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iSetlo�c Donnerstag, 10. Mai 1928
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Großmacht Sozialdemokratie im Wahlkampf. Alles wird dem großen Ziel dienstbar gemacht!
Kling kling kling tönt unermüdlich die Glocke der Stechuhr im Toreingang der großen Fabrik. Schwielige Hände stecken in den Schlitz   der Uhr eine Karte und drücken einen blinkenden Hebel kling-- Feierabend! Vom Maschinenhaus heult die Sirene. Ein schwarzer Menschenhaufen wälzt sich hinaus auf die Straße und der unermeßliche Strom verflutet nach allen Seiten. Jede einzelne Gestalt etwas müde, etwas gebückt und vergrämt, das Brausen der Maschinen noch in den Ohren und das Dunkel der Werkstatt wie einen Schleier vor den Augen. Fast fremd schreiten sie durch den Sonnenschein. Aber mit jedem Schritt, der sie von der Fabrik entfernt, wird ihr Gang leichter wie von einem schweren Alp befreit geht jeder seinen Weg. Heimwärts! Da spielt da nicht Musik? Ist das nicht der mitreißende Rhythmus eines alten Kampfliedes der Internationale?Völker, hört die Signale!"... Drüben, am jenseitigen Straßenrande, steht mit wehenden roten Fahnen geschmückt ein großes Auto, auf dessen Dach langgestreckt ein riesiger Trichter liegt. Ein Laut- s p r e ch e r! Aus dem tönt die Musik, brauch die sieghaste Melodie. Das Auto ist von oben bis unten und an allen Seiten mit bunten Plakaten beklebt. Drei Farben leuchten: Schwarz, Rot und Gold. Wuchtige Gestalten, aus den Schächten der Fabriken wach- send, strecken ihre Arme aus:Wäh�lt am 2 0. Mai Sozial- dem o traten! Wählt Liste 1!" Die Musik verswmmt. Aus dem Lautsprecher schallt plötzlich die klare Stimme des Reichstags- Präsidenten Paul L ö b e über die Straße. Nach ihm spricht Arthur C r i s p i e n. Kurze, packende, anfeuernde Ansprachen. Alle klingen in den mahnenden Ruf aus:W Shlt die Partei des schaffenden Volkes, wählt Sozialdemokraten!" Die Zuhörer haben um das Auto einen dichten Kreis geschlossen. Politische Diskussionen heben an.Ruhe!" wird gerufen.Wohlan wer Recht und Wahrheit achtet!" ertönt erneut die Musik aus dem Lautsprecher. Einige Neugierige blicken durch die geöffnete Hinterwand in das Innere des Autos. Dort sitzt auf einem Schemel ein Mann im weißen Kittel und beobachtet die glühenden Lampen der Batterien, die dem Lautsprecher die Kraft geben. In einem Kasten dreht sich surrend eine Platte das Grammophon. Der Blick in das Auto ist zugleich ein Blick hinter die Kulissen der Technik dieses Wahlkampfes. » Das Auto fährt davon, den Ruf der Partei in die entferntesten Vororte tragend. Unermüdlich fahren die Automobile, von denen Hunderte bereitgestellt sind. Ein Kreis ihrer Bahn greift in den anderen: tönende Ringe sind es, die sie über das Land legen, über das ganze Reich, das im Banne dieses Rufes steht: Wählt Sozial- demokralen! In den Straßen dunkelt der Abend. Reklamelichter leuchten auf. Bunt und grell. Für Zahnpasta, für Büstenhalter, für den besten Likör. Gleichgültig sehen die Augen an den Lichtbuchstaben der elektrischen Laufschriften vorbei. Bis sie an ihnen wie� fest­genagelt haften bleiben:Für die Armen und Unterdrückten kämpft die Sozialdemokratie? Wählt am 20. Mai Liste 1!" Leuchtend huschen die Flammenzeichen dieser Mahnung vorüber, tauchen aus und unter im Dunkel dtr Häusergicbel. In den Zuschauern erwacht ein Gefühl der Bewunderung über die imponierende Machtentfal- tung einer Arbeiterpartei. Von der Bewunderung bis zur Sympathie ist nur ein Schritt, von der Sympathie bis zum Nachdenken über die Ziele der Sozialdemokratie ein zweiter, und bis zur Entscheidung für sie am 20. Mai ein dritter und letzter. In der Friedrich- st a d t und in N e u k ö l l n. im W e st e n und im O st e n überall verkünden