(Beilage Donnerstag, 14. Juni 1928.
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Quer durch den Schwarzwalö.
Von der Fulda Zur Lahn führt uns der Zug. Marburg , das noch immer kleinstädtlschc Universitätsncst, schaut vom Berghang wie eine Theaterszenerie der alten„Faust"-Schule. Ganz anders braust der Odem der Jetztzeit durch das Fenster. wenn die Bahn über die Mainbrücken bei Hanau und Frank- furt fahrt. Darmstadt — Bergstraße— Odenwald— Karlsruhe . Die Metropole Badens besitzt einen Bahnhof, der endlich nicht nur praktisch, sondern auch von wirklich schönen Bauformen ist. Auf dem Bahn- hofsvorplatz stehen noch zwei Pserdedroschken. Der Blechhut des Kutschers, der Hafersack der Pferde und die dazu gehörigen Epatzcn: Gemütlich, großväterlich! Ein Irrtum aber, zu glauben, diese Haupt-
Oberstdorf stadt Badens sei stehengeblieben. Bis zum abseits liegenden Haupt- bahnhof haben sich die modernen Bauten der„Stcrnstadt" vor- geschoben. Bei Appenweier ' schaue ich nach dem Straßburger Münster aus. Der Dunst des Sonnentages ist zu dick: die bekannte Turm- stlhouette ist selbst mit dem Feldstecher am Horizont nicht zu endecken.
Bon Offcnburg aus geht's quer durch den Schwarzwald . Die Schwarzwaldbahn bietet Schönes. In plastischer Bielgestaltigkeit. Tannenabhänge, Gründe, Bergkegel, Kehren und Tunnel. Man möchte diese ausgezeichnete Bahnstrecke, die hinter Tribcrg, bei Sommerau, ihren höchsten Punkt mit 1000 Metern erreicht, als Ltliputausgabe der berühmten Gotthard -Linie bezeichnen. Alles bleibt milder, abgerundeter. Was dort schwere Felsabhänge und schneebedeckte Riesen, sind hier bewaldete, sonnige Berge. Was dort schwindelnde Jocheinschnitte und stürzende Schncewasser, sind hier würzige Tannenschluchten und hllpsende Ouellbäche. Bei Horn- berg,- wo das„Hornberger Schießen" mit unsicherem Ausgang ftattsand, gab es Kupeewitze, und in den langen, dunklen Kehren sollen ein paar„illegale" Küsse zwischen Jungverliebten getauscht worden sein... obgleich die Gasfunzcl in der 4. Klasse flackerte. Don Windau bis Oberstdorf . Fahrt über den Bodensce. Am weinseligcn Meersburg vorbei. Der Dampfer stampft in blaugrünen Wellen stöhnend. Drüben, an der badischen Seite Friedrichshascn, wo in diesen Tagen der neue „Zeppelin" fertig wird, auf der anderen, schweizerischen Seite Ro- manshorn, kaum erkennbar. Ucber Bregenz die noch schneebedeckten Boralpen der Schweiz . Die Hafeneinfahrt von Lindau schmückt der grimmige bayerische Löwe. In Lindau verlassen wir das Bodenseeschiff, um in hurtiger
Einödsbach, Deutschlands südlichste Ansiedlung Cisenbahnfahrt in die allmählich ansteigende Bergwelt des Allgäu zu gelangen, lieber Oberstaufen , am langgestreckten Alpsee, an Jmmenstadt vorbei, ging es nach Sonthofen . Die südlichste Eisen- bahnstrecke. Deutschlands führt dann in kurzer, scharf ansteigender Fahrt nach dem in 8-Z0 Meter Höhe liegenden Oberstdorf im oberen Allgäu, das einen Teil des alten alemannischen„Alpgaucs" heute umgrenzt. In schneebedeckten Bergen. Der erste Eindruck ist überwältigend. Eine schmucke Ansiedlung in einem großen wiesenbcstandenen Talkessel, der nur nach Norden, om Abfluß der Trettach offen bleibt, im übrigen von einer gigan- tischen Runde hoher Felswände eingesäumt wird. Vorberge in Dunkelgrün, Bergmassive mit Schneefeldern und-spalten als Aus-
