mit der vor allem der kleine Mann" behandelt und immer wieder mad Yetnen Wünschen befragt wird, daß hier ein Arbeiterstaat" feine Bertretung aufgeschlagen und ihr seinen Stempel aufge­brudt hat.

Der Empfangsraum.

Der Empfangsraum umschließt ein Stüd Merito für sich. An ber Band eine große Karte:" Mapa general de los estados Mexiconos". Der Legationssekretär, ein dunkelhäutiger Indio mit molligem schwarzen Schädel, fürzt mir die Wartezeit und erklärt in gebrochenem Deutsch das geographische Merito:

Um die Hauptstadt Megiko, die auf einem etwa Sausend Meter hohen Plateau über dem Meere liegt, baut sich das Industriegebiet auf. Puebla- Merito- Queretaro Guanajuato. Am Bergrand gegen den Golf von Merito zu werden eben riesige Wafferkräfte der merikanischen Staatswirtschaft dienstbar gemacht. An der Küfte das große Petroleumgebiet von Tampico . Im Nordosten Minenfelder und Kupferbergwerke. Im Südosten das tropijd, Gebiet von Yucatan . An der Westküste entlang die agra­rischen Provinzen Niederfalifornien, Sinora und Sinaloa ."

Da besigt Ihr Merikaner sozusagen ein reiches Land?" Sicherlich! Megiko ist der wichtigste Metallproduzent der Welt. Der erste Silberlieferant der Erde. Es fördert den dritten Teil der Goldproduktion. Ist der zweite Lieferant der Erde an Blei. Der erste in der Lieferung in Petroleum .

Wir betrachten die Bronzen und Statuetten. Meist indianische Götterbilder mit breiten Mäulern und Ringen an den langen schmalen Ohren. Einer hat zwei mächtige Schwerter in der Hand. Ein anderer Indianergott hat nach indischem Borbild die Beine gefreuzt und schwingt eine mächtige Peitsche über seinem Hunde­fopf.

Aufmerksamkeit.

Augen und verwidelt mich mit wenigen Säßen in ein die Sorgen und Nöte Meritos erschöpfendes Gespräch. Bir reden über Ber. waltungsreform, Verkehrswesen, Einheitsstaat und tommen schließ­lich zum Hauptgrund meines Besuchs, zur merikanischen Kultur­politif.

" Sie scheinen nicht zu wissen, daß der Kampf zwischen Staat und Kirche in Merito sich zu einem Kardinalpunkt des deutschen Wahlkampfes auszuwachsen beginnt."

" So? Zum Teil ist mir das bekannt!" antwortet der Gesandte. ,, Von den sogenannten Meritogreueln und Priestermorden wollen wir mal absehen...."

,, Bitte: Greueln hat es bei uns überhaupt nicht gegeben. Und Priester sind nicht gemordet, sondern bedauerlicherweise im offenen Kampf gegen die Staatsgewalt getötet worden. Es handelt sich mur um einige wenige Fälle, die ich Ihnen an der Hand aufzählen kann. Im übrigen scheint sich in Europa doch allmählich die Unsinnigfeit dieser Meritogreuelgerüchte durchzusetzen."

,, Sehr richtig! Sehr ernst nimmt man sie nicht mehr bei uns. Dagegen wird neuerdings mit besonderer Hartnädigkeit behauptet, das Religionsgesetz des Präsidenten Calles vom Juli 1926 habe geradezu anarchische Zustände auf dem Gebiete der Kulturpolitik ausgelöst."

,, Ganz unerhört!"

" Im Artikel 16 des Gesetzes sei jedem Kultdiener auch in privater Zusammenkunft je de Kritik an den Grundgesetzen des Staates und der Regierungspolitik bei strengster Strafe ver­boten."

,, Das ist eine Berdrehung schlimmster Art. Der Artikel richtet fich lediglich gegen gewisse flerifale Konventikel, die unter der Maste privater Zusammenkunft seit Jahren hochperräterische Propaganda treiben."

,, Weiter: Durch Artikel 3 des Gesetzes sei der Religions­unterricht nicht nur in den staatlichen Volksschulen, sondern auch in den Privatschulen und im Elternhaus bei Androhung von Zuchthausstrafen verboten."

,, Das schlägt dem wahren Tatbestand förmlich ins Gesicht. Der staatliche obligatorische Religionsunterricht ist seit Jahren abge­schafft. Dagegen hat Merifo völlige religiöse Erziehungsfreiheit,

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Ueberall fann Religionsunterricht, wo er gewünscht wird, erteilt werden, ohne daß der Staat sich darum fümmert. Hochverräterische Propaganda unter der Maste des Religionsunterrichts duldet die Regierung allerdings feineswegs.

Im übrigen betonen Sie doch bitte der Deffentlichkeit gegenüber, daß sich der megitanische Kirchenstreit seit Monaten zu beruhigen scheint, daß die Zahl der registrierten Priester, die gewillt sind, sich der Staatsautorität zu fügen, von Monat zu Monat wächst, daß Die Kirchen offenstehen und vom Staat getreulich verwaltet werden, daß niemandem das Recht der freien Meinung verfümmert, daß fein Religionsunterricht verboten und niemand wegen seiner reli­giösen lleberzeugung verfolgt, gefangengehalten oder gar erschossen wird.

