Einzelbild herunterladen
 

Mr. 280.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreichs Ungarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Post Zeitungs Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.

10

Vorwärts

12. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 fg. Inferate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Erpedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.

Fernsprecher: 3mt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin".

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

V

Sonnabend, den 30. November 1895. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

"

Es ist also thatsächlich festgestellt:

daß Angeklagter am 6. Oftober 1895 zu Breslau Se. Maj. den Kaiser, seinen Landesherrn, beleidigt hat; Bergehen gegen§ 95 Str.-G.-B.

So enthält denn auch das Erkenntniß des Landgerichts| Parteitages nach den Abwehrworten Liebknecht's darauf Was und wie festgestellt wird. Breslau den Passus: zu schließen, daß die Versammlung die angeblich beleidigen Das Gericht ist aus folgenden Erwägungen zu der weiter den Worte auf den Kaiser bezogen habe. Starter, Die politischen Prozesse drängen gegenwärtig sich in folcher Fülle zusammen, Bericht über Bericht, man weiß unten enthaltenen positiven Thatfeststellung und lebhafter, großer oder stürmischer Beifall das sind weit fanm, welcher wichtiger als der andere, daß es unmöglich damit zur Verurtheilung des Angeklagten umfassende Bezeichnungen, höchst relative Begriffe. Wie oft wird bei der Erörterung ganz nebensächlicher Dinge im ist, sofort einem jeden die kritische Würdigung angedeihen gelangt. Versammlungsberichtstümischer Beifall" verzeichnet. Da zu lassen, die er verdient. Dem Prozeß Liebknecht folgte Diese Erwägungen" schließen dann ab mit dem spricht nicht nur die Sache, sondern auch die oratorische Wirkung der wichtige Prozeß Kunert wegen angeblichen groben Satze: der Rede mit. Eine speziell den Kaiserbeleidigungs- Dolus Unfugs, dem Prozeß Kunert der Doppelprozeß Stadt­anzeigende Beifallsart ist überhaupt noch nicht nachgewiesen hagen wegen eines ganzen Haufens von angeblichen worden. Der allerſtärkste Beifall mit Hand und Mund Beleidigungs Strafthaten . Nun kommt die Verhandlung vor dem Reichsgericht über die Verurtheilung Bading's erklärt sich nach Liebknecht's Abwehrporten aber ganz wegen dolus eventualis und, obgleich uns das direkt nicht natürlich daraus, daß hier vor den berufenen Ver Auf welche Weise ist das Gericht nun zu diesen post- der älteste, der erfahrenste, der redegenandteste Wort­tretern der deutschen Sozialdemokratie der berufenste, berührt, der Prozeß gegen den Herausgeber der Ethischen Kultur" wegent Majestätsbeleidigung. Gleichzeitig aber tiven Thatfeststellungen gelangt? add in einem feierlichen Augen­haben wir uns mit dem endlich eingetroffenen Erkenntniß Die Erwägungen zwischen den beiden vorhin zitirten führer unserer Partei im Prozeß Liebknecht zu befassen, das blick unerhörte Angriffe der gegnerischen Presse mit des Eventual­fich Sätzen laufen auf die Feststellung des all ein ganzes Arsenal von Beweisstücken zur Kennzeichnung Dolus dem Angeklagten hinaus: habe Da war der Beifall, Feuer und Wucht zurückwies. unserer Rechtspflege liefert. Sucht es doch auch dem eventuell gewollt"( wörtlich), daß bei den der fräftigste, am Plazze, da war er natürlich; dolus eventualis eine neue Bresche zu öffnen, der an anderer Hörern der Eindruck hervorgerufen würde, der Kaiser sei braucht man wahrlich nicht die Kaiserrede am Sedantage Stelle durch das Erkenntniß des Reichsgerichts in der gemeint mit den Abwehrworten. Aus den Erwägungen herbeizuziehen, um diesen Beifall zu erklären. Wideruatürlich Bading'schen Revisionssache eine Zurückweisung erfahren hat. aber, die den Gerichtshof zu dieser Ueberzeugung von dem wäre es gewesen, hätte der Beifall gefehlt oder wäre matt Wo wir auch hineingreifen in dieses blühende Rechtsleben, eventuellen Wollen" Liebknecht's gebracht haben, greifen erklungen. wir packen überall etwas Interessantes. wir hier ein Beispiel heraus: Da der starke Beifall sich aber natürlich erklärt ans Eine eingehende juristische Würdigung des Erkenntnisses Daß diese Auffassung, die bei der dem Angeklagten flaren Feststellung des Eventual- Dolus der Kaiserbeleidigung aus allen begleitenden Umständen, ist es ungerechtfertigt, ihn zur im Prozeß Liebknecht werden wir morgen veröffentlichen. politischen Stellung der Hörer einen besonders geeigneten Boden ungen zu wollen. Für heute begnügen wir uns mit der Beleuchtung eines finden mußte, in der That Wurzel gefaßt hat, ergiebt sich So aber wird thatsächlich festgestellt" im Deutschen einzelnen Punktes, der uns von allgemeiner Bedeutung zu einmal zur Evidenz aus dem lebhaften Beifall, den Reich, so begründet man eine Verurtheilung wegen Majestäts­sein scheint, da er die Methode landgerichtlicher Fest- gerade der inkriminirte Passus der Rede des beleidigung! stellungen" illustrirt. Um dem Verständniß derjenigen unserer Leser, die Angeklagten bei der Versammlung gefunden noch nicht mit den Geheimnissen unserer Rechtspflege per- bat und zwar unmittelbar, nachdem er ausgesprochen war, ge­sönliche Bekanntschaft gemacht haben, etwas nachzuhelfen, funden hat...

