Beilage
Mittwoch, 13. Juni 1928.
98190
Zwischen 48 und 78.
HOLE
Die schicksalsschweren dreißig Jahre.
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Die Revolution von 1848 und ihre Niederwerfung durch das| Versagen des Bürgertums und die Brutalität und meineidigkeit der Monarchie, die dann ihre Rettung sucht in einer Regierung von Blut und Eisen und die erst so widerspenstigen Liberalen durch den altbewährten Waffenruhm besoffen macht durch die Kriege gegen Dänemark , Desterreich und Frankreich und sich dadurch stark macht zum Kampf gegen den inneren Feind", die Arbeiterklasse, deren politische Macht man schließlich mit Bismards„ Sozialisten gesetz " abwürgen will: das sind, möchte man annehmen, olle Kamellen". Und doch leben und leiden wir heute noch so starf und unmittelbar unter den Ereignissen jener schicksalsschweren dreißig Jahre, daß wir es nur mit Freuden begrüßen fönnen, wenn man uns jene Jugend- und Kampfzeit der deutschen Sozialdemokratie plastisch vor Augen stellt. Das geschieht in einem Buch von Baul Kampffmeyer und Bruno Altmann , das der„ Bücherfreis" herausgegeben hat und daß sich„ Vor dem Sozialisten gesetz betitelt.
Der Untertitel zeigt, worauf es den Verfassern antommt: auf die„ Krisenjahre" des Obrigkeitsstaates". Die Aera Bismard, die man uns in Schullesebüchern und Kriegervereinsreden als ein neues Heldenzeitalter, als die Erfüllung aller nationalen Wünsche und Sehnsüchte seit dem Kaiser Barbarossa hingestellt hat, entpuppt sich da als ihr Gegenteil: als der tödliche Konflikt einer längst überlebten Staatsform und einer revolutionären wirtschaftlichen Entwicklung. Wir können heute, nachdem wir die preußische Monarchie zu Grabe
handelte, mißliebige Liberale zu beseitigen. Der König felber hatte an den Justizminister geschrieben:„ Lieber Otto, ich muß einen Gerichtshof haben, der verurteilt, wo die anderen frei. sprechen". Das war nur möglich, wenn man die Justiz von Grund aus forrumpierte. Man bediente sich russischer Methoden, der ehrenwerte Stand der Lodspiel wurde losgelassen. Ein Dr. Ladendorf ging mit mehreren Kollegen einem solchen Halunken namens Henzen ins Garn und wurde ins Zuchthaus geschickt; im Falle des Geheimen Obertribunalsrats Balded war der Schwindel so offenfundig und ungeschickt, daß der Spizel Ohm verschwinden und Walded freigesprochen werden mußte. Dafür wurde Waldeck von seinen ehrenwerten richterlichen Kollegen genötigt, sein Amt niederzulegen. Ueberhaupt wurden Angebereien große Mode: die Herren von den Oberlandesgerichten Ratibor , Bromberg , Münster denunzierten ihre Präsidenten wegen Verfassungstreue. Ein Erpresser namens Lindenberg schwärzte im Königsberger„ Freimütigen" einen Beamten als staatsgefährlich" an, weil er einen breitrandigen weichen Filzhut trug und an der Decke seines Bureaus angeblich eine schwarzrotgoldene Borte hatte anbringen lassen. Den Freischärlerhut mußte man ihm lassen, weil er im Kriege eine Kopf wunde erhalten hatte, und die hochverräterische Zimmerdecke war in Wirklichkeit grün, braun und weiß. Immerhin wurde eine hochnotpeinliche Untersuchung eingeleitet, um diesen Tatbestand aufzu
nehmen!
getragen und sich ihre Geheimarchive geöffnet haben, erst ermessen, land, sein herrliches Reich. Presse und Koalitionsfreiheit waren ge
wie unnatürlich und unhaltbar dieses altpreußische Regiment war, dessen wirtschaftliche Stützen sozusagen in der Luft hingen.
