DER SPRUN6 UBER DEN SCHATTEN
14. Fortsetzung. „Mach uns nicht so auffällig!" knurrt« Weichert mit gedämpfter Stimme und zog seinen Arm aus den m«inen.„Ich möchte hier auf keinen Fall mit Krethi und Plethi in Berührung kommen." „Wa— as?" Ich blieb stehen und sah ihn an. „Was für ein Mensch ist denn das?" In der scharfsichtigen Klarheit solcher Morgenstunde sah ich in Weichert auf einmal einen mir völlig fremden Menschen. „Ach, laß doch, Heinrich." mischte sich Hurtenbach ein,„Harri meint es nicht so. Ihr habt euch nicht verstanden. Wollen wir uns denn im letzten Augenblick zanken?" „Na ja," muschelle Weichert,„Fehlow ist auch gleich fm aufgeregt. Im übrigen"— er gab sich einen Ruck—„mit der Persönlichkeit— das stimmt natürlich. Aber Disziplin muß auch sein. Ich denke mir, was<5. M. gesagt hat, richtet sick) gegen den Pöbel, die Sozis. Ick) weiß das. Wir haben in unserer Korpe- ration eine ganze Reihe Reseroeonkele, Dr. jur. und(o; das find doch schließlich keine Esel. Was sagst du, Hurtenbach?" „Ich? Ich— meine, Heinrich nimmt das alles viel zu schwer. Heinrich! Die Welt ist doch schön. Warum sich unnötig das Leben verbittern? Quäl dich doch nicht so!"— Er drückte meinen Arm und sah mich an.<) Da war es wieder, dieses verdammt« Bemitleiden, das ich nicht haben wollte. „Laß mich in Ruhe!" Ich riß mich los und sah nach der anderen Seit«. So verging die halbe Stunde bis zur Abfahrt unter fast völligem Schweigen. Mich verlangte nach Luft und Bäumen. Ich macht« einen Umweg durch den Tiergarten. Es war Frühjahr. Als ich am Reichstag vorbeikam, da wo der Blick über die Spree fällt bis an die Weidendammer Brücke, stieg die Sonne über die Dächer. Ihre Lichtströme sielen breit hinein in das junge, zartklebrige, schauernde Blättermeer des Tiergartens und hoben es sanft in wohlige Ströme von Luft und goldigem Blau. Sprengwagen walzten die große Charlottenburger Chaussee hinunter. Kolonnen der Straßenreinigung zogen mit geschulterten Besen vorüber. „Die arbeiten! Du bummelst! Mit Freuden! Quatsch! Weichert und Freund! Weg damit! Auch weg! Alles weg! Wer was erreichen will, muß die Einsamkeit in Kaus nehmen.— Und die Eltern!?" Der Gedanke an die Eltern kam mir plötzlich? wie ein heftiger, körperlicher Schmerz. Er zog mir direkt die Schultern zusammen. Gut« zwei Jahre war ich nicht zu Hause gewesen. Ich wollte nicht. Auf die Bitten der Eltern sand ich immer neu« Ausreden. Seit der Geschichte bei Rehberg war etwas zersprungen. Als ich in meine Wohnung kam, lag dort ein Brief und Reisegeld. Di« Eltern schickten es. Drei Stunden später saß ich auf der Bahn. An diese Heimfahrt kann ich nur mit größter Scham denken? oder, ich würde heute sagen, mit Berwunderung darüber» wie ich „geistig" bereits verwildert war. Genug zu sagen, daß ich geradezu mit Gewalt Streit vom Zaun brach? über das Kleinbürgerlich« der Heimat höhnte, die eigenen Eltern nicht schonte. Ich wütete, daß die Schwestern den ganzen Tag über nähten, obwohl es doch meinetwegen war und gar nicht anders sein konnte. Ich wollt« nicht gut haben, daß das Land so herrlich roch? und am zweiten Tage schon betrat ich nicht mehr den Garten. Die Mutter weinte? der Vater schwieg.