Nr. 294 45. Jahrgang
Sonnabend 23. Juni 192S
Der Kampf mit der Schwerkraft. Das Problem des Vogelfluges.
Uralt ist die Sehnsucht des Menschengeschlechtes, gleich den Vögeln im spielenden Fluge den Raum zu überwinden, Die Sage erzählt vom Ikarus, der sich zum Himmel emporschwang und schmählich zur Erde stürzte, als das Wachs, mit dem er seine Flügel befestigt hatte, vom Gluthauch der Sonne geschmolzen mar. Vermessen erschien es primitiven Menschen, Dinge zu treiben, die dem Menschen von Natur nicht gegeben waren. Trog oller Hinder- nisse, die Unwissenheit und Aberglaube verbreiteten, haben hoch- strebende Geister immer und immer wieder über das Problem des Vogelfluges nachgedacht. So hat der groß« Leonardo da Vinci in systematischen Berechnungen und Versuchen neben vielen anderen
Der Gleitflieger des Altmeisters Lilienthal . Plänen, die seinen umfassenden Geist beschäftigten, auch den Vogel- flug zu ergründen versucht. Im Geiste sah er den großen künst- lichen Vogel durch die Wolken stoßen, und in seinem Buche über den Vogelflug schreibt er einmal:„Der große Vogel wird seinen ersten Flug vom Rücken des riesigen(bei Florenz gelegenen) Schwanenhügels nehmen, um das Äriwersum mit Verblstssung',' alle Schriften mit seinem Ruhm« zu erfüllen. Ewiger Ruhm wird dem Neste zuteil, in dem er geboren wurde." Der Flug seiner Gedanken war seiner Zeit vorausgeeilt, und erst in den letzten Jahrzehnten begann der Mensch, den Geheimnissen des Vogelfluges auf die Spur zu kommen. Der Vogel al» Vorbild. Sehr interessant ist es, daß die ersten Menschen, die an ein Ueberwinden des Luftraumes dachten, vom Vogelflug ausgingen, und daß man diese Versuch« in dem Augenblick fast restlos auf- gab. als sich der erst« Ballon in die Lüfte hob. So paradox es klingen mag, so richtig ist es dennoch, wenn man sagt, daß die Erfindung des Luftballons die endgültige Lösung des Problems vom Vogelflug« um Jahrhunderte hinaus verzögert hat, Di« Tech- niker. die im Ballon kein« ideale Lösung des Flugproblems er- blicken konnten, wandten sich dann wieder der Lösung des Vogel- fluges zu. So ist es Otto Lilienthal , dem Altmeister der Fliege- kunst, in mehr als zwanzigjährigen Versuchen bereits in den neun- ziger Iahren des vorigen Jahrhunderts gelungen. Gleitfluge mit Flugzeugen, die schwerer waren als die Lust, auszuführen. Lilien- thal, der sein« Arbeit mit strenger Wissenschastlichkeit durchführte, ging von der Erkenntnis aus, daß der Vogelkörper keine spezijische Leichtigkeit besitzt, durch die er gleichsam von selbst in der Luft zu schweben vermag. Er erklärt das Fliegen als einen dauernden Kampf mit der Anziehungskraft der Erde, die � durch den den Fall hemmenden Luftwiderstand und durch| die Kraft der Muskeln bzw. des Motors überwunden|| werden muß. Es kommen also, so schließt er weiter, für| die Berechnung einer Flugmaschine nur die einfachen Ge-| setze der Mechanik in Betracht, die der Techniker bewußt � und folgerichtig zur Anwendung bringen muß. Da der � Vogel bei seinem Fluge nur von Lust umgeben ist, so muß � durch den Flügelschlag eines fliegenden Vogels ein Luft-| widerstand entstehen, dessen Gesomtwirkung durchschnittlich Z gleich einer Kraft ist, die eine Richtung nach oben und Z mindestens die Größe des