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BERLIN  Montag 11. Juni

1928

Der Abend

Erscheint täglich außer Sonntags. Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3

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Spätausgabe des Vorwärts"

10 Pf.

Nr. 272

B 134 45. Jahrgang.

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Die neue Schnellzugkatastrophe

24 Todesopfer, 7 Schwerverletzte in Lebensgefahr.

Ursache: Entgleisung.

Hauptleidtragende die Eisenbahnangestellten.

In den frühen Morgenstunden des Sonn­tags hat sich im Süden des Reiches, in der Nähe von Nürnberg  , wieder ein folgenschweres Eisen­bahnunglück zugetragen, das leider zu den aller­schwersten Katastrophen der letzten Jahre ge­zählt werden muß.

Die Zahl der Toten wird im Augenblick auf 24, die Zahl der Schwerverletten auf 11 bis 12, die der Leichtverletten auf etwa 100 beziffert.

München  , 11. Juni.  ( Eigenbericht.) In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag entgleiste bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof Siegelsdorf  , 18 kilometer von Nürnberg  , der Schnellzug München  - Frankfurt  , der um 22,45 Uhr München   verläßt. Der Zug traf fahrplanmäßig in Nürnberg   um 1,44 Uhr ein und fuhr von dort um 1,54 Uhr ab. Eine halbe Stunde später ereignete sich das schreckliche Unglück, dem nach einer am Sonntag ausgegebenen amtlichen Meldung 22 Tote und 11 Schwerverletzte zum Opfer fielen. Die Ursache des Unglücks ist bisher noch unbekannt.

Die Unglücksstätte.

Die Auswirkung des Unglücks war geradezu schrecklich. Die Lokomotive hat sich bei dem Abgleiten von der Böschung zwei­mal üerschlagen. Der enfftrömende heiße Dampf traf die Personen­wagen, fo daß viele der unglüdlichen Fahrgäste allein hierdurch einen qualvollen Tod starben. Der Lokomotivführer war auf der Stelle tot, während der Heizer und ein Reservelofo­motivführer fast unverlegt blieben. Auch der Zugführer, der sich im ersten Wagen des Zuges befand, kam unversehrt davon. Unter den Toten befinden sich mehrere Eisenbahnangestellte, die von einem Rurfus in München   famen. Der Zug selbst bestand aus Lokomotive und Tender, zwei Padwagen, vier Wagen dritter Klasse, zwei Wagen erster und zweiter Klasse und zwei Bostwagen. Die Wagen liefen in der aufgeführten Reihenfolge. Als das Unglück geschah, wurden die beiden Padwagen und die ersten Personenwagen über die Lokomotive geschleudert. Dadurch entgleisten im ganzen sechs Personenwagen; die beiden Schlafwagen und die beiden Boftwagen blieben unversehrt, obgleich das Unglück fich bei einer Fahrgeschwin. digkeit des Zuges von etwa 80 Kilometern ereignete.

Die verhängnisvolle Kurve.

Die Strecke hinter dem Bahnhof Siegelsdorf  , wo das Unglüd geschah, liegt in einer sogenannten Rechtskurve, d. h. einer Krüm­mung von rechts nach links. Der Zug soll hier laut Dienstanwei fung seine Geschwindigkeit nicht herabsetzen. Das Lotomotivperso nal des Unglückszuges hat, wie anzunehmen ist, dieser Dienstanwei sung wie an jedem Tage entsprochen. Auch das an der Ausfahrt feite gegen Hagenbüschach rund 300 Meter südwestlich des Bahn hofsgebäudes gelegene Stellwert II iſt ordnungsgemäß bedient morden. Der Zug hatte gerade dieses Stellwerk passiert, als der Stellwertswärter ein lautes Getöse vernahm. In einer großen Dunstwolfe bemerkte er die Lokomotive, die nach rechts ent­gleist und über den etwa 3 bis 4 Meter hohen Damm herabgestürzt

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Das erste Bild von der Unglücksstätte

der Zug entgleiste, sind die Schienen gänzlich weggeriffen, die Bohlen zu fleinen Trümmern zermalmt. Die Deutung, daß das Unglüd auf einen Dammrutsch zurückzuführen sei, scheint sich nicht zu bewahrheiten. Der Bärter des Stellwerks II unweit Siegels borf, der erfte Zeuge des Unglücks, berichtet, daß sofort nach dem Unglüd furchtbares und herzzerreißendes Schreien von der Unglücksstelle aus zu vernehmen war. Der Kessel der Loko­motive war geplaßt, und die meisten Verlegungen entstanden durch den aus der Lokomotive entströmenden Dampf, der entsetzliche Ver= brühungen verursachte. Auch die Toten sind zum größten Teil durch ausströmenden Dampf derart verbrüht worden, daß sie voll­fommen untenntlich waren. Die Verlegungen der Reisenden waren grauenerregend. Aus dem Wagen flangen ununterbrochen die Schreie der Verwundeten. Immer wieder wurde der Ruf nach Wasser laut. Etwa 40 Berletzte wurden mit Sanitätsautos sowie durch Sanitätswagen der Reichsbahn in das Fürther   Kran fenhaus übergeführt. Zwei Sanitätsfolonnen sowie Abteilungen der Nürnberger   Berufs- und freiwilligen Feuerwehr waren sofort zur Stelle.

