Sonnabend 7. Juli 1928
Nr. 318 45. Jahrgang
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Der gebändigte Nil.
Der modernen Technik blieb es vorbehalten. Aufgaben zu lösen, deren Grundgedanken schon vor mehr als sechs Jahrtausenden von klugen Menschen als richtig erkannt tDarcn, Wer heute Aegypten durchreist, erlebt die Bändigung des Nils, des uralten Stromes, dessen Entstehung und Lauf durch Jahrtausende hindurch von tiefstem Geheimnis umgeben waren. Der Nil , der heilige Fluß, dessen gewaltige Wasscrmengen Jahr um Jahr den ägyp- tischen Ackerboden überfluteten, so daß er fruchtbar wurde und Menschen ernährte, ist heute in steinerne Fesseln geschlagen. Der Mensch Hot es unternommen, das Gcsölle dieser Wasser jederzeit nach Belieben zu regeln, ja er kann die Fluten des Nils hindern, in das Delta zu strömen und sich dort mit dem Mittelmcer zu vereinigen. Der Riesenstrom ist g»fesselt. Vor 6000 Jahren. Bor mehr als sechstausend Jahren, etwa um das Jahr 4400 o. Chr., soll bereits die erste große Bewässerung?- onlage am Nil vollendet worden sein. Oestlich von Memphis soll ein Bewässerungskanal ausgeschachtet worden sein, der sich zur Zeit der Hochflut mit Nil - wasser füllte und es weithin über das ausgedörrte Land leitete. Wahrscheinlich aber handelte es sich um die Er- Weiterung und Regulierung eines natürlichen Wasser- lauses, der dem Nil parallel floß. Etwa seit 2000 Jahren mochte der Kanal seinen Dienst getan haben, dann sollen kühne Baumeister aus den Gedanken gekommen sein, seine Wasser in ein großes Tal, im sogenannten Fayüm, einer sruchtbaren Landschaft, zu leiten. Der alte Ge- schichtschreiber Herodot berichtet von dem dort cnt- standenen Staubecken, dem sogenannten M ö r i s s e e. Bis in die Neuzeit hinein haben sich Fachleute über die Loge des geheimnisvollen Mörissees gestritten. Immer- hin hat diese riesenhafte Stauanlage tatsächlich de- standen, es ist sogar möglich, daß damals unter Zuhilfenahme un- gezählter Arbeitskräfte eine richtige Staumauer mit Schleusen und Schützen gebaut worden ist. Zahlreiche Kanäle führten das köstliche Naß weithin in das Land, Wüsten wurden schon vor Jahrtausenden fruchtbare Aecker, Menschen fanden Nahrung und Wohnung. Und wieder rinnt die Zeit dahin: der Wüstenwind weht die Kanäle zu,
Die Riesenmauern einer Nilschleuse. die ägyptische Kultur oersinkt, das ungeheure Bewässerungswerk gerät in Bergessenheit. Der Bau und die Erhaltung der Kanäle und sonstigen Bewässerungsanlagen fordert« Gemeinschaftsarbeit und schuf somit das wohldurchdachte ägyptische Staatswesen. Die Bernachläsfigung dieser Arbeiten führte den Niedergang dieses Staates mit herbei. Statt großzügiger Kanalbauten behalsen sich nun primitive Bauern mit dem Schaduf, dem von Kamelen am Gö- ,, pel getriebenen Schöpf- Omdurmanjj wert, um einige Trop- n. � fen des kostbaren Nil»>,» wassers auf ihre dursti- yreisserriiJ gen Felder zu leiten. Die Arbeiten am Delta. Das Land am Nil wurde weiterhin von der Wüste hart bc- drängt. Immer enger wurde der fruchtbare Streifen, der die Ufer des Flusses umsäumte. Jedes Ausbleiben der Ueberschwemmung be- deutet« Mißernte und Hungersnot. Die Ber- nachlässigung der Wasserwirtschaft wurde zur Ursache zahlloser Katastrophen. Im ersten Viertel des 10. Jahr» Hunderts tauchten neue Pläne zur Bewässerung der Nillandc aus. Bereits Napoleon soll bei einem ägyptischen Feld- zug auf den Gedanken gekommen sein, einen Damm durch den Nil zu legen, um seine Wasser zu stauen und nach Belieben zur Bc- Wässerung des Landes zu verwenden. Der Bizckönig M u h a m- med AT---- o„E«r-. des franj beiden 50-----...-------——. durch je ein Stauwerk zu sperren, um dadurch den Waster-
Die letzten Fesseln.