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Als Friedrich Wilhelm IV. 1849 den Küraffiergeneral Graf Brandenburg , einen versorgungsbedürftigen unehelichen Sohn seines Großvaters Friedrich Wilhelm II. , zum Ministerpräsidenten berief, den Schöpfer des berüchtigten Dreiflaffenwahlrechts, gellte ein Butschrei durch ganz Deutschland . Man wußte, mas diese Ernennung zu bedeuten hatte. Es war eine Kriegserklärung an die schwarzrot goldene Schärpe, mit der der voltsfreundliche" König im März 1848 durch die Straßen seiner Hauptstadt geritten war. Es mar die Rettung der Monarchie in die Arme der Junkerkaste, die das Heer und die Beamtenschaft beherrschte. Und diese kaste nügte bic Konjunktur gründlich aus. Die Landratstammer" so genannt, meil nicht weniger als 72 Landräte 1855 in ihr einzogen hatte nichts Eiligeres zu tun, als die Polizeigewalt der Rittergutsbesizer zu festigen. Der Gutsherr herrschte viel unumschränkter auf dem Lande als der Beamte, weil er feinem Disziplinar verfahren ausgesetzt war, und der Graf Pfeill, der unliebjame Elemente, selbst wenn er von ihrer Unschuld überzeugt war, schließen und tagelang einsperren oder öffentlich durchprügeln ließ und sich dieser Gemeinheiten im Landtag rühmte, beantragte Streichung der Strafparagraphen, die sich auf Ueberschreitung der junkerlichen Polizeigemalt bezogen. Der Polizeidirektor Hind elden in Berlin wurde, weil er einen adligen Spielklub ausgehoben hatte, 1856 von einem Mitglied des Herrenhauses, von Roch om, zum Duell gefordert und niedergefnallt. Das waren die Großväter jener Ehren männer und Kronprinzenfreunde, die noch kurz vor dem Kriege Wilhelm II. aufforderten, durch einen Leutnant und zehn den Reichstag zum Teufel zu jagen.
Unter Friedrich Wilhelm IV. wütete der preußische Obrigkeitsstaat gegen das liberale Bürgertum, wie er unter Wilhelm I. gegen die Sozialdemokraten mütete. Zunächst wurde auf demokratische Beamte Jagd gemacht. Dazu bediente man sich des verschärften Belagerungszustandes, des Kriegsgerichts und seit 1852 eines befonderen Gerichtshofes, der schwere politische Verbrechen" abzuurteilen hatte. Es ging damals ein richtiges Resseltreiben gegen „ Hochverräter los. Kein Mittel war zu schlecht, wenn es sich darum
Auf diesem Fundament errichtete Bismard ſein neues Deutsch fnebelt und blieben es. Das preußische Versammlungsrecht von 1850 verbot ausschließlich Vereine, die sich mit politischen Dingen beschäftigten“ und„ mit anderen Vereinen gleicher Art zu gemeinsamen Zweden in Verbindung traten". Man löste Bersammlungen auf und trieb unter Umständen die Teilnehmer mit brutaler Gewalt aus. einander, und man zwang die Saalbefizer durch Drohung mit Entziehung der Schankfonzession, mißliebigen Vereinen ihre Lotale zu sperren. Es war alles schon vorbereitet auf den Kampf mit der 2rbeiterklasse. Man brauchte gar nicht erst neue Methoden einzuführen.
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Wilhelms I. lange Regierung ist nichts anderes gemefen als eine Militärdikdattur, die tatsächlich von dem eisernen Kanzler" ausgeübt wurde. Der preußische Junker, der schon immer die Geschicke des Königreichs bestimmt hatte, untermirst sich den Monarchen wie es der Diktator Mussolini heute in allerdings noch grotesterer Form in Italien macht. Mit jener dem Diktator eigentümlichen bullenmäßigen Wucht, die stets die Grenzen der eigenen Macht übersicht, wirst er sich auf seine Gegner: zuerst auf die Ultramontanen, dann auf die Sozialdemokraten. Seit dem Aufstand der Kommune in Paris lebte Bismard in der beständigen Angst vor dem Ueberspringen des Funkens nach Deutschland . Es ging ihm wie Goethes Zauberlehrling: die Geister, die er gerufen, wurde er nicht mehr los! Der Milliardensegen der französischen Kriegsentschädigung befruchtete den deutschen Unternehmungsgeist und beschleunigte die gesellschaftliche Umwälzung in einen Industriestaat mit einem großstädtischen Massenproletariat. Der Sieg von 1871 wirkte sich in sozialer Beziehung ebenso verheerend aus wie die Niederlage von 1918. Der preußische Polizeistaat zeigte sich den neuen Berhältnissen nicht entfernt gewachsen. Bismards Weisheit erschöpfte fich in Schuhmannsattaden und Schreckensurteilen. Dem geistigen Ringen der Lassalle und Bebel mußte diefer Junker nichts entgegenzusetzen als die brutale Gewalt.
Mit dem Sozialistengesetz von 1878 hat sich das Junter. tum sein eigenes Todesurteil geschrieben. Der Mißerfolg dieses Ausnahmegesetzes hat Bismard den Hals gebrochen. Die„ vaterlandslosen Gesellen" aber, die man zur Strede bringen wollte, haben den bankerotten preußischen Staat liquidiert.
Hermann Hieber.
Spalausgabe des Vorwan's
Roman eines Dienstmädchens.
