Dienstag, 17. Juli
1928
Der Abend
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B165 45. Jahrgang.
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Schuld der Reichsbahndirektion
Unglaubliche Zustände auf dem Münchener Hauptbahnhof . Protest der Eisenbahner.
Ueberlastetes Bahnpersonal.
München , 16. Juli. ( Eigenbericht.)
In scharfen Ausführungen nimmt die Leitung des Einheits. verbandes der Eisenbahner, Bezirk Südbayern, bei der Beurteilung des Unglüds in der Nähe des Münchener Hauptbahnhofs gegen das bestehende System der Personaleinsparung Stellung. Die Berbandsleitung erbringt den Beweis, daß gerade an wichtigen, verfehrsreichen und gefahrvollen Bahnhöfen
die nöfigen Dienstposten nicht voll besetzt sind und der Dienst vielfach mit abgehehtem Personal versehen werden muß. Das Bersonal schuftet und bezt sich ab, geht todmüde nach Hanje, um nach turzer Ruhepause den Dienst wieder anzutreten. Und dabei bezeichnete erst fürzlich wieder ein maßgebender Beamter der Münchener Reichsbahndireftion des Personal als faul Die armen Teufel von unteren Beamten müssen anscheinend auch jetzt wieder für dieses Unglück ben Kopf hinhalten. Nach Ansicht der Verbandsleitung muß in erster Linie die Frage unterfucht werden, wie es fam, daß das nicht mit dem Blod in Berbindung stehende Ausfahrtsignal auf freie Fahrt gestellt worden war, ohne die Rückmeldung über den Vorzug abzuwarten.
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Scharf verurteilt die Verbandsleitung die Verhältnisse im Münchener Hauptbahnhof, der an verkehrsreichen Tagen seinen Aufgaben seit langem nicht mehr gewachsen ist. Am gleichen Sonntag( 15. Juli) passierte im Bahnhof ein weiterer Unfall, bei dem 6 Wagen ohne das Bremspersonal einfach bei der Haderbrüde abgestoßen wurden und auf den Prellbod im Bahnhof aufstießen. Nur ein glüdlicher Zufall hat es verhindert, daß der durch Personalmangel verursachte Unfall teine weitere Auswirkung hatte. Den ganzen Sonntag über schwamm" man im Münchener Hauptbahnhof , wie der Fachausdrud lautet, so daß nahezu alle Züge mit fleineren oder größeren Berspätungen ausliefen. Ein Rennen, ein Haften, ein Durcheinander, ungeheuer viel Arbeit und wenig Personal. Vor allem angeschultes Rangierpersonal, ganz junge Leute bis zu 19 Jahren, die irgendwo in der Eile von der Bahnmeisterei hergenommen werden und feine lebung und Erfahrung in dem schweren Rangierdienst haben. Dagegen steht an jedem Zug auf dem Bahnsteig
arbeitslos, aber schwer bewaffnet, die Bahnpolizei.
Die schärfste Kritik wird in der hiesigen Deffentlichkeit an der Tatsache geübt, daß beim Ausbruch des Brandes die Feuer. wehr nicht sofort alarmiert wurde. Die Bahnbeamten mußten statt dessen versuchen, mit notdürftigen Mitteln des Feuers Herr zu werden. Sie holten Feuerlöschapparate aus den in der Nähe befindlichen Zügen, desgleichen Wassereimer und Kannen. Dabei zeigte sich, daß
die Feuerlöschapparate zum Teil gar nicht gefüllt waren, ebenso enthielten die Kannen tein Waffer. Dadurch ging tostbare Zeit verloren, während aus den Trümmern Hilferufe gellten. Die schließlich herbeigerufene Feuerwehr war sofort mit drei Löschzügen zur Stelle, wobei sich wieder neue Schwierigkeiten ergaben, da die Feuerwehrzüge längere Zeit die Tore zu den Gleisanlagen verschlossen fanden. Als besonders mißlich wird auch empfunden, daß zwischen den Gleisen teine Hydranten vorhanden waren, so daß über die Gleise hinweg, die einen außer ordentlich starten Berkehr zu bewältigen hatten, Schlauchanlagen gelegt werden mußten.
