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BERLIN Mittwoch, 13. Juni 1928

Der Abend

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Der Reichstag ist eröffnet!

Heute erste Sitzung, morgen Wahl des Präsidiums.

Paul Löbe

wird am Donnerstag erneut zum Präsidenten des Reichstags gewählt werden.

Die Ouvertüre.

Wenn diese Zeitung in die Hände unserer Leser kommt, dann wird der am 20. Mai neugewählte Reichstag seine erste Sigung begonnen haben.

Welch ein Unterschied gegen früher! Kein Empfang im Weißen Saale des Kaiserschlosses, wo die hohen Militärs und Bureaukraten sich um den Thron scharten und die Abgeordneten in geziemender Entfernung verharren mußten. Kein Kazbuckeln vor einer aufge= blajenen ,, Majestät", kein Berlesen einer inhaltlosen Thronrede.

Aus eigenem Recht wählt das Volk seine Vertreter, be­stimmt es durch sie den Kurs der Politik und die Männer seines Bertrauens. Es darf kein Borrecht der Geburt, des Besizes, der Raste mehr gelten. Aus den Tiefen des arbeitenden, des leidenden Volkes müssen sich immer wieder die schöpferischen Kräfte erneuern, deren das Staatsleben bedarf. Wer gestern der Letzte war, muß in der demokratischen Republik morgen der Erste jein fönnen, wenn er die Fähigkeiten dazu hat!

Und so wird heute um 3 Uhr der ehemalige Schuster Wil. helm Bod als Alterspräsident die Sigung eröffnen, der frühere Buchdrucker Paul Löbe wird morgen wieder Präsident des Reichs­tags sein, der frühere Handlungsgehilfe er mann Müller wird Die Führung des Kabinetts übernehmen. Die Tatsache, daß die So­zialdemokratie, die Partei der Arbeiterklasse, die Siegerin vom 20. Mai, in erster Linie die Männer stellt, die Parlament und Re­gierung leiten jollen, jagt mehr, als alle noch so schönen Richtlinien und Verhandlungsprotokolle es tun können: der neue Reichstag wird ein Reichstag der Arbeit sein!

Man mag es als ein Symbol für diesen Arbeitswillen nehmen, baß das Lesepult auf der Rednertribüne des Hauses entfernt worden ist. Die Abgeordneten sollen nicht mehr wohlvorbereitete Manuskripte vorlesen, sondern in frischer Rede und Gegenrede die Auseinandersetzungen führen. Auch sonst weist der Sizungsjaal inige Veränderungen auf. Am augenfälligsten ist die starke Ver­hiebung ber fozialdemokratifchen Sihreihen nach der Mitte zu, bie

durch die Vermehrung der Mandate der Sozialdemokratie von 131

auf 152 bedingt iſt. Der kommunistische Zuwachs um neun Size Das abgeschraubte Rednerpult.

fällt weniger auf, dagegen merkt man bei der Plazzeinteilung um so deutlicher den Rückgang der deutschnationalen Fraktion.

Die Wahl der Präsidiums wird am Donnerstag vor­genommen werden. Den Präsidenten stellt, wie schon erwähnt, die sozialdemokratische Fraktion, der erste Vizepräsident kommt nach par­lamentarischen Brauch aus der zweitstärksten Fraktion, die, leider noch immer, die deutschnationale Partei bildet. Das Zentrum wird, wie bisher, den zweiten Bizepräsidenten stellen. Am Dienstag hat sich die sozialdemokratische Reichstagsfraktion mit der Wahl des dritten Bizepräsidenten beschäftigt, der nach der Stärke der Reichstagsfraktionen in Zukunft nicht mehr der Bolkspartei, sondern den Kommunisten zufallen müßte. Die Sozialdemokratie wird für den fommunistischen Vizepräsidenten stimmen, wenn die Kommunisten die Geschäftsordnung nicht nur anerkennen, sondern auch innehalten und die berechtigten Ansprüche der anderen Frat­tionen in bezug auf die Besetzung des Präsidiums anerkennen. Stim­men die Kommunisten gegen Löbe und für einen aussichts­losen Kandaditen aus ihren Reihen, dann wird die sozialdemo= fratische Fraktion sich bei der Wahl des dritten Vizepräsidenten der Stimme enthalten. In diesem Fall gilt die Regel: Wie du mir, so ich dir!