Das Publikum liebt die verlogenen Romane; dies ist ein Roman, der wahr sein will. Es liebt die Bücher, die sozusagen zur guten Gesellschaft gehören; dieses Buch aber kommt von der Straße. Es liebt fleine, gepfefferte Sächelchen, Dirnentagebücher, Schlafzimmerenthüllungen, schmutzige Erotika, nacktes Fleisch, das fich, in bunten Bildern, in den Schaufenstern der Buchläden den Blicken bietet. Was es in diesem Buche findet, ist ernst und rein. Es möge nicht darauf rechnen, eine Photographie der Ausschweifung zu finden! Was seiner wartet, ist eine klinische Studie der Liebe. Das Publikum liebt ferner harmlose, wortreiche Lektüre, Abenteuer,
die gut ausgehen, Phantasieprodukte, die weder seine Verdauung, noch seine gute Laune beeinträchtigen. Dieses Buch.... ist dazu angetan, es in seinen Gewohnheiten zu stören und in seiner Hygiene zu schädigen."
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certeur zeigen, was das Buch geben will: Wahrheit. Nicht nur Diese Säße aus der Vorrede des Romans Geminie La Wahrheit der Empfindungen, sondern der Tatsachen. Die beiden Brüder Edmond und Jules Goncourt schickten hier im Jahre 1865 den ersten naturalistischen Roman auf den Weg, einen Jahre 1865 den ersten naturalistischen Roman auf den Weg, einen Roman ohne Pomp und ohne Phrasen. Das Mitleid, das beim Leser geweckt werden soll, nahmen die Autoren nicht vormeg. Sie gaben nichts als den Ablauf einer Handlung in lebendigen, einheitlich gesehenen Bildern. Die Goncourt waren als Maler Vorläufer des Impressionismus. Man spürt auch in diesem Roman etwas davon. Die Bedeutung der Atmosphäre, die das eine aus dem Blickfeld hervorheben und das andere zurücktreten lassen kann, und die so die vielen Einzelheiten zur Einheit zusammenfügt, ist in ihm erkannt und berücksichtigt. Darin liegt der künstlerische Wert dieses fnappen, flaren, geschlossenen Buches.
menschliche. 3ola, der große französische Naturalist, war achtzehn Doch seine fünstlerische Bedeutung tritt zurück gegen seine Jahre jünger als der ältere Goncourt. Er wurde der Freund der
Brüder und in gewissem Sinne wohl auch ihr Schüler. Seine erschütternden Schilderungen aus der Welt der Armut folgen den Wegen, die die Goncourt mit ihrem Roman„ Germinie Lacerteur" gebahnt haben. Daß der„ Bücherkreis" jetzt dieses Buch in deutscher Uebersetzung herausgab, wird ihm den Dank einer großen Leserschar einbringen. Das Dienstmädchen Germinie, dem aus unendlichem Verzicht eine gewaltige Sehnsucht nach Liebe und Zärt lichkeit erwächst, die ewig ungeſtillt bleibt, die es aber rasch, mit immer stärkerer Beschleunigung dem Untergange zuführt, erlebt das Schicksal einer Armen, Einsamen. Sie ist eine Vertreterin des
WAS DER TAG BRINGT.
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Das neue Gothaische Jahrbuch.
In erweiterter Form ist das alte, zuverlässige Nachschlagewert ,, Bothaisches Jahrbuch für Diplomatie, Verwaltung und Wirtschaft" ( 165. Jahrgang) neu erschienen. Neu eingefügt wurden u. a. das autonome Polnisch- Ostgalizien, sämtliche entmilitarisierten Zonen ( eine vorzügliche Karte zeigt diese Zonen im östlichen Mittelmeer , zwischen Türkei , Griechenland und Bulgarien ), die Gliederstaaten der USA . und Brasiliens sind übersichtlich dargestellt, der amerika nische , neuseeländische und australische Machtbereich sind dem neuesten Stande entsprechend beschrieben, die Angaben über den Bölferbund find erweitert. Die eigentümliche Kompromißfahne Südafrikas - wo man den englischen Union Jack mit der alten Holländerfahne nereinigt ist wiedergegeben. Der Hauptteil des Buches ist wie stets gewidmet dem Verzeichnis der obersten Zivil- und Militärbehörden einschließlich der diplomatischen und konsularischen Vertretung aller Staaten der Erde sowie den Zahlennachweisen über deren Farbe und Bevölkerung, Haushalt und Wirtschaft" auf
950 Seiten
Fifi.