In den Kommentaren der Münchener Bresse wird mit scharfen Ausbrüden gegen die Reichsbahn Stel Iung genommen in der Auffassung, daß es sich bei den Eisenbahnfatastrophen der letzten Jahre nicht mehr um Einzelfälle, fon dern um ein Glied in der
Reffe ungeheuerlicher Berschuldeng
handelt. Die„ Bayerische Staatszeitung " drückt besonders ihr Be fremden darüber aus, daß wieder in Bayern eine in ihren Folgen so erschütternde Ratastrophe möglich war: Immer mehr Erregung, immer mehr Erbitterung häuft sich gegen die Reichs Harlegung auf der 2. Geite)
Lai.
Trümmer und Asche der Wagen, in denen frohe Menschen zum Bergsport wollten, aber gräßlichen Flammentod landen.
In den Klauen der Inquisition .
Moskauer Tschefamethoden auf der Sowjetfolter.
Ein vor kurzem aus der Sowjetunion ausge-| Ueber meinen Kopf wurde ein Deckel geschoben, der jedoch porös wiesener österreichischer Spezialist" berichtet hier in schlichten Worten, wie es ihm in der Sowjet union gegangen ist, als er in die Hände der Tscheka geriet.
Auf Grund eines Arbeitsvertrages, den ich im Herbst 1925 im Atelier der Meyer Goldwyn Film- Gesellschaft in London mit dem Bertreter der Som Kino" abschloß, erlangte ich die offizielle Er Laubnis, nach Rußland einzureisen. Bereits einige Tage später befand ich mich mit meinem Kurbelfasten an Bord des holländi fchen Dampfers, kraafe" auf der Fahrt nach Archangelst, meinem vorläufigen Bestimmungsort. Wichtig ist, daß ich eines Tages auf eine völlig unbegründete Anschuldigung hin unversehens in die Hände der Tscheta" geriet als ich, eine Stunde vor Abgang des D- Zuges von Tiflis nach Minst- Berlin , verhaftet und furzweg
"
zum öfterreichischen Spion
erklärt wurde. Ich hatte vom Direktor der Filmfabrik in Tiflis , wohin ich von Archangelst aus fommandiert worden war, den Auftrag erhalten, nach Berlin zu reisen, um dort E inkäufe von Licht apparaten zu erledigen.
Als man mich ins Gebäude der Tscheta" einlieferte, wurde mir ein schon fig und fertig geschriebenes Brotokoll zur Unterschrift vorgelegt, monach ich freiwillig erkläre, Spion zu fein und auch zu diesem Zwecke von England nach Rußland gereist wäre. Ich verweigerte selbstverständlich die Unterschrift, worauf man mich in einen Keller führte und dort
in einen faßähnlichen Behälter feite, darin ich meder stehen noch figen fonnte.
gewesen sein mußte, denn durch ein finnreich fonstruiertes Wasserleitungssystem tropfte mir in regelmäßigen 3mischen räumen Wasser auf den Kopf. Eine fürchterliche Tortur. Wie lange ich dort verblieb, weiß ich nicht, ich erwachte erst in einer fleinen dumpfen Belle, wohin man mich einige Stunden später gebracht hatte. Ueber mich gebeugt stand der blutjunge unterfuchungsrichter und sprach in mich hinein, ich solle durch ein umfassendes Geständnis doch meine Lage erleichtern, er versprach mir auch vollkommene Straffreiheit. Als er sah, daß auch dies nichts fruchtete, meinte er wütend, ich würde schon bald klein beigeben! Einige Tage ließ man mich in Ruhe, bis ich plötzlich eines Nachts und nur mit einem Hemd bekleidet aus meiner Zelle gerissen, hinunter in den Hof gezerrt und dort
an eine Wand gestellt wurde, vor mir drei Gewehrläufe, von denen zwei auf meine Brust und einer auf meinen Kopf gerichtet maren. Daneben stand der höhnisch grinsende und sich vor ich nicht an der Band, ich bin bald zusammengebrochen. Später Bergnügen die Hände reibende Untersuchungsrichter. Lange stand
man mir bessere
kost und eine reinlichere Belle gab. Bis ich eines Tages im
Oktober vorigen Jahres mein Urteil erhielt, es lautete: wegen Sonterrevolution 10 Jahre Berbanmung nach Solovezfoi. Ih unter martete ich auf meinen Abtransport nach der berüchtigten Insel, schrieb es automatisch, ich mar ganz abgeſtumpft geworden. Nun doch nichts dergleichen geschah. Auf Ummegen erfuhr ich, daß die österreichische Gesandtschaft für meine Freilaffung intervenierte. Ich wurde nach Minst gebracht, um von dort nach Warschau meiterzufahren; so mar ich endlich frei, nachdem man mich sorgfältig unterjucht und mir alles weggenommen hatte, was ich noch besaß.