— Es wurde mir unerträglich, und am fünstcn Tage stihr ich ab. Ich hätte schreien nwgen, als ich die Eltern unglücklich sah? aber ich verbiß mich in Trotz. Verslucht noch mal— was machen wir aus unserem Leben— tind was wird aus unserem Leben gemacht!— Ich war die Nacht durch zurückgefahren und stand morgens früh in meinem Zimmer. Es hatte geregnet, aber jetzt kam die Sonne durch. Ich riß da» Fenftek auf und sah aus den Hof. Em unsagbar dürjtiger Fleck grauen Asphaltes und mitten drin ein„Hofgarten" mit hundert Grasspieren und einem einzigen, verkrüppelten Holunder. Es fehlte Luft und Licht? denn von allen Seiten umschlossen den Hof die himmelhohen Rückwände der Mictkascrnen. „Ein Gefängnis", dachte ich? sah im Geist« das endlos« Land ln der Heimat und stöhnte.- Gegen zehn kam Frau Albrccht. „Na,.Herr Fehlow? Schon zurück? Schön bei Muttern, was?" „Ja. sehr schön, Mutter Albrecht." „Na, hier war't aber ooch scheen. Wissen Se, wo ick jestcrn wa? In'n Irunewald. Erst det schönste Wetter? nachher hat's Strippen jerejent. Aber ick Hab mir doch keeniglich amesiert. Die Meechens! Herr Fehlow. die Meechens! Mit de Obalichtblusen! Die haben vielleicht jebibbert. Et war direkt zu sehen. Wär'n Se man da jewesen. Sie sollten sich ooch eene anschaffen, Herr Fehlow, det heitert usf.-- Is Ihnen nich jut?" Sie sah mich von der Seite an, während sie in der Stube rumpusselt«. „Doch, Frau Albrccht. mir ist gut." Sie sah mich wieder an.„Ick wer uns ne scheene Tasse Kafsee machen. Mir hat eener'n Fufziger zuvill« jejeben. Ah! Pieke! amesiern'n wer uns. Uebrigcn, is ooch Post da, det hätt ick beinah vajessen." Gott sei Dank? es waren Angebot« des Stellenvermittlers. Am Nachmittag fuhr ich nach Schöneweide, und wieder begann eine Episode, die zusällig erscheinen könnte. Aber was ist Zufall, wcnn wir ihn nicht wollen? Liebe und Lüge. Es sollte die selbstverständlichste Sache der Welt sein, daß sich sunge Menschen in ihren zwanziger Iahren, wenn sie reis sind und das erhitzte Blut sie bedrängt,«inander hingeben und im Triumph des Lebens in Seligkeit geben und empfangen. Das ist es aber ganz und gar nicht. Und das schrecklichste ist, daß alle Erwachsenen dies wissen. Aber die einen schweigen, die anderen heucheln, und die dritten geben ein böses Beispiel, weil sie glauben, man könnte den Teufel mit Beelzebub für immer austreiben. Ich werde niemals vergessen, daß die Mutter des Mädchens, das ich liebte, wie man in diesem Alter liebt, daß diese Mutter— eine„prächtige" bürgerliche Frau—, als sie für die„Reinheit" ihrer Tochter zu fürchten begann, mich bat, mit der Qual un- besriedigtcn Sinnenverlangcns zu Prostituierten zu gehen,
So wird olles, was rein und groß und schön sein könnte, weil es sein Schicksal erfüllt, verzerrt, getrübt, verschmutzt. Klares Quellwasser wird zum stinkenden Abwasser. Junge Menschen möchten aussprechen, was ste bewegt. Jetzt aber schweigen sie gerade da, wo sie reden möchten, quälen sich verzweifelt lzerum? tun, was sie nie tun wollten, und unterlassen, was sie erlösen könnt«.