spiegel des Nils zu heben, zwar mit Begeisterung auf- genommen, sie aber dann nicht besonder» energisch gefördert. Linont hatte die Absicht, die Stauwerke aus dem festen Lande fertig zu bauen und dann für den Nil ein neues Bett zu schaffen. Die Arbeit wurde auch begonnen. Muhamined Ali war sogar bereit, die Stemmassen der Pyramiden von Gizeh für diesen Zweck zu
Der geöffnete Damm. opfern. Dann aber stellten sich immer mehr und mehr die Schwierig- leiten des Werkes heraus, und nach zweijähriger Tätigkeit wurden die Arbeiten eingestellt. Erst 1843 wurde erneut mit der Anlage von zwei Staudämmen im Deltogebiet begonnen. 1863 wurde das über den Roscttearm gebaute Stauwerk vollendet. Es besaß eine Länge von 4bZ Meter, eine Breite von 5 Meter und 61 durch Schützen verschließbare Oefsnungen. Aber nur bis 1867 konnte es betrieben werden: mit ganzer Wucht warf sich der Nil gegen diese Fessel und drohte sie zu sprengen. Unter den Fundamenten quoll das Wasser stärker und stärker hervor, die Dämme drohten zu bersten. Daraufhin zog man es vor, dem Nil feine Freiheit zu geben und die Schützen zu össnen. 1884 war endlich auch der zweit« Staudamm über die Damiettemündunz vollendet. Er war stärker als sein Bruder, er besaß ebenfalls 61 Oefsnungen bei einer Länge von Ml Meter, Schon zwei Jahre später zeigte auch dieser Damm wieder Risse, so daß er unter un» geheurem Kostenauswand wieder verstärkt werden muhte. Nach- dem diese Arbeiten durchgesührt worden waren, konnte man im Jahre 1898 den Nil zum erstenmal um 6 Meter auf» stauen. Dieses Ergebnis brachte eine wesentliche Verbesserung der Ernte, es förderte vor allem die langsam aufblühende Baum- wollkultur in Aegypten . Mit einem Auswand von 11 Millionen Mark wurde nördlich der Staumauer vom Domiettearm noch ein zweites Entlastungswehr gebaut. Bei diesen Arbeiten wirkten vor ollem englische Ingenieure mit, die durch die Ausführung ähn- licher Jngenieurwerke in Indien hervorragende Erfahrungen g«< sammelt hatten. Trotzdem erwies sich die Anlage der Stauwerk« am Delta als ungenügend. Man entschloß sich daher zum Bau weiterer Staudämme. So entstand der Riesendamm von Assuan . Der Bau wurde 1898 begonnen, 1902 vollendet und später noch einmal wesentlich verstärkt. Di« Kosten der ersten Bauausführung waren aus 43 Millionen Mark veranschlagt» sie erhöhten sich aus 71 L Millionen Mark, da der'Untergrund des Flußbettes ganz erhebliche Mehrarbeiten zur Herstellung des Werkes erforderte. Der Asiuan-Domm liegt unterhalb der bekannten Tempelinfel P h i l a e. Durch den vom Damm bewirkten Aufstau des Wassers drohte zunächst allen Tempelbouten die Ueberschwemmung und damit der völlige Untergang. Die Archäologen setzten sich mit größter Energie für die" Erhaltung dieser historischen Bauwerke ein und erreichten, daß der Asfuan-Damm immerhin noch so niedrig gebaut wurde, daß die Tcmpelbauten von P h i l o e zwar von Wasser umgeben, aber nicht mehr überflutet wurden. Zur Her» stellung der Staumauer wurde zunächst nördlich und südlich der in Aussicht genommenen Linie je ein Damm aus Stcinblöcken und Sandsäcken aufgeschüttet. Der Nil wurde westlich abgeleitet, so daß nun zwischen den beiden Dämmen Arbeitsgruben entstanden, die durch Zentrifugalpumpen ständig trocken gehalten wurden. Der Damm wurde an seiner Sohle 30,5 Meter breit angelegt. Infolge des schlechten Gesteins auf dem Nilgrund mußten die Fundamente 12 Meter tiefer geführt werden, als ursprünglich beabsichtigt war. Zur Fertigstellung des ganzen Bauwerkes mußten 775 000 Kubik- meter Boden ausgeschachtet und 544 400 Kubikmeter Mauern er- richtet werden. Der Staudamm bei Assnan hat eine Gesamtlänge von 2 Kilometer. Die beim ersten Ausbau aufgestaute Wasser- menge hat eine Länge von 230 Kilometer. Durch Winden werden die einzelnen Schützen betätigt, die Aufspeicherung des Wassers be- ginnt im November und ist Mitte Januar vollendet. Im Mai läßt man das aufgestaute Wasser langsam abfließen, so daß es Mitte Juli seinen niedrigsten Stand erreicht. Dann erst setzt die Hoch- wasserpenode des Nil von neuem ein. Inzwischen stehen aber dem Lande genügende Wasfermengen für den Acker zur Verfügung.
Die überflutete Nilinsel Philae.