bau dahinter. Aus den Hochtälern quellen und stürzen die Urbäche der Aller hervor: Breitach, Stillach, Trettach mit vielen Reben- dächen. Alle Täler nach Osten, Süden, Westen locken zum Wandern und Steigen: Das Birgsauer-, das Spielmannsauer-, das Walser- tal. Alle Berge locken zum Klimmen und Klettern. Immer Neues, immer Schönes, immer wieder Besonderes entdeckt man. Diese Marktgemeinde Obcrstdorf ist ein ausgesprochener Mittel- und Zen- tralpunkt für mannigfaltige Tal- und Höhenausflüge, für Touristen des beschaulichen Dahinwanderns und solche, die mit Seil und Nagelschuhen Gipsel bezwingen müssen. Oer südlichste Ort Deutschlands . Wenn man das Stillachtal aufwärts wandert und nach Birgsau und Einödsbach, der südlichsten Siedlung des Reiches kommt und die„Großen" der Allgäuer Bergwelt sieht, den Kratzer, die Trettachspitze, die Mädelcgabel, das Hohe Licht, Riesen bis zu 2a00 und 2700 Meter Höhe, dann weiß man einzuschätzen: Gipfel- sehnsucht! Oder die Wanderung nach dem Westen, zum Breitachtal, zur unbeschreiblich schaurig-gigantischen Breitach-Klamm! Wo gibt es eine solche tief eingeschnittene Gcbirgsbachspalte, die fast unauffällig auf einer saftigen Wiese beginnt und in deren Mittelpunkt das menschliche Herz ob der gewaltig aneinander rückenden und über- dachenden Felswände und der abgrundtief kochenden Ach vor Schauer erbebt? Ein paar Minuten Steigen: Und nun eröffnet sich darüber eine lachend grüne, in der Sonne zitternde Wiese. „Königreich Bayern." Walser Schanze. Schon österreichisches Gebiet, aber noch deutsche Zollzone(denn wir bekommen deutschen Tabak). Ein paar Schritte gen Oberstdorf zurück: Die Grenztafeln. Staunend stehen wir vor der blauweißen�:„Königreich Bayern". Lächeln auf den Mienen— und wir wissen, es wird noch geraume Zeit dauern, bis dieser deutsche Freistaat nach außen die Würde eines demokratischen
Der Freiberg-See Volksstaates tragen wird. Seine Berge und Menschen tun es viel besser, als jene Vertreter, die das Volk am Gängelband wissen wollen. Wir müssen herzlich lachen angesichts der trotzig freien Bergwelt. Aufstieg zum Nebelhorn . Am Fatdenbach-Wassersall vorbei, das Seealptal steil hinan. Von der Seealphütte(die früher von Lawinen vernichtet wurde und vom Gejahrenpunkt versetzt werden
mußte) zum Nebelhornhaus(fast 2000 Meter hoch). Durch Schnee- selber, die am Abtauen sind und durch Nebel- und Wolkenschwaden hindurch. Immer steinigere Wege auswärts, wo Enzian und dann auch Krüppelholz und Alpenmoos aufhören zu wachsen. * Am anderen Tag, dann ein Idyll: Der Freibergsee: 983 Meter hoch liegend. Klares, dunkelblaues Wasser, mit grünen Streifen. Badeanstalt und Ruderboote. Lachen und Kichern. Der Aelpler mit der Lederhose und die Kommcrzienrätin Mayer aus Steglitz mit Sonnenschirm: in einem Kahn. vie Kehrseite. Drunten in Oberstdors tanzt man abends in der Weindiele zur Geigen- und Zithermusik, bei Terlaner und Sekt. D. h. die„Frem- den" tanzen. Die„Einheimischen" schauen zu. Droben an den Felswänden zum Nebelhorn arbeiten die Zim- merer und Wegearbeiter an einer Hilfsseilbahn für die später« Touristenbahn— für 43 Pfennig die Stunde. Schweißtriefend und abgezehrt. Auch im Allgäu, erst recht aus der Ferienwanderung, wird es uns eingehämmert: Die kapitalistische Wirtschaft stellt neben die Schönheiten der Natur das schlimmste Elend! dlax dlierick(Kiassel).