„Ich denke mir, was S. M. gesagt hat, richtet sich gegen den Pöbel, dies Pack von Sozis Der Sohn des Fabritdirektors Junker, den ich zum Examen vorbereiten sollte, war ein gutmütiges, etwas schlasses Kerlchen. Eins der vielen Kinder, deren Kraftentfaltung vom bloßen Dasein des stärkeren Paters im Keim« erstickt wird. Als ich kam, sah ich in eine Stube, deren Tür weit offen stand. Der Tür gegenüber war ein breites, ins Freie geöffnetes Fenster. Man sah durch das Zimmer hindurch auf den Bahn-
Copjrrixdt 192S by„Der Bücherkreis G. m. b. H.* Berlin STT 61« dämm, dem Haus« gegenüber, und dahinter auf Kiefernwald. Es war die Stunde vor Sonnenuntergang. Hinter dem Kiesernwalde sank die Sonne. In gelben, orangenen, rötlichen Tönen brachen Strahlen durch dos Geäst, übergluteten die eisernen Stränge der Bahnlinie, durchflössen das Zimmer und füllten es mit Sehnsucht. Inmitten des strömenden Lichtes stand Hildegard Junker mit goldrotem Haar? im himmelblauen Leinenkleid? einen Pack weißer Wäsche über dem Arm. Wir sahen uns überrascht und schweigend an. Don diesem ersten Tage an war ich voll Jubel und innerer Gewißheit. Hinter dem Hause des Direktors führt« ein Garten bis dicht heran an die Spree. Di« eine Ecke füllt« ein Aussichtsturm mit einer Plattform, auf der Tisch und Stühle standen. Man sah nach beiden Richtungen weit übers Wasser. An der anderen Ecke war der Anlegeplatz für ein Boot. Bier Wochen nach jenem ersten Tage, an einem Sonntag, machten wir zu dreien ein« Ruderpartie? der Junge, Hildegard und ich. Ich hatte eine Stunde gerudert. Wohlgesühl durchströmt« mich. Wie oft schon sehnt« ich mich in Berlin nach körperlicher Arbeit? wie gern hätt« ich den Spaten in die Erde gestoßen, Holz mit der Axt zerschlagen. Aber wo? und wie? und wann? „Sing doch mal, Hildegard!" bat der Junge.„Sie singt gut, Herr Fehlow. Bitisn Sie doch mal!" Ich sah Hildegard Junker an. Ich sah sie an, wie ein Mann ein Weib ansieht, wenn er glaubt, daß er ohne sie nicht mehr sein kann. Die Augen Hildegard Junkers überzog ein metallischer Schimmer? sie erglüht« bis über den nackten Hals. Sie wandte sich zur Seite und ließ ihre Hand ins Wasser hängen: eine große, heiße Hand. „Singen Sie, Hildegard!" flüsterte ich.„Singen Sie! Musik ist das tiefst«." Si« atmete tief, und ihre jungen Brüste hoben und lenkten sich. Sie blieb in der Stellung, in der sie war, den Kopf zur Seite geneigt, den Arm über den Bootrnnd hängend. Sie sang schon, che ich mir dessen bewußt war? leise, innig, sich allmählich aus dem Banns lösend: „Weißt du, wie lieb ich dich Hab?.. Das Boc4 lief langsam mit der Strömung. Wir näherten uns den Pfeilern der großen Brücke zwischen Ober- und Niederschöne- weide. Und während das eintönig« Schlucks«» und Schmacksen der an den Pfeilern wühlend«« Wellen das Ohr traf, verklang es übers Wasser hin wie ein Hauch: „Weißt du, wie lieb ich dich Hab?..." Hildegard Junker richtet« sich auf und sah mit junger, neu erregter Kraft in die Weite. Mit einem Ruck warf ich mich in die Riemen und fuhr zurück. Wir saßen auf der Plattform. Der Abend war mild. Das Wasser der Spre« strömte jetzt graublau vorüber. Eindringlich hoben sich die weißen Anzüge der Mannichast heimkehrender Vierer und Achter von der Wasserfläche ob. Di« roten Backsteinfabrik«n am Oberjchöneweider Ufer tagend schweigend: nur aus wenigen der riesigen Schornstein« kräuselte dünner, schollenbrauner Rauch in die Höl)«. Lastdampfer zogen lange Reihen kettenverbundener Kähne. Aber alles war in sonntägliche Ruh« getaucht. Die Schiffer stand«» am Steuer mit der Pfeife im Munde und den Händen in den Taschen. Wir lehnten schweigend über der Brüstung. (Fortsetzung folgt.)