leuchtende Schriften und helle Transparente den großen Appell der Sozialdemokratie. Vom Funkturm, dem Wahrzeichen des neuen Berlins  , glühen die gleichen Inschriften weit über die Stadt, strahlend die Nacht durchdringend... In jedem Stadtbezirk hat die Partei Litfaßsäulen auf- gestellt auf denen ausschließlich die zahllosen Werbeplakate der So- zialdemokratie sichtbar sind. Wuchtige, eindrucksvolle Zeichnungen aus erster Künstlerhand. Und in den Hauptverkehrsstraßen stehen die F l u g b l a t t v e r t e i l e r. die an die Vorübergehenden die ver- schiedensten Druckschristen verteilen: Vom kleinsten Handzettel über die illustrierteB ü r g e r b l o ck f i b e l" bis zur mehrseitigen Broschüre, in denen das ganze aufklärende politische Material konzentriert ist. Neben den Abhandlungen für nachdenkliche Gc- rnüter kommt aber auch der Humor und die Satire zu ihrem Recht. In den Flugblättern, in den Broschüren, auf den Plakaten und auf den von den Parteigenossen selbst verfertigten Transpa- renten. die in den Demonstrationszügen mitgeführt werden. An den Häuserwänden klebt ein drastisches Plakat. Es zeigt einen mit «mew Zylinder geschmückte» O ch s e u k o p f, unter dem der jolgende ----------- fr. fi i n-a-''**------
Es lebe hoch der Dölkerstreit, Die Selbstsucht und der Futterneid! Wir bleiben die alten Heldengestalten. Versprechen viel und können nichts halten. Doch ist's uns egal, das Volk hält den Mund Hauptsache: wir machen uns dabei gesund! Denkste!" sagt der Berliner   und geht schmunzelnd weiter. * Ein Blick in die Wahlversammlungen der SPD  . gibt aber erst den richtigen Begriff von der Dielgestaltigkeit und Wirk- kraft der Propagandamittel der Partei. Ueberall Massen- gesänge, Sprech chöre, aktuelle politische Revuen, Sketsche, Parodien und hervorragende Filme. Und was die Hauptsache ist: schlagfertige und den größten Diskussions- stürmen gewachsene Redner. Gleichgültig, ob esKanonen" oder Äanönchen" sind. Jeder ist geübt und hat ein umfangreiches und systematisch zusammengestelltes Referentenmaterial zur Hand. Auf jede Frage eine Antwort, auf jeden Zwischenruf eine Retourkutsche" mit zehn Rädern. Schon lange Zeit vor dem Aus- bruch des Wahlkampfes wurde den Funktionären und Referenten das Material zugestellt. Die Zentralin st anzen der Partei haben den großen Feldzug glänzend vorbereitet. Neben dem Größten ist auch das Kleinst« nicht vergesien worden. Ob es sich dabei um
die Riesenkundgebung im Sportpalast handelte, einen glänzend ver- laufenen Ball für die weiblichen Hausange st eilten oder um ein Kinderfest, bei dem auf den Stocklaternen die Worte Wählt SPD  ." leuchteten. Alles wird dem einen großen Ziel, der Sieg der Partei, dienstbar gemacht. An dem letzten Tage vor der Wahl wird der ganze technische Apparat der Partei spielen. Sie will und muß das Straßen- bild beherrschen. Zahllose mit Wahlplakaten völlig beklebte Möbelwagen werden ihre Dauerfahrten durch die Stadt an- treten. Und am dunklen Nachthimmel wird das Wort glühen: Wählt SPD.!" Bald hier, bald dort. Im Westen und im Osten, im Süden und im Norden: Wählt SPD.? Und das ist der große Eindruck dieses Wahlkampfes: Er hat mit seinem gewaltigen technischen Apparat, dessen sich fast alle Par- teien bedienen, keinen einzigen Vorgänger in der ganzen Geschichte aller deutschen Wahlkämpfe. Und unbestritten und selbst von der bürgerlichen Presse anerkannt, überragt die Sozialdemokratie an Machtentfaltung alle anderen Parteien. Sie hat dem Kampf mit der geistigen Waffe um die Seele des Volkes das Beispiel und die Form gegeben. Ihre seit Jahrzehnten vertretenen politischen Prin- zipien sind zum Durchbruch gelangt. Ein Zeichen ihrer inneren und äußeren Kraft ein Vorzeichen ihres Sieges! .Alkrock Fritzschc.