bei

schicken wir voraus, daß es für die Strafurtheile des Wie ist nun der Gerichtshof zu der thatsächlichen Fest­Landgerichts( aus fünf Berufsrichtern bestehend) eine ftellung von diesem Beifall gelangt, der zur Evidenz" Berufungsinst a nz nicht giebt, also keine Instanz, die bewiesen hat, was der Gerichtshof zur Verurtheilung sofort auf Anrufung des Verurtheilten die Beweisaufnahme brauchte?

Politische Nebersicht.

Ba

Berlin, 29. November. Zum Feldzug gegen die Sozialdemokratie bringt das Depeschenbureau Herold folgende Mittheilung: Die bei den sozialdemokratischen Führern am Montag vor von neuem vorzunehmen und das Urtheil bestätigen, ab- Alle unsere Leser wird es gewiß überraschen, zu er genommene Haussuchung hat, wie wir erfahren, der Staats­ändern oder verwerfen kann. Σας Reichsgericht fahren, daß dieser Beifall garuicht Gegenstand anwaltschaft reiches Material dafür geliefert, daß die in Berlin hat nur als Revisionsinstanz zu erwägen, ob der Beweisaufnahme gewesen ist und während bestehenden acht sozialdemokratischen Wahlvereine die Bestim das Urtheil wegen irgend welcher Formfehler, ins- der Verhandlungen überhaupt nicht erwähnt wurde. mungen des§ 8 des preußischen Vereinsgefeßes fortgesetzt verletzt besondere wegen irgend welcher Verstöße gegen die Straf- Wie der Gerichtshof zu dieser Feststellung fam, ist Schließung der Wahlvereine angeordnet und Anklage erhoben prozeßordnung oder wegen Verletzung materieller Recht 3 bis heute fein Geheimniß. Möglich daß aus worden. Die Schließung der Vereine dürfte seitens der Polizei normen umzustoßen und die Sache von neuem vor das mündlichen Privatunterhaltungen oder durch das Lesen von im Laufe des heutigen Tages erfolgen. nämliche oder ein anderes Landgericht zur abermaligen Ber Parteitags- Berichten die Richter Kenntniß davon gewonnen Uus ist keine Bestätigung dieser Meldung zugegangen. handlung zu verweisen ist. haben. Aber, nochmals gesagt, zum Gegenstand der Ver- Auch enthält der Reichs- Anzeiger" keine bez. Kundmachung. handlungen hat dieser Beifall nicht gedient. Es handelt sich also vorläufig blos um eine Vermuthung. Ist Weil der Staatsanwalt und der Gerichtspräsident dieses aber auch die Nachricht verfrüht, so kann sie bald Beweisstück nicht zur Erörterung gestellt haben, war weder authentisch werden, denn ein gerichtliches Ver­dem Angeklagten noch seinem Bertheidiger Gelegenheit gefahren gegen Auer und Genossen schiebt that­boten nachzuweisen, eine wie durchaus unberechtigte Schlußfächlich, wie Liebknecht, Auer und Braun aus den Bor­folgerung es ist, aus einem noch so starken Beifall des ladungen für heute Vormittag ersehen haben. In Gegen­den Lehrer erkannte. Er fümmerte sich nicht um sie und ging zur Treppe. Bou Stufe zu Stufe wuchs seine Be­klommenheit und als jetzt ein leichter Schrei ertönte, zuckte er heftig zusammen. Schon wieder schrie es in dem Zimmer.

-

Ein Landgerichts- Urtheil kann also sich auf grund gänzlich ungenügender und widerspruchsvoller Beweis aufnahmen aufbauen, das Reichsgericht rührt nicht an dieser Beweisaufnahme, falls nur der Form genügt ist, die zur Urtheilsfällung nach Ansicht des Gerichtshofes ausreichen­den Schuldbeweise für festgestellt" zu erklären.

36

Auna!" rief cr wieder, verstehst mi nimmer?" A Anstellung frieg i!"

Jetzt nickte sie mit dem Kopfe.

Frent Di das net?"

