Beilage
Dienstag, 29. Mai 1928
AH) 2 M3
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ARENTAS MO
Spadausgabe des Vorwärts
Aus der Geschichte der Todesstrafe.
Man ging dem Henker wie einem Aussätzigen aus dem Weg/ Von Friedrich Wendel *).
Die heute der Todesstrafe zugrundeliegende Anschauung, daß der Mörder ein Schädling sei, der unter allen Umständen vernichtet werden müsse, hat nicht zu allen Zeiten bestanden. So überwiegt beispielsweise bei den meisten germanischen Völkerschaften des Altertums der Grundsaz des Loskaufs: einem Manne, der einen anderen erschlagen hat, wird freigestellt, ob er an die Familie des Getöteten eine Buße in Vieh, Getreide, Metall oder sonstigen Wertgegenständen leisten oder der Blutrache durch die Angehörigen jener Familie verfallen will. Meist wurde der Loskauf vorgezogen. Hingegen kannten die alten Germa nen die Todesstrafe für eine Reihe von Berbrechen, die späteren Zeiten als relativ geringfügige Delikte er= schienen sind. So wurden Ehebrecher, Ehebrecherinnen und SittlichkeitsDerbrecher in einem Sumpf erſtict, Hochverräter wurden je nach Schwere des Delikts erschlagen, gehenkt oder zwischen Balken zerquetscht, Baumfrevler verfielen der entsetzlichen Strafe des sogenannten Ausdärmens. Die Eingeweide des Verbrechers wurden um einen Baum gewickelt und er selber um den Baum getrieben. Die uns völlig unverständliche Schwere der Strafe für eine bloße Sachbeschädigung erklärt sich aus den wirtschaftlichen Verhältnissent der martgenossenschaftlichen Gesellschaft; wer sich an einem Baum verging, ihn unberechtigt fällte oder ihm die Rinde abschälte, verging sich am Gemeineigentum, es war so
Theresia von Desterreich hob die Todesstrafe auf, ihr Nachfolger| Kolumbien 1897. In Frankreich sollte sie, nachdem man etwa ein schloß sich ihr an. Der Gegner der Kaiserin, Friedrich, der angeblich Große, von Preußen, war begeisterter Anhänger der Todesstrafe, wie denn dieser Liebling unserer
Der Galgen schafft Ruhe und Ordnung. ziemlich das schwerste Delift, das be. Karikatur von Honoré Daumier auf Ferdinand II. , König beider Sizilien, dem blutigen Unterdrücker von Freiheitskämpfen in Italien .
gangen werden konnte.
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Aufgehoben wurde die Todesstrafe in Portugal 1867, in Holland 1870, in der Schweiz 1874, in Italien 1890, in Brasilien 1896, in
Jahrzehnt lang jedes Todesurteil in Gefängnisstrafe oder Depor= tation umgewandelt hatte, 1908 abgeschafft werden, leider fehlte dem entscheidenden Parlamentsbeschluß eine knappe Stimmenzahl
und es blieb beim alten.
leberaus rückständig in der Beurteilung der Todesstrafe ist Nordamerika . 3mar gibt es einzelne Staaten, die sie abgeschafft haben, die Mehrheit der Staaten aber wendet sie an, seit 1910 etwa sogar in der scheußlichen Form der Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl, der den Tod erst nach furchtbaren Qualen eintreten läßt. In aller Erinnerung ist noch die Hinrichtung der beiden Italiener Sacco und Banzetti, deren angebliche Mordschuld durch einen überaus löcherigen Indizienbeweis zurechtfonstruiert wurde.
Tausende von Schwarzen sind durch das Lyndhverfahren, dessen Beweiserhebung eine lächerliche Farce darstellt, unschuldig ums Leben gekommen. Kenner der Lynchjustiz und der( unseren Bölkischen im Geist verwandten) Ku- klurklan- Organisation berichten auch, daß in diesen Geheimbünden der Sadismus Orgien feiere. Und um das widerliche Bild zu vervollständigen, sie berichtet, daß zu den eifrigsten Fürsprechern der Todesstrafe die meisten Geistlichen der ver schiedenen amerikanischen Seften gehören.
Kunst und Proletariat.