Klein-Rumänien  . Ein Besuch in der Bukowina  ,
!8or Iahren habe ich einen Sommer in der Bukowina verbracht, jenem östlichsten Land Altösterreichs, das mit seinem Völkergemisch ein Abbild des großen Reiches war: Im Nordwesten, gegen Ostgalizien   hin, von Ukrainern und polnischen und arme­nischen, freilich schon lang polonifierten Einsprengseln, in der Haupt- masse von Rumänen bewohnt und überall dazwischen von weniger als in Galizien   prononzierten Ostjuden, die zusammen mit deutschen Kolonisten und deutscher   Intelligenz deutsche Sprache unverwüstlich am Leben auch im Gebiet zwischen Dnjeftr, Pruth   und der anderen, der nichtböhmischen Moldau erhielten. In der Hauptstadt Czernowitz  hörte man all« Sprachen durcheinander, denn im Land« wohnen auch russische Kolonisten, die.Lippowäner", und im Karpathenrand die Huzülen, die, wenigstens nach manchen Gebräuchen, tatarisch beeinflußt scheinen, so, wenn sie mit Schalen voll Pferdemilch und einem Tropfen eigenen Blutes darin Brüderschaft trinken. In Ezernowitz wie in den übrigen Städten überwog die deutsche Sprache, mochte es auch vielfach das hebräisch untermischt« Mittel- hochdeutsch der Juden sein woylgemerkt, der Juden aus der Masse, denn was durch Besitz, Bildung oder Jugend darüber hinaus- kommt, bemüht sich, reines Deutsch zu sprechen. Heute noch er- scheinen in Czernowitz   deutsche   Tageszeitungen, vor allem der sozialdemokratischeVorwärts". Mein Weg ging weiter südwärts, mit Umsteigen in Hadit- salva richtig, Madjaren leben auch dorsweisc in der Bukowina  , dieser Name zeigt es, ein k. und k. Militärgestüt war dort, natürlich mit zum Teil madjarischsm Personal, noch der Stadt Radautz  und dann über Land in das Großdorf   Ober-Wikow. Da blieb ich dann ein paar Wochen. Der Ort liegt auf der Ebene, aber es ziehen sich bewaldete Bergriegel nahe hin, und nie vorher hatte ich den Sturmwind mit solcher Kraft und solchem Lärm dahertosen gehört. Die Wälder gehörten zum größten Teil dem Griechisch- orientalischen Religionsfonds, wohl von Josephs II. Zeiten her, der viel Kircheneigentum verstaatlicht und die Kirche auf Nutzung gefetzt hatte. Die Forstwirtschaft war irre ich nicht, einemBaron  " Popper übertragen, der gewaltig« Reichtümer daraus zog. dessen Verwalter aber auch nicht wenig angesehen, beneidet und auch gefürchtet waren. D!« Bauern von Ober-Wikow waren Rumänen. Große, starke Menschen mit langem schwarzen Haar, auf das sie nie einen Hut setzten, was von den alten Römern herkommen soll. Aber wenn die rumänische Nationaltradition sich auf römische Abkunft beruftRomania  " nennt sich das Königreich und wenn die Sprache auch romanischen Stammes ist, so hielten sich diese Bauern doch für etwas anderes. Denn man lehrt« mich, wenn ich rumänisch angesprochen würde, zu antworten:Nusclitiu rmnaneschti", besser aber:Nuschtiu moldowancschti", denn die Bauern hörten sich Mtet SSofivtwwrf SBoObwer flew«. Man eriimiwi dch Met