Die Bevölkerung Meritos will in Ruhe arbeiten und bedankt fich höchlichst für antirepublianische Revolten und für die zersetzende Seße eines Teils der Geistlichkeit. Lassen Sie sich durch die Merito­Heze in Deutschland , über die man nirgends so erstaunt ist wie gerade in Merifo, nicht irritieren. Die Regierung Calles hat in Merito Ruhe geschaffen, und zwar unter voller Wahrung der Geistes- und Gewissensfreiheit und wird das auch weiter tun."

Merifo, der Arbeiterstaat.

Im Vorraum drücke ich dem Pressechef, der mir zum Schluß noch einige herrliche Aufnahmen aus seiner Heimat zeigt, voll Dank die Hand. Wir schlagen die Blätter des Albums um und sehen ein an der Scheide von zwei Kulturkreisen stehendes, um das Menschenrecht seiner Proleten fämpfendes Bolt: Bohrtürme und Petroleumfelder, Fördertürme über Silber- und Kupferminen, Rafao- und Reisplantagen, in denen die Frauen schuften mit zit ternden Beinen und quellenden Brüsten, als Arbeitstiere des inter­nationalen Rapitals.

Dazwischen aber liegen Gemertschaftshäuser, Erziehungsheime, Büchereien, Boltsbadehäuser, Jugendzeltlager mie Lichtpunkte einer neuen Zeit, die unter den Tempelbergen von Balenque und Quadaljara heronreift, meil das Arbeitsnolf die Rolle zu erfassen beginnt, die ihm trog aller Zügenheze bestimmt ist, als Banner­träger der Kultur im Zeihen des internationalen Proletariats. Hermann Schützinger.

Hind

Aus dem dunkelsten Teil Deutschlands .

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Einige Erlebnisse in Hinterpommern.

Scheibenschießen.

Vorfrühling. Ein herrlicher Sonntagmorgen im Kreise Bel­Ein Baftteppich ist über den Kamin gebreitet und erregt unfere gard. Ich wandere, freundlichen Gedanken nachhängend, durch den alten romantischen Schloßpark. Durch einen Ausblick zwischen den Da sind ja regelrechte a fenkreuze dran!" Tannen ein liebliches Bild. Ein kleiner goldblonder Bub eines Guts­ Aber sicher. Das sind indianische Tempelzeichen, die man arbeiters hütet seine fünf Gänse an den Wegrändern und dem Schloß­immer wieder auf den alten megifanischen Kultstätten antrifft!" teich und trällert fröhlich sein Liedchen vor sich hin. Plötzlich zer­ Tatsächlich? Richtige Hakenkreuze! Mal lines rum, mal reißen zwei kurz hintereinander donnernde Gewehrschüsse die soum­rechts rum gelegt! Das ist also kein Patent der Urgermanen?" Reine Spur! Die sogenannten Swastica findet man auf allen tägliche Stille. Mit ein paar Schritten sehe ich, was sich hier zu­getragen. 3mei Gänse zucken auf dem Wasser im Todeskampf, und der kleine Bub liegi laut weinend auf dem Rasen. Er hat auch noch

antiken Bauwerfen, weil sie neben dem Kreuz, das sich übrigens auch in Palenque , unserem Hauptausgrabungsgebiet, vorfindet, das einfachste Ornament darstellt, das die Antike kennt." ,, Uebrigens darstellt?"

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ein Schrotforn in die Wade abbekommen. Der Täter? Ich traue

meinen Augen kaum. Mit rauchender Büchse steht der Schloßherr wer ist der Mann da oben, den das Porträt auf der Terrasse. Hinter ihm sein Diener, der ihm wohl die Flinte

Das ist Miquel Hidalgo y Costilla, einer unserer Freiheitshelden. Ein Volksführer, der die Massen zur Erhebung gegen den spanischen Konservativismus emporgeriffen hat. Er war ein guter Volksführer, aber ein schlechter Stratege. Man hat ihn geschlagen; die Kirche hat ihn erfommuniziert und die Inquisition hat ihn umgebracht."

" Den Freiheitshelden?"

,, Aber natürlich, das war früher immer so bei uns

reden später davon!"