Ein Verrückter.( Nachdr. verboten. Kampf und Ende eines Lehrers, Roman von Joseph Ruederer. Langsam legte sie die Hände vor das Gesicht. Gattl Als die Thurmuhr von Oberkarbach zwei Uhr früh ,, Vater, Vater!" verstand Gattl. wurde es seltsam zu Muthe. War sie plöglich so ver­meldete, stand der Lehrer vor dem Forsthause. Er war Ich bin's," sagte er sanft, indem er die Thür öffnete. ändert, oder lag die Schuld an ihm, daß er sie nicht wie wahnsinnig herausgehetzt durch das ungeheuere Schatten- Als er aber auf das Bett blickte, durchriefelte es ihn eis- wieder erkannte? Mit aller Gewalt suchte er sich zu be­mcer einer stockfinsteren Nacht, das alle Konturen verschlang tait. Dort saß das Mädchen aufrecht mit einem Todten herrschen. und Himmel und Erde in eins verwob. Schritt für Schritt gesichte und starrte ihn ängstlich an. Ueber die hoch-" I war in Mariakirchen", sagte er, hab mit' m war seine Erregung dabei gewachsen. geschlossene Nachtjacke fielen die aufgelösten Haare in wirrer Minister g'red't, Anna, und daher weiß ich, daß das Dekret Den Geistlichen wollte er noch vor Tagesaubruch aus Unordnung herab und in das bleiche Antlig hingen einige scho fertig liegt, und daß es nur no paar Tag dauert, dem Bette holen, und wenn der Priester die Klageschrift Strähnen. Gattl wagte kaum zu athmen, als er ihr gegen- dann hab ich meinen Posten, wir können fort von hier und nicht zurücknahm, so war er zum äußersten bereit und wollte über stand. fönnen uns heirathen." ... wollte... Er mochte es selbst nicht ausdenken, zu was ,, Du Du bist da?" stotterte fic. Es fam ihm Heirathen?" Sie lächelte bitter. er dann fähig war. Wart' nur, wart' mur!" murmelte er vor, als läge eine bittere Enttäuschung in dem Ton ihrer" Aber, Auna, Du bist ja ganz verzweifelt. Anna, gute beständig, während er dahineilte. Worte. Anna, schau mich doch an. Komm, gieb mir an Kuß , a So war er in das Dorf gelangt und den Kirchen- Du hast mi hent' nimmer erwart', Auna?" Hand!" bühel hinauf gegangen, als er bei einer Wendung des Sie schüttelte den Kopf und reihte hastig die Perlen Er trat an ihr Bett und wollte sie umfassen. Weges im Forsthaus Licht gewahrte. Er blieb stehen und des Rosenkranzes herunter, den sie um ihre Hände ge- Da stieß sie einen Schrei aus und entwand sich seiner sah betreten auf den röthlichen Schein, der durch das Dunkel schlungen hatte. Berührung. Heftig zitternd, mit entsetzten Augen sah sie zitterte. " Hast g'meint, der Vater kommt scho', begann er ihn an. Was war das? Das kam von Anna's Zimmer! Sie wieder leise. Der kommt erst morgen Abend, er hat mir" Geh weg von mir, Franz!" ächzte sie und lehnte sich war also noch wach? Jetzt, um diese Zeit? Ging es ihr geschrieben." an die Wand des Zimmers. schlechter? Eilig jagte es ihm mit bangen Zweifeln durch Geschrieben? So?" Matt und gedankenlos hatte sie Gattl war es, als müsse ihm das Herz zerspringen. den Kopf. Er tonnte den Blick nicht von dem Lichte gesprochen. Warum willst Du mir net Deine Hand geben?" wenden und fühlte eine drückende Beängstigung in der fragte er und rang nach Luft. schweigenden Ruhe der Nacht, in die nur von ferne ganz gedämpft das Bellen eines Hofhundes drang.

"

Anna, Du bist ja gar net bei Dir! Was hast denn? Sie sah ihn stier an.

"

Geh, Anna, red'! Wie geht's Dir denn?"

# 1

" Wir haben g'sündigt," sagte sie mit einer Stimme, die aus einer Gruft zu kommen schien, schwer g'sündigt, wir haben uns an Gott vergangen, und eh' ich net Dei

Gut geht's Dir?" rief er und sah ihr ungläubig ins Frau bin, derfst mi nimmer anrühren."

Unschlüssig tappte er einige Schritte wieder herab und Gut, ganz gut", fagte sie tonlos. sah fortwährend auf das erleuchtete Fenster. Immer näher zog es ihn dazu hin. Er ging bereits auf der Hochwiese, immer mit dem einen Gedanken beschäftigt, was dies Licht zu bedeuten habe.

Jezt kam er an die Thüre des Hauses und begehrte Einlaß. Die verschlafene Magd, die ihn lange warten ließ, bevor sie endlich öffnete, riß ihre müden Augen auf, als sie

O ja," sagte sie traurig.

Gesicht.

es

herab.

" Mußt net so finster d'reinschauen," bat er ängstlich, wird jezt alles anders, Anna, i krieg a Anstellung." Sie rührte sich nicht und starrte auf ihren Rosenkranz

Wie Schuppen fiel es dem Lehrer von den Augen und wüthend pochte es in seinen Schläfen. Blind war er gewesen, theilnahmslos und ohne Gefühl hatte er an ihrem Bette gesessen und nicht gesehen, daß der Priester diese Seele an jedem Tag in festere Ketten schlug, während ler, der blödsinnige Mensch, in seiner hilflosen Augst nur