Vogelgewichtes hat, Lilienthal � stellte den zum Fliegen nötigen Kraftaufwand fest, der bis'| dahin weit überschätzt wurde, und beschäftigte sich mit der Form- der Flügel, wobei er zu dem Schlüsse kam, daß die natür-- lichen Flügel den ebenen Flächen weit überlegen sind. Er � erkannte, daß der Luftwiderstand gewölbter Flächen Eigen- � schaften besitzt, mit deren Hilfe sich ein richtiges Segeln in g d«r Luft ausführen läßt, und daß zu diesem Scgelsiug keine| motorische Leistung,(Ottbern nur die Geschicklichkeit, die|| Flügelstellung dem Wind« anzupassen, gehört. Bei den- Gleüflugversuchen, die Lilienthal zuletzt bei Stöllen in der| Nähe von Rachenow ausführt«, gelangen ihm schließlich Z Flüae bis zu 350 Meter Länge. Er ahnt« bereits, daß sich- aus den Gleitflügen ein Sport entwickeln könne. Er be-| trachtete seine Versuche nach dieser Richtung hin als abgeschlossen und wollte sich der Erprobung eines Schlagflügel- tipparates widmen, als er am 9, August 1896 noch eine Aenderung an, Steuer seines Gerätes versuchen wollt«. Beim Abflug wurde er von böigen Winden erfaßt, der Apparat überschlug sich, und Otto Lilienthal blieb zu Tode getroffen auf dem Felde. Der Segelflug. Lilienthals Arbeiten fanden groß« Beachtung. So be- gann in Frankreich der Artillerieofsizier Ferber mit ahn- lichen Versuchen, und in Amerika wurde von
Chawite eine Gleitsliegerschule gegründet, deren hervor- ragendste Schüler die so berühmt gewordenen Gebrüder W r i g h t waren, die den ersten Motorslug der Welt aus- führten. Und nun tritt dos Problem des Segelfluges wieder in den Hintergrund. Das Flugzeug wurde zu einer fliegenden Ma- schine, und viele dachten nun, daß das Flugproblem restlos gelöst sei. Im Kriege dachte man nicht daran, wirtschaftliche Flugzeuge zu schassen. Man sparte hier nicht mit Motorenkräften. Der Vertrag von Versailles , der durch harte Bedingungen die deutsch « Luftfahrt lang« Zeit zu drosseln versuchte, gab besonders in Deutschland zahl- reichen flugbegeisterten Technikern und Nichttechnikern den Anlaß, sich wieder dem Segelflug zuzuwenden. Die Konstruktion von motorlosen Flugzeugen war ja im Friedensdokument nicht verboten. So ist es denn kein Wunder, wenn gerade in Deutschland der Gleit- und Segelslug besonders gepflegt wurde. Außer Lilienthal hatten vor dem Krieg« hier ja auch bereits Harth und Messer. s ch m i e d erfolgreiche Gleitflugversuche ausgeführt. Es muß auch erwähnt werden, daß die Gebrüder Wright in Amerika nach ihren ersten Erfolgen mit dem Motorflugzeug sich schon seit 1911 wiederum mit Gleitslugversuchen beschäfttgten, weil die bisherige Lösung des Flugproblems sie nicht befriedigen konnte. Unter Segel- flug versteht man den motorlosen Flug ohne Höhenverlust, unter Gleitflug einen solchen mit Höhenverlust. Das Flugzeug muß daher so gebaut sein, daß es«ine möglichst geringe Sinkgeschwindigkeit hat. so daß der Wind nur geringe Auftriebsarbeit zu leisten braucht, wenn der Gleitflug in einen ansteigenden Segelflug verwandest werden soll. Für den Segelflug selbst kommen die turbulenten, d. h. die wechselnden Luftströmungen in Betracht. Völlig gleich- mäßige Luftströmungen sind für einen Segelflug ebenso ungeeignet, wie die ruhend« Luft. Auch den Vögeln fällt das Aufsteigen