In einem Berliner Mittagsblatt beschreibt irgendwer einen modernen Hundesalon": Zur eleganten Frau gehört heute der elegante Hund, der dementsprechend auch gekleidet sein muß. Während das Frauchen eifrig bemüht ist, das passende Mäntelchen für Fifi herauszusuchen, geht er selbst im Lokal auf Entdeckungen aus. Ein fleiner Strandforb mit seidenen Vorhängen hat ihn angelodt. Darin liegt mollig lodend ein buntfarbiges Daunentissen mit passender Steppdecke. Staunend betrachtet er auch die letzte Novität, die sogenannten Jazzförbe aus grellbuntem Stroh, die Amerika unserer Hundewelt beschert hat. Endlich probiert Fifi das Mäntelchen an. Es ist aus feinstem leichten Garbardine, aus einer Seitentasche leuchtet das seidene Taschentüchelchen hervor, in das Fifis Name eingeftidt wird. Rüdenlänge, als und Taillenweite perden genan gemeisen. Auch für Hundewetter muß vorgejorgi
werden. Regenmäntel aus Gummi und imprägnierter Seide sind hinreichend am Lager."
So geht es weiter eine ganze Spalte lang. Aber die Männer
neuester Bauart.
solcher eleganten Frauen" sind häufig Unternehmer, die jede For Der Weltumsegler ,, Beatrice", ein Vollschiff derung der Arbeiter nach Verbesserung ihrer Lebenshaltung mit Hohn zurückweisen. Fifi" bekommt alles, doch der Mensch, das Ebenbild Gottes", hat häufig nichts, womit er sich fleiden, womit er sich nähren kann!
Verwüstungen durch einen Orkan.
In der Nähe der serbisch - ungarischen Grenze im südlichsten Teil des Komitats Baranya tobte vor einigen Tagen ein Riesen orkan, der von zahlreichen und schweren Blitzschlägen begleitet mar. Die Bevölkerung erfaßte eine furchtbare Benit, fie flüchtete in die Wälder, da sie ein Erdbeben befürchtete. Dem Orfan folgte ein schredliches Unwetter und Niederschläge, so daß die Ernte ganzer Landstriche vernichtet ist. Militär und aus Studenten und Arbeitern gebildete freiwillige Hilfskolonnen eilten mit Lebensmitteln und Kleidern der Bevölkerung zu Hilfe.
Er will es abarbeiten.
Der Beamte Plonka der Fleisch und Viehkasse in Mährisch Dstrau wurde mit einer Betrage von rund einer halben Million tschechischer Kronen fortgeschickt, um ihn in verschiedenen Banken zu deponieren. Plonka führte die Hälfte des ihni anvertrauten Geldes richtig ab und flüchtete mit dem Restbetrage in Gesellschaft seiner Geliebten. Kurz darauf erhielt der Leiter der Fleisch- und Bieh tasse einen Eilbrief, worin Plonka mitteilt, daß er durch verschiedene Umstände zur Tat getrieben worden sei und er gleichzeitig anfragte, ob er nach Ablauf seines Urlaubs den unterschlagenen Betrag abarbeiten dürfte. Er habe nur eine furze Zeit so leben wollen wie fein Chef täglich lebe. Nach dem Defraudanten wird gefahndet. Man glaubt, da es sich bei ihm um einen sonst pflichtgetreuen Beamten handelt, on eine vorübergehende Geistesgejtörtheit.
Standes der Unterdrückten, der sich erst spät darauf besann, daß er ein einheitlicher Stand ist.
Bernhard Jolles hat den Roman ausgezeichnet ins Deutsche übertragen, so daß man an dem Stil taum je die Herkunft aus einer anderen Sprache spürt, und es unter dem Titel„ Das Dienstmädchen Germinie" auf den Weg geschickt. Man fann dem Buch, das Zeitgeschichte und Roman in einem ist, nur einen recht großen Leserkreis wünschen.
Feuerspeier.
Trude E. Schulz.
Am Kolonialtag in Stuttgart ist zur höheren Ehre Deutsch .. lands im Ausland" ein Dugend afrikanischer Feuerspeier vorge. führt worden. Dabei ist allerdings. wie die Zeitungen melden folgender Betriebsunfall passiert:
,, Bei der Afrikavölkerschau auf der Kolonialausstellung wurde einem Feuerspeier von seiner Frau infolge einer Verwechslung der Flaschen Benzin statt Petroleum gereicht. Die Folge war, daß bei dem Ausspeien der Flüssigkeit die Flammen zum Teil zurückschlugen und dem Neger an Kopf und Händen schwere Brandwunden beibrachten. Da auch das Podium noch in Brand geriet, entstand eine Panit unter dem Publikum. Die Afrikaner hatten indeffen die Geistesgegenwart, die Flammen mit Tüchern und Teppichen zu er stiden. Der Berunglückte dürfte kaum mit dem Leben davonkommen. Was tut's? Es lebe die koloniale Idee! Ein neuer Feuers fncier- cand