3wei wichtige Gebiete des Bolfsbildungswesens, Theater und Filmkunst, werden in dem foeben erschienenen Maiheft der ,, Bücherwarte" in der Beilage Arbeiterbildung" behandelt. Paul Lenzner schildert in einem Artikel Volksbühne und Bildungsarbeit" die Rolle, die die Kunst und vor allem das Theater bei der Hebung des allgemeinen geistigen und fulturellen Niveaus der Volksmassen spielt. Der Zusammenhang zwischen dem Arbeiterbildungswesen und der Volksbühnenbewegung wird dadurch von selbst gegeben. In einem längeren Aufsatz Film der Wirklichkeit" - Aufsatz ,, Film behandelt Fritz Rosenfeld- Wien die wichtigsten Probleme der Film. tunst unter besonderer Berücksichtigung der neuen Strömungen, die der russische Film in das gesamte Filmmejen hineingetragen hat. Auch in diesem Artifel werden die Linien aufgezeigt, die von dam heutigen Strömungen in der Kunst zu den großen Bildungs- und Kulturidealen des sozialistischen Proletariats führen.
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Die Bücherwarte" mit Beilage Arbeiterbildung" ist zum Preise von 1,50 M für das Vierteljahr durch die Post, die Buchhandlung J. H. W. Dietz, Lindenstraße 2, und durch alle Vorwärts Speditionen zu beziehen. Einzelnummern tosten 75 Pf.
Eine ,, Miliz ", wie sie nicht sein soll. Sowjetpolizei als Landplage.| Milizpoſten und die Räuber bewegen sich überall in
Im griechischen Altertum hat die an dem Philosophen| Deutschnationalen vom wahren Geist seines Freundes Voltaire im Sokrates vollzogene Todesstrafe( er mußte den Giftbecher Grunde völlig unberührt geblieben war. leeren) geschichtliche Bedeutung erlangt. Verbrechen" des Sokrates: er verderbe die Jugend durch falsche Lehre und hezze die Leute auf. Die römische Republik fannte während breiter Partien ihrer Geschichte die Todesstrafe an einem römischen Bürger nicht hingegen wurde die Todesstrafe an Sklaven schon wegen geringfügiger Bergehen vollzogen. Biele Geschichtschreiber haben in diesem Berhältnis Sicherheit des römischen Bürgers vor der Todesstrafe, ausschließliche Anwendung beim Sklaven einen Beweis für die ethische Höhe Roms erblicken wollen. Leider stimmt das gerade von diesem Gesichtswinkel aus nicht: man ist sich heute einig darüber, daß die antike Welt an der Institution der Sklavenwirtschaft, an der rechtlichen Stellung des Sklaven und all ihren demoralisierenden Folgen für das gesamte öffentliche Leben zugrunde gegangen ist. Die gewöhnliche Strafe für den auffäffigen Sklaven war die Kreuzigung. Der Prätor Marcus Crassus , dem die militärische Niederwerfung des Sklavenaufstandes des Spartakus gelang, ließ längs der Straße von Capua nach Rom 6000 gefangene Sklaven ans Kreuz schlagen. Die Strafe murde in der Weise vollzogen, daß man Füße und Hände des Verurteilten an den Balken eines auf: gerichteten Kreuzes feftnagelte, häufig wurden aber auch nur Beine und Arme an den Balken festgebunden, man ließ den Gefreuzigten in dieser Lage hängen, bis der Tod nach furchtbaren Qualen durch Erschöpfung eintrat, was tagelang dauern fonnte.
Im Mittelalter wurde die Todesstrafe für sehr gering: fügige Bergehen verhängt. Viele Boltssagen beklagen, daß Un schuldige dem Henker zum Opfer fielen. In manchen Gegenden bestand die eigentümliche Sitte, daß zum Tode Verurteilte durch Frauen und Mädchen, die erklärten, den Verbrecher heiraten zu wollen, freigemacht werden konnten. Ein sehr bedeutsamer Zug des frühmittelalterlichen Rechts ist, daß die Bollstreckung eines Todes urteils durch die ganze Gemeinde, die das Urteil gefällt hatte, zu erfolgen hatte. Das ist nicht etwa der Ausdruck einer Kollektivrache, man hat vielmehr viele Anhaltspunkte für die Annahme, daß man damit die ernste Verantwortung, die die Fällung eines Bluturteils bedeutete, allen Richtenden möglichst eindringlich zu Gemüt führen und im übrigen Bluturteile möglichst selten machen wollte. Noch im 12. Jahrhundert mußten sämtliche Bürger oder Bauern einer Gemeinde, in der ein Todesurteil gefällt worden war, den Strid des Henkers bei der Hinrichtung mit einer Hand berühren.