Nach dieser Duvertüre wird es dann an die Arbeit gehen müssen, deren Schwergewicht naturgemäß zuerst bei der neuen Re= gierung liegt. Die Sozialdemokratie hat erst 152 unter 490 Ab­geordneten: 338 stehen gegen sie! Um wieviel größer könnte der Einfluß der Arbeiterklasse sein, wenn zu den 152 Sozialdemokraten die 54 Kommunisten stoßen würden. Dann stände das Erempel so: 206 gegen 284! Aber welche Macht erst könnte das Proletariat aus­

Reichstagspräsident Löbe ließ das Rebner. pult entfernen, um das Ablesen von Reden zu verhindern.

üben, wenn die Parteiunterschiede überhaupt verschwänden und wie v. Keudell: Glück im Unglück! Golange ich ministerreden vor dem Kriege eine einige, geschlossene, starte Sozialdemokratie den Mächten des Kapitals entgegentreten

würde!

Noch aber sind wir nicht so weit, wenngleich sich bei den Kom­munisten bereits Zeichen dafür bemerkbar machen, daß die Herrschaft des Mauls und der Faust abgelöst wird von der Vernunft. Siehe das erste Auftreten des kommunistischen Bizepräsidenten im Preußi­schen Landtag. Inzwischen aber gilt es für die Sozialdemokratie mit den vorhandenen Kräften zu rechnen und sie zum Kampfe für die Intereffen der werftätigen Bevölkerung einzusetzen. Und so wird der Leitstern der sozialdemokratischen Fraktion auch im neuen Reichstag sein: Durch den Willen zur Tat!

Keine Amnestie für Fememörder!

Die Kommunisten haben dem Bureau des noch nicht konftituierten Reichstags einen Amnestieantrag zugehen lassen, dessen§ 3 lautet:

Ausgeschlossen von dieser Straffreiheit sind nur Per­fonen, die fich an den Mordtaten oder Mordverfchwö­rungen der Schwarzen Reichswehr, der Organisation Conful, Roßbach und der bayerischen Einwohnerwehr und der Neben- und Hilfsorganisationen der vorgenannten Ber­bände als Täter, Anstifter, Geldgeber oder Gehilfen beteiligt haben.

Wilhelm Bock ( Soz.) Alterspräsident des neuen Reichstages,

halten mußte, stand das Pult noch da!"

Die Kommunisten stellen sich damit genau auf denselben Stand­punkt, den die sozialdemokratische Fraktion im alten Reichstag ein. nahm, als sie dem kommunistisch- deutschnationalen Kompromißantrag, der auch für Fememörder eine Amnestie vorsah, ihre Zu­ftimmung verweigerte. Sie entlarven damit die Angriffe, die sie des. halb im Wahlkampfe gegen die Sozialdemokratie gerichtet haben, als bloßes Wahlmanöver.

Im§ 1 fordern die Kommunisten Straferlaß für Straftaten, die aus politischen Beweggründen begangen worden sind. Als politische Handlungen sollen auch Straftaten gelten, die in Zu sammenhang mit politischen oder wirtschaftlichen Kämpfen stehen.

Erstaunlicherweise haben die Kommunisten vollständig die Straftaten vergessen, die aus sozialer Not begangen worden find. Wir hoffen, daß die sozialdemokratische Reichstags­fraktion dieses Versäumnis gutmachen wird.

Noch kein Fortschritt.

Die Volkspartei tagt erst am Nachmittag.

heute noch nicht weitergediehen. Die Boltspartei hielt am Die Verhandlungen über die Regierungsbildung sind Vormittag nur eine geschäftliche Sigung ab, in der sie ihre Funktionäre wählte. Die Aussprache über die politischen Fragen soll erst in einer weiteren Sigung, die heute nach­mittag um 5 Uhr beginnt, erfolgen. Auch die anderen Frat­tionen haben noch feine Stellung zu der Regierungsbildung genommen.

Gin 100 000- Mart- Gewinn! Nummer des Glücksloses: 106 486.

Bei der heutigen Ziehung der Preußis- Süddeutigen klassenlotterie ist ein Hauptgewinn von 100 000 2. auf das Los Nr. 106 486 gefallen.

Das Los Nr. 106 486 ist in beiden Abteilungen in Berlin gespielt worden. Seit Jahren ist zum erstenmal ein großer Geminn vollständig nach Berlin gefallen. Bei den letzten Ziehungen mußte Berlin die großen Gewinne mit der Provinz teilen. Beide Abteilungen wurden in Viertel- und Achtel teilung gespielt, so daß auch diesmal die glücklichen Gewinner Lleine Leute sind, die das Geld aut aebrauchen können.