Rätsel-Ecke des.„Abend". uiiiiMiiniiiiinmiiiiiiiniiiiiiiiMiiiiiMiiiiiiiiiniiiiniiiiraiiiiiiiuimnniiimiiiiiRiiintiiiiniiiiiiinnniHitiiimiiRniimiunnHHiinmiiiiiiuiuiiiMunimiitimiinnmmnuiiiiiuiimmmmi Kreuzworträtsel. Die fehlende Mittelsilbe. Aus den 24 Silben bart, che», de, d«, der, dung. el, ge, gen, gen. ger, gum, ke, ku, nen, ro, ru, sa. selbst, son, stein, strau, tü, ver sollen 12 dreisilbige Wörter gebildet werden unter Hinzusügung einer zu«rgänzenden'gleichlautenden Mittclsilbe. Wie heißt die Silbe und wie heißen di« Wörter? Rösselsprung.
Die Worte bedeuten: Von links nach rechts: 1. höchster Beamter der deutschen Republik? S. Synonym für Atem? 6. Artikel(3. Fall): 7. Augen- blick? 9. Mädchenname(K'os «form): 11. Bodensenkung? 12. Flächenmaß? 13. chemisches Zeichen für Osmium? 16. Teilzahlung? 18.©labt in Italien : 19. chemisches Zeichen für Tantal? 29. Stadt in W«st- salen? 21. Lebenshauch: 22. Fürwort? 23. weiblicher Vorname (Koseform)? 24. deutscher Minister. Von oben nach unten: 1. Staatsvertretung? 2. Stamm- imter? 3. sagenhaste assyrische Königin: 4. Stadt in Litauen ? 6. Hin- weis? 8. Auerochse? 9. Mädchenname? 19. Frou«nnam«: 14. Ge- treideart? 15. Berg in Italien ? 17. Berhältniswort? 18. Teil. kl. Silbenraisel. Aus den Silben a a a at ol be be bel de e oat omi I ko lo ma ne now pas prj re re re rez ro sa sau se si si ster su to ul ve zam sind 14 Wörter zu bilden, deren Ansang»- und Endbuchstaben, beide von oben nach unten gelesen, ein Ziel der Sozial- demokratie im Wahlkampf ergeben Di« Wörter bedeuten: 1. Ein- spruch? 2. rusiische» Zarengeschlecht: 3. Frucht? 4. Abtrünniger: 5. bekannter Jurist der Vorkriegszeit? 6. irische Provinz? 7. Speicher? 8. Strom in Afrika ? 9. Flächeninhalt: 19. männlicher Vorname? 11. Vortrag: 12. Stadt an der Donau ? 13. verstorbener Führer der Arbeiterschaft? 14. biblischer Vorname. Kl. Silben auszählen. Die Silben vol brot heit frie dem ke frei und den sind in bestimmter Reihensolg? auszuzählen, wobei die bereits gefundenen Silben nicht übersprungen werden. Richtig aneinandergereiht er- geben sie da» Ziel, das die Sozialdemokratie stets mit aller Kraft verfochten hat. hl,
Auflösungen der Rätsel aus voriger Rummer. .Kreuzworträtsel. Wagerecht: 1. Wählt Sozialdemo- kraten? 11. Rue? 12. äc>? 14. Loth: 17. vier? 19. Po? 29. Notes? 22. ade? 23. Fort mit dem Bürgerblock.— Senkrecht: 2. Aermel? 3. Hunne? 4. Leinert? 5. Syndici? 6. autonom? 7. Mahnung? 8. ade? 9. Torpedo? 19. Bebel? 13. Ebert? 15. Hinab? 16. Feder? 18. Ida? 21. Sec (unda). Sprichworträtsel. Tu, was du tust, zur rechten Zeit, Am rechten Ort, so kommst du weit! Zahlenrätsel: Paul Singer? Auer, Urne, Luise, Spange. Isar , Nase. Grau, Erlau, Ringe. D«rtürzungsrötlel: Westend— Westen— West«. Silbenrätsel: 1.«Emir ; 2. Zbsen? 3. Roah? 4. Endor? 5. Seife? 6. Chaplin? 7. Hobel? 8. wonze? 9. Altan? 19. Linckc? 11. Bluse? 12. Eden? 13. Mark«: 14. Armut? 15. Chopin ? 16. Honig? 17. Zasso? 18. S, avier: 19. Esel? 29. Zdee? 21. Rachen? 22. Elsaß ? 23. Rixc? 24. Sodom? 25. Ostern: 26. Mekka ? 27. Morgan? 28. Essig? 29. Ritz«.— Eine Schwalbe macht keinen Sommer.