Der schlagende Beweis aber dafür, daß man in der Todesstrafe eine sinn und zwecklose Barbarei zu erblicken geneigt war, wird durch die gesellschaftliche Aechtung des berufsmäßigen Henters geliefert, die bezeichnend für das ganze Mittelalter und auch für spätere Jahrhunderte ist. Man ging dem Fenker wie einem Aussäzigen aus dem Weg, jede Berührung mit ihm und durch seine Hand war ein Schimpf für den Berührten, er mußte abseits von der Gemeinde wohnen, hatte keinen Zutritt zu Wirtshäusern und öffentlichen Veranstaltungen, auch die Mitglieder seiner Familie waren geächtet. Eine Berührung mit dem dem Tode Verfallenen entehrte nicht, eine Berührung mit dem Henter immer. Sehr bemerkenswert sind auch die vielfach bezeugten Ausbrüche des Rolfszorns über einen ungefchicten Senfer; pelena es dem Scharfrichter nicht, mit einem Schlage den Kopf vom Rumpf zu frennen oder riß der Strid beim Hängen, so war das Leben des Henkers vor der Erregung der Menge nicht sicher.
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eine Miliz". Diese Miliz ist aber nichts anderes als die alte In Sowjetrußland gibt es heute natürlich keine Polizei, sondern 3 aristische Polizei in verschlechterter Auflage. Unsere Kommunisten schreien Zetermordio über die preußische Sch upo, die doch in ihrer Art sich in ganz Europa sehen laffen kann. Die russische Miliz die ungefähr der preußischen Schupo und der Kriminalpolizei entspricht wird aber von der Sowjetpresse in so düsteren Farben geschildert, daß jede weitere Sowjetpresse in so düsteren Farben geschildert, daß jede weitere Kritik darüber sich erübrigt. Wir veröffentlichen hier einige Stellen aus einem Artikel, der in der Moskauer „ Prawda" vom 8. Mai ( Nr. 105) erschienen ist. Man lese und staune: ,, Der Vorsitzende des Vollzugsausschusses eines der Bezirke des Moskauer Gouvernements hat sich einmal die Frage vorgelegt: prügeln seine Milizsoldaten gelegentlich die Bevölkerung oder sei das eine Erfindung? Und um sich selbst davon zu überzeugen, wie es eigentlich damit steht, ging er nachts auf die Straßen. wobei er fich ziemlich verdächtig benahm. Der die Straßenbewegung überwachende Milizionär nahm diese verdächtige Person beim Kragen, rüttelte fie, wie es sich in solchen Fällen gehört und, nachdem er noch irgendwelche Fragen ihr vorgelegt hatte, gab er dem Vorfizenden eine solche Ohrfeige, daß der sich sofort davon überzeugte:
hier prügelf man, und zwar so, daß es weh tut.
Da es jedoch bekanntlich riskant ist, aus einer einzelnen Tatsache irgendwelche Schlüsse zu ziehen, so ging der Vorsitzende, ohne seinen Namen zu nennen, auf das Polizeirevier mit, wobei er in den Nacken und in die Seiten gestoßen wurde, da er protestieren wollte. Auf der Treppe zum Polizeirevier begegneten ihm fünf Milizsoldaten, heißblütige" Burschen, die, als sie von ihrem Kameraden erfahren hatten, daß er gewiß einen Plan der Stadt habe aufnehmen wollen," ihn mit Fäusten bearbeiteten und ihm beinahe ein Auge ausschlugen." In der Ukraine , in dem Bezirk von Korosten haben die Milizbeamten eigenhändig die Leute auf der Straße verprügelt überhaupt hat sich das Brügelsystem in der Miliz einigermaßen eingebürgert. Sogar in Mostau, mitten im Zentrum, tann man täglich Prügelszenen im großen Maßstab beobachten."