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Nachrichten von Nobile. Gasvergiffung einer ganzen Familie.

( Berichte im Innern des Blattes.)

Der Zugverkehr von München   nach Nürnberg   ist einstweilen noch gesperrt. Auf welche Weise sich das schwere Unglück ereignen fonnte, wurde bis jetzt noch nicht festgestellt.

Weitere Einzelheiten.

Die Stelle, an der der Schnellzug München  - Frankfurt   entgleist ist, liegt unmittelbar hinter Siegelsdorf in einer Kurve, wo die Böschung eine Höhe von acht bis zehn Metern erreicht. Glück im Unglück ist es, daß sich der Unfall nicht 100 Meter weiter gegen Neustadt zu ereignet hat, denn dort führt eine steinerne Brücke über die Regnig. Wäre hier der Unfall passiert, so wären zweifellos Hunderte von Toten zu beklagen ge= wesen, denn der Zug war voll besetzt. Der auf die Lokomotive ge­fallene vollständig bildet nur noch einen Splitterhaufen. In

Rotomotive, alfo die zwei vorberſten Räderpaare, nach der Ausfahrt Kabinett Marx nimmt Abschied. ne agen iſt no biefem Wegen wurden auch die meiſten, Solen

der Weiche die Gleise metertief aufgewühlt und sich eingebohrt hatte, während die Lokomotive selbst unten lag, und zwar so, baß der Kamin in der Richtung nach Nürnberg   gelegen war. Die übrigen Teile liegen entgegengesett der Fahrtrichtung mit den Rädern gen Himmel. Auch der Tender ist offenbar, ähnlich wie der Badwagen, über die Lokomotive hinweg geflogen. Er liegt ebenfalls in umgekehrter Fahrtrichtung am Fuße des Dammes in der Richtung Würzburg  . Die an der Fahrt strede stehenden Telegraphenmasten wurden ebenfalls umgeworfen, so daß der Telephonverkehr auf der Strecke mehrere Stunden ge­sperrt werden mußte.

Das Bild des Grauens.

Die Unglüdsstelle machte auch am Sonntag nachmittag frog der bald nach dem Unglüd begonnenen Aufräumungsarbeiten einen geradezu grauenhaften Einbrud. Bon der Stelle ah, an der

Dienstag 9.45 Uhr.- Um 10 Uhr Müller.

Am Dienstag vormittag, genau um 9,45 Uhr, wird die bisherige, durch die Wahlen erledigte Reichsregie. rung, volle drei Wochen nach dem Urteilsspruch des Wolfes, ihren Rücktritt dem Reichspräsidenten offiziell

mitteilen.

Schon eine Viertelstunde später wird Hermann Müller Franken vom Reichspräsidenten   empfangen und wahrscheinlich beauftragt werden, die neue Regie rung zu bilden.

Man darf der Hoffnung Ausdruck geben, daß das er­freuliche Tempo, das durch diese Viertelstunde angezeigt wird, auch weiter die Regierungsbildung beherrsche. Es wird Zeit, daß aus dem Wahlergebnis die allein mögliche Konsequenz gezogen wird.

aufgefunden. Mit den Toten waren zwei leichtverletzte Reisende, ein 19jähriges Mädchen und ein 65 Jahre alter Mann eingeschlossen, an die man erst nach vierstündiger mühevoller Arbeit gelangen fonnte. Der Ausweg war den beiden nicht nur durch die ineinanderge schobenen Wagenteile, sondern auch durch die um sie aufgehäuften Leichen versperrt. Ein Aspiránt, der auf der Maschine mitgefahren ist, wird noch vermißt, man vermutet ihn noch unter den Trümmern. Die meisten Toten sind verbrüht worden. Sie wurden sofort nach dem Fürther   Friedhof übergeführt. Die Verletzten haben außer Verbrühungen Knochenbrüche davongetragen. Rettungsarbeiten mußte mit Schweißapparaten gearbeitet werden, um die Eingeschlossenen aus ihrer Lage befreien zu können. Das Grün der Böschung ist an der Unfallstelle wie weggemäht. Der Reifenden hatte sich erklärlicherweise eine große Panik bemächtigt. Aus dem unbeschädigten auf dem Gleise stehenden Schlafwagen sprang ein Reisender im hemd heraus und irrte wie geistess

Bei den