Die letzten Fesseln. Später wurden die Dämme von Assiut und Esneh zwischen Kairo und Assuan errichtet, und in neuerer Zeit wurde lüdtich von Khortum im Sudangebiet der blaue Ril durch einen Damm bei Sennar (Makwar) aufgestaut. Der weiße Nil soll bei Gebel-Aulia durch einen Damm von 6,7 Kilo- meter Läng« ebenfalls gesperrt werden. Gerade diese letzten beiden Dämme haben neben ihrer wirtschastlichen auch eine große politisch« Bedeutung für die Engländer zur Beherrschung Aegyptens . Es steht im Belieben der den Sudan beherrschenden Engländer, die Wasserzufuhr nach Unterägypten zu sperren und o.e Fluten des Nils im Sudan über die Wüste zu leiten. Die Tatsache, daß der Wüstenboden südlich von Khartum dei ausreichender Bewässerung fruchtbares Baumwolland hergab, veranlaßt- die Engländer zur Anlage des«tau- Hammes hei Makwar. 285 Kilometer südlicheren Khartum . Dieser Damm besitzt eine Lange von.> Kilometer. Er ist am Grunde 26 Meter breit, wahrend seine Krone eine Breite von 7 Meter hat. Die Gesam:- i höhe des Bauwerk» beträgt 39.6 Meter. Nicht weniger 426 Kubikmeter Granitblöcke, die durch einen be- sonderen Zement gekittet wurden, muhte» inr dieses gewaltige Bauwerk aufgeschichtet werden. Eine wesentliche Berbilligung der Baukosten wurde dadurch erreicht, daß es gelang, zum Bon benötigten Zement in einer alten Fabrik ber- zustellen. Durch den Makwar-Damm können 13 000 Ouadralkilometcr Wüstenboden bewässert und srnchtbor gemacht werden. Durch den Makwar-Damm wird ei» Stausee geschaffen, der bei einer Tiefe von 30 Meter 3>» Kilometer breit und 50 Kilometer lang ist. Der Damm besitzt 80 Hauptschleusentore und 152 Nebentore, die in der Sekunde 15 000 Kubikmeter Wasser durch- lassen können. Sieben Schleusentore regeln den Abfluß der Wasser- massen zum Gezira-Kanal. der eine Länge von 95 Kilometer hat. Er und seine zahlreichen Nebenkanäl«, die insgesamt 4762 Kilometer haben, bewässern da? Wüstenland, Es ist möglich, daß im blauen Nil noch ein zweiter Damm südlich de? ersten errichtet wird, wahr- scheinlich wird man auch dazu übergehen, die großen Sumpigelnete, die ungeheure Wasiermengen nutzlos verdunsten lassen, zu beseitigen. Dadurch würden auch die hygienischen Berhältnisie, die schon bei der
Der Damm von Assuan . Erschaffung der südlich von Khartum gelegenen Staudämme be- sondere Maßnahmen erforderte, wesentlich verbessert werden. Das durch dies« Bewässerungsbauten kulturfähig gemacht« Land wird vom„Sudan-Plantation-Syndicate" ausgenutzt. Alle dies« Arbeiten zeigen die moderne Technik aus einer Höhe, gegen die auch die größten Bauwerk« der Aegypter als Miniatur- arbeiten erscheine». Der Ril ist gesesselt. England beherrscht durch die Regelung des Nil- lauses das ewig un- ruhig« Aegypten , es verwandelt Wüstenland in fruchtbares Land So haben denn Politik und Wirtschaft bei der Errichtung dieser un- geheuren Bewäsjeruuge- ansagen Pate geschnhen. ♦ Di« Bauten, die die Wasser des Nils be- zwangen, lind vorbild- lich geworden für hie Regelung onderer Flüsse des asrikanischen Kon- tinent?. Die siidasrika- nische Regiernng hat Fachleute mit der Prä- sung der Frage betraut, wie weit es inög- lich sein wird, durch V7/"'- innT«rTi.iiw-f.Tra$ umfangreiche Bewässe- al1.» rungsarbeiten den Rei ch- J"«A tum des Landes zu vermehren. Frankreich •' aber denkt an cinen friedlichen Angriff auf Die Damme zwischen Assuan die Sahara . Auch hier- und der Mündung. bei wird man erst ver- 9 suchsweise Schritt um Schritt vorgehen, um Fehlschlage zu ersparen. Man wird zunächst das Gebiet zwiichen Timbuttu und Bamako im oberen Seneqalgebiet srichiießeii. Trotz der Mischen den beiden asrikanischen, im oberen Sencgalgebiet gelegenen Städten liegenden Entfernung von mehr als 700 Kllrm teter, die an sich schon die Größe dieser Ausgabe erkenn«» läßt, wäre da- mit doch nur ein sehr kleiner Teil der Gesamtausgabe gelöst. W.R.'s
Assen n.