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,, Der Milizionär muß alles niedertrampeln, ohne vor irgend etwas haltzumachen, denn hörte er auf, in dieser Richtung sich anzuftrengen, so würden ihn seine Vorgesetzten bestrafen. Man hat ihn dazu erzogen und daran gewöhnt, ent= schieden vorzugehen und sogar die Fäuste zu gebrauchen. In einem kleinen Orte wurde einem Bauernburschen von der Miliz eine Geldstrafe auferlegt, weil er auf der Dorfstraße ein Lied gefungen hatte." In Sibirien darf man auf den Straßen keine Lieder singen, es ist dort auch verboten, auf der Ziehharmonika zu spielen. Dafür gibt es nirgends in Mostau, Sfaratom, *) Siehe die Artikel in Nr. 100, 104, 122, 144, 162, 192 und 214. Odessa , Nowossibirst, Tschernigoff in den Arbeitervierteln
Unter dem Einfluß der Aufklärung" famen bei einzelnen Fürsten vernünftigere Anschauungen zum Durchbruch. Maria
den Vororten nachts ungehindert auf den Straßen."
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Kein Milizhauptmann fann eine richtige Auskunft darüber geben, wie z. B. die Mannschaften für die Miliz angeworben werden. Wir stellen sie einfach an" wird da jeder Hauptmann sagen. Die auf diese Weise ,, angestellten" Leute erweisen sich bismeilen als Verbrecher, wie sich das in Mostau, Odessa , Chartoff herausgestellt hat. Bon Zeit zu Zeit plazi eine Eiterbeule, diese oder jene Milizverwaltung fommt auf die Anklagebant. So hat man jetzt festgestellt, daß die Beamten der Milizverwaltung in Kriwoi Rog viele schwere Verbrechen, darunter den Mord eines Beamten begangen haben.... In einem Bezirk des Gouvernement Ssaratow schloß die Miliz während der Geschäftsstunden ihre Amtsräume und begab sich vollzählig, mit dem Hauptmann an der Spitze, zu einer Sauferei; die Bauern ihren die unter Bauernfuhren eingeschlafenen, betrunkenen Milizsoldaten vom Marktplatz weg. Wohin sollte man aber sie eigentlich führen. Denn wenn man sie in die Milizverwaltung abliefern sollte, so
fitzt dort ein Trunkenbold neben dem anderen."
,, In einem Bezirk des Gouvernements Odessa schlägt der Agent der Kriminalpolizei Danowski den Banditen Großmann vor, nachts einen Ueberfall auf den Bezirksausschuß zu ver= anstalten, um der Amtskasse mit 15 000 Rubel habhaft zu werden; er stellt dem Banditen seine Waffen zur Ver fügung und empfiehlt ihm seine Leute als Helfershelfer. Derselbe Danowski fäuft mit einem Verbrecher, säuft auch zusammen mit seinen Borgeseßten in allen möglichen Berbrecherlokalen; und diese höheren Milizbeamten
erhalten von von den Besißern dieser Berbrecherlofale und Spelunken ein monatliches„ Gehalt".
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zwischen den Beiden entwickelt sich folgende Unterhaltung: Ein Kriminalpolizist in Mosfau faßt einen Taschendieb. 3wischen den Beiden entwickelt sich folgende Unterhaltung: ,, Gib her!" ,, Was?" ,, Die Hälfte!" ,, Hab' ja bloß eine Kleinigkeit stiebigt."- Seig mal her!" ,, Nur zwei Theaterfarten, sonst nichts." ,, Gib her die Karten!" Der zuerst Bestohlene hatte den Diebstahl der Miliz gemeldet und der Kriminal beamte wird samt seiner Frau aus dem Theater nach dem Polizeirevier geholt....
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Die Bramba" zieht aus allen diesen Tatsachen folgende Bilanz: Bon oben eine rein formale Leitung seitens der Verfügungsmenschen," in der Mitte schwache Parteikadres, unten im Grunde genommen eine dunke Masse von zufällig zufammengelejenen Menschen, die Analphabeten und mitunter triminell sind." Das ist das Urteil des 3entralorgans der Kommunistischen Partei Rußlands über die heutige Sowjetpolizei. Diesem Urteil ist nichts hinzuzufügen.