Der Gesandte.

a, wir

Nun nimmt mich der Pressechef in Empfang und führt mich zum Herrn Gesandten herein. Herr De Negri ist Sozialist in meitestem Sinne. In Meriko herrscht eine Art Zweiparteiensystem. Es gibt eine große Linke, die Partei der Arbeiter und Angestellten, die je nach der Provinz und dem Land ihren besonderen Charakter wahrt, demokratisch und sozialistisch ist, sich jedoch jeglicher tom­munistischer Experimente enthält. Und es gibt eine Rechte, die Interessengemeinschaft des Klerus und des Großgrundbesizes. Zur Partei der fleinen Beute" befennt sich der merikanische Staats­präsident Calles und sein deutscher Gesandter De Negri, der feit zwei Jahren in Berlin die Geschäfte Meritos vertritt. Sein Amtszimmer ist mit dem Porträt des merikanischen Nationalhelden Benito Juarez geschmückt, der Merito die Freiheit von der Krone Spaniens erkämpft hat. Rechts sind einige herrliche Auf­nahmen aus dem ehemaligen Birkungsfeld De Negris, der fünf Jahre merikanischer Landwirtschaftsminister war: Pflanzungen in Yucatan , Bohrtürme in Tampico , Felshalden und Saneefelder en Papocatepetl und am Pic von Orizaba . Ueber dem Schreibtisch hängt eine Aufnahme des Präsidenten Calles in Begleitung Fried­ rich Eberts . Hinter den beiden Staatsmännern steigen zwei Reichs wehroffiziere gravitätisch einher.

Der Geschäftsträger.

Wie überall ist der Geschäftsträger" oder Staatssekretär die für ökonomische und politische Auskünfte in erster Linie zuständige Amtsperson. Ein dunkelhäutiger Diplomat mit feingeschnittenem Eine eingerichtete Küche in der von der Gehag Gelehrtenkopf und mächtigen schwarzen Brauen über den lebendigen erbauten Wohnhaussiedlung Zehlendort.

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zugereicht hat. Damit habe ich hoffentlich ein Exempel statuiert, daß das Gesindel mir vom Halse bleibt," meint der Besitzer zu mir ganz barmlos. Dann bestellt er, stolz auf seine Heldentat, den Wagen zur Kirchfahrt, um den Leuten mit gutem Beispiel voran­zugehen". Vor so viel Roheit und Gemeinheit packt einem Grauen und Ekel. Ist das nun periodisch auftretender Cäsarenwahnsinn oder die landesübliche Arbeiterbehandlung?

Die schwarze Lifte.

Mit gesenktem Houpt steht ein älterer Deputatist im Amtszimmer des Besizers und dreht unruhig seine Müze in den Händen. Was, Sie wollen einen Wagen zur Stadt? Ihr Kind ist frant, soll ins Schwer Krankenhaus? So? Da wollen wir mal gleich jehen." fällig erhebt sich die massige Gestalt des Besizers aus dem Schreib­

tischeffel. Er geht zur Bandtafel, dreht sie um und übersieht die dort stehende Liste. Ach ja, da steht er schon. Grandow, Franz. Ja, wiffen Sie, Sie haben damals ja gegen die Fürstenobfindung gestimmt, da bekommen Sie ja soviel Geld heraus, daß Sie sich einen. Wagen aus der Stadt bestellen fönnen." Gramzerfurchten Gefichts dreht sich ganz langsam der Arbeiter herum und geht mortlos hinaus, begleitet von dem Gelächter des Besizers.

Landwirtschaftliche Kreisversammlung.

Ueberall wohlgenährte, teilweise degenerierte Gefichter. Auf dem Programm ein Bortrag über moderne betriebswirtschaftliche Tages­fragen. Als der Redner, Angestellter einer landwirtschaftlichen Orga­nisation, seinen eineinhalbstündigen, mit Lichtbildern unterstützten Vortrag, in dem er auf zahlreiche Mißstände in der augenblicklichen Betriebsführung aufmerksam gemacht und Mittel zu ihrer Beseiti­gung gezeigt, beendigt hat, erhebt sich der Borsigende zur Diskussion. Ich danke dem Redner für seine lehrreichen Ausführungen, es ist ja alles sehr schön und nüßlich, was er uns gezeigt hat, aber ich meine, die Zeiten, in denen unsere Väter lebten, waren doch schöner. Sie fuhren einmal im Jahr zur Bollauftion nach Berlin und erlösten 40 000 bis 50 000 Mart, die auf die Bank gelegt wurden. Der andere Betrieb lief in sich. Löhne und Betriebsunkosten gab es faum. Was war das doch für ein bequemes Wirtschaften. Ja, damals hatten wir auch eine Regierung, die etwas für uns tat..." Uebergang zur Berherrlichung der wilhelminischen Epoche und Herunterreißen der augenblicklichen Staatsform, schließend mit einem Hody auf Kaiser und Monarchie. Worauf sich die Notleidenden zu einem solennen Settsouper im Nebensaal zurüdzogen.

Das war nun der Erfolg. Forderung der Rückkehr zu einer veralteten und bequemen Wirtschafts- und Staatsform Stupidität auf der ganzen Linie. Dies ist die Grundeinstellung aller vom Landbund beeinflußten Kreise der Landwirtschaft. Wohltuend be rührt einen da der Gegensatz in Landarbeiterkreisen. Hier findet jeder belehrende landwirtschaftliche Vortrag einen dankbaren Hörer­freis, was aus dem Eifer und Interesse hervorgeht, mit dem die Aussprache geführt wird. Man erkennt überall einen starken Bil­dungsdrang, was landwirtschaftliche Fragen angeht, so daß ein be­fannter Betriebswirtschafter sich das Interesse, das er in diesen

reisen fand, auch für seine Vorträge in Unternehmerkreisen

wünschte