ehemaligen Donaufürstcntümer, aus denen in der Folge des Krim  - krieges von I8S3 56 und des russisch  -türkischen Krieges von 1878 Rumänien   gemacht worden ist, Moldau und Wallachei hießen. Die Bauern gingen stets im Schafspelz, der einen weißen, farbig gestickten Ledermantel fütterte: im Sommer war das Fell nach außen, im Winter nach innen gekehrt. An Festtagen wurden darunter farbige Kleider angelegt und das lange Haar mit Butter so«ingefettet, daß es Hochglanz hatte. Die Hauptnahrung war die M a m a l i g a, Stücke von gebackenem groben M a i s g r i e ß, deren Verdaulichkeit durch möglichst viel Butteraufstrich beim Essen erleichtert werden soll: ich erinnere mich jedoch eines heftigen Magendrucks nach einem solchen Versuch. Die Bevölkerung Alt- österreichs hat in der Kriegsnot ihre Erfahrungen mit dem gelben, krümeligen Maisbrot machen müssen. Der früher überreichliche Schnapsverbrauch der Vauern hatte in den neunziger Iahren stark abgenommen: ein Reserve- korporal des k. und k. 41. Infanterieregiments in Czernowitz   schwefelgelbe Aufschläge und silberweiße Knöpfe war als Sinti» fchnopsprophet im Land herumgezogen und hatte nach feuriger Rede die Bauern überall dem Schnaps abschwören lassen Sie hielten ihren Schwur so treu, daß über die jüdischenPropinations- Pächter", die aus dem staatlich bewirtschafteten absoluten Alkohol Schnaps herstellten und verkauften, bitter« Not kam. Mir aber fiel dabei immer der Spruch ein, den uns in der Wiener Real- schule unser Professor Wilhelm Winkler  , ein deutsch  -mährischer Vauernsohn und Wirtschaftsrcsormer, oft mit fröhlichem Augen- blinzeln vorgesagt hatte:, j Nobel ist es, Schnaps zu brennen, Schon bedenklich, ihn verkaufen, Ganz erbärmlich, ihn zu trinken." Mit Lesen und Schreiben war unter den Bauern nicht viel los: auch jener Schnapsprophet hatte erst beim Militär etwas davon gelernt und wahrscheinlich nicht viel profitiert, da die Militärsprache meist noch Deutsch   war. Da ereignete es sich z B. in der Mann- schaftsschnle. daß aus die Frage, wie der Feldmarschall heiße, unter großer Anstrengung die Antwort kam:Gaizlicbe, Oheit, Hertscliesko Halsbrecht"(Erzherzog Alb recht). Es bliebe noch zu erwähnen, daß im Gegensatz zu anderen Völkern Altösterreichs unker den Rumänen«ine auch nur nennens» werte Irredenta  , ein Streben nach Vereinigung mit dem nationalen Nachbarstaat, nicht bestanden hat. Das mag daran liegen, daß diese Moldowaner aus dem Stadium dergeschichtslosen Nationen"(Otto Bauer  ) noch nicht erwacht waren wenn aber selbst, mag ihnen das Elend ihrer Landsleute jenseits der Grenze wenig erstrebens- «»»«qchtaKii frtei