Sankt Bureaukraiismus. Es soll ein alter Mann mit langem, weißen Bart sein und sich in der heutigen modernen Welt nicht mehr ganz wohl fühlen:— ausgenommen in den Bureaus einiger Behörden. So hat er vor kurzem in einer größeren Industriestadt des Westens fein Unwesen getrieben: Zu einem großen Berbandstag wurden in dieser Stadt Gäste aus dem ganzen Reich erwartet. Am Bahnhof sollt« als Willkom- mengruß und als Wegweiser zum Tagungslokol eine Tafel aus- gestellt werden. Dazu ist natürlich die Erlaubnis der Behörde nötig. Also begab sich sechs Tage vor Beginn der Tagung eine Kommission, bewaffnet mit einem schriftlichen Antrag, zur Baupolizei. Die er- staunte Frage war:„Haben Sie keine Zeichnung? Die müssen wir zunächst in dreifacher Ausführung haben. Damit müssen Sie dann zuerst zum Grundstllcksamt, dann zur Verkehrspolizei und zuletzt kommen wir erst in Frage." Gesagt, getan. Das Grundstücksamt verweist die Kommission mit den Zeicknungen an das Siedlungs- amt. Der Beigeordnete war nicht anwesend und konnte erst am nächsten Tag die Zeichnungen an den Stadtarchitekten, der natürlich an diesem Tage zufällig nicht zu finden war, weitergeben. Am nächsten Tag lehnte der Herr Stadtarchitekt die Zeichnungen aus ästhetischen Gründen ab und versprach der Kommission, Richtlinien über die ästhetische Gestaltung solcher Tafeln zukommen zu lassen. Das geschah sogar, und die Kommission ließ nun eiligst nach diesen Richtlinien neue Zeichnungen anfertigen. Dann gings zur Ver- kehrspolizei. Die Beamten winkten ab: Erst müssen Sie zum zu- ständigen Revier. Die Kommission geriet ins Schwitzen. Da der be- treffende Beamte leider zu einer Besprechung im Präsidium war, ging wieder ein Tag verloren. Endlich, am nächsten Tag, am Nach- mittag vor Beginn der Tagung, erteilte dann die Baupolizei gegen Zahlung von 2,�9 M an die Stadtkass«, die Genehmigung. Die Kommissionsmitglieder find am nächsten Tage auf der Ver« bandstagung nicht gesehen worden. Sie haben sämtlich Erholungs- Urlaub beantragt.
Silfe, ein Gesetz ist vom Himmel gefallen! Die Sorge um den frieden des„trauten Heims".