bei ruhiger Luft sehr schwer. Der Wind paßt sich jedoch der Boden- gestalwng an. Ferner entstehen durch Temperaturschwankungen un- gleichförmig« Luftströmungen, die für einen Vogelflug ausgenutzt werden können. Man unterscheidet so zwei Arten von Segelslügen: den statischen und den dynamischen Segelsiug. Beim ersten wird das Flugzeug durch den auf einen Berg austrestenden Wind im Gleichgewicht geholten oder, wenn die Steiggeschwindigkeit des Windes größer als die Sinkgeschwindigkeit des Flugzeuges ist, mit emporgehoben. Beim dynamischen Segelflug soll das Flugzeug durch die hin- und hergehend« Luftbewegung gehoben werden. So geht denn da» Streben der Segelflieger dahin, auch in der Ebene gute Erfolge zu erzielen. Man baut Segelflugzeuge, die«inen guten Gleitwinkel und ein« geringe Sinkgeschwindigkeit haben. Mit ihnen soll dann ein möglichst flacher Gleitflug ausgeführt werden, bei dem schon schwache Luftström« genügen, um die Maschine tragen zu können. Der Start des Segelflugzeuges geht meist in der Weis« vor sich, daß einige Mann das Flugzeug an einem langen Seil gegen den Wind ziehen. Noch wenigen Metern hebt es sich von der Erde, und bei genügender Geschwindigkeit wird da« Seil ab- geworfen. Ausgabe de» Führers ist es nunmehr, durch geeignet« Betätigung der Steuerorgane da, Flugzeug in der Luft zu halten. W, M ö b u s.
Ein Wasser-Segelflugzeug. Ein« interesiante Neuerung auf dem Gebiete des Segelfluges ist das Wasiersegelflugzeug. das einer der deutschen Segelflieger, Hans Richter, konstruiert hat. Es handelt sich hier um«in« Flugzeugtype, die ganz besonders wertvolle fliegerisch« Eigenschaften aufweist. Bei Flugzeugen sind sehr oft Versuch« gemacht worden,
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durch fünfförmige Einstellung der Tragflächen ein seitliches Ab- rutschen zu oerhindern. Di« nach dieser Richtung gemachten Ver- such« erzielten nicht den wünschenswerten Erfolg, und so griff man dann wieder auf die alte Art der Steuerung zurück. Ein Pilot, der immer auf der Hut sein muß, um auftretende Böen, deren Stärke er nicht immer abschätzen kann, auszugleichen, muß seine ganze Per- sönlichkeit für das Gelingen eines solchen Fluges einsetzen. Bei der Neukonstruktion, die Hans Richter herausgebracht hat, und die wir in schemotischer Darstellung in zwei Ansichten zeigen, ist die Flügel- einstellung so gewählt, daß eine fast automatisch« Stabilität im Fluge gewährt wird. Statt einer parabolisch ausgebildeten Trag-
JZin aulomatisch-stahiles fVasser-Segelflugzeug
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Der bekannte Gleüßieger Hans Richter auf seinem Versuchsflugzeug fläche ist dies« aus Ersparnisgründen beschränkt durchgeführt. Die Flächen sind zweiteilig abnehmbar. Die Enden der Flügel haben negatioen Anstellwinkel und sind zweiholmig durch ein« geeignet« Brütfenfojistruftton gestützt. Diese Anordnung hat Richter auf Grund seiner Erfahrung mit dem sogenannten Geest-Gleitflieger, den er bereits 1912 flog, und dem Weltenfeglerflugzeug durchgeführt. Interessant ist es, daß das Flugzeug sowohl auf dem Wasser als auch auf dem Larrde gestartet werden tonn. Es ist— und auch das ist aus der beigefügten Skizze gut zu erkennen— mit zwei Schwimmern ausgerüstet. Die