1928
10 Pf.
235
116 45. Jahrgang.
Der Abend™
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Bon 8 bis 5: Liste 1!
Am morgigen Sonntag fällt die Entscheidung!
Wie wählen die Frauen?
Trennung der Männer und der Frauen bei der Wahl.
In der Reichstagswahl am 20. Mai wird zum ersten Male für ganz Berlin die für Männer und Frauen getrennte Abstimmung durchgeführt. Bersucht hatte man das schon bei früheren Wahlen, auch in Berlin , hier aber bisher nur im Verwaltungsbezirk Spandau bei den Stadtverordneten- und Bezirksverordnetenwahlen im Jahre 1925 und auch schon im Jahre 1921.
Die Stimm entrennung wird diesmal dadurch erreicht, baß besondere Stimmzettel für Männer und besondere Stimmzettel für Frauen ausgegeben werden. Die Stimmzettel zur Reichstags wahl sind in schwarzem Druck auf weißem Papier hergestellt. Zur Unterscheidung der Männer- und der Frauenstimmen tragen die Zettel am Kopf einen Bermert„ Stimmzettel für Männer" bezie hungsweise Stimmzettel für Frauen". 3ur schnelleren Unterfcheidung bei der Auszählung ist dieser Aufdruck am Kopf des Stimmzettels bei den Frauenstimmzeffeln in gelber Farbe gehalten.
Keudells Stoßgebet!
Wahllokal
3330
PG.
Achtung! Weiterfagen!
Bei der Wahl nimmt man im Wahllokal die amtlichen Stimmzettel zur Hand und macht in den obersten Kreis 1, Sozial demokratische Partei Deutschlands , cin deutliches Kreuz. Jede weitere Beschriftung, Unterstreichung oder Durchstreichung ist zu unterlassen.
Also: Das Kreuz ins erste Feld! Sonst nichts!
Für die Landtagswahl werden die Stimmzettel nicht ge= sondert ausgezählt. Der Stimmzettel für den Landtag ist aus rotem Papier in schwarzem Drud hergestellt.
Die für Männer und Frauen getrennte Abstimmung ermöglicht es, nach der Wahl durch Auszählung festzustellen, wie stark die Wahlbeteiligung bei den Männern und bei den Frauen war und welchen Erfolg die einzelnen Parteien bei den Männern und bei den Frauen gehabt haben. Wo diese Stimmentrennung schon früher versucht wurde, haben sich zwei sehr beachtenswerte Unterschiede ergeben. Die Beteiligung der Frauen an der Wahl war geringer als die der Männer, und die Frauen stimmten in größerer Zahl als die Männer für rechtsstehende Parteien. Den Gewinn von dem Wahlrecht der Frauen hatten also gerade die Parteien, die vor dem Kriege sich immer am entschiedensten dagegen wehrten, daß man den Frauen das Wahlrecht gab.
Den sozialdemokratischen Frauen muß das eine Mahnung sein, sich vollzählig an der Wahl zu beteiligen. Gegen die schwarzweißroten Frauen sollen die sozialdemokrati. schen Frauen ihre Stimmen in die Wagschale werfen und den Ausschlag geben für den Sieg der Sozialdemokratie.
Gestern nachmittag startete auf dem Flugplatz in Staaten zum erstenmal das Wahlflugzeug der Sozialdemokra tie zu einem mehrstündigen Flug über Groß- Berlin. Ueberall, wo ber tleine Doppeldecker sichtbar wurde, erregte er die Aufmerkſamfeit der Straßenpassonten. Auf seinem Rumpf und auf den Tragflächen mahnten mit schwarzen Lettern auf weißem Grunde die Worte:„ Wählt SPD ." In den Vororten warfen die Piloten Flugblätter ab. Am heutigen Sonnabend und am morgigen Sonntag, dem Wahltag, wird das Flugzeug weiter jeine Kreise ziehen, während in den Straßen die Propagandaautos, Werbewagen und Demonstrationszüge der Sozialdemokratie die arbeitende Bepölferung gum legten Kampf auffordern: Wählt Sozialdemokratie,
Lieber Goff, wenn die Leute schon nicht rechts wählen, dann erleuchte ihre Herzen doch soweit, daß sie wenigstens für die Kommunisten und nicht für die Sozialdemokrafen stimmen. Dann bleibt unser das Reich und die Macht und die Herrlichkeit. Amen!"
Selbstmord einer Sechzehnjährigen
Aus bisher noch nicht ermittelten Gründen hat die Aufruhr in einem polnischen Gefängnis
16 Jahre alte Handelsschülerin Edith N., die bei ihren Eltern
in der Dennewitzstraße wohnte, Selbstmord verübt. Sie hat fich in den Schlachtensee gestürzt und dort den Tod gefunden. Das Mädchen fam am Mittwoch aus der Schule nicht nach Hause zurück und ließ auch nichts von sich hören. Der Vater meldete fie als vermißt an. Während nach der Verschwundenen gesucht wurde, sah am Freitag ein Herr aus Zehlendorf , der den Schlachtensee entlang spazieren ging, an einer etwas abgelegenen Stelle eine Aftentasche und einige andere Sachen am Ufer liegen. Er benachrichtigte die Zehlendorfer Kriminalpolizei und es ergab sich aus dem Inhalt der Tasche, Schulheften und einem Abschiedsbrief, daß sie der vermißten Schülerin gehörte.
Heute früh nun begab sich der Vater des Mädchens hinaus nach Schlachtensee, suchte zusammen mit dem Fischermeister den See ab und fand am südlichen Ufer in ziemlich seichtem Wasser die Leiche seiner Tochter. Die jugendliche Selbstmörderin hatte in einem an ihre Eltern gerichteten Brief die Gründe niedergelegt, die sie zu dem Freitod veranlaßt haben. Ueber den Inhalt des Abschiedsbriefes lassen die Eltern nichts verlauten.
Die Leiche wurde beschlagnahmt und in das Charlottenburger Schauhaus gebracht.
Feuergefecht mit 130 Strafgefangenen.
Im Strafgefängnis in Rowno in Polen fam es am Donners tag zu einem gefährlichen Aufruhr von 130 Strafge fangenen. Es gelang den Gefangenen, die Zellentüren auszu heben, die Wärter zu überwältigen und einen großen Teil des Gefängnisses zu zerstören. Die Wärter sahen sich gegenüber den Gefangenen, die sich u. a. mit Fensterrahmen bewaffnet hatten, machtlos. Der Aufstand konnte erst durch Hinzuziehung von Militär nach einem erheblichen Feuergefecht unterdrückt werden. Der Gefängnisinspektor wurde während des Kampfes schwer verletzt, auch einige Gefangene erlitten erhebliche Verlegungen.
Die Japaner verstärkten ihre Garnison in Peting auf 10 000 Mann, soviel wie die anderen Mächte dort zusammen haben. Tschangtfolin ließ an der Stadtmauer von Beting dreizehn Studenten wegen aufrührerischer Propaganda" erschießen.
Fahnen heraus!