Gott sei Donk ist es vorläufig nur ein„Referentenentwurf" des Gesetzes über die Beschäftigung in der Hauswirt- s ch a f t. Aber schon geht ein Sturm durch den bürgerlichen Blätter- wald und die Zentrale der Hausfrauenvereine Groh-Berlins hat energisch und mit aller ihr zur Verfügung stehenden Redegewandt- heit in einer Versammlung gegen dieses Gesetz, das die reichlich un- zulängliche Gesindeordnung ablösen soll, protestiert. Man denke, die„Dienstboten", die bisher ganz in das Be- lieben der„Gnädigen" gestellt waren, beanspruchen ein Gesetz, das genau wie bei jeder anderen Arbeit, Pflichten und Recht« des einzelnen festlegen soll. Sicherlich ist auch an diesem Gesetzentwurf noch manches reform- bedürftig, und ein jedes neue Gesetz muß Kritik über sich ergehen lassen. Interessant ist nur, was die„Gnädigen" jo arg aufregt. In einer bürgerlichen Mittagszcitung schreibt eine dieser Damen: „Wie wird sich aber in der Praxis die Bestimmung auswirken, daß bei Abschluß die Art der zu leistenden Arbeit genau um- schrieben wird? Selbstverständlich soll keine Köchin als Waschfrau verwendet werden. Aber sehr leicht kann es der Hausfrau begegnen, daß ihr ihre Angestellte irgendeine Hand- reichling, die nicht im Vertrag steht, unter Berufung aus das Gesetz, verweigert. Die Arbeit soll nach Möglichkeit erleichtert werden. Es läßt sich der Fall denken, daß ein Mädchen zu diesem Zwecke' die Anschaffung von Moschinen, z. B. einer Waschmaschine, verlangt und fortgeht, wenn die Hausfrau hierzu nicht imstande ist." Es läßt sich der Fall denken, daß die Verfasserin obiger Zeilen vielleicht doch etwas anders denken und schreiben würde, wenn sie einmal offenen Auges und nicht nur vom Standpunkt der „Gnädigen" aus sich die Arbeitsverhältnisse betrachten würde, unter denen heute noch Hunderttausende von Hausangestellten leiden müssen. Arbeil von früh bis spät abends— kaum eine ruhige Minute am Tage, niemals ein Mensch für sich fein dürfen, fondern immer abhängig vom Willen der.Herrschaft"—
noch am„freien Sonntag" Arbeit bis in den späten Nachmittag— und häufig neben den Hausarbeiten auch noch Mithilfe im Geschäft. Und nach oll dieser schweren, oft unerfreulichen und undank- baren Arbeit abends kein nettes Stäbchen, in dem man endlich ausatmen und zu sich selber kommen kann, dos einem ein wenig Heimatsgefühl gibt. Nein, da müssen noch heute Mädchen auf u n- hygienischen Hängeböden schlafen— oder ihre„Kammer" ist gerode so groß, daß ein Bett und«in Korb Platz darin haben. Meistens find diese Kammern auch noch unheizbar, ohne Licht oder mit schmalen Luftlöchern, die die Bezeichnung„F«nst«r" nicht ver- dienen. Eine Enquete über die Wohn- und Schiofverhältnisse der Hausangestellten würde wohl doch noch Material zutage fördern, vor dem den Hausfrauen der Mut zu Aeußerungen oergehen würde, wie sie in derselben Mittagszeitung stehen: „Den schwersten Eingriff in den Frieden unseres Hauses stellt ober die Bestimmung dar, daß der P r i v o t ha u s ha l t. zum Gewerbebetrieb erklärt wird, und daß eine Prüfung durch Gewerbebeomten erfolgt, wenn irgendeine Organi- fation, der die Hausangestellte angehört, oder diese selbst den Wunsch hierfür äußert. Dieser Beamte soll jederzeit die Wohnung zwischen 9 und 6 Uhr betreten können!" Wirklich, der Frieden des„trauten Heims" ist in höchster Ge- sohr, wenn jeder„Dienstbote" das Recht hoben sollte, seine Organi- sation auf gesundheitsschädliche Verhältnisse aufmerksam zu machen und diese Organisation nun gar dos Recht hat. auf Abänderung dieser Zustände zu drängen. Ein Gesetzentwurf ist ausgearbeitet worden— Forderungen der bisher noch rechtlosesten Arbeiterinnenschicht werden angemeldet und aus den„unpolitischen" Haussrauenvereinen, die auch viele Prole- tarierfrauen mit ihrem„unpolitischen" Programm angelockt haben. werden„Arbeitgeberinnen", die genau wie jeder andere Unternehmer darum bemüht sind, dem Angestellten so wenig wie möglich Rechtq zuzubilligen. Zern Gotthelf.