Schwimmer selbst sind aus Gummistoff ge- bildet, der dann wie ein Pneumatik aufgepumpt werden kann. Bei Versuchen auf dem Müggelsee, die im vergangenen Jahre statt- fanden, haben sich die Festigkeitseigenschaften der Schwimmer als vollkommen ausreichend erwiesen. Wenn man unter den Schwim- mern leichte Holzkufen anbringt, kann das Flugzeug ohne weiteres auch auf dem Lande gestartet werden. Der Führer sitzt hinter der Vorderkante des Flügels in einem geräumigen Rumpf, der, von der Seite gesehen, nach hinten wie ein« Schneid« ausläuft. Schräglagen und Höhensteuer werden durch den bekannten Steuerknüppel, das Seitensteuer durch Fußhebel betätigt. Durch die eigenartig« Flügel- durchbildung wird bei dieser Maschin« ein Luftpolster gebildet, durch das eine besonders gute Tragfähigkeit und Stabilität erzielt wird. Die Lustmasse weicht zwangsläufig nach den negativ eingestellten Flügelspitzen aus und gibt so einen selbsttätigen Vortrieb. Dieser selbsttätig« Vortrieb aber ist das Geheimnis des Vogelfluges. Richter beabsichtigt, noch abgeschlossenen Vorversuchen, noch in diesem Sommer mit diesem Flugzeug Flüge über den Aermelkanal zu unternehmen. Man darf mit Recht gespannt sein, ob sich die auf Grund«ingehender Modelloersuche gebildete Konstruktion so bewähren wird, wie es der Konstrukteur erwartet.
Ein M<kkliaie{*erdnch. Der Flugsport fit in Deutschland noch keine Angelegen- heit'des ganzen Volkes geworden, wie es z. B. in Rußland ist. Vielleicht läge hier noch für die Arbeitersport- bew«gung ein Gebiet vor, aus das sie auch ihr Augen- merk richten könnte. Aber Modellflugzeugbau und Schnellflugwettbewerbe können auch von minder- bemittesten begeisterten Bastlern gepflegt werden. Vor kurzem erschien im Verlage von C. I. E. Volckmann Nachf. G. m, b. H., Berlin -Eharlottenburg, eine Nein« Schrift über den Bau von Flugmodelten, die von S t a m e r und L i p p i s ch verfaßt ist. Diese billige, gute und knappe Arbeit wird nun wesentlich ergänzt durch ein bei der Franckhschen Verlagshandlung in Stuttgart verlegtes Buch:„Der praktische M o- dellslieger, das Bostelbuch für den Modell- �flugzeugbau." Der Preis von 18 M. für dos in Ganzleinen gebundene Werk, das 32S Seiten und 360 Bilder umfaßt, mag hoch erscheinen, er ist ober in Anbetracht de» Inhalts und der Ausstattung als angemessen zu bezeichnen. Di«.Herausgeber Hanns Günther und Dr. Paul Hirsch hoben eine sehr gründliche Anordnung des Stoffe» vorgenommen. Der Flugbegessterte wird zunächst mit der Theorie bekanntgemocht. Er erfährt nacheinander von den Eigenschaften der Luft, von den Gesetzen des Lustwider- standes, den Wirkungen der Tragflächen und Propeller und von den wichtigsten Eigenschaften der Flugzeug«. Ein Ab- riß über die Strömungslehre macht diesen Wschnitt beson- ders wertvoll. Der zweite Teil berichtet in geschichtlicher Darstellung über die Entwicklung des Flugwesens, im dritten Teil« wird die Bauausführung besprochen. Hierbei wird ganz folgerichtig der Wert der zu verwendenden Bau- «lemente und der Bau der Einzelteile selbst besprochen. Ein vierter Teil zeigt eine ganz« Reih« ausgeführter gutfliegender Modelle, während der fünft« Test die Praxis des Mo- ddlflugsporte« behandelt. Di« Darstellung ist außerordent- Nch fesselnd.